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FORTBILDUNG
Antipsychotika bei Älteren
Berechtigte Indikationen
Trotz ihrer Nebenwirkungen und Interaktionen werden Antipsychotika vielfach auch bei älteren Patienten eingesetzt. In welchen Indikationsbereichen sind diese Psychopharmaka sinnvoll? Ein kritischer Überblick.
KRISTINA LEUNER, WALTER E. MÜLLER, ANNE PAULY UND CAROLIN WOLF
Wichtige typische Indikationen für Antipsychotika bei Senioren sind psychopathologische Symptome der Demenz, Schizophrenie, bipolare Störung, Schlafstörungen oder die Augmentation (Wirkungsverstärkung) bei einer unipolaren depressiven Erkrankung. Einen Überblick über berechtigte und nicht empfohlene Indikationen zeigt die Tabelle 1. Je nach Indikationsgebiet kommen verschiedene Klassen von Antipsychotika zum Einsatz. Die sogenannten klassischen Antipsychotika (first generation antipsychotics, FGA) werden nach der Wirkstärke in nieder-, mittel- und hochpotente Stoffe eingeteilt. Die niederpotenten Stoffe wirken erst in sehr hoher Dosierung antipsychotisch, werden aber wegen ihrer H1- und 5HT2-Rezeptor-Blockade gerne als gut verträgliche Schlafmittel bei älteren Patienten verordnet (Tabelle 2). Die neueren «atypischen» Antipsychotika (second generation antipsychotics, SGA) haben ein günstigeres Nebenwirkungsprofil in Bezug auf extrapyramidalmotorische Störungen. Dadurch sind die mittel- und hochpotenten klassischen Antipsychotika eher in den Hintergrund getreten (1, 2).
Merksätze
O Typische Indikationen für Antipsychotika bei Senioren sind psychopathologische Symptome der Demenz, Schizophrenie, bipolare Störung, Schlafstörungen oder Augmentation bei unipolarer depressiver Erkrankung.
O Besonderes Augenmerk ist auf die Mobilität sowie auf kardiovaskuläre Risikofaktoren der Patienten zu legen.
O Bei psychopathologischen Symptomen im Rahmen einer Demenz muss zwischen den Vor- und Nachteilen der Medikation abgewogen werden. Hier sind zunächst nicht pharmakologische Massnahmen zu bevorzugen.
Psychopathologische Symptome bei Demenz In Deutschland leiden etwa 1,2 bis 1,5 Millionen Menschen an einer Demenz. 90 Prozent von ihnen entwickeln im Lauf von fünf Jahren psychopathologische Symptome. Je nach Studie schwanken die Häufigkeitsangaben für einzelne Symptome: O Wahn (3–54%) O Halluzinationen (1–39%) O Depression (8–74%) O Ängstlichkeit (7–69%) O Apathie (17–84%) O Aggressivität und Agitation (48–82%) O körperliche Aggressionen (11–44%) (3, 4). International wird das Syndrom als «Behavioural and Psychological Symptoms of Dementia (BPSD)» zusammengefasst. Die Behandlung ist schwierig – und der Leidensdruck von Patient, Bezugs- und Pflegepersonen sehr hoch. Symptome wie Wahn und Halluzinationen rufen bei den Patienten Angst, Besorgnis oder Wut hervor. Dagegen werden Apathie, Aggressivität, übertriebene motorische Aktivität oder Desinteresse eher von Angehörigen oder Pflegenden als belastend eingestuft. Daher fragen nicht nur die Patienten selbst, sondern sehr häufig auch die pflegenden Angehörigen oder das Pflegepersonal nach einer adäquaten Medikation. Wichtig ist es zu analysieren, ob der Patient durch die Symptome beeinträchtigt ist. Ständiges Umherlaufen, stereotype Bewegungen oder immer gleiche Fragen sind noch nicht behandlungsbedürftig. Anders einzustufen sind körperliche Aggressivität oder vom Patienten als belastend empfundene Halluzinationen. Atypische Antipsychotika sind aufgrund des geringeren Risikos für extrapyramidalmotorische Symptome (EPS) die am häufigsten verordneten Arzneistoffe bei BPSD. Ihre Anwendung wurde durch eine Warnung