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FORTBILDUNG
Schlafräuber bei Diabetes mellitus
Apnoen, Depressionen, Nykturie ...
Obwohl wir etwa ein Drittel unseres Lebens verschlafen, wird dem ungestörten Schlaf in der Praxis oft zu wenig Bedeutung beigemessen. Gezielte Fragen im Hinblick auf die Qualität der Nachtruhe werden kaum gestellt. Wir möchten Sie im Folgenden mit Krankheitsbildern bei Diabetespatienten vertraut machen, die häufig mit Schlafproblemen assoziiert sind. Ein einfacher «Schnellcheck» kann dabei häufige Schlafstörungen beim Diabetiker aufdecken.
SANDRA KRIMMLER-BARTHEL UND IGOR ALEXANDER HARSCH
Die Lebenszeit, die wir mit Schlafen verbringen, braucht der Körper, um sich zu regenerieren. Ein ungestörter Schlaf sollte ein hohes Mass an Schlafqualität bieten. Das heisst, dass man beim Erwachen Erholung und Entspannung verspüren sollte. Gerade bei chronisch kranken Menschen sind die Energiereserven deutlich begrenzt. Daher ist ein ungestörter Schlaf unerlässlich, der aus Erholungs- und Aufbauphasen besteht. Ein Schlafender durchläuft in der Regel verschiedene Stadien, das Einschlaf-, Leichtschlaf-, Tiefschlafstadium und den REM-Schlaf. Die Schlafstadien müssen einem gewissen Rhythmus folgen, um einen erholsamen Schlaf zu garantieren. Jeder Mensch hat eine eigene innere Uhr, die nach seinem Bio-
Merksätze
O Auch wenn Diabetiker oftmals nicht spontan über Schlafprobleme berichten, heisst das noch lange nicht, dass ihr Schlaf tatsächlich ungestört und erholsam ist.
O Den Schlaf beeinflussende Begleiterkrankungen sind nicht selten, aber nicht alle werden vom Betroffenen nachts tatsächlich bemerkt.
O Ein Screening auf obstruktives Schlafapnoesyndrom (OSAS) ist besonders bei adipösen Diabetikern sinnvoll.
O Nykturie dürfte der wichtigste nächtliche Störfaktor beim Diabetiker sein.
rhythmus läuft, sie ist auch abhängig von der Kultur beziehungsweise von sozialen und gesellschaftlichen Faktoren (1). Folge einer gestörten Schlafarchitektur ist häufig die Tagesmüdigkeit. Dazu werden meist spontan noch Kopfschmerzen, Gereiztheit, Verstimmtheit und allgemeines Unwohlsein genannt. Im Folgenden werden diabetesassoziierte Krankheitsbilder und ihr möglicher Einfluss auf den Schlafablauf dargestellt.
Diabetes und obstruktives Schlafapnoesyndrom Beim obstruktiven Schlafapnoesyndrom (OSAS) kollabieren die oberen Atemwege wiederholt während des Schlafs. Die daraus entstehende Atemstörung ist gekennzeichnet durch Schnarchen, Apnoen und Hypopnoen (Atemstillstände von länger als 10 s beziehungsweise Verminderung des Atemflusses mit Abfall der Sauerstoffsättigung um mehr als 4%). Durch diese Phasen kommt es zu sympathoadrenergen Alarmreaktionen, den sogenannten «arousals» (kurzzeitiges, unbewusstes Erwachen), sodass die Atmung wieder einsetzt. Diese gehäuften «arousals» zerstören die physiologischen, zyklisch wechselnden Schlafstadien. Der Schlaf ist somit gestört und nicht erholsam. Tagesmüdigkeit ist häufig die Folge. Das OSAS ist schon bei der Bevölkerung ohne Diabetes ein häufiges Krankheitsbild (2), die Häufigkeit bei Diabetikern, speziell bei länger bestehendem Diabetes, wird mit 30 bis 40 Prozent angegeben (3, 4). Eine gezielte Befragung der Patienten ist also sinnvoll und mit einigen simplen Fragen nach Tagesmüdigkeit, Schnarchen und Sekundenschlaf bereits aufschlussreich. Das Schnarchen ist zwar typisch für das OSAS, aber keinesfalls beweisend. Der grössere Teil der Bevölkerung schnarcht, ohne ein OSAS zu haben, und beklagt auch keine Tagesmüdigkeit. Interessanterweise trifft Letzteres zum Teil auch für manche Diabetiker zu, obwohl formal ein OSAS vorliegt (4, 5). Eine mögliche Erklärung ist, dass durch das Vorhandensein einer Neuropathie manche klinischen Symptome des OSAS vermindert wahrgenommen werden. Insbesondere bei adipösen Patienten sowie bei Diabetikern mit ausgeprägtem kardiovaskulärem Risikoprofil oder langer Krankheitsdauer ist ein Screening auf OSAS sinnvoll. Laut Professor Arnold Astrup aus Kopenhagen haben Adipöse ein mehr als dreifach höheres Risiko als Normalgewichtige, an Schlafapnoe zu erkranken (6). Das OSAS ist per se mit einer Insulinresistenz assoziiert. Mit einer nächtlichen Beatmungstherapie (CPAP-Beatmung) wird die Insulinempfindlichkeit verbessert und damit möglicher-
