Transkript
FORTBILDUNG
SERIE KOMPRESSIONSTHERAPIE
Serie: Kompressionstherapie
Kompression in der Schwangerschaft lindert Beschwerden
Die Schwangerschaft ist bei einer Frau eine Phase
des Lebens, in der sich viele Veränderungen voll-
ziehen. Einige sind für die Beinvenen relevant. Das
betrifft die erhöhte Thromboseneigung durch Hormon-
umstellung und später durch Kompression der Venen
im Bauchraum, die Erhöhung des Blutvolumens ins-
gesamt und die Dehnung der Beinvenen durch den
Einfluss der Gestagene. Bei all diesen Umständen
ist die Kompression ein wichtiges Hilfsmittel, um
Komplikationen vorzubeugen beziehungsweise
Unwohlsein zu lindern. Neuesten Erkenntnissen
zufolge scheint es so, dass die Kompression
in den ersten Monaten sogar einen positiven
Einfluss auf die Übelkeit hat.
Abbildung 1
ERIKA MENDOZA
nachlassen, ebenso aber der Tonus der Blutgefässe. Zudem wird das Blutvolumen um bis zu einen Liter
während der Schwangerschaft erhöht – somit sind die Wadenvenen schon im ersten Trimenon gut gefüllt. Kompression beugt möglicherweise schon in dieser Phase der Entwicklung von Varizen vor, die Datenlage aus Studien hierzu ist leider noch sehr dürftig. Ergebnisse einer Pilotstudie ergaben eine signifikante Verringerung der
Übelkeit und des Erbrechens im ersten Trimenon unter Kompression. Die Auswirkung der hormonellen Umstel-
lung auf das Gerinnungssystem tritt schon lange auf, bevor die ersten äusserlichen Zeichen der Schwangerschaft sichtbar sind – und somit liegt von Anfang an ein erhöhtes Thromboserisiko vor.
Erstes Trimenon Im ersten Trimenon erhöht sich der Gestagenspiegel, um zu vermeiden, dass die frisch eingenistete Frucht abgestossen wird. Das geht mit einer Entspannung der unfreiwilligen Muskulatur einher, sodass die Kontraktionen des Uterus
Merksätze
O Kompressionskniestrümpfe sind während der gesamten Schwangerschaft zum Vorbeugen einer Thrombose sinnvoll.
O Die so häufig auftretenden Ödeme im zweiten und dritten Trimenon können durch Kompressionskniestrümpfe gut gelindert werden.
O Wünscht die Schwangere eine Strumpfhose, gibt es spezielle Modelle, deren Bauchumfang sich anpassen lässt.
O Bei Varizen im Genitalbereich gibt es eigens konzipierte «Bodies», die die Beschwerden gut lindern.
Zweites Trimenon Üblicherweise beginnen in diesem Trimenon die schwangerschaftsinduzierten Ödeme, denen mit Kompression gut begegnet werden kann.
Drittes Trimenon Das Kind ist gross und wächst weiter, senkt sich zum Schluss der Schwangerschaft und komprimiert dabei die V. iliaca beidseits (Abbildung 1). Zu der oben beschriebenen Volumenüberlastung, der hormonbedingten Gefässweitung und den Ödemen kommt dann ein mechanisches Abflusshindernis für das Blut im Retroperitonealraum. Die Kompression ist daher besonders im letzten Trimenon eine Entlastung für die Venen und die Lymphe – auch wenn das nie in Studien belegt wurde. Lediglich in einer Studie wurde gezeigt, dass der Venendurchmesser bei Schwangeren im dritten Trimenon deutlich über dem nach Entbindung liegt (1). Im dritten Trimenon stellt sich eine gewisse Kurzatmigkeit ein, ebenso eine Trägheit bei der Anpassung des Kreislaufs an orthostatische Änderungen. Nachgewiesen ist die positive Wirkung der Wadenkompressionsstrümpfe auf die Tachykardie nach dem Aufrichten (Orthostasebeschwerden), die Frauen während der Schwangerschaft besonders in diesem letzten Drittel erleiden (Abbildung 2).
ARS MEDICI 19 I 2013
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SERIE KOMPRESSIONSTHERAPIE
Schläge/min. 150
140 MHF = mütterliche Herzfrequenz
FHF = fetale Herzfrequenz
130
NS p = 0,02
120 p = 0,002
110 p = 0,0001
139 140 143 140
100
NS
90 89
80
100 89
94
MHF Rückenlage MHF aufrecht
FHF Rückenlage
FHF aufrecht
ohne medizinischen Kompressionsstrumpf mit medizinischem Kompressionsstrumpf
Abflusshindernis im retroperitonealen Bereich. Kompressionsstrümpfe sind anerkannte Prophylaxehilfsmittel bei Thrombosegefahr. Zur Prophylaxe der Thrombose während der Schwangerschaft gibt es ausreichend Studien, die die Wirksamkeit der Kompression auch in dieser Phase belegen.