der FDA 2005 eingeschränkt (5). In 17 randomisierten klinischen Studien zeigte sich ein erhöhtes Mortalitätsrisiko um den Faktor 1,6 bis 1,7 im Vergleich zu Plazebo (6). Auch für klassische Antipsychotika wurde eine erhöhte Mortalität im Vergleich zu Plazebo, aber auch zu Atypika nachgewiesen (7–9). Kardiovaskuläre Erkrankungen (Herzversagen, plötzlicher Tod) und Infektionen, vor allem Pneumonien, gelten als Hauptursachen für die beschriebenen Todesfälle. Besonderes Augenmerk ist auf die Mobilität der Patienten zu legen: Ein «fitter» alter Mensch hat sicher ein deutlich geringeres Risiko, unter Antipsychotikatherapie eine Pneumonie zu entwickeln, als ein immobiler Patient. Weiterhin wichtig ist die Therapiedauer: Wenn ein Patient seit Jahrzehnten ein Antipsychotikum einnimmt, ist das Risiko fur̈ schwere kardio- und zerebrovasku-
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Tabelle 1:
Indikationsgebiete für Antipsychotika; nach (20)
Berechtigte Indikationen
explizit empfohlen
Schizophrenie Manie mit Psychosen agitiertes Verhalten bei Demenz mit Psychosen wahnhafte Depression Parkinson-Psychose
eingeschränkt empfohlen
Delirium Manie ohne Psychosen agitiertes Verhalten bei Demenz ohne Psychosen therapieresistente Depression
Nicht empfohlene Indikationen
Panikstörung generalisierte Angststörung Hypochondrie Depression ohne Psychose und Angst Reizbarkeit und Feindseligkeit neuropathischer Schmerz
Tabelle 2:
Einteilung der Antipsychotika
Antipsychotikum Klassische Antipsychotika
(1st generation antipsychotics, FGA) niederpotent
mittelpotent hochpotent
Atypika (2nd generation antipsychotics, SGA)
Arzneistoffe
Melperon (nicht im AK der Schweiz), Pipamperon, Levomepromazin, Thioridazin (nicht im AK der Schweiz) Perazin (nicht im AK der Schweiz) Haloperidol, Flupentixol, Fluphenazin (nicht im AK der Schweiz) Amisulprid, Aripiprazol, Clozapin, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon, Ziprasidon (nicht im AK der Schweiz)
läre Ereignisse eingeschränkt. Die QTc-Zeit-Verlängerung kann aber auch nach Monaten oder Jahren der Therapie auftreten.
Moderate Effektstärke Für Risperidon, Olanzapin und Quetiapin wurde in mehreren klinischen Studien eine signifikante Wirksamkeit bei aggressivem Verhalten und Agitation nachgewiesen (10). Risperidon reduzierte zudem, jedoch weniger deutlich, Psychosen. Signifikant wirksam bei Agitation und Aggression war in drei klinischen Studien auch Aripiprazol. Eine ausreichende Wirksamkeit der anderen Atypika konnte nicht gezeigt werden (11). Unter den klassischen Antipsychotika gibt es nur für Haloperidol einzelne Studien; Signifikanz wurde nur in der Subskala Aggression erreicht (12). Die Wirkung der Antipsychotika im Fall von Apathie bei Demenzkranken ist nur gering. Ebenso ist die Studienlage für die Symptome ständiges Wandern, stereotype Bewegungsabläufe oder Schreien unzureichend (4). Die Symptome besserten sich bei Patienten, die mit Antipsychotika behandelt wurden, um 48 bis 65 Prozent, bei mit Plazebo behandelten Patienten um 30 bis 48 Prozent. Das heisst: Die Effektstärke der genannten Antipsychotika war mit einem mittleren Behandlungseffekt von 18 Prozent und einer Number needed to treat (NNT) von 5 bis 14 insgesamt gering (13). Dagegen ist die Rate zerebrovaskulärer Ereignisse und von
EPS im Gegensatz zu Plazebo deutlich erhöht. Man muss jedoch kritisch anmerken, dass in den relevanten Studien als Endpunkte meist globale Symptom-Rating-Scales verwendet wurden, die nur bedingt klinisch relevante Ergebnisse liefern, da sie keine Rückschlüsse auf einzelne Symptome zulassen (14).
