Transkript
FORTBILDUNG
Therapie mit Protonenpumpenhemmern
Indikationen, Chancen und Risiken
Protonenpumpeninhibitoren (PPI) zählen zu den am häufigsten verordneten Medikamenten – böse Zungen bezeichnen sie gar als Nahrungsergänzungsmittel. Galten PPI lange Zeit als weitgehend harmlos und nebenwirkungsfrei, mehren sich in jüngster Zeit auch Bedenken gegen eine Dauermedikation. Es gilt, die Risiken und möglichen Alternativen zu den PPI ebenso zu kennen wie die indikationsgerechte Verordnung.
WOLFGANG FISCHBACH
Protonenpumpenhemmer haben in den Neunzigerjahren auf breiter Front die H2-Rezeptor-Antagonisten (H2-RA) ersetzt. Grund hierfür war die stärkere säurehemmende Wirkung der PPI und die raschere Beschwerdefreiheit. PPI werden im Dünndarm resorbiert und gelangen hämatogen in die Belegzellen des Magens. Dort werden die Prodrugs in die aktive Form umgewandelt, die irreversibel an die H+/K+-ATPase bindet und damit die Magensäuresekretion blockiert. Oben Genanntes ist insofern von praktischer Bedeutung, als bei einer höhergradigen Magenausgangsstenose, wie dies bei einem Ulcus ad pylorum oder bulbi duodeni vorkommen kann, die orale Medikation nicht (ausreichend) in den Dünndarm gelangt und infolge der mangelhaften Resorption nicht die volle säurehemmende Wirkung erzielt. In diesen (wenigen) Fällen ist die vorübergehende intravenöse Applikation notwendig. Tabelle 1 fasst die zur Gruppe der PPI gehörenden Substanzen zusammen und zeigt die jeweiligen Standardtagesdosierungen an.
Indikationen für PPI Die Indikationen für PPI sind klar umrissen: Es sind die Refluxkrankheit sowie die Behandlung oder Prophylaxe peptischer Ulzera. Darüber hinaus sind PPI immer Bestandteil der verschiedenen Protokolle zur Eradikation von Helicobacter pylori. Ein weit weniger klar umrissenes Feld ist der Einsatz von PPI bei Reizmagen und unspezifischen Oberbauchbeschwerden (Tabelle 2). PPI sind unverzichtbar in der Therapie aller säureassoziierten Erkrankungen. Ihr hoher therapeutischer Nutzen ist unstrittig und durch viele Studien belegt. Bei der Refluxkrankheit sind PPI die Mittel der Wahl in der Akut- wie in der Erhaltungstherapie. Je nach Beschwerdeintensität und Häufigkeit wird man sich für eine Bedarfs(on demand) oder Dauermedikation entscheiden. PPI sind indiziert zur Behandlung peptischer Ulzera des Magens und des Duodenums, sofern keine Infektion mit H. pylori vorliegt. Im letzteren Fall ist heute immer eine Eradikationsbehandlung der alleinigen Säureblockade vorzuziehen. Auch zur Ulkusprophylaxe, sei es nach abgeheiltem Ulkus oder vorbeugend bei Einnahme von traditionellen
Tabelle 1:
Substanzen und Standardtagesdosis
Substanz
Standardtagesdosis
Esomeprazol Lansoprazol Omeprazol Pantoprazol Rabeprazol
40 mg 30 mg 20 mg 40 mg 20 mg
Merksätze
O PPI bieten einen effektiven Schutz vor gastroduodenalen Blutungen bei Einnahme von ASS, bei oraler Antikoagulation, dualer Plättchenhemmung und bei tNSAR.
O Es ist grundätzlich ein indikationsgerechter Einsatz der PPI zu fordern. Auf diese Weise wird der Nutzen der PPI zweifellos das Risiko überwiegen. Eine Langzeitmedikation kann dann auch guten Gewissens empfohlen werden.
