Transkript
STUDIE REFERIERT
Betablocker – besser als ihr Ruf
Keine Wirkung ohne Nebenwirkungen?
Müdigkeit, Schlafstörungen, Bradykardie, Übelkeit, Erbrechen – die Liste der unerwünschten Wirkungen von Betablockern ist lang. Hier stellt sich die Frage, wie Mediziner diese Problematik am besten im Umgang mit ihren Patienten handhaben.
INTERNATIONAL JOURNAL OF CARDIOLOGY
Eine Vielzahl von Betablockern wird erfolgreich bei chronischer Herzinsuffizienz verordnet. Das setzt allerdings voraus, dass die Patienten der Therapie treu bleiben. Ein Blick in die Packungsbeilage mit den unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) übt jedoch zuweilen einen abschreckenden Effekt aus. Hier stellt sich die Frage, ob der behandelnde Arzt seine Patienten überhaupt ausführlich über die möglichen UAW aufklären soll. Es kann nämlich durchaus passieren, dass sich das negativ auf die Compliance auswirkt.
Nebenwirkungen auf der Spur Eine kürzlich durchgeführte Metaanalyse beschäftigte sich intensiv mit dem
Merksätze
Thema UAW bei Betablockern. Dazu wurde die Medline-Datenbank systematisch nach geeigneten Studien durchsucht. Von insgesamt 319 Arbeiten eigneten sich 13 randomisierte, kontrollierte Studien für die weitere Auswertung: Sie berichteten über UAW, als Probanden mit Herzinsuffizienz entweder Betablocker oder Plazebo erhielten. Da es sich um ein doppelblindes Studiendesign handelte, wusste weder der Patient noch der Arzt, ob eine wirkstoffhaltige oder -freie Tablette verabreicht wurde. Somit konnte überprüft werden, ob aufgetretene UAW tatsächlich auf das Arzneimittel zurückzuführen waren. Zu den verwendeten Wirkstoffen gehörten dabei Bisoprolol, Bucindolol, Carvedilol, Metoprolol und Nebivolol. Ergänzend präsentierten 6 der 13 Studien Daten zum vorzeitigen Studienabbruch. Im Vergleich zur Betablockergruppe wurde die Studie häufiger in der Plazebogruppe frühzeitig beendet. Des Weiteren berichteten 2 der 13 Studien ausführlich über schwerwiegende unerwünschte Ereignisse. Diese traten bei 22,1 Prozent der Personen in der Betablockergruppe versus 25,6 Prozent der Patienten in der Plazebogruppe auf. Das Risiko eines schwerwiegenden unerwünschten Ereignisses war somit in der Betablockergruppe um 16 Prozent geringer (95%-Konfidenzintervall [KI]: 4–27%, p = 0,01).
O Bei der Therapie von Herzinsuffizienz traten viele unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) in der Betablocker- und der Plazebogruppe ähnlich häufig auf.
O Im Hinblick auf eine gute Compliance stellt sich die Frage, ob Patienten explizit vor allen möglichen UAW gewarnt werden sollen.
Betablocker versus Plazebo In dem gesamten Studienpool traten insgesamt 33 UAW bei jeweils über 100 Patienten auf. Die Häufigkeit einer UAW in den beiden Studienarmen wurde für die Auswertung in Relation gesetzt. In Bezug auf 100 Patienten in der Betablockergruppe, bei denen eine bestimmte UAW auftrat, wurde die Anzahl der Personen in der Plazebogruppe
ermittelt, bei denen die gleiche UAW berichtet wurde. Die meisten der 33 UAW ereigneten sich ähnlich häufig in beiden Gruppen – hier wurde kein signifikanter Unterschied beobachtet. Dazu gehörten Pneumonie, Bronchitis, Erbrechen, Nierenprobleme, Ohnmacht, Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Anämie, Impotenz, Ödeme, Anorexie, Müdigkeit, Gewichtszunahme, TIA, Hypotonie und Kurzatmigkeit. 6 der unerwünschten Beschwerden wurden in der Betablockergruppe sogar seltener beobachtet. So sank die Zahl von Depressionen unter der Einnahme von Betablockern um rund ein Drittel. Ähnliche Zahlen wurden für Schlaflosigkeit, Tachykardie, Herzrasen, Brustschmerzen und Herzversagen ermittelt. Dahingegen traten 5 der 33 UAW signifikant häufiger unter der Medikamenteneinnahme auf. Dazu zählten 3 UAW, die im Vergleich zu Plazebo bei weniger als einem Viertel der Patienten in der Betablockergruppe vorkamen. Ein Beispiel: 19 Prozent der Patienten in der Betablockergruppe versus 15,3 Prozent der Personen in der Plazebogruppe berichteten über Schwindel. Somit betrug das ermittelte Verhältnis 81/100 – Betablocker waren also nur in 19 von 100 Fällen tatsächlich für den aufgetretenen Schwindel verantwortlich. Von den 100 Patienten mit Schwindel unter der Einnahme von Betablockern hätten somit 81 (95%-KI: 73–89) Individuen die gleichen Beschwerden unter der Gabe von Plazebo berichtet. Für Diarrhö betrug dieses Verhältnis 82/100 (70–95), und im Hinblick auf Hyperglykämie wurde ein Wert von 83/100 (68–98) berechnet. Im Vergleich zu Plazebo war von den anderen 2 UAW jeweils mehr als die Hälfte der Personen in der Betablockergruppe betroffen: Bei Bradykardie betrugen die Werte 33/100 (21–44), und für Claudicatio intermittens wurde ein Verhältnis von 41/100 (2–81) verzeichnet.