Mögliche Alternativen bei BPSD Zunächst sind immer nicht pharmakologische Massnahmen zu bevorzugen. Die hohen Plazeboresponseraten in den Studien legen nahe, dass Demenzpatienten von einer erhöhten Aufmerksamkeit profitieren (Kasten). Auch eine adäquate Schulung der Angehörigen kann erfolgreich sein. Man sollte hinterfragen, welche Faktoren das störende Verhalten aufrechterhalten. Gibt es Konstellationen, bei denen dieses nicht auftritt? Faktoren wie schlechte Beleuchtung, räumliche Beengtheit, Harnverhalt, Schmerzen oder lang schwelende Partnerkonflikte sind dabei zu berücksichtigen. Psychosoziale Interventionen erfordern einen hohen zeitlichen und personellen Aufwand, der oft nicht geleistet werden kann. Auch reagieren die Patienten hierauf häufig ablehnend (15). Vor dem Einsatz eines Antipsychotikums wird die Gabe von Acetylcholinesterase-Hemmern empfohlen, da diese neben dem positiven Einfluss auf kognitive Funktionen auch nicht kognitive Störungen leicht verbessern (16). Jedoch gibt es auch Studien, die keinen Benefit zeigten. Kleine Studien mit Citalopram und Carbamazepin brachten ebenfalls leichte, aber signifikante Erfolge (17, 18). Andere Antidepressiva und Stimmungsstabilisierer zeigten keine Wirkung.
Kritische Bewertung Trotz aller Diskussionen über das unzureichende NutzenRisiko-Verhältnis sind Antipsychotika bei anhaltendem, herausforderndem Verhalten, das den Patienten und vor allem die Pflegenden belastet, aufgrund fehlender Alternativen hilfreich und oft die einzige Wahl. Hierbei geht es oft nicht um das blosse «Ruhigstellen» eines Patienten. Vielmehr erleichtert die Medikation den Umgang des Pflegepersonals und der Angehörigen mit dem Patienten und verbessert dessen Lebensqualität. Das einzige zugelassene atypische Antipsychotikum bei schwerer chronischer Aggressivität und psychotischen Symptomen bei Alzheimer-Demenz ist das SGA Risperidon (Tabelle 2). Die Anwendung ist auf höchstens sechs Wochen bei anhaltender Aggression in einer Dosierung von 1 bis 2 mg täglich beschränkt (Tabelle 3). Andere Atypika werden off label verwendet.