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Tabelle:
Vorschlag zum «Schnellcheck» in der Praxis
Verdacht OSAS Depression
Hypoglykämien Neuropathien medikamentös induzierte Schlafstörung GERD
Anamnese hinsichtlich Tagesmüdigkeit, Schnarchen Tagesmüdigkeit, Antriebs- und Interesselosigkeit, gedrückte Stimmung morgendliches Kopfweh, Gereiztheit, Unwohlsein Schmerzen, verminderte Leistungsfähigkeit, Müdigkeit Tagesmüdigkeit, schlechte Schlafqualität
Sodbrennen, saures Aufstossen
OSAS: obstruktives Schlafapnoesyndrom; GERD: gastroösophageale Refluxkrankheit
Daten vor. Dem Praktiker bekannt sind aber die Berichte der Patienten über Kopfschmerzen, Gereiztheit, Verstimmtheit und allgemeines Unwohlsein, was häufig als Folge unbemerkt gebliebener nächtlicher Hypoglykämien interpretiert wird. Aus verschiedenen Studien ist auch die fördernde Wirkung des Schlafes auf die Konsolidierung der Gedächtnisinhalte bekannt. Studienergebnisse zeigen, dass eine kurz andauernde Hypoglykämie während der frühen Nachtruhe die schlafassoziierte Gedächtnisbildung signifikant verschlechtert. Viele Patienten fühlen sich nach einer Hypoglykämienacht vermehrt deprimiert, müde und unruhig. Die Ergebnisse einiger Studien zeigten ein deutlich beeinträchtigtes Wohlbefinden und eine gesteigerte Müdigkeit (13). Viele der Studiendaten stammen von Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes, einem «Lieblingsstudienkollektiv», da hier diabetesassoziierte Komplikationen fehlen (14). Die Zahl insulinpflichtiger Diabetiker – auch mit Typ-2-Diabetes – steigt, daher ist auch in diesen Gruppen eine Zunahme der Inzidenz von Hypoglykämien (auch nächtlicher und unbemerkter) zu erwarten (15).
weise auch die Stoffwechsellage. Die Datenlage hinsichtlich der reinen Verbesserung des Glukosestoffwechsels ist allerdings kontrovers (7, 8).
Diabetes und Depression Die Lebenszeitwahrscheinlichkeit eines Diabetikers, an einer Depression zu erkranken, liegt zwischen 24 und 29 Prozent. Jüngere Studien zeigen, dass Menschen mit Diabetes mellitus eine 1,6- bis 2-fach höhere Wahrscheinlichkeit haben, an einer Depression zu erkranken (9). Jeder achte Diabetiker leide an einer Depression, heisst es in einer Mitteilung der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) (10). In der nationalen Diabetesleitlinie wird bei Diabetikern deshalb ein routinemässiges Depressionsscreening empfohlen. Betroffene Diabetiker benötigen eine psychologische Behandlung, vor allem zu Beginn der Erkrankung und wenn erstmals Spätkomplikationen auftreten (11). Dem hohen Risiko von Diabetikern, an einer Depression zu erkranken, ist inzwischen auch durch die Integration des WHO-5-Fragebogens zum Wohlbefinden (WHO-5-Screener) in den Diabetespass in Deutschland Rechnung getragen worden (12). Bei einer Depression können die verschiedenen physiologisch zyklisch auftretenden Schlafphasen verändert sein. Insofern kann man auch bei Tagesmüdigkeit eine Depression nicht ausschliessen. Symptome wie Antriebslosigkeit, Interesselosigkeit oder Libidoverlust können Hinweis auf eine Depression ähnlich wie beim obstruktiven Schlafapnoesyndrom geben. Auch die Depression ist mit einer Insulinresistenz assoziiert.
