Transkript
Was bringen die neuen ESC-Empfehlungen?
Aktuelle Richtlinien zur Herzinsuffizienz
BERICHT
SGK-Jahreskongress 2013 «New ESC Guidelines: Heart failure», 12. bis 14. Juni 2013, Lugano.
Die aktuellen Empfehlungen der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) zur Herzinsuffizienz enthalten einige Änderungen (1): So sind Aldosteronantagonisten nun wesentlich früher einzusetzen, da Studien ihre Effektivität auch bei NYHA-II-Patienten nachgewiesen haben. Bei anhaltender Symptomatik wird der Einsatz von Ivabradin empfohlen. Neu ist zudem, dass implantierbare Kardioverterdefibrillatoren aufgrund der geringen Lebenserwartung für bestimmte NYHA-IV-Patienten nicht indiziert sind. Insgesamt beklagten Experten, dass in der Schweiz die Rate der Patienten, die einen implantierbaren Kardioverterdefibrillator erhalten, im Vergleich zu anderen Ländern noch suboptimal sei.
LYDIA UNGER-HUNT
Wie sieht die medikamentöse Therapie der chronischen systolischen Herzinsuffizienz (HI) nach den aktuellen Richtlinien aus? PD Dr. Philippe Meyer vom Universitätskrankenhaus Genf gab in seinem Vortrag einen praxisnahen Überblick. Eines vorweg: Der Ansatz der drei Schritte gilt auch heute noch – allerdings mit leichten Änderungen.
Neu: MR-Antagonisten früher einsetzen Als erster Schritt sind nach wie vor Diuretika einzusetzen, zusätzlich zu ACE-Hemmern (oder Angiotensinrezeptorblockern [ARB] bei ACE-Hemmer-Unverträglichkeit) sowie Betablockern; «wichtig ist hier das langsame und vorsichtige Hochdosieren». Der nächste Schritt enthält dann eine Neuheit: Sind Patienten immer noch symptomatisch (NYHA II–IV), wird zusätzlich ein MR-(Aldosteron-)Antagonist (MRA) verabreicht. «Früher war dieser Wirkstoff Patienten mit schwerer Herzinsuffizienz vorbehalten», so Meyer, doch nun habe eine neue Studie mit 2700 Patienten gezeigt, dass auch Patienten mit NYHA II von MR-Antagonisten profitierten (2).
Die Therapie reduzierte nicht nur die kardiovaskuläre Todesrate oder herzinsuffizienzbedingte Hospitalisationen um 37 Prozent (relative Reduktion), sondern «es zeigte sich auch eine Senkung der Gesamtmortalität», sagte der Experte.
Empfehlung zum Einsatz von MRA (IA): O MRA sind bei allen Patienten mit
persistierender Symptomatik (NYHA II–IV, Ejektionsfraktion [EF] ≤ 35%) trotz Behandlung mit ACE-Hemmer (oder ARB bei Unverträglichkeit) und Betablocker zur Senkung des Risikos der Hospitalisierung aufgrund der Herzinsuffizienz und des Risikos für frühzeitigen Tod einzusetzen.
In der Praxis ist hier zwischen Spironolacton und Eplerenon zu wählen. «Letzteres ist spezifischer und zeigt weniger Nebenwirkungen, hat aber auch einen höheren Preis», so Meyer, der auf die Vor- und Nachteile verwies. Einzuleiten ist die Therapie in einer Dosis von 25 mg/Tag oder 25 mg alle zwei Tage bei geschätzter glomerulärer Filtrationsrate (eGFR) von 30 bis 49 ml/min, nach vier Wochen ist eine Dosisverdoppelung möglich, unter engmaschiger Kontrolle hinsichtlich Hyperkaliämie und Nierenversagens.
Merksätze
O Auftitrierung von ACE-Hemmer und Betablocker O MR-(Aldosteron-)Antagonisten bereits bei NYHA II O Ivabradin erwägen bei HF ≥ 70 Schlägen/min in Sinusrhythmus bei optimaler
medikamentöser Therapie O Körperliches Training und Aufklärung der Patienten
Ivabradin: Senkung von Herzfrequenz und kardiovaskulärem Risiko Bei unvermindert anhaltender Symptomatik (LVEF ≤ 35%) trotz Behandlung und bei Vorliegen eines Sinusrhythmus (SR) und einer Herzfrequenz (HF) von ≥ 70 ist Ivabradin zu erwägen (IIa-B-Empfehlung). Der Hemmer des If-Ionenkanals am Sinusknoten führt ausschliesslich zur Senkung der Herzfrequenz. Mit positiven Folgen: In der SHIFT-Studie von Swedberg et al.
ARS MEDICI 21 I 2013 1061
BERICHT
Empfehlungen für die chirurgische Therapie bei Herzinsuffizienz
Nach PD Dr. Markus J. Wilhelm von der Klinik für Herz- und Gefässchirurgie am Universitätsspital Zürich.
