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BERICHT
Erklären, aufklären, immer wieder ...
Resistenzgefahr zwingt zu sparsamem Antibiotikaeinsatz bei häufigen respiratorischen Infekten
Antibiotikaresistenzen in der Schweiz – die alarmierende Wahrheit Kaminfeuergespräch mit Unterstützung der Reckitt Benckiser AG, 14. November 2013 in Zürich
Oft liegt der Nachfrage nach einem Antibiotikum bei Halsschmerzen ein ungenügendes Wissen bei den Patienten über deren Ursachen zugrunde. Will man etwas gegen die zunehmenden Antibiotikaresistenzen unternehmen, ist neben Vorkehren gegen Hospitalismus und grassierende Verabreichung an Tiere die Aufklärung der Patienten der erste Schritt.
HALID BAS
Seit Einführung des ersten Antibiotikums war diese Wirkstoffklasse von rasch auftretenden sekundären Resistenzen begleitet, erinnerte PD Dr. med. Stefan Zimmerli, Institut für Infektionskrankheiten, Klinik und Poliklinik für Infektiologie, Universität Bern. Konsequenz dieser Entwicklung ist der immer häufiger notwendig werdende Einsatz von Reserveantibiotika wie Linezolid, Daptomycin oder Carbapenemen und Polymyxinen mit ihren oft problematischen Nebenwirkungen. Diese heute häufig letzten funktionstüchtigen Waffen im Kampf gegen schwerwiegende Infektionen mit multiresistenten Keimen müssen unbedingt geschützt werden, zumal – auch wegen mangelnder Investitionstätigkeit auf diesem Gebiet – kaum mehr neue Antibiotika auf den Markt kamen oder entwickelt werden.
Bekannt sind die grossen Un-
terschiede beim ambulanten
Einsatz von Antibiotika wie
Penizillinen oder Chinolonen.
So unterscheidet sich die Prä-
valenz von vermindert peni-
zillinempfindlichen Pneumo-
kokken in Deutschland (93%
sensibel) und Frankreich (57%
sensibel) parallel zur Verschreibungshäufigkeit markant.
Stefan Zimmerli
Hans-Ulrich Kull
Ein korrekter Einsatz von Antibiotika Mikrobioms, durchaus auch Zusam-
vermindere die Resistenzentwicklung, menhänge mit der Regulation des Kör-
betonte Zimmerli. Insbesondere sind pergewichts und mit immunologischen
dabei korrekte Wahl, Dosierung und Prozessen aufweisen.
Behandlungsdauer von Bedeutung.
Derzeit beschäftigt die aufgrund von Die Situation in der Schweiz
Reisetätigkeit und Migration globale Eigentlich stehe die Schweiz beim Anti-
Bedrohung mit besonders gefährlichen biotikakonsum bei ambulanten Patien-
Keimen, beispielsweise auf New- ten ganz gut da, sagte Dr. med. Hans-
Dehli-Metalloproteinase-(NDM-)1-po- Ulrich Kull, Facharzt für Innere Medi-
sitiven Enterobacteriaceen, die Infek- zin, Küsnacht. Denn sie gehört im
tiologen. Gegen solche Erreger gibt es europäischen Vergleich zu den Ländern
überhaupt nur ganz vereinzelt noch mit geringem Verbrauch (wie die skan-
wirksame Antibiotika.
dinavischen Länder oder die Nieder-
lande), der kaum ein Drittel dessen aus-
Ungeahnte Langzeitwirkungen nach macht, was etwa in Frankreich oder
kurzfristiger Antibiotikumeinnahme? Griechenland verbraucht wird. Aller-
Von zunehmendem Interesse sind auch dings sind auch in der Schweiz regio-
die Forschungsergebnisse zu den Lang- nale Unterschiede zu beobachten. So
zeitauswirkungen einer kurzen Antibio- ist die Anzahl der verschriebenen
tikabehandlung. Zimmerli führte dazu Tagesdosen in der Westschweiz und im
eine bemerkenswerte kontrollierte Be- Tessin deutlich höher als in den
obachtungsstudie an, die nach einer Deutschschweizer Kantonen. Antibio-
siebentägigen antibiotischen Kombina- tika werden allerdings nicht nur in der
tionsbehandlung mit Clarithromycin Humanmedizin, sondern in grossem
und Metronidazol zur Helicobacterera- Umfang auch in der Tiermedizin, in
dikation deutliche Veränderungen der Aquakulturen, beim Pflanzenschutz
Keimbesiedlung von Rachen und Darm sowie in Putzmitteln und Kosmetika
nicht nur kurzfristig wie zu erwarten, eingesetzt. Vor allem die Landwirt-
sondern teilweise auch über einen Zeit- schaft geht in der Schweiz grosszügig
raum von vier Jahren fand (1).
