Transkript
FORTBILDUNG
Diagnostik und Therapie der Leukämie – ein Update
Zeitgemässe Betreuung von Leukämiepatienten
Auch wenn Leukämiepatienten vom Hämatologen behandelt werden: Der Hausarzt muss die Symptome einer Leukämie erkennen und über die Grundzüge der Chemotherapie Bescheid wissen. Wenn zwischen Chemotherapiezyklen oder nach Abschluss der Chemotherapie Probleme und Komplikationen auftreten, ist der Hausarzt ein wichtiger Ansprechpartner für die betroffenen Patienten.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
O chronische lymphatische Leukämie (CLL) O chronische myeloische Leukämie (CML) O akute lymphatische Leukämie (ALL) O akute myeloische Leukämie (AML).
Früher wurden die verschiedenen Leukämieformen aufgrund morphologischer Merkmale der abnorm proliferierenden Leukozyten in Blut und Knochenmark klassifiziert. Neue genetische Daten zeigen jedoch, dass es genomische Unterschiede beispielsweise in der Gruppe der AML gibt, sodass die World Health Organization (WHO) ihr Klassifikationsschema überarbeitete.
Unter Leukämien versteht man eine Gruppe von malignen Erkrankungen der zirkulierenden weissen Blutzellen. Man unterscheidet akute und chronische Leukämien. Wenn unreife weisse Blutzellen oder Blasten proliferieren, kommt es meist zu einer akuten Manifestation, während Leukämien, die von ausdifferenzierten Zellen ausgehen, eher chronisch verlaufen. Die wichtigsten Formen der Leukämie sind:
Merksätze
O Die chronische lymphatische Leukämie (CLL) ist die häufigste Leukämieform im Erwachsenenalter.
O Der Zustand von Patienten mit akuter Leukämie kann sich rasch verschlechtern. Deswegen sollte im Verdachtsfall dringend ein Hämatologe hinzugezogen werden.
O Die meisten chronischen Leukämien sind nicht heilbar, aber sie können mit einer nicht intensiven Chemotherapie behandelt werden.
O Akute Leukämien sind heilbar, wenn die Patienten eine intensive Chemotherapie verkraften. Bei gebrechlichen Patienten kommt eine palliative Behandlung infrage.
O Das neutropenische Fieber ist ein medizinischer Notfall, der bei allen Leukämiepatienten auftreten kann.
O Die Leukämie und ihre Behandlung können alle Organsysteme beeinträchtigen.
Klinische Manifestation Leukämiepatienten weisen oft Symptome auf, die auf eine Knochenmarkinsuffizienz zurückzuführen sind: O rezidivierende Infektionen aufgrund einer Neutropenie O spontane Hämatombildung oder abnorme Blutung auf-
grund einer Thrombozytopenie O Symptome einer Anämie.
Unspezifische Symptome treten häufig auf. Dazu zählen Benommenheit und Müdigkeit sowie die klassischen «B-Symptome» Fieber, Nachtschweiss und unbeabsichtigter Gewichtsverlust (siehe Kasten 1). Die Leukozyteninfiltration von Lymphknoten und lymphatischen Organen führt zu Lymphadenopathie, Hepatomegalie oder Spenomegalie, was Beschwerden verursachen kann. Seltener kommt es bei meningealer Beteiligung zu Kopfschmerzen und zu Ausfällen im Bereich von Hirn- und peripheren Nerven, insbesondere bei akuten Leukämien. Zudem werden Hautinfiltrationen und eine Gingivahyperplasie beobachtet. Bemerkenswert ist jedoch, dass 75 Prozent der CLL-Fälle zufällig bei asymptomatischen Patienten im Rahmen einer aus anderen Gründen durchgeführten Blutuntersuchung entdeckt werden.
Diagnostik bei Verdacht auf Leukämie Bestimmte Auffälligkeiten im Differenzialblutbild sollten Anlass für spezielle Untersuchungen sein. Typischerweise liegt bei Leukämiepatienten eine Leukozytose vor, die von einer oder mehreren Zytopenien begleitet sein kann. Das Ausmass der Leukozytose ist jedoch – im Gegensatz zur Zytopenie – kein guter Indikator für die Schwere der Erkrankung: Trotz nur leicht erhöhter Leukozytenzahl kann eine aggressive Leukämie vorliegen, und umgekehrt können indolente Krankheitsformen mit einer dramatischen Leukozytose
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Kasten 1:
Warnzeichen
O Zu den Symptomen einer Leukämie zählen anderweitig nicht erklärtes Fieber, Nachtschweiss, Gewichtsverlust und Müdigkeit.
