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FORTBILDUNG
Serie: Adipositas
Übergewicht kann viele Ursachen haben
Adipositas, Teil 1: Grundlagen
Etwa ein Drittel der Schweizer Bevölkerung ist übergewichtig, fast jeder Zehnte leidet unter Adipositas, also unter krankhafter Fettleibigkeit. Neben einer Definition dieser Begriffe liefert der folgende erste Teil unseres Übersichtsartikels zum Thema Übergewicht Daten zur Epidemiologie und beleuchtet Ursachen und Konsequenzen von übermässigem Körpergewicht. Die Teile 2 und 3, welche Sie in den kommenden Ausgaben von ARS MEDICI lesen können, werden sich mit der Beeinflussung der kardiovaskulären Risikofaktoren beziehungsweise mit der multimodalen Behandlungsstrategie befassen.
OTTO KNES UND SIGRUN CHRUBASIK-HAUSMANN
Bei Übergewicht überschreitet das Körpergewicht einen definierten Schwellenwert in Relation zur Körpergrösse. Diese Relation kann mit dem Body-Mass-Index (BMI) ermittelt werden. Dabei wird das auf einer Waage gemessene Körpergewicht in kg durch das Quadrat der Körpergrösse (in m angegeben) dividiert. Zur Optimierung der Angabe sollte zusätzlich eine Messung des Körperfettanteils vorliegen, denn ein errechnetes Übergewicht wäre bei einem niedrigen Körperfettanteil und grosser Muskelmasse nicht pathologisch. Gemäss der Weltgesundheitsorganisation (1) liegt das
Merksätze
O Häufigste Ursache für Übergewicht ist, dass die Kalorienzufuhr den Energieverbrauch übersteigt. Selten liegt eine Stoffwechselstörung oder ein genetischer Defekt zugrunde.
O Die infolge des Übergewichts veränderte Stoffwechselsituation, das sogenannte metabolische Syndrom, wirkt atherogen und verdoppelt das kardiovaskuläre Risiko.
O Übergewichtige Raucher haben ein besonders hohes kardiovaskuläres Risiko.
Normalgewicht im BMI-Bereich von 18,5 bis 24,9 kg/m2. Der Bereich von 25 bis 29,9 kg/m2 wird zwar als Übergewicht bezeichnet, geht aber nicht mit einer eingeschränkten Lebenserwartung einher (2). Adipositas beginnt bei einem BMI von 30 kg/m2. Es werden 3 Adipositasstufen unterschieden: O Grad I im Bereich von 30 bis 34,9 kg/m2 O Grad II im Bereich von 35 bis 39,9 kg/m2 O Grad III im Bereich von ≥ 40 kg/m2.
Ursachen Übergewicht kann viele Ursachen haben. Fast immer übersteigt die Kalorienzufuhr den Energieverbrauch. Schlechte Angewohnheiten wie die Zufuhr von hochkalorischer Nahrung, Süssigkeiten, Fertiggerichten, Fastfood, Alkohol und Knabberartikeln zusammen mit Bewegungsmangel lassen das Gewicht stetig ansteigen. Selten liegt dem Übergewicht eine Stoffwechselstörung oder ein genetischer Defekt zugrunde. Dagegen kann Übergewicht bei der Einnahme bestimmter Medikamente als unerwünschte Wirkung auftreten, beispielsweise bei Einnahme von Kortikosteroiden, Antidepressiva oder anderen zentral wirksamen Medikamenten, oder es ist eine Folge von psychischen Störungen (z.B. Depressionen oder Essstörungen).