Hypoglykämie – nachts oft unbemerkt Das Vorkommen nächtlicher Hypoglykämien bei Typ-1-Diabetikern ist ein besonderes und häufiges Problem, seine Häufigkeit wird mit bis zu 56 Prozent angegeben. Die Episoden können ein bis zwölf Stunden andauern und sind auch wegen der gestörten Aufwachreaktion häufig asymptomatisch. Zu den nächtlichen Hypoglykämien und ihrem Einfluss auf die kognitive Funktion und die Stimmungslage liegen wenig
Nykturie – die wohl häufigste Schlafstörung Bei der Nykturie handelt es sich um ein Symptom mit mehreren möglichen Ursachen. Sie wird von den Patienten als gewichtiger Störfaktor für einen gesunden erholsamen Schlaf empfunden. Sie tritt als Folge der Hyperglykämie ein, wenn die Nierenschwelle für Glukose (ca. 180 mg/dl bzw. 10 mmol/l) bei schlecht eingestelltem Diabetes chronisch überschritten wird («osmotische Diurese»). Nykturie kann aber auch Zeichen einer Herzinsuffizienz (und ihrer Therapie) sein. Da die Nykturieforschung eher wenige wissenschaftliche Meriten liefert, ist man, was ihre Inzidenz angeht, eher auf indirekte Schlüsse angewiesen. So wurden im Rahmen des Third National Health and Nutrition Examination Survey in den USA beispielsweise 733 Erwachsene mit Typ-2-Diabetes im Zeitraum von 1991 bis 1994 untersucht. Dabei hatten 40,7 Prozent der Patienten ein HbA1c > 8 Prozent, was im Mittel einem Blutzucker entspricht, der über der Nierenschwelle liegt. Weiterhin untersuchte man in der Cardiovascular Health Study insgesamt 5464 Erwachsene über 65 Jahre initial ohne Herzinsuffizienz, 862 davon litten an Diabetes mellitus. Eine Herzinsuffizienz trat während der mehr als 13 Jahre Follow-up bei 31 Prozent der Teilnehmer mit Diabetes mellitus auf (16, 17). Aus solchen Daten lässt sich indirekt schliessen, dass die Nykturie wohl der wichtigste nächtliche Störfaktor beim Diabetiker sein dürfte. In kleineren Erhebungen (n = 74) wird dies (gemeinsam mit dem Faktor schmerzhafte Polyneuropathie) auch so bestätigt (18). Zusätzlich kann Nykturie auch Folge der diabetischen Neuropathie im Sinne der diabetischen Zystopathie sein: Die Wittener Diabeteserhebung (standardisierte Befragung von 4079 Typ-2-Diabetikern, mittleres Alter 67,4 Jahre, mittlere Diabetesdauer 8,8 Jahre, mittleres HbA1c: 7,05%) durch Urologen, Allgemeinmediziner und Internisten ergab bei 65,5 Prozent der Männer und 70,4 Prozent der Frauen das Vorliegen von LUTS (lower urinary tract symptoms). Dies muss zwar nicht zwingend diabetesassoziiert sein, wobei die
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typischste Komplikation dann eine überaktive Blase ist, eine Nykturie beklagten aber immerhin 88,4 Prozent der Männer und 78,7 Prozent der Frauen (19).