O Infektionen, Blutungen, Hämatombildung und Anämie können Symptome einer Knochenmarkinsuffizienz sein.
O Ein plötzlicher Beginn der Symptomatik kann auf eine akute Leukämie hinweisen und erfordert in der Regel eine umgehende Abklärung.
O Ein Patient mit Fieber und Verdacht auf Leukämie sollte als medizinischer Notfall behandelt werden.
O Zirkulierende Blasten sind oft Zeichen einer akuten Leukämie und erfordern rasches Handeln.
einhergehen. Wichtig ist, dass das Fehlen einer Leukozytose eine Leukämie nicht ausschliesst. Die «aleukämischen» Leukämien können eine normale oder niedrige Leukozytenzahl aufweisen, werden jedoch meist von Zytopenien begleitet. Bei Vorliegen eines normalen grossen Blutbildes ist eine Leukämie unwahrscheinlich. Bei Patienten mit auffälligen Leukozytenzahlen ist eine Blutausstrichdifferenzierung essenziell, um unterscheiden zu können, ob der Leukozytose eine maligne oder eine entzündliche Erkrankung zugrunde liegt. Eine gute Kommunikation zwischen dem betreuenden Hausarzt und dem Hämatologen ist in diesem Stadium entscheidend, denn auf der Basis des klinischen Bildes und der pathologischen Befunde muss entschieden werden, ob der Patient zur weiteren Diagnostik und Therapie rasch stationär aufgenommen werden muss. Sprechen die Ergebnisse der Blutausstrichdifferenzierung für eine Leukämie, muss der Patient in ein hämatoonkologisches Zentrum überwiesen werden, das die erforderlichen Untersuchungen durchführen kann (mikroskopische Untersuchungen von Blut und Knochenmark, Charakterisierung von Zelloberflächenantigenen mittels Durchflusszytometrie sowie zytogenetische und DNA-Mutationsanalysen). Die Entdeckung zytogenetischer Anomalien bei akuten Leukämien wie der t(8;21)-Translokation bei AML hat die Diagnostik und Therapie dieser Erkrankungen verändert. Bis vor Kurzem erforderte die Diagnose einer AML das Vorliegen von mindestens 20 Prozent unreifen, undifferenzierten myeloischen Zellen oder Myeloblasten im Knochenmark bei manueller Bestimmung. Ein normales Knochenmark sollte weniger als 5 Prozent Myeloblasten aufweisen. Heute kann eine AML auch diagnostiziert werden, wenn weniger Blasten vorliegen – vorausgesetzt, die Blasten tragen eine mit AML assoziierte chromosomale Aberration.
Management der CLL CLL ist die häufigste Leukämieform im Erwachsenenalter. Die Inzidenz beträgt 4,2 pro 100 000 Einwohner, das mediane Alter bei Diagnosestellung liegt bei 71 Jahren. Da die CLL mit einem langen Gesamtüberleben assoziiert ist, hat sie eine hohe Prävalenz, und die meisten Allgemeinmediziner betreuen im Lauf ihres Berufslebens CLL-Patienten. Die Patienten können an ausgeprägter chronischer Müdigkeit lei-
den. Stadium-B-Symptome und Knochenmarkinsuffizienz bestehen bei der Diagnosestellung oft noch nicht, können aber in fortgeschritteneren Fällen beobachtet werden. Dann findet man häufig eine Lymphadenopathie insbesondere der zervikalen, axillären und inguinalen Lymphknoten. Manchmal ist auch eine vergrösserte Milz tastbar. Der bei CLL am häufigsten auftretende hämatologische Befund ist eine Lymphozytose. Bei CLL auftretende maligne Lymphozyten exprimieren CD5- und CD23-Membranantigene; sie weisen also einen charakteristischen Immunphänotyp