Epidemiologie Auf der Webseite der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (www.adipositas-gesellschaft.de/index.php?id=40) sind die Ergebnisse der bundesweiten Erhebung zur Ernährungssituation von Jugendlichen und Erwachsenen (Nationale Verzehrstudie II, NSV II) zusammengefasst. Die vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz in Auftrag gegebene Erhebung wurde von November 2005 bis Dezember 2006 durchgeführt und im Jahr 2008 veröffentlicht. Aus dieser Erhebung geht hervor, dass mehr als die Hälfte der deutschen Bevölkerung – insgesamt etwa 58 Prozent – übergewichtig ist. Davon waren etwa 21 Prozent adipös mit einem BMI von 30 kg/m2 und mehr (Abbildung 1). Der Anteil der Normalgewichtigen betrug 40 Prozent. Der Rest, etwa 1,5 Prozent der Bevölkerung, war untergewichtig. Zwischen den Geschlechtern fand sich kein Unterschied hinsichtlich der Adipositasprävalenz, doch hatten mehr Frauen als Männer einen deutlich erhöhten Taillenumfang. Etwa 27 Prozent der Männer hatten einen Taillenumfang von mehr als 102 cm, etwa 32 Prozent der Frauen einen Taillenumfang von über 88 cm. In den letzten 20 Jahren hat die Adipositasprävalenz bei Männern um 39 Prozent und bei Frauen um 44 Prozent zugenommen.
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Prozent
25,0 20,8
20,0
15,0
10,0
5,0
0,0 Gesamt
15,2 4,1
Adipositas
1,5
Abbildung 1: Prozentualer Anteil der deutschen Bevölkerung mit Übergewicht und Adipositas Grad I (BMI 30–34,9 kg/m2), Grad II (BMI 35–39,9 kg/m2), Grad III (BMI > 40 kg/m2) (www.adipositas-gesellschaft.de/index.php?id=40)
C-reakƟves Protein (mg/l)
8,0 7,0
7,0
6,0
5,0 4,1
4,0 3,2
3,0
2,5 2,0
2,0 1,5
1,0
0,0
Body-Mass-Index
Abbildung 2: Je höher der BMI, umso höher ist das C-reaktive Protein im Blut (Mittelwerte der CRP-Konzentrationen in mg/l der einzelnen BMI-Bereiche; Daten aus der Datenbank des Instituts für angewandte Biochemie, IABC, aus dem Jahr 2006, n = 10 166).
C-reakƟves Protein (mg/l)
4,0 3,8 3,5 3,2 3,3
3,0 2,7
2,5 2,2 2,4
2,0 1,7
1,9
1,5 1,1 1,0
0,5
0,0
Alter (Jahre)
Abbildung 3: Einfluss des Alters auf die CRP-Konzentration im Blut (Mittelwerte der CRP-Konzentrationen in mg/l der einzelnen Altersdekaden; Daten aus der Datenbank des Instituts für angewandte Biochemie, IABC, aus dem Jahr 2006, n = 10 162)
In der Schweiz war gemäss einer Erhebung aus dem Jahr 2002 ein Drittel der Bevölkerung übergewichtig (Anteil der Adipösen: 7,7%) (3). Zunehmend sind auch Kinder von Übergewicht betroffen, in der Schweiz nahezu jedes fünfte
Kind (Anteil adipöser Kinder: ≤ 5%) (4). Die durch Übergewicht entstandenen Kosten betrugen im Jahr 2001 2,69 Milliarden Schweizer Franken. Der grösste Teil davon entfiel auf die Behandlung von Komplikationen durch das Übergewicht. Nur 1,6 Prozent der Kosten beinhalteten eine Behandlung des Übergewichts (3). In den USA betrugen im Jahr 2006 die durch Adipositas verursachten Gesundheitskosten fast 120 Milliarden Dollar (5).