Grenzen der Metaanalyse Die Ergebnisse dieser Auswertung sind nicht allgemeingültig. So wurden nur Studien erfasst, bei denen die Probanden an Herzinsuffizienz litten. Weitere Anwendungsgebiete wie Bluthochdruck, Angina pectoris oder Arrhythmien wurden nicht berücksichtigt, weshalb die Ergebnisse nur eingeschränkt
1072 ARS MEDICI 21 I 2013
STUDIE REFERIERT
Überblick über die häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen von in der Schweiz zugelassenen Betablockern laut Fachinformation
O Beschwerden des Nervensystems Müdigkeit, Schlafstörungen, Schwindel, Kopfschmerzen
O Kardiovaskuläre Beschwerden Bradykardie, orthostatische Störungen, kalte Hände und Füsse
O Magen-Darm-Beschwerden Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Obstipation
Betablocker in der Schweiz
Wirkstoff
Handelsname
Selektive Betablocker
Atenolol
Tenormin®
Bisoprolol
Concor®
Celiprolol Metoprolol
Selectol® BelocZok®
Nebivolol
Nebilet®
Nicht selektive Betablocker
Carvedilol
Dilatrend®
Labetalol
Trandate®
Pindolol
Visken®
Propranolol
Inderal®
Sotalol
Sotalex®
Wichtigste zugelassene Indikationen (Originalpräparat)
Angina pectoris, Arrhythmien, Hypertonie, Prophylaxe nach Herzinfarkt Angina pectoris, Herzinsuffizienz, hyperkinetisches Herzsyndrom, Hypertonie Hypertonie, koronare Herzkrankheit Angina pectoris, Arrhythmien, Herzinsuffizienz, Hypertonie, Migräneprophylaxe Herzinsuffizienz, Hypertonie
Angina pectoris, Herzinsuffizienz, Hypertonie Hypertonie Angina pectoris, Arrhythmien, hyperkinetisches Herzsyndrom, Hypertonie Angina pectoris, Arrhythmien, Hypertonie, Hyperthyreose, Migräneprophylaxe, Phäochromozytom, Tachykardie Arrhythmien
auf diese Indikationen übertragbar sind. Ein Arzneistoff kann nämlich nicht nur unterschiedlich stark bei verschiedenen Krankheitsbildern wirksam sein, sondern er kann je nach Indikation ein anderes Nebenwirkungsprofil aufweisen. Hinzu kommt, dass an den Studien freiwillige Probanden teilnahmen. Das bedeutet, dass sie hoch motiviert waren und somit eher Bereitschaft zeigten, kleinere körperliche Unannehmlichkeiten zu ignorieren. Die gewonnenen Zahlen widerspiegeln somit womöglich nicht genau den Alltag. Es ist also möglich, dass die Studienteil-
nehmer unter normalen Bedingungen mehr unerwünschte Ereignisse berichten würden. Des Weiteren wiesen die 13 Studien gewisse Unterschiede auf – erwähnenswert ist vor allem, dass in einigen Fällen alle Teilnehmer in der Anfangsphase Plazebo erhielten. Ausserdem berichteten nur 2 Studien darüber, dass UAW gezielt bei jeder Kontrollvisite angesprochen wurden. In allen anderen Fällen war es nicht bekannt, ob eine systematische Erfassung erfolgte oder nur spontane Berichte verzeichnet wurden. In Studien, bei denen Depressionen auftraten, wurden
keine Angaben über die Art und Weise der Validierung gemacht. Die Qualität der Ergebnisse war daher nicht immer auf gleichem Niveau.
Fazit
Die Mehrheit der UAW wird nicht per
se von Betablockern hervorgerufen,
sondern beruht unter Umständen auf
der Grunderkrankung oder einem an-
deren, zufälligen Problem. Auch die
Einbildungskraft im negativen Sinne –
das sogenannte Nozebophänomen –
darf nicht unterschätzt werden. Ob-
wohl Betablocker die Mortalität bei
Herzinsuffizienz um rund 35 Prozent
senken können, sind die Zahlen über
die Therapietreue enttäuschend – die
längerfristige Einnahme liegt nur bei
rund 50 Prozent. Es ist daher wün-
schenswert, dass eine gute Compliance
gefördert wird. Für Ärzte stellt sich
daher die Frage, ob es aus wissen-
schaftlicher und ethischer Sicht ge-
rechtfertigt ist, einen Patienten vor
möglichen UAW nicht zu warnen,
wenn randomisierte, klinische Studien
keine signifikant hohen Zahlen aufwei-
sen. Denn Angst vor UAW könnte dazu
führen, dass die Patienten der Therapie
nicht treu bleiben. Beim Grad der Auf-
klärung sollte auch die Psyche des ein-
zelnen Patienten berücksichtigt wer-
den. Manche Personen möchten voll-
umfänglich informiert werden, womit
sie auch umgehen können, wohingegen
andere Menschen lieber einen autoritä-
ren Stil ohne grosse Erklärungen bevor-
zugen. Hinzu kommt der rechtliche
Aspekt, dem Mediziner ebenfalls unter-
worfen sind und den sie bei ihrer Hand-
lungsweise berücksichtigen müssen.
Der medizinische Alltag bedeutet also
einen Spagat zwischen erwünschten
und unerwünschten Wirkungen zum
Wohle des Patienten.
O
Monika Lenzer
Quelle: Barron AJ et al.: Systematic review of genuine versus spurious side-effects of beta-blockers in heart failure using placebo control: recommendations for patient information. Int J Cardiol. 2013. doi: 10.1016/j.ijcard.2013.05.068.
Interessenkonflikte: Zwei Autoren erhielten Unterstützung von der British Heart Foundation.
ARS MEDICI 21 I 2013 1073