auf. Wenn der Blutausstrich den Verdacht auf CLL aufkommen lässt, empfehlen die Autoren eine Durchflusszytometrie des peripheren Blutes, insbesondere wenn eine anderweitig nicht erklärbare Lymphozytose über mehr als drei Monate persistiert. Bei Verdacht auf CLL sollten ausserdem ein direkter Coombs-Test zum Ausschluss einer Autoimmunhämolyse (die eine Assoziation mit CLL zeigt), die üblichen laborchemischen Tests sowie eine Untersuchung der Serumimmunglobuline erfolgen. Die meisten Patienten, bei denen eine CLL diagnostiziert wird, befinden sich im Stadium A (siehe Kasten 2). Eine Metaanalyse, bei der über 2000 CLL-Patienten berücksichtigt wurden, ergab, dass Chemotherapie das Gesamtüberleben von Patienten im Stadium A nicht verbessert, jedoch unter Umständen zu ernsten Nebenwirkungen führt. Deswegen erhalten die meisten CLL-Patienten im Stadium A keine Chemotherapie, sondern sie unterliegen lediglich einem «watchful waiting». Die meisten Patienten mit CLL im Stadium A haben eine ähnliche Lebenserwartung wie gesunde Gleichaltrige, und das durchschnittliche Gesamtüberleben liegt bei über zehn Jahren. Vor allem wenn Zweifel an der Diagnose bestehen, kann es vorteilhaft sein, wenn ein Spezialist die Diagnostik übernimmt und der Patient anschliessend wieder vom Hausarzt betreut wird. Der Hausarzt sollte nach drei Monaten erneut ein grosses Blutbild veranlassen, den Patienten klinisch untersuchen und ihn dazu auffordern, B-Symptome zu berichten und seine Körpertemperatur zu messen, wenn er sich nicht wohl fühlt. Die meisten Patienten zeigen einen stabilen Verlauf, dann reichen Kontrolluntersuchungen alle sechs Monate und nach einem Jahr alle zwölf Monate aus, sofern der Krankheitsverlauf stabil bleibt. Bei klinischer Verschlechterung, rezidivierenden Infektionen, neu auftretenden oder sich verschlechternden Zytopenien und bei einer geschätzten Lymphozytenverdoppelungszeit von weniger als zwölf Monaten erfolgt meist eine Überweisung zum Spezialisten. Patienten, die sich bei Diagnosestellung im Stadium B oder C befinden, sowie symptomatische Patienten sollten zum Spezialisten überwiesen werden, damit untersucht wird, ob eine Therapie erforderlich ist. In Grossbritannien wird in diesem Stadium eine zytogenetische Untersuchung durchgeführt, weil Patienten mit bestimmten Auffälligkeiten – wie beispielsweise einer TP53-Deletion – eine viel schlechtere Prognose haben und eine andere Form der Behandlung benötigen. Therapieoptionen, die in letzter Zeit vom National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) zugelassen wurden, reichen von einer weniger intensiven oralen Chemotherapie mit Chlorambucil bis zu Kombinationsschemata, die intravenös infundiert werden müssen, wie bei-
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Kasten 2:
Staging der chronischen lymphatischen Leukämie (CLL)
O Stadium A: Lymphozytose, < 3 Gruppen vergrösserter Lymphknoten O Stadium B: Lymphozytose, ≥ 3 Gruppen vergrösserter Lymphknoten O Stadium C: Lymphozytose mit Anämie (Hämoglobin < 100 g/l),
Thrombozytopenie (Blutplättchen < 100 ×109/l) oder beides
spielsweise Bendamustin oder Rituximab (ein monoklonaler Anti-CD20-Antikörper), kombiniert mit Fludarabin und Cyclophosphamid.