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Empfehlungen zum Umgang mit Patienten mit BPSD
O Suche nach psychosozialen oder somatisch-pharmakologischen Erkrankungen (Delir, agitierte Depression, Schmerz, Pruritus) als Auslöser der BPSD
O soweit möglich nicht pharmakologische Massnahmen ausschöpfen und pharmakologische Alternativen erwägen
O Auswahl des Antipsychotikums nach Komorbidität und Nebenwirkungsprofil, anticholinerge Nebenwirkungen möglichst vermeiden
O Zielsymptome definieren, um die Therapie kontrollieren zu können
O Aufklärung der Patienten und Betreuer über erhöhte Mortalität (kardiovaskuläre Risiken) und eventuellen Off-Label-Gebrauch
O niedrig dosiert beginnen, langsam aufdosieren
O zu Therapiebeginn Kontrolle von Blutdruck, Kalium und Cholesterol sowie EKG; nach 12 Wochen gleiches Prozedere und anschliessend jährlich Blutdruck, Kalium und EKG kontrollieren
O bei nicht einsetzender Wirkung Medikation für 5–7 Tage beibehalten
O regelmässige Absetzversuche nach Stabilisierung einer Akutsituation oder bei Fortschreiten der Demenz (mindestens alle 3 Monate) Nach (14)
Fast alle der oft schlechter verträglichen klassischen Antipsychotika sind entweder bei Demenz oder zur Anwendung bei «organischen» Psychosen oder psychomotorischen Erregungszuständen zugelassen. Dies sollte nicht dazu führen, klassische Antipsychotika bei BPSD bevorzugt zu verordnen, da die Indikationen durch Studien kaum belegt sind (3). Wichtige Empfehlungen, die alle grossen Fachgesellschaften ähnlich formulieren, sollten eingehalten werden (14, 19). Wissenschaftler konnten nachweisen, dass das Absetzen von Antipsychotika nach höchstens sechs Monaten die neuropsychiatrischen Symptome nicht verschlechterte, aber das Mortalitätsrisiko senkte (39). Nur bei anfänglich schweren Symptomen (Neuropsychiatric-Inventory-[NPI-]Score > 15) kann die Beendigung der Therapie zum Wiederauftreten oder zur Verschlechterung der BPSD führen. Die Gruppe weist darauf hin, dass bei fortbestehendem herausforderndem Verhalten, fehlenden Alternativen und negativen Konsequenzen nach Absetzen Atypika weiter verordnet werden sollen (11). Neben Risperidon ist in Deutschland, nicht aber in der Schweiz, Melperon zur Behandlung von Verwirrtheit und zur Dämpfung von psychomotorischer Unruhe und Erregungszuständen in einer Dosierung von 50 bis 150 mg/Tag als Langzeittherapie zugelassen. Melperon gehört neben Pipamperon und Prothipendyl (nicht im AK der Schweiz) zu den niederpotenten Antipsychotika, die in Deutschland häufig in der Geriatrie eingesetzt werden. Die klinische Datenlage zur erhöhten Mortalität und zu anderen unerwünschten Wirkungen (UAW) ist sehr eingeschränkt, da diese Substanzen in den USA nicht verwendet werden.
Schizophrenie bei Älteren Das klassische Einsatzgebiet der Antipsychotika ist die Therapie der Schizophrenie. Die ersten Plus- oder Minussymptome
treten meist im ersten Lebensdrittel auf. Da die Krankheit aber häufig chronisch verläuft, werden die Patienten auch immer älter. Zwischen 0,1 und 1 Prozent der über 65-Jährigen leiden an Schizophrenie. Für die Behandlung dieser Patientengruppe gibt es keine evidenzbasierten Richtlinien. Die Therapieentscheidungen werden oft nach individuellen Erfahrungen und Therapiegewohnheiten getroffen (14, 20). Auch bei geriatrischen Patienten stellen Antipsychotika die wichtigste Säule der Behandlung dar; es gibt weder medikamentöse Alternativen noch wirksame psychotherapeutische Massnahmen (3). Wenn ein Patient seit Jahrzehnten erfolgreich mit einem potenten klassischen Antipsychotikum behandelt wird und dieses gut verträgt, sollte es beibehalten werden. Sonst ist die Rückfallgefahr sehr hoch.