Konsequenzen Bei abdomineller Fettleibigkeit entwickeln sich klinisch mit der Zeit eine Hyperinsulinämie (erhöhte Insulinresistenz) und in weiterer Folge ein Typ-2-Diabetes, eine Dyslipidämie (die Blutfettwerte verändern sich), eine Hypertonie (Bluthochdruck) und/oder Gicht infolge erhöhter Harnsäure im Blut. Diese veränderte Stoffwechselsituation, das sogenannte metabolische Syndrom, wirkt atherogen und verdoppelt das kardiovaskuläre Risiko (6). Ein erhöhter Bauchumfang (bei Frauen > 80 cm, bei Männern > 94 cm) ist zwar ein empfindlicher, aber kein spezifischer Risikofaktor für die Folgekrankheiten des Übergewichts, spezifisch ist der Nachweis des metabolischen Syndroms (7). Neben diesen klassischen Risikofaktoren des metabolischen Syndroms als Indikatoren für das Auftreten kardiovaskulärer Ereignisse sind unabhängig davon auch die sogenannten proatherogenen Biomarker im Blut verändert, zum Beispiel C-reaktives Protein (CRP), Homocystein, Harnsäure, Fibrinogen, Lipoprotein(a), oxidiertes LDL-Cholesterin und andere (siehe unten). Der im Fettgewebe schwelende, chronische Entzündungsprozess erklärt die pathologischen Veränderungen, zum Beispiel die zunehmende Insulinresistenz (8), die Bildung arteriosklerotischer Plaques (9) und die Fettablagerungen in der Leber (hepatische Steatose) (10). Die zellulären Vorgänge im Fettgewebe ähneln denen in der Gefässwand vor der Bildung arteriosklerotischer Plaques. Auch im Gefäss beginnt der Umbau mit einer komplexen Interaktion zwischen den regionalen Zellen (Endothelzellen und glatten Muskelzellen), Lymphozyten und Makrophagen (11). Die durch die chronische Entzündung im Fettgewebe ausgelöste Immunantwort verstärkt die Entzündungsreaktion in der Gefässwand und beschleunigt den Arterioskleroseprozess (12).
Biomarker der chronischen Fettgewebeentzündung C-reaktives Protein Das CRP ist ein Protein, das hauptsächlich in der Leber gebildet und bei entzündlichen Erkrankungen als unspezifischer Parameter in das Blut abgegeben wird. Aber die Konzentration des CRP im Blut ist nicht nur ein Marker für die Beurteilung und die Verlaufskontrolle akuter, vor allem bakterieller Entzündungen. Seit der Verfügbarkeit der empfindlichen analytischen Methoden, durch die geringe Veränderungen der CRP-Konzentrationen im Blut erfasst werden können, lässt sich die CRP-Bestimmung auch zur Beurteilung chronischer Entzündungsprozesse wie Rheuma (13), entzündliche Darmerkrankungen (14), maligne Tumoren (15), chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen (16) und chronische Periodontitiden (17) nutzen. So wurde erkannt, dass auch bei Übergewichtigen das CRP im Blut erhöht ist (18, 19). Das vom Fettgewebe sezernierte CRP (20) korreliert mit dem viszeralen Fettanteil, dem Taillenumfang und dem BMI (21, 22)
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TNF-alpha
IL-5
Adiponektin
Fettgewebe
Visfatin
Resistin
Leptin
Abbildung 4: Das Fettgewebe als endokrines Organ (modifiziert nach [32])
Tabelle:
Vom Fettgewebe sezernierte Botenstoffe
Familie Chemokine Interleukine
Interferone Tumornekrosefaktor Wachstumsfaktoren Andere
Beispiele MCP-(1,3,4), RANTES IL-6, IL-8, IL-10, IL-18
IP10 TNF-α VEGF, TGF-β Leptin
Literatur
(44) (45) (33) (12) (46) (47) (34)
RANTES: Regulated And Normal T cell Expressed and Secreted VEGF: Vascular Endothelial Growth Factor, TGF: Tumour Growth Factor IP10: Interferon-γ-inducible Protein 10 MCP: Makrophagen-Chemoattraktorprotein
Abbildung 5: Darstellung der Elektronentransportkette bei der Produktion freier Sauerstoffradikale in den Mitochondrien (Gpx: Glutathionperoxidase, CuZnSOD: Kupfer-Zink-Superoxiddismutase, MnSOD: Mangansuperoxiddismutase, CoQ: Coenzym Q, Cyto c: Cytochrom C; modifiziert nach [49])
(Abbildung 2), vor allem bei Frauen und mit zunehmendem Alter (Abbildung 3) (22, 23, 24), und wird vom Fettgewebe sezerniert (24). CRP ist nicht nur ein Marker für die kardiovaskuläre Morbidität, sondern auch ein Modulator bei der Entstehung von Gefässverschlüssen durch Förderung der Thrombenbildung, denn es korreliert nur minimal mit der Bildung arteriosklerotischer Plaques (25). Der hochsensitive CRP-Test unterscheidet 3 Konzentrationsbereiche, die Aufschluss über das relative kardiale Risiko geben (26): O < 1 mg/l (normales Risiko) O 1 bis 3 mg/l (mässig erhöhtes Risiko = Grenzbereich) O > 3 mg/l (deutlich erhöhtes kardiales Risiko).