Management der CML Die chronische myeloische Leukämie (CML) tritt mit einer Inzidenz von 1 pro 100 000 Einwohner selten auf. Die Symptomatik ist meist chronisch und unspezifisch, doch wird häufig eine teilweise auffallende Splenomegalie beobachtet. Eine Lymphadenopathie ist im Allgemeinen nicht sehr ausgeprägt. Viele CML-Patienten weisen eine Neutrophilie auf, die von einer Thrombozytose, Basophilie, Monozytose oder Eosinophilie begleitet sein kann. Die t(9;22)-Translokation – auch bekannt als Philadelphia-Chromosom – ist das genetische Kennzeichen der Erkrankung. Bis vor Kurzem durchlief die Erkrankung nach einer unterschiedlich langen chronischen Phase unaufhaltsam eine akute Transformation und endete ohne Stammzelltransplantation im Allgemeinen tödlich. Die Entwicklung des zielgerichteten Tyrosinkinaseinhibitors Imatinib hat die Behandlung von CML-Patienten revolutioniert. Heutiger Behandlungsstandard ist die lebenslange Therapie mit diesem Medikament. Eine Studie ergab, dass über 80 Prozent der Patienten eine dauerhafte Remission erreichen und lediglich eine ambulante Nachbetreuung benötigen. Bei einem Teil der Patienten ist die Remission von kürzerer Dauer, oft weil die leukämischen Zellen Mutationen entwickeln, was zu einer Resistenz gegenüber Imatinib führt. Das NICE hat kürzlich Tyrosinkinaseinhibitoren der zweiten Generation zur Behandlung von Patienten zugelassen, die gegenüber Imatinib eine Resistenz entwickeln oder die Imatinib nicht vertragen.
Management akuter Leukämien Patienten mit akuter Leukämie zeigen typischerweise eine rasche Verschlechterung ihres Zustands. Initial stellen sie sich manchmal nur mit Müdigkeit und allgemeinem Krankheitsgefühl vor, doch entwickeln sie im Allgemeinen eine Knochenmarkinsuffizienz. Die Patienten können B-Symptome und eine Koagulopathie mit Hämatombildung oder mukokutanen Blutungen aufweisen. Unbehandelte akute Leukämien zählen zu den malignen Erkrankungen, die am schnellsten tödlich verlaufen. Die ALL ist bei Kindern die häufigste bösartige Erkrankung. Weltweit liegt die Inzidenz bei etwa 3 pro 100 000 Einwohner, wobei ungefähr drei von vier Fällen bei Kindern unter sechs Jahren auftreten. Manche Eltern berichten, dass ihr Kind in den letzten Wochen schläfrig gewesen sei oder Schulschwierigkeiten gehabt habe. Eine rechtzeitige Erkennung
der Erkrankung ist entscheidend, weil die kindliche ALL zu den malignen Erkrankungen mit den besten Heilungschancen zählt: Intensive Chemotherapieschemata erzielen eine langfristige Überlebensrate von 85 Prozent. Bei Erwachsenen tritt die ALL deutlich seltener auf, und die Prognose ist schlecht. Das liegt daran, dass im Vergleich zu Kindern ein höherer Anteil an Erwachsenen ungünstige zytogenetische Anomalien wie beispielsweise eine t(9;22)-Translokation aufweist. Zudem tritt die ALL oft bei über 60-Jährigen auf, die eine intensive Chemotherapie häufig nicht gut tolerieren. Bei geeigneten erwachsenen Patienten bietet die allogene Transplantation die besten Überlebenschancen. Dazu ist zunächst eine hoch dosierte Chemotherapie erforderlich, auf die Stammzellinfusionen von einem gematchten Spender folgen, um das Knochenmark wieder aufzubauen. Diese Behandlung ist sehr aggressiv, und etwa ein Drittel der Patienten überlebt die Therapie aufgrund von Nebenwirkungen nicht. Die AML ist die häufigste akute Leukämieform bei Erwachsenen. Im Vereinigten Königreich werden jährlich rund 2000 Neuerkrankungen registriert, wobei der Altersmedian bei Diagnosestellung bei 67 Jahren liegt. Meist werden die Patienten durch Komplikationen aufgrund einer Knochenmarkinsuffizienz symptomatisch. Viele Patienten stellen sich mit Infektionen und Blutungen vor, und die Verdachtsdiagnose wird auf der Basis des Blutbildes und der Blutausstrichdifferenzierung gestellt. Die meisten Patienten werden zur weiteren Behandlung in eine Spezialstation eingewiesen. Bei Patienten, die ausreichend belastbar sind, besteht die Standardbehandlung aus einer intensiven stationären Chemotherapie. Für einige selektierte Patienten kann auch eine allogene Transplantation indiziert sein. Kurative Chemotherapieschemata zur Behandlung der AML und ALL sind sehr intensiv, und die Behandlung wird aufgrund der häufig auftretenden schweren Nebenwirkungen meist stationär durchgeführt. Der Klinikaufenthalt kann sich über mehrere Wochen hinziehen, und in manchen Fällen wird eine intensivmedizinische Betreuung notwendig. Ältere Patienten weisen häufig ungünstige zytogenetische Merkmale auf, und sie tolerieren kurative Therapieschemata oft nicht. Deshalb wird diesen Patienten häufig eine palliative Behandlung angeboten, die mediane Überlebenszeit liegt bei unter einem Jahr. Die Subklassifikation der AML auf der Basis zytogenetischer Untersuchungen hat in weiten Teilen Klassifikationen abgelöst, die lediglich auf morphologischen Aspekten beruhten. Für manche Patienten mit bestimmten zytogenetischen Merkmalen stehen vielversprechende Therapieoptionen beispielsweise mit Idarubicin und einem Vitamin-A-Analogon oder mit monoklonalen Antikörpern zur Verfügung.