Risperidon wird empfohlen Mittel der Wahl sind die atypischen Antipsychotika, wobei die klassischen Substanzen wie Haloperidol auch wirksam sind, nur ein ungünstigeres Nebenwirkungsprofil haben (21). Die Expert Consensus Panel Guideline der American Psychiatric Association (APA, 2004) empfiehlt Risperidon als erste Wahl in einer Tagesdosis von 1,25 bis 3,5 mg (Tabelle 3). Risperidon ist die am besten untersuchte Substanz bei älteren schizophrenen Patienten und erreichte in klinischen Studien eine Verbesserung der Symptome um etwa 20 Prozent. Für Menschen mit Schluckbeschwerden, Vergesslichkeit und einer schlechten Adhärenz – was häufig zu Rückfällen führt – sind Depotformulierungen vorteilhaft. Als Substanzen der zweiten Wahl empfiehlt das Expert Panel Olanzapin, Quetiapin und Aripiprazol (Tabelle 3) (20). In einer Vergleichsstudie wurden Risperidon und Olanzapin hinsichtlich Wirkung und Nebenwirkung als gleichwertig angesehen (22). Für Quetiapin gibt es nur wenige Nachweise. Die Substanz scheint wirksam zu sein, wenig EPS zu induzieren, aber sedierend zu wirken (3, 23). Für Ziprasidon (nicht im AK der Schweiz), Amisulprid und Aripiprazol liegen keine Daten für Ältere vor. Für alle Substanzen gilt, dass geringere Dosen als für junge schizophrene Erwachsene, aber höhere als für BPSD-Patienten nötig sind (24). Für Paliperidon, den aktiven Metaboliten von Risperidon, zeigte eine Studie Symptomverbesserungen, aber auch kardiovaskuläre Nebenwirkungen. Die Dosierung sollte auf etwa 25 bis 50 Prozent der Erwachsenendosis reduziert werden (14, 25).
Einsatz bei Patienten mit Delir Ein Delir ist definiert als akute organische Psychose mit qualitativer Bewusstseinsstörung. Bewusstseinstrübungen, Störungen von Aufmerksamkeit, Orientierung und Wahrnehmung sowie affektive und vegetative Symptome treten in charakteristisch fluktuierendem Verlauf auf (26). Das Delirsyndrom ist eine häufige Komplikation nach schweren Erkrankungen wie Schlaganfall und Infektionen, nach Operationen oder bei Demenz. Es manifestiert sich bei zirka 30 Prozent der über 65-Jährigen. Ein Drittel erleidet als Begleitsymptom eine Psychose, mit 12 Prozent die dritthäufigste Ursache für eine Psychose im Alter (3, 27). In 10 bis 30 Prozent der Fälle bleibt das Delir unentdeckt (14). Es birgt ein hohes Risiko für langfristige Einschränkungen, was
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Tabelle 3:
Dosierungsempfehlung1 für den Einsatz von Antipsychotika (20)
Arzneistoff
Einsatz bei Demenzpatienten
Startdosis (mg/Tag)
Zieldosis (mg/Tag)
Risperidon (1. Wahl) Clozapin Olanzapin (2. Wahl) Quetiapin* (2. Wahl) Aripiprazol (2. Wahl) Haloperidol (3. Wahl)
0,25 bis 1 12,5 1,25 bis 5 12,5 bis 50 5 0,25 bis 0,5
1,5 bis 2 75 bis 100 10 200 bis 300 15 2
* signifikante Wirksamkeit bei Demenzpatienten nicht nachgewiesen 1 gemäss American Psychiatric Association (APA, 2007) und Expert Consensus Panel