Doch im Individualfall beträgt die Variabilität des CRP hauptsächlich aufgrund genetischer Faktoren, Ernährung, Bewegung und/oder Nikotinabusus bis zu 40 Prozent (26, 27). Die derzeitige Datenlage reicht deshalb noch nicht aus, um im Einzelfall das individuelle kardiovaskuläre Risiko anhand der hs-CRP-Konzentration im Blut abschätzen zu können (28), vor allem nicht in kurzen Zeiträumen (29) und insbesondere auch, da das CRP mit der Gesamtmortalität und der Mortalität aufgrund von Krebserkrankungen korreliert (30).
Andere Mediatoren Die Fettzellen und die in das Fettgewebe infiltrierenden Makrophagen (31) sezernieren eine grosse Anzahl verschiedener Substanzen: Hormone, Entzündungsmediatoren und immunwirksame Substanzen (Abbildung 4) (32, 33). Zu den Gewebehormonen zählen das proinflammatorische Leptin (34) und das antientzündliche Adiponektin (erhöht die Insulinempfindlichkeit [35]). Auch Visfatin (36) und Resistin (37) erhöhen die Insulinresistenz, während Omentin (38) ein Insulin-Sensitizer ist (39). Zu den Entzündungsmediatoren zählen die Akutphaseproteine, unter anderem der Plasminogenaktivatorinhibitor PAI1, der die Plasminogenaktivatoren Urokinase und Vitronectin hemmt (40) und die Insulinresistenz erhöht (41), sowie Haptoglobin, Amyloid A (42) und verschiedene Zytokine (Tabelle). Freie Fettsäuren und Tumornekrosefaktor-(TNF-)␣ koordinieren parakrin den Entzündungsprozess (31).
Oxidativer Stress Bei Übergewicht und Bewegungsmangel besteht ein Ungleichgewicht zwischen den im viszeralen und subkutanen Fettgewebe produzierten freien Sauerstoffradikalen und der antioxidativen Kapazität im Blut (47, 48). Die freien Sauerstoffradikale aktivieren prothrombotische und proentzündliche Mediatoren, die zur endothelialen Dysfunktion und zur Bildung arteriosklerotischer Plaques beitragen (49). Zusammen mit den proinflammatorischen Zytokinen erhöhen die freien Sauerstoffradikale daher das kardiovaskuläre Risiko. Eine diabetogene Stoffwechsellage und ein Nikotionabusus verstärken den oxidativen Stress, gemessen am Marker 8-epiPGF2␣ im Urin (PGF: Prostaglandin F) (48). Die in der Atmungskette im Rahmen der oxidativen Phosphorylierung von NADH zu Komplex I (NADH-UbichinonReduktase) und FADH2 zu Komplex II (Succinat-UbichinonReduktase) entstehenden Elektronen reduzieren Sauerstoff zu Wasser. Prinzipiell können dabei an Komplexen auch
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FFA Glukose
PTP UCP
⌬⌿m
Cytosolisches Ca2+
Ca2+
NO Ca2+
oder
Mitochondriale ROS
Elektrophile Lipide
Peroxidasen
Abbildung 6: Die Hauptregulatoren der mitochondrialen Produktion reaktiver Sauerstoffspezies (ROS) sind Stickoxid (NO), Kalzium, das mitochondriale Membranpotenzial (ΔΨm) und elektrophile Lipide (UCP: Entkopplungsprotein, PTP: Permeabilitätspore, FFA: freie Fettsäuren; modifiziert nach [49]).
