Transkript
SERIE HERZKLAPPENERSATZ
Schwere Aortenstenose – vom Verdacht zum Therapieentscheid
Nach Einführung der PTCA durch Andreas Grüntzig im Jahre 1977 stellt die TAVI-Technik einen fast vergleichbaren Meilenstein in der Geschichte der interventionellen Kardiologie dar, ist Dr. Fabian Nietlispach, Teamleiter TAVI am universitären Herzzentrum des Universitätsspitals Zürich, überzeugt. Ob dieser minimalinvasive Eingriff für Patienten mit Aortenstenose in Frage kommt und wie die Entscheidung fällt, erläutert der Experte im Gespräch. Um Rückfragen von Patient und Familie beantworten zu können, ist es auch für den Hausarzt hilfreich, hier Bescheid zu wissen.
zum Kardiologen oder ins Spital zur weiteren Abklärung geschickt werden, unterstreicht auch Nietlispach. «Denn liegt eine schwere Aortenstenose vor, kann man den Betroffenen mit einer Therapie unter Umständen einen zweiten Frühling ermöglichen», so der Experte weiter.
Schweregrad der Stenose bestimmt das Vorgehen Liegt eine Aortenstenose vor, ist für das weitere Prozedere der echokardiografisch bestimmte Schweregrad der Aortenstenose ausschlaggebend, der Flussgeschwindigkeit, Druckgradient und
Thomas Lüscher
Fabian Nietlispach
über Nacht im Spital. Sind sie noch relativ fit, ist auch eine ambulante Abklärung möglich. In 3 Schritten kommt man von der Diagnosestellung zur
«Liegt eine schwere Aortenstenose vor, kann man den Betroffenen mit einer Therapie unter Umständen einen zweiten Frühling ermöglichen.»
CHRISTINE MÜCKE
Wenn diskutiert wird, ob ein katheterbasierter Aortenklappenersatz (TAVI) oder eine offene Herzoperation zur Behebung der Aortenstenose gewählt werden soll, ist schon ein wichtiger Schritt getan. Denn dann ist die Diagnose bereits gestellt, und Beschwerden wie Anstrengungsdyspnoe, Systolikum, Angina oder Synkopen sind richtig interpretiert worden, so Prof. Dr. Thomas Lüscher, Direktor der Klinik für Kardiologie, Universitätsspital Zürich. «An eine Aortenstenose zu denken ist ganz wichtig», appelliert der Kardiologe, denn bei Patienten zwischen 75 und 90 Jahren ist eine Aortenstenose etwas Häufiges. Oftmals werden Erschöpfung, Dyspnoe oder Kraftlosigkeit auf das Alter geschoben, bei zusätzlichem Herzgeräusch aber sollten die Patienten für eine Echokardiografie
Klappenöffnungsfläche berücksichtigt. Eine leichte oder mittelschwere Aortenstenose bedarf lediglich regelmässiger Kontrollen. Bei einer symptomatischen schweren Stenose ist die einzig wirksame Therapie der Ersatz der Klappe – perkutan oder operativ. Es bedarf einer kardiologischen Vorabklärung im Spital, welche als wichtigste Untersuchung eine Herzkatheteruntersuchung beinhaltet. Abhängig von den Befunden, den Komorbiditäten oder dem Vorliegen einer Gebrechlichkeit (frailty) wird die beste Behandlungsmethode eruiert. «Auch Informationen vom zuweisenden Hausarzt oder Kardiologen, die den Patienten schon länger kennen, sind für uns sehr wichtig. Falls es hier eine Präferenz hinsichtlich des Vorgehens gibt, ist das wichtig zu wissen.» Für die Vorabklärung bleiben die meist multimorbiden Patienten in der Regel
Intervention: 1. Abklärung, 2. Diskussion und 3. die Intervention. Diese Schritte erfolgen typischerweise zu verschiedenen Zeitpunkten – das könnte zukünftig auch schneller gehen, ist Nietlispach überzeugt.
Umfangreiche Abklärung Momentan erfolgt meist eine recht umfangreiche Diagnostik, nicht zuletzt auch zur Dokumentation und wissenschaftlichen Begleitung des Verfahrens. Zwingend sind eine transthorakale Echokardiografie sowie eine Koronarangiografie und bei Bedarf direkt im Anschluss eine perkutane Koronarintervention. Häufig wird zusätzlich ein transösophageales Echo gemacht und in den meisten Zentren auch eine Computertomografie. Beim Eingriff selber kann mittels Ballonvalvuloplastie eine funktionelle Untersuchung der Klappen erfolgen.