Neuropathie – ein Teufelskreis Wer Schmerzen hat, schläft schlecht – wer schlecht schläft, hat mehr Schmerzen. Nach der Literaturlage betrifft die periphere Neuropathie 30 bis 50 Prozent der Langzeitdiabetiker, eine schmerzhafte periphere Neuropathie 10 bis 20 Prozent (20). Nahezu 70 Prozent der Neuropathiepatienten haben Schlafprobleme: Sie schlafen schlecht ein, wachen nachts wegen Schmerzen auf, und auch morgens ist es mit ihrer ohnehin gestörten Nachtruhe verfrüht vorbei. Besonders der mitteltiefe und der erholsame tiefe Schlaf sind nicht mehr vorhanden. Patienten mit derart gestörten Schlafphasen erscheinen am Tag erschöpft, müde und vermindert leistungsfähig (21).
Medikamente Medikamente beeinflussen unseren Schlaf-Wach-Rhythmus. So können manche Substanzklassen durch ihre stimulierende Wirkung die einzelnen Schlafphasen stören. Die typischen Begleitmedikamente beim Diabetiker sind an erster Stelle Antihypertensiva und Statine, die Einfluss auf den ungestörten Schlaf nehmen. Berichtet wird dieses Phänomen bei Kalziumkanalblockern, Betablockern und ACE-Hemmern. Leider ist hier aber die Datenlage unbefriedigend und häufig nur kasuistisch (22).
Gastroösophageale Refluxerkrankung Die gastroösophageale Refluxkrankheit (GERD) ist mit einer Prävalenz von mehr als 10 Prozent eine häufige Erkrankung. Sie kommt häufiger bei Diabetikern insgesamt (23) und noch häufiger in der Gruppe der Diabetiker mit Neuropathie vor (24). Obwohl die meisten Patienten unter postprandialen Beschwerden am Tag leiden, treten vermehrt auch nächtliche Beschwerden auf, insbesondere bei einer Refluxösophagitis (25). Jeder Zweite empfindet beispielsweise das nächtliche Sodbrennen als beeinträchtigender als während des Tages. Etwa 40 Prozent der Patienten geben eine eingeschränkte Arbeitsfähigkeit an, wenn sie in der Nacht vorher unter Sodbrennen gelitten haben (26).
Fazit für die Praxis
O Auch wenn Diabetiker oftmals nicht spontan über Schlaf-
probleme berichten, heisst das noch lange nicht, dass ihr
Schlaf tatsächlich ungestört und erholsam ist. Zum Bei-
spiel bleiben nächtliche Hypoglykämien oft unbemerkt.
Die Patienten klagen über allgemeines Unwohlsein, gepaart
mit Kopfschmerzen, Übelkeit und Gereiztsein. Diese An-
gaben können auf nächtliche Hypoglykämien hinweisen.
O Hingegen weisen Aussagen wie ständige Müdigkeit am
Tag und/oder das bekannte nächtliche Schnarchen auf ein
obstruktives Schlafapnoesyndrom oder eventuell auch auf
eine Depression hin. Beide Krankheitsbilder kommen bei
Menschen mit Diabetes übermässig häufig vor.
O Schmerzhafte Neuropathien, Medikamente oder gastro-
ösophageale Refluxerkrankungen gehen meist mit Durch-
schlafstörungen einher, wobei die Patienten sich typischer-
weise am nächsten Tag weniger leistungs- beziehungsweise
arbeitsfähig fühlen.
O Es wurde gezeigt, dass den Schlaf beeinflussende Begleit-
erkrankungen nicht selten sind. Nicht alle werden vom
Betroffenen nachts tatsächlich bemerkt (OSAS, Depres-
sion, Hypoglykämie), sodass eine gezielte Anamneseerhe-
bung lohnend ist (vgl. Tabelle).
O
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Igor Alexander Harsch Leitender Oberarzt Endokrinologie/Diabetologie Thüringen-Kliniken Georgius Agricola Akademisches Lehrkrankenhaus des Universitätsklinikums Jena Rainweg 68 D-07318 Saalfeld/Saale
Interessenkonflikte: keine
Literatur unter www.arsmedici.ch
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 7/2013. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autoren. Der Beitrag wurde von der Redaktion ARS MEDICI für die Verhältnisse in der Schweiz leicht angepasst.
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