Transkript
EDITORIAL
Mit der Einführung der DRG ist es für Patienten, die länger als üblich im Spital bleiben müssen,
ungemütlich geworden. Jeder Tag mehr verursacht Kosten, die das Spital niemandem in Rechnung stellen kann. Der Druck auf Ärzte und Pflegende wächst, solche «unwirtschaftlichen» Patienten möglichst rasch zu entlassen oder in eine andere Institution abzuschieben. Das spüre man auch in Pflegeheimen, berichtet ein Arzt an einer Fortbildung. Es sei mittlerweile üblich, dass neue Patienten unter erheblichem Zeitdruck vom
Ein Beispiel: An der Universität Bern werden beispielsweise dem Fachgebiet HNO bis zum 5. Studienjahr 38 Vorlesungsstunden und 23 Prüfungsfragen gewidmet, der Palliativmedizin aber nur 9 Vorlesungsstunden und 5 Prüfungsfragen. Mit weniger, nämlich 3 Stunden und 2 Prüfungsfragen, muss sich nur noch die Hausarztmedizin (!) begnügen. Es besteht ein krasses Missverhältnis zwischen dem wichtigen medizinischen Wissen, das in der Praxis gebraucht wird, und dem medizinischen Wissen, das an der Universität gelehrt wird. Nur die wenigsten Menschen, weniger als 5 Prozent hierzulande, sterben einen schnellen, unerwarteten Tod, ohne vorher in mehr oder weniger hohem Masse pflegebedürftig gewesen zu sein. Hingegen schätzt
Kein Platz in der Herberge
Spital ins Pflegeheim geschickt würden, nicht selten mit einer langen «To-do-Liste» primär spitalüblicher Massnahmen, die dann vom Pflegeheim erledigt werden müssen. Für Palliativpatienten im Spital sind die Aussichten besonders düster. So sicher wie das Amen in der Kirche komme schon bald der Brief der Krankenkasse, dass ab sofort nur noch der Pflegetarif bezahlt würde, weil der Patient «nur noch palliativ» behandelt wird, so der Palliativmediziner eines grossen Universitätsspitals. Doch wohin soll der Patient, wenn ihm zuhause nicht die nötige Pflege zuteil werden kann? Die palliative Versorgung in der Schweiz ist nach wie vor lückenhaft. Darum sei es nicht selten, dass Patienten zu dem bitteren Schluss kommen: «Es gibt keinen Platz in der Herberge. Da ist es wohl am besten, ich lasse mich umbringen...» Das sei keine Übertreibung, betont der Palliativmediziner, so etwas komme immer wieder vor. Noch immer ist es so, dass eine noch so teure, vermeintlich kurative Massnahme am Lebensende eher vergütet wird als eine gute palliative Versorgung. Noch immer ist Palliativmedizin nicht «sexy» und für die ärztliche Karriere wenig förderlich. Noch immer wird Palliativmedizin in der Ausbildung der jungen Ärztinnen und Ärzte sträflich vernachlässigt.
man, dass jeder Zweite eine palliativmedizinische Versorgung benötigen wird. Mit der «Nationalen Strategie Palliative Care» versucht man seit 2009 die Palliativmedizin in der Schweiz zu verbessern. Gemäss einer Erhebung im 2011* gibt es in der Schweiz 28 Palliativkliniken, 5 Hospize mit Pflegeheimstatus, 10 Palliativambulatorien, 18 mobile Palliativ-Care-Teams und 13 Palliativ-Konsiliardienste im Akutspital. Diese Angebote sind aber nicht gleichmässig über die Schweiz verteilt, sondern es gibt Kantone und Regionen mit relativ guter Versorgung, während in anderen palliative Angebote kaum oder gar nicht vorhanden sind. Von 2008 bis 2011 ist die Anzahl palliativmedizinischer Betten in der Schweiz zwar von 219 auf 295 gestiegen, doch ist dies noch weit entfernt von den rund 600 Betten (80 bis 100 pro Million Einwohner), die von der «European Association for Palliative Care – EAPC» für die Schweiz gefordert werden. Für viele Palliativpatienten heisst es also auch weiterhin: kein Platz in der Herberge.
Renate Bonifer
*BAG und GDK (Hrsg.): Nationale Strategie Palliative Care 2013–2015. Bilanz «Nationale Strategie Palliative Care 2010–2012 und Handlungsbedarf 2013–2015. Zum Download unter: www.bag.admin.ch/palliativecare
ARS MEDICI 24 I 2013 1201