Einsatz bei Schizophrenie Dosis (mg/Tag)
1,25 bis 3,5 keine generelle Empfehlung, Startdosis niedriger 7,5 bis 15 100 bis 300 15 bis 30 keine generelle Empfehlung, Startdosis niedriger
eine schnelle Identifikation und Beseitigung der auslösenden Faktoren (Polypharmazie, Psychopharmaka, prolongierte Narkosen) oder eine zeitnahe Behandlung erfordert. Allgemein gültige Leitlinien zur Behandlung des Delirs gibt es in Deutschland nicht. 11 bis 30 Prozent der Delirien sind medikamentös induziert (28), zum Beispiel durch trizyklische Antidepressiva (anticholinerges Syndrom) oder Dopaminagonisten (Dopaminüberschuss-Syndrom). Dann ist ein Absetzen oder eine Dosisreduktion notwendig (26). Antipsychotika gelten als Mittel der Wahl zur Behandlung, wenn die potenziellen Ursachen nicht beseitigt werden können. Daten liegen vor für Risperidon, Olanzapin, Quetiapin und Haloperidol (Tabelle 4). SGA wie Olanzapin und Risperidon zeigen in einem Cochrane-Review einen leichten, aber nicht signifikanten Wirkungsvorteil im Vergleich zu Haloperidol (29). Angesichts der erhöhten EPS-Gefahr unter Haloperidol sollten atypische Antipsychotika bevorzugt werden. Die Studienlage ist aber insgesamt unbefriedigend. Sind höhere Dosierungen nötig, gilt Risperidon als Mittel der Wahl (14). Olanzapin- und Risperidonschmelztabletten erleichtern den Einsatz beim deliranten Patienten (27). Im klinischen Alltag wird Haloperidol wegen fehlender anticholinerger Nebenwirkungen, schnellen Anflutens und guter Steuerbarkeit der Applikation jedoch meist bevorzugt (3). Die wirksame Dosis sollte für zwei bis drei Tage beibehalten werden. Die Anwendung von Antipsychotika mit anticholinergen Nebenwirkungen muss unbedingt vermieden werden.
Schlafstörungen im Alter Ein Drittel der Älteren leidet an Ein- oder Durchschlafstörungen (30). Die Ursachen reichen von der altersbedingten Veränderung der zirkadianen Rhythmik über medikamentös induzierte Schlafstörungen bis zum veränderten Tag-NachtRhythmus bei Demenz oder Parkinson-Erkrankung und Schlaferkrankungen wie Restless-legs-Syndrom (31). Die Behandlung sollte sich immer nach der Ursache richten. Leitliniengerecht stehen an erster Stelle – neben der Therapie von Grunderkrankungen wie Depression, Demenz und Atemwegserkrankungen – nicht pharmakologische Massnahmen wie die Förderung der Schlafhygiene (32). Medikamentös werden neben Benzodiazepinen und den etwas günstigeren Z-Substanzen häufig sedierende Antidepressiva, vor
allem bei Schlafstörungen im Rahmen einer Depression, und niederpotente Antipsychotika wie Melperon, Pipamperon und Prothipendyl eingesetzt. Auch auf diesem Indikationsgebiet sollten Nutzen und Risiken der Medikation abgewogen und die Substanz sehr genau aufgrund der anderen Erkrankungen und der weiteren Medikation des Patienten ausgesucht werden. Ein weiterer zu beachtender Faktor ist der körperliche Zustand des Patienten.
