Transkript
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Praktischer Nutzen von Extraktstandardisierungen
Bei der laufenden Diskussion über mögliche Wirkunter-
Blute von Hypericum perforatum (Johanniskraut)
schiede zwischen (Ur-)Tink-
turen und standardisierten
Extrakten vertritt in der Folge
ein Fachmann der Tinkturen-
herstellung seinen Stand-
punkt. Er vertritt die Meinung,
dass zwischen dem Grad der
Standardisierung und der
Wirksamkeit eines Extraktes
kein Zusammenhang besteht.
Christoph Züllig
Fragestellung
Eingangs muss die Frage beantwortet werden, auf was sich die Standardisierung beziehen soll. Grundsätzlich können folgende Variablen standardisiert werden: N das Pflanzenmaterial N die Extrationsmethoden N die Laborwerte.
Pflanzenmaterial
Es gibt einige Hersteller, die mit ausgewähltem Saatgut eine gleichbleibende Qualität der Extrakte zu erzielen versuchen. Bodenbeschaffenheit und metereologische Bedingungen haben aber ebenfalls einen Einfluss auf die Qualität des Pflanzenmaterials. Darum kann diese Art von Stan-
dardisierung nur ein sehr beschränktes Resultat bringen. Ein schöner, warmer Sommer lässt die Pflanzen anders wachsen als ein kalter, verregneter Sommer. Ein alternativer Standpunkt ist die grundsätzliche Verwendung von Wildpflanzen. Weil man stets dort sammelt, wo die Pflanze in grossen Mengen wächst, sammelt man an Standorten, wo sich die betreffende Pflanze besonders wohl fühlt beziehungsweise gut gedeiht. Aus unserer Sicht trifft man dadurch eine positive Vorauswahl für die Qualität und damit wahrscheinlich auch für die Wirksamkeit des Pflanzenmaterials.
Extraktionsmethoden
Man kann davon ausgehen, dass innerhalb eines Pharmaunternehmens die Extraktionsmethoden standardisiert sind. Die Pharmakopöen haben in letzter Zeit bezüglich Standardisierung von Tinkturen zugelegt. Die Extraktionsmittel waren schon immer vorgegeben. Das HAB hat neu auch die Dauer der Mazeration stark eingegrenzt, damit eine möglichst gleichbleibende Qualität der Urtinkturen erzielt wird. Der Reproduzierbarkeit der Prozesse
wird immer mehr Gewicht verleiht. Mit solchen zusätzlichen Vorgaben sollen auch die Qualitätsunterschiede zwischen den einzelnen Herstellern reduziert werden. Es werden aber auch Meinungen vertreten, die Grösse der Ansätze beziehungsweise Produktionschargen hätten ebenfalls einen Einfluss auf die Qualität des Extraktes beziehungsweise der Tinktur. Dazu fehlen uns die Untersuchungsergebnisse.
Laborwerte
Für die Beurteilung der Qualität beziehungsweise der Wirksamkeit eines Extraktes sind vor allem der Trockenrückstand bei flüssigen Extrakten, das Drogen-ExtraktVerhältnis bei trockenen oder SpissumExtrakten, das Dünnschichtchromatogramm und quantitative Bestimmungen einzelner Wirksubstanzen interessant. Alle diese Parameter stellen eine Form der Standardisierung dar. Darum kann man feststellen, dass grundsätzlich alle Pharmakopöe-Tinkturen, Urtinkturen, Trockenund Spezialextrakte in unterschiedlich intensiver Dimension standardisiert sind. Bei milden Arzneipflanzen wie Kamille oder Löwenzahn, die kein eigentliches Vergiftungspotenzial haben, ist eine Standar-
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Valeriana officinalis
disierung auf Wirksubstanzen nicht von grosser Bedeutung. Bei Arzneipflanzen mit sehr starker Wirkung wie Tollkirsche (Atropin) oder Maiglöckchen (Convallatoxin) hingegen ist eine Standardisierung auf diese starken Wirksubstanzen sehr wichtig, weil sonst keine zuverlässige Dosierung möglich wäre.
Standardisierung und Wirksamkeit
Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Grad der Standardisierung und der Wirksamkeit eines Extraktes? Diese Frage ist klar zu verneinen.
Der Korrelationskoeffizient zwischen diesen beiden Parametern tendiert gegen null, weil es ganz einfach nicht möglich ist, Qualität in einen Extrakt hinein zu analysieren. Die Analyse kann nur feststellen, was im Extrakt vorhanden ist oder allenfalls fehlt. Sie verändert die Qualität des Extraktes aber nicht. Darum kann selbst eine ausgefeilte Standardisierung die Qualität des Extraktes nicht beeinflussen und so an sich auch nicht für gute Qualität bürgen.
Die sinnvolle Dosierung
Da man nun dank der Standardisierungen die wichtigsten Parameter eines Extraktes in der Regel kennt, stellt sich die sehr wichtige Frage nach der sinnvollen Dosierung für eine bestimmte Indikation beziehungsweise Wirkung. Wenn höhere Dosierung immer bessere Wirkung auslösen würde, wäre die Sachlage ziemlich einfach. Dem ist aber, vielleicht auch zum Glück, nicht so. Auf der einen Seite stehen die Vertreter der hoch dosierten Präparate. Sie isolieren aus einem Gesamtextrakt die von ihnen als besonders wirksam beurteilten Wirksubstanzen. Damit liegen sie irgendwo zwischen klassischen Phytotherapeutika und isolierten oder synthetisierten Reinsubstanzen. Sie gewinnen in gewissen Fällen an Wirkungsintensität, sie verlieren oft aber auch die gute Verträglichkeit. Auf der anderen Seite liegen die Verfechter von tiefen Dosierungen, in extremis sind
das Gaben von Dilutionsstufen D1 bis D4.
Bei Mezger (2005) gibt es für zahlreiche
Arzneipflanzen Dosierungsempfehlungen
von der Urtinktur bis D3. Das ist im Übrigen
auch ein Hinweis für den fliessenden Über-
gang von der Phytotherapie zur Homöo-
pathie. Interessanterweise variiert die Wir-
kungsweise erstaunlich wenig. Wenn das
Arzneimittel in erster Linie einen Prozess
im Körper des behandelten Patienten
auslösen soll, genügt anscheinend oft
eine reine «Informationsgabe». Das erklärt
vielleicht auch die erstaunlich gute Wir-
kung von schwach dosierten, pflanzlichen
Schmerzmitteln.
N
Anschrift des Verfassers Christoph Züllig, lic. oec. HSG Geschäftsführer Herbamed AG 9055 Bühler info@herbamed.ch
Mezger, Julius (2005) Gesichtete homöopathische Arzneimittellehre. Band 1/2. 12. Auflage. Karl F. Haug Verlag, Stuttgart.
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