Betreuung chemotherapeutisch behandelter Leukämiepatienten Zwar wird die kurative Chemotherapie typischerweise im stationären Setting verabreicht, doch sind die Patienten zwischen den einzelnen Chemotherapiezyklen immer wieder für längere Phasen zu Hause. Patienten mit chronischer Leukämie werden meist nur ambulant betreut. Fast alle Leukämiepatienten entwickeln aufgrund ihrer Erkrankung oder der durchgeführten Therapie Komplikationen, und
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auch nach Abschluss der Chemotherapie kommt es bei manchen Patienten zu Spätkomplikationen. Eine gute Zusammenarbeit zwischen der Klinik und dem ambulanten Sektor ist entscheidend, um möglichst gute Therapieergebnisse zu erzielen und unnötige Klinikaufenthalte zu vermeiden. Im Folgenden sollen die möglichen Nebenwirkungen der gegen Leukämie gerichteten Chemotherapie beschrieben sowie langfristige Probleme erläutert werden, die nach einer Chemotherapie auftreten können und die der betreuende Hausarzt kennen sollte.
Behandlung und Prävention von Infektionen (einschliesslich der neutropenischen Sepsis) Die neutropenische Sepsis ist ein medizinischer Notfall, und eine rasche Behandlung mit intravenösen Antibiotika wirkt meist lebensrettend. Die Inzidenz hängt von der Intensität des Behandlungsschemas ab, doch besteht bei allen Patienten unter Chemotherapie ein gewisses Risiko. Die Patienten können unspezifische Symptome aufweisen oder Beschwerden, die mit der Lokalisation der Infektion zusammenhängen. Die Patienten sind angewiesen, den onkologischen Akutservice ihres lokalen Behandlungszentrums zu kontaktieren und ihre Körpertemperatur zu messen, wenn sie sich nicht wohl fühlen. Nach der NICE-Definition liegt ein neutropenisches Fieber vor, wenn ein Patient unter Krebstherapie, dessen Neutrophilenzahl bei 0,5 × 109/l oder darunter liegt, eine Körpertemperatur von über 38 °C aufweist. Wird eine febrile Neutropenie vermutet, sollen sich die Patienten zur dringenden intravenösen Antibiose in der Notfallabteilung vorstellen. Falls die Neutrophilenzahl nicht bekannt ist, wird bis zum Beweis des Gegenteils eine Neutropenie angenommen. Paracetamol kann bei Patienten unter Chemotherapie Fieber maskieren und ist deshalb zu vermeiden. Das höchste Risiko für eine Sepsis besteht während des Neutrophilen-Nadirs (< 0,5 × 109/l), der meist ein bis zwei Wochen nach Chemotherapie beobachtet wird. Sofern keine Kontraindikationen vorliegen, empfiehlt das NICE die Gabe von Piperacillin und Tazobactam, falls die lokalen mikrobiellen Resistenzmuster nicht dagegen sprechen. Patienten, denen es systemisch gut geht und die keinen infektiösen Fokus und auch keine Neutropenie aufweisen, haben ein geringeres Risiko für septische Komplikationen und können nach den NICE-Leitlinien nach entsprechenden Untersuchungen und dem Abnehmen bakterieller Kulturen ambulant mit oralen Antibiotika behandelt werden. Die mikrobiologischen Ergebnisse und das Befinden des Patienten müssen jedoch sorgfältig überwacht werden. Einige Massnahmen können dazu beitragen, das Infektionsrisiko von Patienten unter Chemotherapie zu senken: O Digitale rektale Untersuchungen sollten unter Chemothe-
rapie vermieden werden, um den Übertritt von Bakterien in die Blutbahn zu vermeiden. O Zahnärztliche Elektiveingriffe sollten bei Chemotherapiepatienten vermieden werden – insbesondere bei Vorliegen einer Mukositis. O Britische Leitlinien empfehlen für CLL-Patienten Impfungen gegen Influenza, Pneumokokken und Haemophilus influenzae. Idealerweise sollte die Impfung mehr als 2 Wochen vor oder 6 Monate nach Chemoimmuntherapie verabreicht werden.
