Transkript
STUDIE REFERIERT
Doch Dualtherapie nach TIA oder leichtem Hirninfarkt?
Studie zur frühen Sekundärprävention mit Clopidogrel plus Aspirin
Eine duale Plättchenhemmung mit Clopidogrel und Aspirin kann nach Koronarereignissen weitere ischämische Komplikationen verhüten. Bei Stroke ist die Datenlage weniger ermutigend. Möglicherweise muss eine solche Sekundärprävention nach TIA oder leichtem Hirninfarkt (minor stroke) schon sehr früh begonnen werden.
NEW ENGLAN JOURNAL OF MEDICINE
Die vorliegende Studie (CHANCE, Clopidogrel in High-Risk Patients with Acute Nondisabling Cerebrovascular Events) wollte die Hypothese testen, dass eine dreimonatige Kombinationstherapie bei Patienten mit akuter transient ischämischer Attacke (TIA) oder leichtem ischämischem Hirninfarkt das Risiko für einen erneuten Hirnschlag reduzieren kann (1).
Merksätze
O Diejenigen Patienten mit transient ischämischer Attacke (TIA) oder leichtem Hirninfarkt, die dank eines geringen Blutungsrisikos mit einer Kombination von Clopidogrel und Aspirin für 90 Tage behandelt werden können, profitieren von einer deutlichen Senkung des Hirnschlagrezidivrisikos.
O Die Beobachtungen dieser grossen Studie aus China können nicht ohne Weiteres auf andere Hirnschlagpatienten übertragen werden.
Methodik Die doppelblinde, kontrollierte Studie rekrutierte an 114 klinischen Zentren in China aus 41 561 gescreenten Patienten deren 5150, die hälftig entweder zu Clopidogrel plus Aspirin oder zu Aspirin allein randomisiert wurden. Clopidogrel wurde innert der ersten 24 Stunden nach dem zerebrovaskulären Ereignis mit einer Initialdosis von 300 mg verabreicht, woran sich eine Erhaltungstherapie mit 75 mg/Tag für 90 Tage anschloss. Dazu kam während der ersten 21 Tage 75 mg/Tag Aspirin. In der Vergleichsgruppe erfolgte eine Behandlung mit Plazebo plus 75 mg/Tag Aspirin für 90 Tage.
Resultate In der Clopidogrel-plus-Aspirin-Gruppe trat während der 90 Beobachtungstage bei 8,2 Prozent ein Hirnschlagereignis auf, in der Aspirin-allein-Gruppe hingegen bei 11,7 Prozent (Hazard Ratio: 0,68, 95%-Konfidenzintervall: 0,57– 0,81, p < 0,001). Mittelschwere oder schwere Blutungen erlitten 7 Patienten in der Kombinationstherapiegruppe gegenüber 8 Patienten in der Aspiringruppe (p = 0,73). Die Rate hämorrhagischer Insulte betrug in beiden Gruppen 0,3 Prozent.
Diskussion In dieser grossen Studie vermochte das Hinzufügen von Clopidogrel zu Aspirin innert der ersten 24 Stunden nach Symptombeginn das Risiko eines späteren Strokes um 32 Prozent zu vermindern. Die Ereignisraten während dieser Frühphase nach TIA oder minor stroke waren sehr hoch, und Clopidogrel bewirkte eine absolute Risikoreduktion von 3,5 Prozent, entsprechend einer «number need to treat» (NNT) von 29 während 90 Tagen.
Ein begleitendes Editorial würdigt
die grosse, wissenschaftlich rigorose
Studie (2). Der grosse Behandlungs-
nutzen schlägt sich in einer niedrigen
NNT nieder. Er entsteht in den ersten
Behandlungstagen nach TIA oder leich-
tem ischämischem Hirnschlag, wenn
die dem Geschehen zugrunde liegende
atherosklerotische Plaque am instabils-
ten und das Rezidivrisiko am grössten
ist.
Die Ergebnisse sprechen auch dafür,
dass die duale Plättchenhemmung Pa-
tienten mit fokaler Hirnischämie ohne
Zusatzrisiko verabreicht werden kann.
Voraussetzung ist allerdings, dass das
initiale Ereignis mit einem kleinen
Blutungsisiko einhergeht, dass es sich
also um eine TIA ohne frische Hirn-
infarzierung oder um einen kleinvolu-
migen Hirninfarkt handelt, welcher der
Definition für minor stroke entspricht.
Damit kommt die duale Plättchenhem-
mung nur für einen kleinen Anteil
von Hirnschlagpatienten infrage. Im-
merhin mussten die Studienautoren
über 40 000 Patienten screenen, um
rund 5000 zu finden, auf die das geringe
Blutungsrisiko zutraf. Daher können
die Ergebnisse auch nicht auf alle Hirn-
schlagpatienten übertragen werden.
Dies umso mehr, als die chinesischen
Patienten ein etwas anderes Muster der
arteriellen Erkrankung (mehr extrakra-
nielle Atherosklerose grosser Gefässe)
sowie andere Prävalenzen der geneti-
schen Polymorphismen der hepatischen
P-450-(CYP-)Isoenzyme aufweisen, die
für den Metabolismus von Clopidogrel
wichtig sind. Das Konzept der frühen
dualen Plättchenhemmung lässt sich
überdies nicht auf Patienten mit nied-
rigerem Hirnschlagrezidivrisiko über-
tragen. Bei einer über 90 Tage hinaus-
gehenden Clopidogrel-Aspirin-Kombi-
nations-Prophylaxe dürften zudem die
Blutungsrisiken den Behandlungsnut-
zen im Vergleich zu einer Monotherapie
mit entweder Clopidogrel oder Aspirin
zunichte machen.
O
Halid Bas
Quellen: 1. Wang Y et al.: Clopidogrel with aspirin in acute minor
stroke or transient ischemic attack. N Engl J Med 2013; 369(1): 11–19. 2. Hankey GJ: Dual antiplatelet therapy in acute transient ischemic attack and minor stroke. N Engl J Med 2013; 369(1): 82–83.
Interessenkonflikte: keine deklariert
1034 ARS MEDICI 20 I 2013