Varikose in der Schwangerschaft In einer kleinen Serie konnte gezeigt werden, dass sich bereits sichtbare Venen unter der Schwangerschaft stärker ausbilden beziehungsweise dass auch neue sichtbare Venen auftreten, die sich jedoch nach der Entbindung sehr häufig wieder deutlich zurückbilden (Abbildung 4). Das entspricht auch der täglichen klinischen Erfahrung.
Abbildung 2: Ein medizinischer Kompressionsstrumpf von 25 mmHg konnte den Pulsanstieg beim Aufrichten weitgehend verhindern, bei der Schwangeren wie beim Föten (nach 2).
Abbildung 3: Eine Varikose der Vulva wird nicht selten erstmals während einer Schwangerschaft manifest.
Abbildung 4: Typische Schwangerschaftsvarikose
Kindbett Die hormonellen Umstellungen der Schwangerschaft enden nicht nach der Entbindung, sondern nach dem sogenannten Kindbett. Das ist die Zeit sechs Wochen nach der Entbindung. Zwar ist die Volumenüberlastung und die Kompression der Gefässe kein Problem mehr, die erhöhte Thromboseneigung jedoch liegt unverändert vor.
Vulva-Varizen Einige Frauen, besonders Multipara, entwickeln während der Schwangerschaft sehr unangenehme und mitunter stark gefüllte Varizen in den Schamlippen (Abbildung 3). Sie können sogar ein Hinsetzen zum Akrobatenakt werden lassen, das nur auf Schwimmringen möglich ist. Kompressionsstrumpfhosen weisen keinen ausreichenden Druck im Genitalbereich auf und sind daher weder vorbeugend noch therapeutisch ausreichend. Sehr hilfreich ist hier der sogenannte Gravibody®, ein Body, der mit Schlingen über den Rücken einen guten Gegendruck in der Genitalgegend aufbaut.
Thrombose in der Schwangerschaft Während der gesamten Schwangerschaft liegt ein erhöhtes Thromboserisiko vor. Einmal durch die hormonelle Umstellung, im letzten Drittel auch durch das oben beschriebene
Strumpfmodelle
Zur Vorbeugung der Thrombose, Therapie der Ödeme, Lin-
derung der Übelkeit und Behandlung der orthostatischen Be-
schwerden reicht ein Kompressionskniestrumpf aus. Liegen
Krampfadern auch am Oberschenkel vor, wird der Schenkel-
strumpf oder eine Strumpfhose, bei der der Bauchumfang
mitwächst («Materna»), sinnvoller sein. Bei Vulva-Varizen
(s.o.) ist der Body die einzig sinnvolle Variante.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Schwanger-
schaft einige Folgen hat, denen mit Kompression begegnet
werden kann: Venenwanddehnung, Ödembildung, Throm-
boseneigung. Es gibt, abgesehen von der Wirkung des Kom-
pressionsstrumpfes als Thromboseprophylaxe, erstaunlich
wenig Studien, die die Wirksamkeit der Kompression auf
Ödem, Varizenbildung und Beschwerden in der Schwanger-
schaft belegen. In der täglichen klinischen Praxis ist diese
Wirkung jedoch sehr eindeutig.
O
Dr. med. Erika Mendoza Fachärztin für Allgemeinmedizin, Vorsitzende der dt. Gesellschaft für CHIVA, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Dt. Gesellschaft fur Phlebologie Wunstorf, Deutschland E-Mail: Erika.mendoza@t-online.de
Interessenkonflikte: keine
Literatur: 1. Karl C et al.: Der Einfluss der Schwangerschaft auf das Beinvenensystem, Phlebol
1994; 23: 180–185. 2. Austrell C et al.: Maternal and Fetal Haemodynamics durig late pregnancy: Compres-
sion Hosiery treatment, Phlebol 1993; 8:155–157.
Dieser QR-Code führt zur Broschüre «Kompressionstherapie im Überblick» (Sigvaris).
Im Rahmen dieser Serie, die auf Anregung der Firma Sigvaris entstand, kommen verschiedene Experten zu Wort. Deren Angaben dienen als Hilfestellung fur die Therapieentscheidung, basierend auf der aktuellen Studienlage und Erfahrungswerten aus der Praxis.
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