mit diesen Wirkstoffen um, 58 von
Diese Forschung steckt zwar derzeit 66 Tonnen der eingesetzten Antibiotika
noch in den Anfängen, einige weitere (87%) werden Tieren, vor allem über
Studien lassen aber vermuten, dass anti- das Futter, verabreicht.
biotikabedingte Veränderungen der In der Humanmedizin sind zwei gegen-
Gesamtheit der mikrobiellen Flora, des sätzliche Entwicklungen zu beobachten,
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ARS MEDICI 24 I 2013
BERICHT
Kasten:
Antibiotikatherapie bei Halsschmerzen
Die Gruppe NEXT (Neue Expertenstrategie zur Therapie von Halsschmerzen) besteht seit Anfang 2013 und will eine nutzenorientierte Behandlung von unkomplizierten Halsschmerzen erarbeiten. 80 Prozent der Fälle sind viral bedingt und bedürfen keiner Antibiotikatherapie. NEXT fokussiert auf diese viralen Infektionen, die auch in der Schweiz trotz fehlendem Nutzen häufig mit antibiotikahaltigen Präparaten in Selbstmedikation therapiert werden. Mitglieder der NEXT-Gruppe sind Johannes Rogger, Apotheker, Luzern, Dr. Lorenz Schmid, Apotheker, Zürich, Dr. med. Michael Schneider, Allgemeinmediziner in Hausarztpraxis, Bern, sowie PD Dr. med. Stefan Zimmerli, Infektiologe, Bern. Sie haben einen Algorithmus für die Praxis ausgearbeitet, der Anfang 2014 im «PharmaJournal» von pharmaSuisse publiziert wird. Die Initiative wurde von Reckitt Benckiser AG ins Leben gerufen.
so Kull. Einerseits hat
der Antibiotikaeinsatz er-
freulicherweise im letzten
Jahrzehnt insgesamt nicht
weiter zugenommen, an-
dererseits ist aber die An-
wendung von Reserve-
antibiotika dramatisch
häufiger geworden. Das
Lorenz Schmid
Vorkommen von Antibiotikaresistenzen in der
Schweiz liegt international gesehen im
Mittelfeld, deutlich besser als in Frank-
reich, Italien, England und diversen
ost- und südeuropäischen Ländern,
aber schlechter als in Skandinavien und
den Niederlanden.
Auch der Bund hat die Bedeutung der
Thematik erkannt und die Bekämpfung
von Resistenzen in die gesundheits-
politischen Prioritäten des Programms
Gesundheit 2020 aufgenommen.
Bei der Sensibilisierung für das Pro-
blem kann jedoch jeder Einzelne etwas
tun. Unter Hinweis auf die Experten-
gruppe NEXT (Kasten) erinnerte Kull
daran, dass Antibiotika bei Hals- und
Ohrenschmerzen oder «Grippe» mit
trockenem Husten fragwürdig sind.
Dies gilt überdies auch für unkompli-
zierte Harnwegsinfekte, Hautinfekte
oder unbestimmte Gesundheitsstörun-
gen nach Ferienaufenthalten. Antibio-
tika sind zu diagnostischen Zwecken
nicht indiziert und zur Fiebersenkung
nicht geeignet. Dies ist den Patienten
immer wieder zu vermitteln.