Thrombin
O2 oxLDL Glukose Ang II
Mitochondriale ROS
Thrombose
O2
NO ONOO-
Vasokonstriktion
H2O2
Tissue Faktor
PKC
NF-B
VCAM-1 Selectin 2
MCP-1
IL-6 IL-8
Entzündung
Abbildung 7: Die durch kardiovaskuläre Stressoren ausgelöste Freisetzung von Sauerstoffradikalen und Entzündungsmediatoren manifestiert sich in Vasokonstriktion, Entzündung und Thromben. Die resultierende endotheliale Dysfunktion leitet die arteriosklerotische Gefässwandveränderung ein (Ang II: Angiotensin II, NO: Stickoxid, ONOO-: Peroxynitrit, PKC: Proteinkinase C, VCAM-1: vaskuläres zelluläres Adhäsionsmolekül, MCP-1: Chemokin-1, IL: Interkeukin; modifiziert nach [49]).
Sauerstoffradikale entstehen, und zwar an den Komplexen I und III (Cytochrom-C-Reduktase) und am Komplex IV (Cytochrom-C-Oxidase). Bei diesem Prozess ist das Adapterprotein p66Shc beteiligt (Abbildung 5). Sauerstoff wird in der Matrix durch die Mangansuperoxiddismutase (MnSOD) und im Zwischenmembranraum durch die Kupfer-ZinkSuperoxiddismutase (CuZnSOD) zu H2O2 reduziert, das mit mitochondrialen Proteinen oder durch lokale Peroxidasen, Coenzym Q (CoQ)/Ubiquinon oder Cytochrom C zu Wasser reduziert wird (Abbildung 5). Die Regulation der Sauerstoffradikalbildung und die Beseitigung der Sauerstoffradikale obliegen einem komplexen Mechanismus (Abbildung 6). Darin integriert sind neue mito-
chondrienspezifische Wege, zum Beispiel ΔΨm-Dismutase und -Peroxidase, Signalauslöser der Kaskade wie Stickoxid (NO) und Kalzium. Viele der Mediatoren, die das kardiovaskuläre Risiko erhöhen, induzieren auch die vermehrte Sauerstoffradikalbildung in den Mitochondrien der Gefässendothelzellen, zum Beispiel Thrombin, oxidiertes LDL, erhöhte Glukose- und Angiotensin-II-Konzentrationen im Blut (Abbildung 7). Die so stimulierte Radikalfreisetzung reduziert die Bioverfügbarkeit von NO und aktiviert NF-kB und Proteinkinase C, was wiederum die Expression von Adhäsionsmolekülen (z.B. ICAM-1 [interzelluläres Adhäsionsmolekül 1], P-Selectin, E-Selectin) stimuliert. Wenn der mitochondriale Glutathionspeicher aufgebraucht ist, werden in dem nun herrschenden proinflammatorischen Gewebemilieu E-Selectin und VCAM-1 (vaskuläres zelluläres Adhäsionsmolekül) exprimiert, was Monozyten an die Gefässwand lockt, die ihrerseits proinflammatorische Zytokine (z.B. IL-6 und IL-8) sowie den prothrombotischen Gewebefaktor sezernieren. Das manifestiert sich in Vasokonstriktion, Entzündung und Thromben. Die Endothelzellen beginnen, die Gefässwand im Sinne arteriosklerotischer Veränderungen umzustrukturieren.