1064 ARS MEDICI 21 I 2013
SERIE HERZKLAPPENERSATZ
Abbildung: A: Darstellung der Aortenklappe und Aortensinus: *akoronare Tasche; rechtskoronare Tasche; linkskoronare Tasche B: Ballonvalvuloplastie mit gleichzeitiger Kontrastmittelinjektion als Vorbereitung für die Klappenimplantation C: Klappenprothese im Aortenannulus platziert (Pfeil); D: Klappenprothese im Aortenannulus abgesetzt (Pfeil)
Diskussion: TAVI oder OP? Der chirurgische Klappenersatz gilt nach wie vor als Standardtherapie, aber der katheterbasierte Aortenklappenersatz wird zunehmend bedeutsamer. Bei alten und polymorbiden Hochrisikopatienten schneiden TAVI und OP hinsichtlich des kombinierten Endpunkts Tod und Schlaganfall gleich gut
Jüngere Patienten werden zurzeit häufiger operiert, da hier gute Daten für die Operation vorliegen, für TAVI aber noch fehlen. Das könnte sich mit zunehmender Datenlage ändern, so der Experte. Auch bei grundsätzlich guten Erfolgen mit TAVI bleiben bestimmte Patienten, die letztlich nicht von einem Eingriff profitieren. Das waren in der Partner-
«Informationen vom zuweisenden Hausarzt oder Kardiologen, die den Patienten schon länger kennen, sind für uns sehr wichtig.»
ab (1). Bei femoralem Zugang war TAVI der offenen Herzoperation sogar überlegen, mit signifikant besserem 30-Tages-Überleben (1). Da weniger invasiv, fällt in dieser Patientengruppe in über 90 Prozent der Entscheid zur TAVI. Für Patienten mit tieferem Risiko laufen aktuell Studien zum katheterbasierten Aortenklappenersatz.
Studie zum Beispiel sehr gebrechliche Patienten, Patienten mit schwerer COPD und/oder schwerer Niereninsuffizienz oder mehreren Komorbiditäten (2). Patienten zu erkennen, welche nicht von einem Eingriff profitieren, wird eine wichtige Aufgabe in der nahen Zukunft sein, so Nietlispach.
Aufschluss durch weitere Studien
Bei der offenen Operation ist die Er-
holung langsamer, es gibt postoperativ
mehr schwere Blutungen und mehr
Vorhofflimmern. Die deutlich schnel-
lere Erholung nach TAVI ist denn auch
ihr grosser Vorteil. Dafür gibt es nach
TAVI mehr vaskuläre und möglicher-
weise mehr neurologische Komplika-
tionen – zumindest gemäss den Daten
der ersten Studien (1). Die Klappen, die
heute eingesetzt werden, haben mit die-
sen Erstgenerationsklappen jedoch
nicht mehr viel zu tun; die neuen
Modelle gehen mit deutlich weniger
vaskulären Komplikationen einher als
ihre Vorgänger, ergänzt Nietlispach.
Laufende Studien sowie die Daten aus
den Registern werden dazu beitragen,
das Wissen über TAVI zu erhärten. Die
Erfahrungen aus der Praxis sind viel-
versprechend: «Ob in drei, fünf oder
zehn Jahren, ich denke, bei Aorten-
stenosen wird die TAVI in einigen
Jahren den Hauptteil der Interventio-
nen ausmachen», wagt Lüscher eine
Prognose.
O
TAVI: verschiedene Zugangswege
Die Prozedur dauert vom Stich bis zur Schlussnaht etwa 45 Minuten (transfemorale TAVI), eine Herzlungenmaschine ist nicht erforderlich. Der Zugang kann entweder transfemoral (links), transaxillär, transapikal (mitte) oder transaortal (rechts) erfolgen. Für den transfemoralen Zugang liegen die besten Daten vor; er ist grundsätzlich ohne Intubation möglich. Der transapikale Zugang hingegen erfolgt unter Vollnarkose.
Christine Mücke
Referenzen: 1. Smith et al.: Transcatheter versus surgical aortic-
valve replacement in high-risk patients. N Engl J Med 2011; 364: 2187–2198. 2. Leon et al.: Transcatheter aortic-valve implantation for aortic stenosis in patients who cannot undergo surgery. N Engl J Med 2010; 363: 1597–1607.
Die Serie «Herzklappenersatz» entsteht in Zusammenarbeit mit unabhängigen Experten. Die Aufarbeitung der Thematik wird durch ein «unrestricted educational grant» der Firma Edwards Lifesciences unterstützt.
ARS MEDICI 21 I 2013 1065