O Ob und welche Impfungen im Einzelfall nach einer Stammzelltransplantation empfehlenswert sind, sollte der Hausarzt mit dem Transplantationsteam abklären.
O Selektierte Patienten profitieren von der Behandlung mit granulozytenkolonienstimulierendem Faktor, der subkutan verabreicht wird und die Neutrophilenreifung fördert.
Wann sind Blutprodukte unter Chemotherapie angezeigt? Praktisch alle Patienten unter einer intensiven Chemotherapie entwickeln eine Thrombozytopenie und eine Anämie. Diese Patienten benötigen im Therapieverlauf eine oder mehrere Transfusionen. Dagegen benötigen weniger als 10 Prozent der Patienten, die eine nicht intensive Therapie erhalten, eine Transfusion. Zwar fehlt es an publizierten Daten, doch sollten laut einer britischen Konsensusguideline in folgenden Situationen Thrombozytentransfusionen erfolgen: O Thrombozytenzahl < 10 × 109/l O Thrombozytenzahl < 20 × 109/l bei febrilen Patienten O hämorrhagische Symptome und Thrombozytenzahl
< 50 × 109/l.
Eine weitere Konsensusguideline empfiehlt Erythrozytentransfusionen, wenn der Hämoglobinwert bei Patienten mit kardialen oder pulmonalen Erkrankungen unter 100 g/l abfällt. Bei Patienten ohne kardiale oder pulmonale Erkrankung wird eine Transfusion erwogen, wenn die Patienten symptomatisch werden. Die meisten würden jedoch bei Patienten mit einem Hämoglobinwert unter 70 g/l Transfusionen durchführen.
Häufige Nebenwirkungen bei Leukämiepatienten unter Chemotherapie Gastrointestinale Störungen treten bei allen Patienten unter kurativer Chemotherapie und bei etwa 30 Prozent der Patienten unter nicht intensiven Schemata auf. Übelkeit und Erbrechen können meist durch die prophylaktische Gabe von Antiemetika minimiert werden. Häufig wird initial der Dopaminantagonist Domperidon eingesetzt, doch bei manchen Patienten mit nur leicht emetogenen Chemotherapien (wie z.B. Chlorambucil) reicht auch Metoclopramid oder Cyclizin aus. Patienten unter stark emetogenen Schemata erhalten oft Dexamethason oder Ondansetron. Eine Obstipation tritt häufig auf, beispielsweise entwickeln 15 bis 20 Prozent der Patienten unter vincristinhaltigen Schemata eine mässige bis schwere Obstipation. Die Autoren behandeln zunächst mit eher milden Laxanzien wie Laktulose oder Senna und gehen bei Bedarf auf stärkere Mittel wie Bisacodyl über. Wenn Chemotherapiepatienten sich ihrem Hausarzt mit gastrointestinalen Beschwerden vorstellen, sollte am besten Rücksprache mit dem Hämatoonkologen gehalten werden, um eine optimale Symptomkontrolle zu erzielen und unnötige Klinikaufnahmen zu vermeiden. Glukokortikoide sind fester Bestandteil vieler antileukämischer Therapieschemata, dementsprechend können glukokortikoidassoziierte Nebenwirkungen wie Hyperglykämie, Schlaf- und affektive Störungen auftreten. Meist passt der Hämatologe im Bedarfsfall die Glukokortikoiddosis an. Werden höhe Steroiddosen benötigt – beispielsweise bei ALL – verordnen Hämatoonkologen bei Bedarf gleichzeitig
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Protonenpumpeninhibitoren und Bisphosphonate. Hier kann es für den Patienten eine Erleichterung sein, wenn der Hausarzt die Folgerezepte ausstellt.