Verschiedene Marker im Serum weisen auf einen erhöhten oxidativen Stress hin: O Der totale antioxidative Status (TAS) zeigt an, wie gut der
Organismus freie Radikale abfangen kann. Es werden antioxidativ wirksame Serumbestandteile erfasst (z.B. Harnsäure, Vitamin C, Vitamin E, -Carotin, sekundäre Pflanzenstoffe). Zur Bestimmung des antioxidativen Status wird eine Serumprobe des Patienten mit einer definierten Menge an Sauerstoffradikalen inkubiert. Je länger die Serumprobe diese Radikale abfangen kann, desto höher ist die antioxidative Kapazität der Serumprobe. O Die Superoxiddismutase (SOD) wandelt Sauerstoffradikale in Wasserstoffperoxid (H2O2) um. Dazu benötigt die SOD1 Zink und Kupfer und die SOD2 Mangan als Kofaktoren (siehe oben). O Das von der SOD gebildete Wasserstoffperoxid, aus dem sich Hydroxylradikale bilden können, oder Fettsäurehydroperoxide werden unter anderem durch die Glutathionperoxidase (Gpx) zu Wasser abgebaut. Dieser Prozess benötigt Selen. Dabei wird das Peptid Glutathion (GSH) von seiner reduzierten Form (GSHred) in die oxidierte Form (GSHox) umgewandelt. GSHox wird durch die Glutathionreduktase wieder reduziert, sodass es erneut als Radikalfänger zur Verfügung steht. O Die Konzentration an Malondialdehyd (MDA) im Plasma ist ein Mass für Lipidperoxidation und Zellschädigung. O Auch der Redoxzustand von humanem Serumalbumin ist ein Biomarker des Oxidationsstresses im Körper, wobei Mercaptalbumin (HMA) die reduzierte Form des Albumins ist und Non-Mercaptalbumin (HNA) die oxidierte Form (50, 51). Die Datenlage ist noch nicht ausreichend, um die Verschiebungen im Redoxzustand von Serumalbumin mit Erkrankungen in einen Zusammenhang zu bringen. O Isoprostane sind Prostaglandinisomere, die ohne Cyclooxygenase direkt aus Arachidonsäure gebildet werden können. Das am besten untersuchte und am häufigsten
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quantifizierte Isoprostan ist der Vasokonstriktor 8-Isoprostaglandin-F2␣ (8-Isoprostan). Isoprostan zirkuliert als LDL-Phospholipidester und als freie Säure.
Biomarker der Arteriosklerose Das durch freie Radikale oxidierte LDL (oxLDL) gilt als Arteriosklerosemarker (52, 53). Der Anstieg von oxLDL im Plasma generiert sich wahrscheinlich durch Rückdiffusion aus den Makrophagen und den atherosklerotisch veränderten Gefässwänden, denn das intrazelluläre oxLDL korreliert nicht mit den oxLDL-Werten im Plasma (54). Kürzlich wurden Rezeptoren für oxLDL identifiziert, die die Aufnahme von oxLDL in die Gefässwände regulieren (55). Die intrazelluläre oxLDL-Akkumulation stimuliert die Expression verschiedener proentzündlicher Mediatoren. Diese leitet adaptiv eine Immunantwort der T-Lymphozyten ein, durch die verschiedene Botenstoffe freigesetzt werden (Interleukine, Interferone; siehe unten). Aber auch B-Lymphozyten werden stimuliert und bilden gegen oxLDL gerichtete Autoantikörper, die zunächst die weitere Aufnahme von oxLDL in die Gefässzellen verhindern (56, 57, 58), bevor der Prozess eskaliert. Lipoprotein(a) (Lp[a]) besitzt in seinem Aufbau eine grosse Ähnlichkeit zum LDL-Cholesterin. Eine hohe Lp(a)-Konzentration im Blut gilt als ein zusätzlicher unabhängiger Risikofaktor fur̈ kardiovaskuläre Komplikationen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Das geht aus einer Metaanalyse hervor (59). Die Lp(a)-Konzentration sollte bei Risikopatienten unter 