Metainformationen


Titel
Arsenicum
Untertitel
Blow my whistle
Lead
Der Hit von Rapper Flo Rida «Can you blow my whistle, baby?» hat etwas mit Enthüllen zu tun. Jedoch nichts mit dem von Skandalen, wie es beim Whistleblowing erfolgt. Diese Art zu blasen ist jetzt in aller Munde. Nix Libido: Der Libor wurde verpfiffen, denn der «Kronzeuge», der am meisten hätte zahlen müssen, erspart sich dadurch die Geldstrafe.
Datum
Autoren
-
Rubrik
Rubriken — ARSENICUM
Schlagworte
-
Artikel-ID
5699
Kurzlink
https://www.rosenfluh.ch/5699
Download

Transkript


MEDIEN, MODEN, MEDIZIN

Blow my whistle
D er Hit von Rapper Flo Rida «Can you blow my whistle, baby?» hat etwas mit Enthüllen zu tun. Jedoch nichts mit dem von Skandalen, wie es beim Whistleblowing erfolgt. Diese Art zu blasen ist jetzt in aller Munde. Nix Libido: Der Libor wurde verpfiffen, denn der «Kronzeuge», der am meisten hätte zahlen müssen, erspart sich dadurch die Geldstrafe. Ist ja sexy. Aber ethisch? Und darf die Regierung eines Rechtsstaats CDs von jemandem kaufen, der Bankoder Berufsgeheimnisverletzungen begangen hat, diese Informationen zur Verfolgung von potenziellen Tätern nutzen, dadurch Millionen Steuergelder zurückerhalten – und darf man den Verräter dann wegen Geheimnisbruchs verurteilen? Wo beginnt die Illoyalität, das Verrätschen, der Verrat und wo enden die Transparenz und die Rechtstaatlichkeit? Das Publikmachen wichtiger Informationen ist häufig im Interesse der Öffentlichkeit und des Allgemeinwohls. Whistleblower sind nicht selten geknechtete Menschen, die ihre Angst überwinden und etwas offenbaren, weil ihr Gewissen es nicht mehr zulässt zu schweigen. Sie werden oft erst dann aktiv, nachdem ihre interne, berechtigte Kritik als unzutreffend, belanglos oder als persönlich motiviert diffamiert wurde, wenn die Misstände andauern und die Verantwortlichen die Fehlbaren decken. Denn mächtige Individuen und Institutionen in Staatswesen und Wirtschaft, leider auch im Medizinalwesen, können sich durch Sachkritik in Reputation und eigenen Interessen bedroht sehen. Brutal gehen sie gegen die Enthüller vor – und gegen die veröffentlichenden Medien. Das führte zur Forderung, Whistleblower per Gesetz zu schützen, was in einigen Ländern gemacht wird. Datenschutz und Quellenschutz sind unabdingbar, wenn Gefahren, Vergehen und Verbrechen aufgezeigt werden sollen. Die Täter verunglimpfen Whistleblower stets als illoyale Nestbeschmutzer und feige Denunzianten, die es nicht wagten, wie Ehrenmänner ihr Gesicht zu zeigen. Sie wollen dadurch die Skandalaufdecker aufscheuchen und ihre Identität ausfindig machen, um sie so zu bedrohen, dass sie schweigen oder widerrufen. Die Hinweisgeber sollen ausgegrenzt und zwecks

Abschreckung zur Strecke gebracht werden – damit es niemand sonst noch wagt, gegen die bösen Mächtigen aufzumucken. Eine Hexenjagd geht los: Völlig Unbeteiligte werden verdächtigt, die weder den Whistleblower kennen noch etwas von dessen Kritik wussten. Und natürlich die «üblichen Verdächtigen», die nicht nur eine eigene Meinung haben, sondern sie sogar sagen. Es gibt erstaunlich viele Pfeifen. Sie tönen falsch. Oder geben gar keinen Ton von sich. Einige können gar nicht schnell und laut genug beteuern, dass sie keinen Pieps gemacht haben – sie würden nie etwas so Rüdes, Hinterhältiges machen. Denen, die es wagen, die Bedeutung der offenbarten Missstände hörbar zu ventilieren, wird mit Nachdruck geraten zu verstummen. Vielleicht seien sie ja auch nicht über jeden Verdacht erhaben … und Blasen sei in jedem Fall unschicklich. Oft wird gar nicht über den schockierenden Inhalt der Enthüllungen diskutiert, sondern auf Irrelevantes abgelenkt – wie Tonalität und Sprachstil des Aufdeckers. Dabei macht der Ton keineswegs die Musik: Die Mondscheinsonate ist auch dann als solche erkennbar, wenn sie nicht geklimpert, sondern gepfiffen wird. Wird fehlbaren Institutionen der Marsch geblasen, dann sanktionieren sie ihre entlarvten Mitarbeiter gelegentlich – um nicht einen noch grösseren Imageschaden zu erleiden. Die Täter schlüpfen in die Opferrolle und jammern, was ihnen angetan wurde. Sind sie sehr mächtig, dann versuchen sie, nicht nur die Hinweisgeber, sondern freie Presse und unabhängiges Rechtswesen zu zerstören oder zu korrumpieren. Moderne Technik lässt es für die Entlarver immer schwieriger werden, sich selbst zu schützen, wenn sie Unrecht dokumentieren. Whistleblower, die sich wie Snowden outen, hoffen, dass ihre Bekanntheit sie vor Verfolgung schützt. Das ist riskant und kann tödlich enden. Bei Machtungleichgewicht ist es daher eine legitime, anerkannte Strategie, getarnt aus der Deckung heraus gegen Unrecht zu kämpfen – wie Tell und Themistokles. Denn die Winkelrieds leben gefährlich. Glücklicherweise gibt es sie trotzdem: Assange, Ellsberg, Felt, Hafner, Kessler, um nur einige zu nennen. Sie pfeifen auf die Gefahren und tun, was Recht ist. Unterstützt von investigativen Journalisten, couragierten Verlegern und wachsamen Zeitgenossen. Es gibt den «Prix-Courage-Preis» des Beobachters. Und einige Institutionen, die über Recht, Ethik, Qualität, Integrität wachen. Doch der Pfeife der Mächtigen wird meistens gefolgt. Oder sie wird nur so geblasen, wie es Flo Rida gerne hat.

ARSENICUM

1208 ARS MEDICI 24 I 2013