Kurzporträt: Melperon und Co. Melperon, Pipamperon und Prothipendyl gehören zu den niederpotenten klassischen Antipsychotika, die aufgrund ihrer geringen D2-Rezeptor-Blockade erst in sehr hoher Dosis antipsychotisch wirken. Daher werden sie bei Psychosen nicht eingesetzt. Durch 5-HT2-Rezeptor-Blockade wirken sie aber schon in geringer Dosis beruhigend und schlafinduzierend (1). Die Substanzen zeichnen sich durch fehlende anticholinerge Eigenschaften, wenig EPS und gute Verträglichkeit aus (33). Klinische Studien zum Einsatz bei nicht psychiatrisch bedingten Schlafstörungen liegen nicht vor. In der Gerontopsychiatrie wird Melperon explizit bei Schlafstörungen und psychomotorischer Unruhe empfohlen. In Deutschland, nicht aber in der Schweiz, ist es für Patienten über 65 Jahre zugelassen (1). Die Dosierung liegt zur Schlafinduktion bei 25 bis 100 mg, bei BPSD im Rahmen einer Demenz zur Langzeittherapie bei 50 bis 150 mg/Tag. Selten kann es zu QTc-Zeit-Verlängerungen und Blutbildschäden kommen. In einer klinischen Studie wurden ab einer Dosis über 240 mg klinisch relevante QTc-Verlängerungen nachgewiesen (34). Diese Menge übersteigt jedoch die in der Gerontopsychiatrie verwendete Dosierung deutlich. Hinzu kommen ein relatives hohes Interaktionspotenzial (CYP2D6-Hemmung) und eine nicht lineare Pharmakokinetik, sodass überproportional hohe Plasmaspiegel auftreten können (33). Pipamperon hat eine deutlich längere Halbwertszeit als Melperon (17–22 h im Vergleich zu 6–8 h), was zu Überhangsymptomen am nächsten Morgen führen kann. Davon abgesehen wird auch Pipamperon unter EKG-Kontrollen bei geringem Risiko für QTc-Verlängerung zur Sedierung bei psychomotorischer Erregung empfohlen. In der Geriatrie soll als Initialdosis die Hälfte der normalen Anfangsdosis gegeben werden.
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Tabelle 4:
Dosierungsempfehlungen für ältere Patienten mit Delir; modifiziert nach (20, 26)
Substanz Dosierung (mg/Tag) Risperidon 1 bis 2 × 0,25 bis 1
Quetiapin 1 bis 2 × 25 bis 150
Olanzapin 1 × 2,5 bis 5
Haloperidol
2 bis 4 × 0,5 bis 1 mg peroral, Peakeffekt nach 4 bis 6 Stunden, 1 × 0,5 bis 1,0 mg i.m., Peakeffekt nach 20 bis 40 Minuten
Kommentar off label use, erhöhte kardiovaskuläre Mortalität
zugelassen, vorteilhaft bei unklarer Delirursache oder unklaren Vorerkrankungen
Tabelle 5:
Dosierungsempfehlungen bei Patienten mit Depression oder mit Manie1; nach (20)
Arzneistoff
Risperidon (1. Wahl) Olanzapin Ouetiapin (2. Wahl)
Dosierung (mg) bei Depression 0,75 bis 2,25 5 bis 10 (2. Wahl) 50 bis 200
1jeweils mit psychotischen Symptomen
Dosierung (mg) bei Manie 1,25 bis 3 5 bis 15 (1. Wahl) 50 bis 250
Der Einsatz von Prothipendyl wird weniger empfohlen, da Melperon und Pipamperon besser verträglich sind. Prothipendyl zeigt ein deutlicheres Risiko für OTc-Zeit-Verlängerung und vor allem inital orthostatische Kreislaufstörungen (1). Atypische Antipsychotika wurden bei Schlafstörungen bisher kaum untersucht, werden aber in der Praxis häufig in niedriger Dosierung eingesetzt (31). In einer Studie konnten 25 mg Quetiapin subjektive und objektive Schlafparameter bei Patienten mit primärer Insomnie verbessern (35). Daten für alte Patienten liegen nicht vor. In der Praxis werden häufig Mirtazapin 7,5 bis 15 mg oder Agomelatin 25 bis 50 mg zur Verbesserung des Schlafes, gerade auch bei depressiven Patienten, eingesetzt.
Antipsychotika bei affektiven Störungen Etwa 20 Prozent aller Psychosen im Alter treten im Rahmen einer schweren depressiven Episode auf. Vor allem Frauen sind betroffen (27). Bei Depressionen mit psychotischen Symptomen sollten immer ein Antidepressivum und ein Antipsychotikum kombiniert werden. Die Monotherapie mit einem Antidepressivum ist nicht empfehlenswert. Erste Wahl ist Risperidon, danach folgen Olanzapin und Quetiapin (Tabelle 5). In einer kleinen Studie mit 24 Patienten konnte Aripiprazol (2,5 bis 15 mg) die Depression bei guter Verträglichkeit signifikant verbessern (36). Für Ziprasidon liegen keine Daten vor. Die Elektrokrampftherapie bietet eine gute Alternative, wenn die medikamentöse Therapie keine Erfolge erzielt. Der Stellenwert der Antipsychotika bei bipolaren Störungen älterer Patienten ist nur unzureichend mit Daten belegt. Insgesamt sind 0,4 Prozent der älteren Bevölkerung betroffen (3).