30 mg/dl liegen, kann aber wegen der genetischen Determinierung schlecht beeinflusst werden (60). Homocystein entsteht beim Abbau von Eiweiss aus der Aminosäure Methionin und wird entweder durch Vitamin B6 zu Cystein metabolisiert oder durch Folsäure und Vitamin B12 zu Methionin remethyliert. Ein Anstieg des Homocysteins im Blut um 5 µmol/l (Normalwert: < 10 µmol/l) erhöht bei Übergewichtigen das Thromboserisiko um etwa 20 Prozent (61, 62). Harnsäure entsteht bei der Verstoffwechslung von Purinnukleotiden. Bei Gicht oder bei Übergewichtigen im Rahmen des metabolischen Syndroms (zunehmende Insulinresistenz [63]) ist die Harnsäure im Blut erhöht. In physiologischen Konzentrationen besitzt Harnsäure eine antioxidative Wirkung (siehe unten). Erhöhte Harnsäurekonzentrationen im Blut stehen aber auch mit erhöhten CRP- und Interleukin-6Konzentrationen in Zusammenhang (64). Gemeinsam mit CRP eignet sich die Harnsäurekonzentration zur Risikobewertung für kardiovaskuläre Ereignisse (65). Harnsäure (wie auch Bilirubin) wirkt jedoch auch antioxidativ (66) und
verhindert als wasserlösliches Molekül im Unterschied zum fettlöslichen ␣-Tocopherol Radikalschäden im hydrophilen Milieu (67). Fibrinogen wird bei der Blutgerinnung zu Thrombin transformiert. Das in der Leber produzierte Akutphaseprotein ist wie CRP ein Prädiktor für kardiovaskuläre Ereignisse. Beide Biomarker, CRP und Fibrinogen, korrelierten mit der viszeralen und der subkutanen Fettmasse, vor allem bei Frauen und unabhängig davon, ob eine Insulinresistenz nachweisbar war (68).
Mortalität
Übergewichtige Raucher haben ein besonders hohes kardio-
vaskuläres Risiko (69). Nichtraucherinnen leben nicht nur
mindestens 6 Jahre länger, sondern profitieren auch von einer
besseren Lebensqualität ohne Behinderungen im Alltag (2, 70).
Ergebnisse aus der Framingham-Studie im Zeitraum von
1948 bis 1990 zeigen, dass Adipositas bei 40-jährigen, nicht
rauchenden Frauen die Lebenserwartung durchschnittlich
um 7 Jahre, bei Männern um 6 Jahre reduziert (71). Aus der
von der Schweizer Rückversicherungsanstalt Swiss Re durch-
geführten 25 Jahre dauernden Beobachtungsstudie, in die
22 875 Männer einbezogen wurden, geht hervor, dass die
Mortalität bei Übergewichtigen 138 Prozent und bei Adipö-
sen 185 Prozent (Grad I) beziehungsweise 311 Prozent (Grad
II) im Vergleich zu Normalgewichtigen (Mortalität 100%)
betrug (72) – dies vor allem bei Jüngeren (< 55 Jahre), denn
bei älteren Erwachsenen steigt die relative Mortalität auf-
grund anderer Ursachen mit dem Alter an. Im Einklang damit
korrelierte das Übergewicht bei unter 50 Jahre alten Perso-
nen mit später auftretenden Organschäden an Niere und
Herz (73). Bei den Übergewichtigen (Gesamtpopulation)
kam es vor allem zu einem Anstieg von kardiovaskulären
Todesursachen; dabei dominieren Herzinfarkt und Schlag-
anfall (74). Besonders gefährdet waren übergewichtige
Hypertoniker, Raucher und solche mit Stoffwechselstörun-
gen (72), wie auch eine andere Studie zeigte (75).
O
Otto Knes1,3 und Sigrun Chrubasik-Hausmann2,4 1Human Nutrition and Metabolism Research and Training Center, A-8010 Graz 2Institut für Rechtsmedizin, Universität Freiburg, Albertstrasse 9, D-79104 Freiburg 3SwissAnalysis AG, 8274 Tägerwilen 4Medizinisches Zentrum, 7310 Bad Ragaz
Das Literaturverzeichnis ist beim Verlag erhältlich.
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