Tabelle 2:
Indikationen für PPI
Säureassoziierte Erkrankungen
O Refluxkrankheit O Behandlung und Prävention von Ulcera ventriculi und
duodeni O Helicobacter-pylori-Eradikation O Reizmagen
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O Alter > 60 O schwere Begleitkrankheit O systemisches Glukokortikoid
O Ulkusanamnese, v.a. unter PPI-Therapie
O duale Plättchenhemmung + Antikoagulation
O mehrere Faktoren, die ein hohes Risiko definieren
Gastrointestinales Risiko Kardiovaskuläres Risiko hoch Kardiovaskuläres Risiko sehr hoch
niedrig hoch PPI möglich PPI sinnvoll PPI vermeiden PPI sinnvoll
sehr hoch PPI obligat PPI obligat
O akutes Koronarsyndrom O Hauptstamm oder Mehrgefässintervention O Intervention bei reduzierter linksventrikulärer Funktion O Zustand nach Stentthrombose
Primärtherapie (Standard) O PPI + Metronidazol + Clarithromycin («Italian triple»)
(7 Tage) O PPI + Amoxicillin + Clarithromycin («French triple»)
(7 Tage)
Abbildung 3: H. pylori: Eradikationstherapie, deutsche S3Leitlinie
Abbildung 1: Positionspapier zur dualen Plättchenhemmung und zu PPI (3)
O Alter > 60 O schwere Begleitkrankheit O systemisches Glukokortikoid
O Ulkusanamnese O Ulkus unter PPI-Therapie O duale Plättchenhemmung
+ Antikoagulation O mehrere Faktoren, die ein
hohes Risiko definieren
Gastrointestinales Risiko Kardiovaskuläres Risiko hoch
niedrig hoch
sehr hoch
PPI möglich PPI sinnvoll PPI obligat
Abbildung 2: Positionspapier zur Monotherapie mit ASS, Clopidogrel oder Pasugrel (3)
Tabelle 3:
Risiken der Langzeitmedikation
Mögliche Folgen und Komplikationen Einschätzung der PPI-Medikation
Osteoporose, Frakturen Atemwegsinfektionen Intestinale Infektionen
Risiko gering erhöht; fraglicher Zusammenhang
Risiko gering erhöht; allerdings nur bei Kurzzeittherapie
Risiko für Clostridium difficile, Salmonellen und Campylobacter jejuni erhöht
risiko einhergehen. Nach einer aktuellen Metaanalyse von 61 Studien ist dieses unter Acetylsalicylsäure (ASS; 75– 325 mg/Tag) um den Faktor 1,5 erhöht, bei gleichzeitiger Einnahme von ASS und Warfarin verdoppelt sich das Blutungsrisiko. Eine begleitende PPI-Medikation reduziert das Blutungsrisiko um 66 Prozent (1). Eine duale Plättchenhemmung mit ASS und Clopidogrel erhöht das gastrointestinale Blutungsrisiko gegenüber der alleinigen ASS-Einnahme um 40 bis 50 Prozent (2). Da die duale Plättchenhemmung jedoch eine anerkannte und weitverbreitete Therapie der koronaren Herzkrankheit darstellt, haben die Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie ein Positionspapier entworfen, dessen Empfehlungen den Abbildungen 1 und 2 entnommen werden könne (3).
Die Infektion der Magenschleimhaut mit Helicobacter pylori (H. pylori) induziert eine chronisch aktive Gastritis, auf deren Boden sich eine gastroduodenale Ulkuskrankheit entwickeln kann. Etwa 70 Prozent der Magen- und 90 Prozent der Zwölffingerdarmgeschwüre beruhen auf H. pylori. Die frühere Therapie der Ulzera mit H2-RA oder PPI führte zwar regelmässig zu deren Abheilung, das Rezidiv war indessen meistens vorprogrammiert. Im Gegensatz hierzu geht die erfolgreiche Eradikation von H. pylori mit der Heilung der Ulkuskrankheit in über 90 Prozent der Fälle einher, das heisst, es treten keine Rezidive mehr auf (4). Darüber hinaus stellt H. pylori einen Risikofaktor für das Magenkarzinom, das MALT-Lymphom des Magens und die funktionelle Dyspepsie (Reizmagen) dar. Die DGVS hat in ihrer S3-Leitlinie klare Indikationen für die H.-pylori-Eradikation erstellt (5). Alle Eradikationsprotokolle enthalten PPI als obligaten Bestandteil. Abbildung 3 beschreibt den derzeitigen Standard in der Primärtherapie.
nichtsteroidalen Antirheumatika (tNSAR), sind PPI geeignet. In vielen Fällen ermöglichen PPI eine Thrombozytenaggregationshemmung und/oder Antikoagulation bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen. Wir wissen, dass diese Präparate mit einem erhöhten gastrointestinalen Blutungs-
Risiken der Langzeitmedikation Die Daten mehrerer grosser epidemiologischer Studien sprechen für ein gering erhöhtes Risiko für Osteoporose und osteoporotisch bedingte Frakturen bei Patienten mit PPIDauermedikation. Das individuelle Risiko ist indessen sehr gering (number needed to harm: 1:2672 pro Jahr). Auch ist
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der kausale Zusammenhang fraglich, da vor allem ältere und multimorbide Patienten betroffen sind, die neben vielen anderen Medikamenten – und vielleicht sogar deswegen – auch PPI einnahmen (vgl. auch Tabelle 3). Eine Metaanalyse mit über 120 000 Patienten errechnete ein geringfügig erhöhtes Risiko für ambulant erworbene Pneumonien unter PPI (6). Erstaunlicherweise war dieses Risiko nur mit einer Kurzzeittherapie von bis zu 30 Tagen assoziiert. PPI erhöhen das Risiko für intestinale Infektionen mit Salmonellen, Campylobacter jejuni und insbesondere Clostridium difficile (7, 8). Für Letztere war dies auch unabhängig von einer vorausgegangenen antibiotischen Therapie. Neuerdings wurde auch von einem erhöhten Risiko für schwere Infektionen bei Patienten mit dekompensierter Leberzirrhose berichtet (9).