I. Prozeduren O Coronary Artery Bypass Graft (CABG) (Empfehlungsgrad IC):
– Angina und signifikante linke Hauptstenose – für OP geeignete Patienten – Überleben erwartungsgemäss länger als 1 Jahr mit gutem
funktionellem Status – zur Senkung des Risikos für vorzeitigen Tod O CABG (Empfehlungsgrad IB): – Angina und Zwei- oder Drei-Gefäss-KHK, einschliesslich
LAD-Stenose – für OP geeignete Patienten – Überleben erwartungsgemäss länger als 1 Jahr mit gutem
funktionellem Status – Senkung des Risikos der Hospitalisierung für kardiovaskuläre
Ursachen – Senkung des Risikos für vorzeitigen Tod aufgrund kardio-
vaskulärer Ursache O perkutane Koronarintervention (PCI) als Alternative zu CABG:
– kann erwogen werden in obigen Kategorien von Patienten, die für OP ungeeignet sind
CABG und PCI werden nicht empfohlen bei Patienten ohne Angina und ohne Myokardvitalität.
Wilhelm: «Die Wahl zwischen PCI und CABG ist von einem Herzteam gemeinsam zu treffen, basierend auf dem Ausmass der KHK, der erwarteten Vollständigkeit der Revaskularisierung sowie auf assoziierten Gefässerkrankungen und Anwesenheit von Komorbiditäten.»
II. Krankheiten 1. Aortenstenose:
O Optimierung der medikamentösen Behandlung (sollte aber nicht die chirurgische Entscheidungsfindung verzögern) – cave! Vasodilatoren können eine erhebliche Hypotonie verursachen.
O Bei Patienten, die nicht für eine OP geeignet sind (etwa bei schwerer Lungenerkrankung), sollte TAVI erwogen werden.
2. Aorteninsuffizienz: O Reparatur der Aortenklappen oder ihr Ersatz empfohlen bei
symptomatischen Patienten mit schwerer Regurgitation O alle asymptomatischen Patienten mit schwerer Regurgitation
und EF < 50% oder LVEDD > 70 mm oder LVESD > 50 mm
3. Mitralinsuffizienz: Die Entscheidung zur Empfehlung eines chirurgischen Eingriffs sollte die wichtigsten Prädiktoren des postoperativen Ergebnisse berücksichtigen: Symptome, Alter, begleitendes Vorhofflimmern, verminderte linksventrikuläre systolische Funktion, pulmonale Hypertonie sowie Eignung der Klappe für die Reparatur.
4. Herztransplantation: Indikationen: O klinisch: Endstadium Herzinsuffizienz mit schwerer Symptomatik O schlechte Prognose O keine verbliebene alternative Behandlungsoption O psychosoziale Aspekte: Patient ist motiviert, gut informiert,
emotional stabil, in der Lage, den Anweisungen der intensiven postoperativen Behandlung zu folgen
Konsensus
Angemessene Auswahlkriterien vorausgesetzt, erhöht eine Herztransplantation (verglichen mit konventioneller Behandlung) signifikant die Wahrscheinlichkeit von O Überleben, Leistungsfähigkeit, Lebensqualität und Rückkehr
in den Beruf Kontrollierte Trials wurden allerdings noch nie durchgeführt.
Zu den Hauptherausforderungen zählen: O Mangel an Spenderherzen O Folgen der eingeschränkten Effektivität (Komplikationen der
Immunsuppression [Infektion, Tumor, Nierenversagen])
Kontraindikationen
Akute Infektionen, schwere periphere Gefässerkrankung, andere schwere Erkrankungen
führte der Einsatz von Ivabradin versus Plazebo zu einer relativen Risikoreduktion des kardiovaskulären Todes oder der Hospitalisierung aufgrund der Herzinsuffizienz von 18 Prozent (3). Diese Resultate waren die Basis für den Eingang in die neuen Guidelines. Einzuleiten ist der Wirkstoff mit 5 mg zweimal täglich (2,5 mg zweimal täglich bei Alter > 75 Jahre), eine Erhöhung auf 7,5 mg ist nach vier Wochen
möglich; 5 mg zweimal täglich werden bei einer HF von 50 bis 60 verabreicht, eine Senkung erfolgt, falls die HF auf < 50 fällt. Nebenwirkungen sind selten und oft vorübergehend. Sie umfassen Sehstörungen wie Phosphene, selten Interaktionen mit CYP3A4. Der Experte plädierte für die Ausschöpfung der pharmakologischen Möglichkeiten vor dem Einsatz der Devices. Empfehlung für Ivabradin (IIa-B): O Ivabradin sollte erwogen werden bei Patienten mit Sinusrhythmus und einer EF ≤ 35 Prozent, einer anhaltenden Herzfrequenz ≥ 70/min und persistierenden Symptomen (NYHA II–IV) trotz Therapie mit evidenzbasierter Dosis von Betablockern (oder der maximal tolerierten Dosis darunter), ACE-Hemmer (oder ARB) und