Komorbiditäten und psychische Störungen Da sich Leukämien meist in fortgeschrittenem Lebensalter manifestieren, liegen oft Komorbiditäten vor. Die meisten Medikamente können beibehalten werden – bis auf einige Ausnahmen. Warfarin wird oft abgesetzt, stattdessen erhalten die Patienten niedermolekulare Heparine, insbesondere wenn eine intensive Chemotherapie geplant ist. So sollen Fluktuationen der International Normalised Ratio aufgrund eines veränderten Warfarinmetabolismus vermieden werden. Während septischer Episoden können Antihypertensiva abgesetzt werden, um die Gefahr hypotoner Blutdruckwerte und einer späteren akuten Tubulusnekrose zu minimieren. Hat sich der Patient von der Sepsis erholt, kann je nach Blutdrucksituation die Wiederaufnahme der antihypertensiven Therapie erwogen werden. Die Diagnose «Leukämie» kann eine klinisch relevante Depression begünstigen oder auslösen. Hämatologen verfügen oft nicht über die entsprechende Erfahrung, um die Dosistitration von Antidepressiva vorzunehmen. Hier ist die Zusammenarbeit mit dem Hausarzt und gelegentlich mit einem Psychiater erforderlich, um psychologische Störungen adäquat zu behandeln.
Das Leben nach der Chemotherapie Patienten, die aufgrund einer chronischen Leukämie behandelt wurden, werden in der Regel zeitlebens von einem Hämatologen nachbetreut. Patienten mit akuten Leukämien, die drei bis fünf Jahre nach Abschluss der Behandlung beschwerdefrei sind, können als geheilt betrachtet und entlassen werden. Der Übergang von regelmässigen Klinikbesuchen in eine ambulante Nachbetreuung verläuft nicht immer reibungslos. Etwa 15 Prozent der jungen Patienten, die eine Leukämie überlebt haben, berichten über gestörten Schlaf, rund die Hälfte der älteren Überlebenden klagt über Müdigkeit.
Nach und nach nehmen viele Patienten wieder eine volle Be-
rufstätigkeit auf. Motivierten Patienten empfehlen die Auto-
ren ein zunehmend intensives Trainingsprogramm mit Aus-
dauersportarten wie Walking und Schwimmen.
Wichtig zu wissen ist, dass Patienten, die sich aufgrund einer
malignen Erkrankung einer Chemotherapie unterzogen
haben, etwa 4,7-mal häufiger an akuter myeloischer Leuk-
ämie erkranken als die Allgemeinbevölkerung. Eine Myelo-
dysplasie kann sich im Lauf mehrerer Monate entwickeln.
Bei unspezifischen Symptomen sollte man ein grosses Blut-
bild und eine Blutausstrichuntersuchung veranlassen.
Auch Jahre nach Abschluss einer Chemotherapie können
Endorganschäden auftreten. So können Vincaalkaloide eine
periphere Neuropathie nach sich ziehen, nach Anthrazyklin-
therapie kann es zu Kardiomyopathie und Herzinsuffizienz
kommen. Nach allogener Stammzelltransplantation ent-
wickeln rund 30 Prozent der Stammzellempfänger eine chro-
nische Graft-versus-host-Reaktion, die sich unter anderem
durch Atemnot aufgrund einer Bronchiolitis obliterans,
durch Hautausschläge, Xerophthalmie und Xerostomie
äussern kann. Diese Symptome können durch Immunsup-
pression behandelt werden, weshalb der Patient bei entspre-
chendem Verdacht frühzeitig in der Transplantationsklinik
vorgestellt werden sollte.
Subfertilität ist für jüngere Patienten mit Leukämie ein
grosses Problem. Bei jungen Patienten, die eine Leukämie
überlebt haben, ist die Schwangerschaftsrate laut einer
skandinavischen Studie um 25 Prozent geringer als in der
Allgemeinbevölkerung.
O
Andrea Wülker
Quellen: 1. Grigoropoulos NF et al.: Leukaemia update. Part 1: diagnosis and management.
BMJ 2013; 346: 10.1136/bmj.f1660. 2. Grigoropoulos NF et al.: Leukaemia update. Part 2: managing patients with leukaemia
in the community. BMJ 2013; 346: 10.1136/bmj.f1932.
Interessenlage: Die Autoren erklären, dass keine Beziehungen oder Aktivitäten bestehen, welche die vorliegende Arbeit beeinflusst haben könnten.
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