Gibt es Alternativen zu PPI? Bei der Refluxkrankheit stellt die laparoskopische Antirefluxchirurgie eine im Langzeitverlauf gleichwertige Alternative zur PPI-Dauermedikation dar (10). Dagegen gibt es keine Alternative in der medikamentösen Langzeittherapie säureassoziierter Erkrankungen. H2-RA sind allein wegen der regelmässigen Tachyphylaxie für die Dauermedikation nicht geeignet. Im direkten Vergleich mit PPI waren die H2-RA bei Patienten mit koronarer Herzkrankheit und dualer Plättchenhemmung klar unterlegen: Es wurden signifikant mehr gastrointestinale Blutungen beobachtet, dagegen war die Rate von nosokomialen Pneumonien in beiden Gruppen gleich (11).
Literatur: 1. Lanas A, Wu P, Medin J, Mills EJ. Low doses of acetylsalicylic acid increase risk of
gastrointestinal bleeding in a meta-analysis. Clin Gastroenterol Hepatol 2011; 9: 762–768. 2. Serebruany VL, Malinin AI, Ferguson JJ, et al. Bleeding risks of combination vs. single antiplatelet therapy: a meta-analysis of 18 randomized trials comparing 129 314 patients. Fundamental Clin Pharmacol 2008; 22: 315–21 3. Fischbach W, Darius H, Gross M, et al. Gleichzeitige Anwendung von Thrombozytenaggregationshemmern und Protonenpumpeninhibitoren. Ein Positionspapier der DGVS und der DGK. Z Gastro 2010; 48: 1156–1163. 4. Leodolter A, Kulig M, Brasch H, et al. A meta-analysis comparing eradication, healing and relapse rates in patients with Helicobacter pylori-associated gastric or duodenal ulcer. Aliment Pharmacol Ther 2001; 15: 1949–1958. 5. Fischbach W, Malfertheiner P, Hoffmann JC, et al. S3-Leitlinie «Helicobacter pylori und gastroduodenale Ulkuskrankheit» der Deutschen Gesellschaft für Verdauungsund Stoffwechselkrankheiten (DGVS). In Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie, Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung E.V. und der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie – AWMFRegister-Nr. 021/001. Z Gastroenterol 2009; 47: 68–102. 6. Giuliano C, Wilhelm SM, Kale-Pradhan PB. Are proton pump inhibitors associated with the development of community-acquired pneumonia? A meta-analysis. Exp Rev Clin Pharmacology 2012; 5: 337–344. 7. Bavishi C, Dupont HL. Systematic review: the use of proton pump inhibitors and increased susceptibility to enteric infection. Aliment Pharmacol Ther 2011; 34: 1269–1281. 8. Deshpande A, Pant C, Pasupuleti V, et al. Between Proton Pump Inhibitor Therapy and Clostridium difficile Infection in a Meta-Analysis. Clin Gastroenterol Hepatol 2011 Oct 20. (Epub ahead of print) 9. Bajaj JS, Ratliff SM, Heuman DM, Lapane KL. Proton-pump inhibitors are associated with a high rate of serious infections in veterans with decompensated cirrhosis. Aliment Pharmacol Ther 2012; 36: 866–874. 10. Galmiche JP, Hatlebakk J, Attwood S, et al. LOTUS Trial Collaborators Laparoscopic antireflux surgery vs esomeprazole treatment for chronic GERD: the LOTUS randomized clinical trial JAMA 2011; 305: 1969–1977. 11. Ng FH, Tunggal P, Chu WM, et al. Esomeprazole compared with famotidine in the prevention of upper gastrointestinal bleeding in patients with acute coronary syndrome or myocardial infarction. Am J Gastroenterol 2012; 107: 389–96.
Fazit PPI sind sehr wirksame und sichere Medikamente. Ihre indikationsgerechte Therapie ist unbestritten. Im Verlauf gilt es, die (fortbestehende) Indikation immer wieder zu hinterfragen. Ein unkritischer Einsatz der PPI ist abzulehnen. O
Prof. Dr. med. Wolfgang Fischbach Medizinische Klinik II und Klinik für Palliativmedizin Klinikum Aschaffenburg D-63739 Aschaffenburg
Interessenkonflikte: keine
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 13/2013. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
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