Tritt eine Manie erstmals im höheren Alter auf, spielt die bipolare Störung als Ursache eine untergeordnete Rolle. Differenzialdiagnostisch ist eher an eine beginnende Frontalhirndemenz oder eine medikamenteninduzierte Manie zu denken (21). Bei Manien mit psychotischem Erleben im Rahmen einer bipolaren Störung werden Risperidon oder Olanzapin in Kombination mit einem Stimmungsstabilisierer wie Valproinsäure ausdrücklich empfohlen (20). Manien ohne psychotisches Erleben und depressive Episoden im Rahmen einer bipolaren Störung sollen möglichst mit einem Stimmungsstabilisierer in Monotherapie behandelt werden. Zugelassen zur Rezidivprophylaxe manischer Episoden sind Quetiapin (Zulassung auch zur Vorbeugung depressiver Episoden), Olanzapin und Aripiprazol, wobei deren Wirksamkeit und Verträglichkeit bei älteren Patienten nicht nachgewiesen wurde. Neben Valproinsäure und Lamotrigin (hauptsächlich zur Vorbeugung depressiver Episoden) wird nur Olanzapin als Mittel der ersten Wahl empfohlen (37).
Lernen am Fallbeispiel
Frau Schneider kommt mit einem Rezept über Memantin
15 mg für ihre 83-jährige Mutter in die Apotheke. Zusätzlich
erkundigt sie sich nach einem Beruhigungs- oder Schlafmit-
tel. Ihre Mutter wandere nachts seit Neuestem immer herum.
Sie habe Angst vor fremden Personen, die in das Haus ein-
dringen, und kontrolliere ständig alle Schlösser. Den Neffen
hielt sie für einen Eindringling und wurde körperlich sehr
aggressiv. Alle Versuche, die Mutter zu beruhigen und von
ihrem Wahn abzubringen, scheiterten. Die Nachbarin habe
ein diphenhydraminhaltiges Beruhigungsmittel empfohlen.
Bei den geschilderten Beschwerden handelt es sich vermutlich
um psychopathologische Symptome im Rahmen einer De-
menzerkrankung (BPSD). Das stark anticholinerg wirkende
Diphenhydramin ist hier nicht geeignet und nicht wirksam.
Der Apotheker verweist Frau Schneider an den behandelnden
Facharzt. Frau Schneider kommt mit einem neuen Rezept in
die Apotheke. Sie erzählt, dass der Arzt ein BPSD diagnos-
tiziert und daher Olanzapinschmelztabletten (bei Schluck-
störungen) mit einer Initialdosis von 2,5 mg angesetzt habe.
Der Apotheker erklärt der Kundin, dass in der Packungs-
beilage eine höhere Anfangsdosis genannt ist, die aber für
geriatrische Patienten nicht empfohlen wird. Ausserdem
weist er sie darauf hin, dass nach drei Monaten nach Rück-
sprache mit dem Arzt ein Ausschleichversuch gestartet wer-
den sollte.
O
Kontakt für die Autoren: Prof. Dr. Kristina Leuner E-Mail: leuner@pharmtech.uni-erlangen.de
Literatur bei den Verfassern
Diese Arbeit erschien zuerst in «Pharmazeutische Zeitung» 29/2013. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autoren. Bei den genannten Wirkstoffen wurden Anpassungen an Schweizer Verhältnisse durch die ARS-MEDICI-Redaktion vorgenommen.
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