Antibiotikahaltige Halsschmerzmittel sind obsolet Menschen mit Halsschmerzen gehen nicht unbedingt gleich zum Arzt, sondern suchen Rat in der Apotheke. Dies
bietet eine gute Gelegenheit zur Aufklärung über die wahrscheinlichen Ursachen und zur Erklärung, weshalb Antibiotika in den meisten Fällen nicht sinnvoll sind, wie Dr. Pharm. Lorenz Schmid, Apotheker in Zürich, sagte. Zwar sind 80 bis 85 Prozent aller Halsschmerzen viral bedingt (2–4), die Verkaufszahlen der Halsschmerzbehandlung widersprechen aber der Vorstellung einer ursachenorientierten Therapie. In Schweizer Apotheken werden laut Interpharma Halsschmerzmittel für rund 30 Millionen Franken (ex factory) jährlich verkauft, in den letzten Jahren auf stabilem Niveau. Davon entfallen jedoch 9 Millionen auf tyrothricinhaltige Präparate. Tyrothricin ist ein Gemisch aus antibiotischen Polypeptiden, das hauptsächlich aus Gramicidinen und Tyrocidinen besteht, die lokal bakteriostatisch bis bakterizid auf grampositive Bakterien wirken sollen. Dieser verbreitete Antibiotikaeinsatz in Präparaten wie Mebulemon, Mebucaine f, Sangerol, Solmucaine und etlichen anderen sei angesichts der meist viralen Genese banaler Halsschmerzen nicht sachgerecht und sollte längst verboten sein, meinte Schmid. Diese Einschätzung teilten auch Zimmerli und Kull. Als Lösungsansatz für die Praxis schlägt die NEXT-Gruppe einen Algorithmus vor, der auf dem gut etablierten Centor-Score basiert. Für jene Fälle, bei denen anhand der Symptomatik eine virale Genese der Halsschmerzen vermutet werden muss, ist eine praktikable lokale Behandlung sinnvoll, da die Beschwerden im Allgemeinen innert weniger Tage abklingen. Dazu gehörten eine effiziente Schmerz-
bekämpfung sowie eine Förderung der Speichelproduktion durch Lutschtabletten und Ähnliches, betonte Schmid. Zudem ist einer möglichst freien Nasenatmung Beachtung zu schenken, um die Rachenschleimhaut nicht noch mehr auszutrocknen; dies muss gegebenenfalls auch medikamentös erreicht werden.
Erwartung der Krankheitsabkürzung
ansprechen
In der Diskussion waren sich die Refe-
renten einig, dass die Patientenaufklä-
rung bei einfachen Infekten der oberen
Luftwege im Zentrum stehen muss.
Dabei ist nicht davon auszugehen, dass
der Unterschied zwischen Viren und
Bakterien geläufig ist.
Für Ärzte stellt sich offenbar auch zu-
nehmend die Frage, ob eine restriktive
Antibiotikaverschreibung in den selte-
nen Fällen mit infektionsbedingten
Komplikationen zu rechtlichen Konse-
quenzen führen könnte. Hier helfe die
Erfahrung in der Erkennung potenziell
gefährlicher Verläufe, meinte Kull.
Für die Patientennachfrage nach einem
Antibiotikum wiederum sei sehr oft der
Wunsch nach einer Abkürzung des
Krankheitsverlaufs, und sei es nur um
einen Tag, massgeblich, stellte Kull
klar. Dass sich dies bei viralen Infekten
so nicht erreichen lässt, muss betont
werden, ebenso wie die möglichen
negativen kurzfristigen Auswirkungen
einer Antibiotikaeinnahme (Durch-
fälle, Hautausschläge) und die mögli-
chen Langzeitfolgen auf das Mikro-
biom, von denen noch zu wenig be-
kannt ist. Laut Zimmerli erfährt 1 von
1000 antibiotisch Behandelten eine
schwere allergische Reaktion, die zur
Spitaleinweisung führt.
O
Halid Bas
Referenzen: 1. Jakobsson HE et al.: Short-Term antibiotic treatment
has differing long-term impacts on the human throat and gut microbiome. PLoS One 2010. doi: 10.1371/ journal.pone.0009836. 2. Evans CE et al.: Sore throats in adults: Who sees a doctor? Can Fam Physician 1982; 28: 453. 3. McIsaac WJN et al.: A clinical score to reduce unnecessary antibiotic use in patients with sore throat. CMAJ 1998; 158: 75–83. 4. Shulman ST et al.: Clinical Practice Guideline for the Diagnosis and Management of Group A Streptococcal Pharyngitis: 2012 Update by the Infectious Diseases Society of America. Clin Infect Dis 2012; doi: 10.1093/cid/cis62.
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