MRA (oder ARB), um das Risiko 1062 ARS MEDICI 21 I 2013 BERICHT einer Hospitalisierung aufgrund der Herzinsuffizienz zu reduzieren. «Nicht zu vergessen sind zudem die nicht pharmakologischen Behandlungen», so der Experte, der auf die Empfehlungen für aerobes körperliches Training (IA) sowie auf den Einschluss in ein multidisziplinäres Managementprogramm (IA) aufmerksam machte. Nächster Schritt: Geräte Von den Empfehlungen für den Einsatz technischer Geräte berichtete Prof. Dr. Angelo Auricchio, Direktor Cardiac Electrophysiology Programme, Fondazione Cardiocentro Ticino, Lugano und Universität Magdeburg. Nur zwei Geräte sind in die Richtlinien 2012 für Herzinsuffizienz eingeschlossen: der implantierbare Kardioverterdefibrillator (ICD) sowie die kardiale Resynchronisationstherapie (CRT). Die Neuheit dieser Richtlinien: Ein ICD ist nicht indiziert bei Patienten mit Herzinsuffizienz der NYHA-Klasse IV mit schweren, medikamentös therapierefraktären Symptomen, die nicht Kandidaten für eine CRT, ein ventrikuläres Assistdevice oder eine Herztransplantation sind – da sie eine sehr eingeschränkte Lebenserwartung sowie eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, aufgrund von Pumpversagen zu sterben. «Was für die klinische Praxis ein sehr wichtiger Schritt ist: Bei Verschlechterung der Herzinsuffizienz kann die De- aktivierung eines ICD erwogen werden, nach entsprechender Beratschlagung mit Patient und Betreuern», so Auricchio. Empfehlung für ICD für HI-Patienten (IA) O Sekundärprävention: Patienten mit ventrikulärer Arrhythmie, die zu hämodynamischer Instabilität führt, die voraussichtlich länger als 1 Jahr mit gutem funktionellem Status überleben, zur Reduktion des Risikos für plötzlichen Tod. Primärprävention: Patienten mit symptomatischer HI (II–III) und linksventrikulärer Ejektionsfraktion (LVEF) < 35 Prozent trotz länger als 3 Monate optimaler medikamentöser Therapie, die voraussichtlich länger als 1 Jahr mit gutem funktionellem Status überleben, zur Reduktion des Risikos für plötzlichen Tod. CRT: Nutzen auch bei höherer LVEF Von einer CRT könnten übrigens auch Patienten mit einer LVEF von > 35 Prozent profitieren, berichtete Auricchio vom MADIT-CRT-Trial mit Patienten mit leichter HI (4). Die Autoren analysierten das echokardiografische Ansprechen nach CRT (definiert als prozentuelle Veränderung des linksventrikulären enddiastolischen Volumens [LVEDV]) in drei LVEF-Gruppen: > 30 Prozent, 26 bis 30 Prozent und ≤ 25 Prozent. Primäre Endpunkte
waren Herzinsuffizienz oder Tod. Er-
gebnis: Die CRT mit Defibrillator redu-
zierte bei allen Gruppen vergleichbar
das Risiko für HI/Tod (LVEF > 30%;
HR 0,56; LVEF 26–30%; HR 0,67;
LVEF ≤ 25%; HR 0,57).
«Doch trotz dieser offensichtlich posi-
tiven Effekte für Patienten zeigte eine
Studie, dass die ICD-Implantation in
der Schweiz noch suboptimal ist», so
der Kardiologe. Laut dieser Untersu-
chung von Arribas et al. liegt die Rate
der ICD-Implantation in der Schweiz
bei lediglich 142 pro eine Million Ein-
wohner – in Deutschland liegt sie bei-
spielsweise bei 278 pro 1 Million Ein-
wohner (5). Hier sei mit entsprechenden
Massnahmen Gegensteuer zu geben,
sagte Auricchio abschliessend.
O
Lydia Unger-Hunt
Referenzen: 1. ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of
acute and chronic heart failure 2012. European Heart Journal 2012; 33: 1787–1847. 2. Zannad et al. Eplerenone in patients with systolic heart failure and mild symptoms. NEJM 2011; 364: 11–21. 3. SHIFT-Studie von Swedberg et al. Ivabradine and outcomes in chronic heart failure (SHIFT): a randomised placebo-controlled study. Lancet 2010; 376: 875–885. 4. Kutyifa et al. The influence of left ventricular ejection fraction on the effectiveness of cardiac resynchronization therapy: MADIT-CRT (Multicenter Automatic Defibrillator Implantation Trial With Cardiac Resynchronization Therapy). JACC 2013; 61: 936–944. 5. Arribas F. et al. European Heart Rhythm Association (EHRA) White Book; Europace 2012; 14 (suppl 3): ii1-ii55 doi:10.1093/euro-pace/eus256.
ARS MEDICI 21 I 2013 1063