Transkript
STUDIE REFERIERT
SERM senken Brustkrebsinzidenz
Präventiver Effekt selektiver Östrogenrezeptormodulatoren geht mit erhöhtem Thrombembolierisiko einher
In einer Metaanalyse waren selektive Östrogenrezeptormodulatoren (SERM) bei Frauen mit hohem oder mittlerem Brustkrebsrisiko mit einer signifikanten Reduzierung des Risikos im Vergleich zu Plazebo verbunden. Das Risiko für vertebrale Frakturen wurde ebenfalls gesenkt. Allerdings kam es unter allen SERM häufiger zu thromboembolischen Ereignissen, und unter Tamoxifen wurde ein erhöhtes Risiko für Endometriumkarzinome beobachtet.
Im Jahr 2003 wurden die Ergebnisse im frühen Follow-up der Präventionsstudien zu Tamoxifen und Raloxifen in einer Metaanalyse zusammengefasst. Hier zeigte sich, dass Tamoxifen das Risiko für Östrogenrezeptor (ER-)positiven Brustkrebs um 48 Prozent reduzierte. Im Hinblick auf ER-negativen Brustkrebs wurde dagegen keine positive Wirkung beobachtet. Jack Cuzick vom Wolfson Institute of Preventive Medicine, London, und seine Arbeitsgruppe aktualisierten die Metaanalyse und ergänzten sie mit Kurzzeitergebnissen zu Lasofoxifen (nicht im AK der Schweiz) und Arzoxifen (nicht im AK der Schweiz) (1).
THE LANCET
In Studien zur adjuvanten Hormontherapie wurde unter Tamoxifen (Novaldex®, Tamec® und Generika) eine signifikante Reduzierung kontralateraler Mammakarzinome beobachtet. Studien mit anderen selektiven Estrogenrezeptormodulatoren (SERM) zur Frakturprävention bei Osteoporosepatientinnen weisen ebenfalls auf einen präventiven Effekt im Hinblick auf Brustkrebs hin (1).
Merksätze
O Mit selektiven Östrogenrezeptormodulatoren (SERM) kann das Brustkrebsrisiko gesenkt werden.
O SERM reduzieren das Risiko für vertebrale Frakturen.
O Unter SERM nimmt das Risiko für thromboembolische Ereignisse zu.
O Tamoxifen ist mit einem erhöhten Risiko für Endometriumkrebs verbunden.
Methoden Die Autoren führten eine Metaanalyse zu 8 Präventionsstudien durch, in denen Tamoxifen (4 Studien), Raloxifen (Evista®, 2 Studien), Arzoxifen (1 Studie) und Lasofoxifen (1 Studie) im Vergleich zu Plazebo untersucht worden waren. In einer weiteren Studie hatten Wissenschaftler Tamoxifen und Raloxifen bei Frauen mit erhöhtem Brustkrebsrisiko verglichen. Als primäreren Endpunkt ihrer Metaanalyse definierten die Autoren die Inzidenz aller Brustkrebsarten – inklusive duktaler Karzinome in situ – über einen Beobachtungszeitraum von 10 Jahren. Zu den sekundären Endpunkten gehörten die Inzidenz anderer Krebsarten, venöse thromboembolische Ereignisse, Frakturen und die Gesamtsterblichkeit. Die Analyse erfolgte nach dem Intention-to-Treat-Prinzip (1).
Ergebnisse Im Rahmen ihrer Untersuchung werteten die Wissenschaftler die Daten von 83 399 Frauen mit einer Beobachtungszeit von 306 617 Frauenjahren aus. Das durchschnittliche Follow-up be-
trug 65 Monate (Interquartilsabstand, «interquartile Range» [IQR]: 54–93). Über den gesamten Zeitraum von 10 Jahren beobachteten die Wissenschaftler eine Reduzierung der Brustkrebsinzidenz um 38 Prozent (Hazard Ratio [HR]: 0,62; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,56–0,69). Um eine Brustkrebserkrankung innerhalb von 10 Jahren zu verhindern, mussten 42 Frauen behandelt werden. Die geschätzte kumulative Brustkrebsinzidenz über 10 Jahre betrug 6,3 Prozent in den Kontrollgruppen und 4,2 Prozent in den SERM-Gruppen. In den ersten 5 Jahren war die Reduzierung der Brustkrebsinzidenz mit 42 Prozent (HR: 0,58; KI: 0,51–0,66; p < 0,0001) stärker ausgeprägt als in den Jahren 5 bis 10, in denen eine Reduzierung um 25 Prozent (HR: 0,75; KI: 0,61–0,93; p < 0,007) beobachtet wurde. Die Häufigkeit an invasivem ER-positivem Brustkrebs verringerte sich im Beobachtungszeitraum von 4,0 Prozent auf 2,1 Prozent (p < 0,0001). Bei ausschliesslicher Betrachtung des ER-positiven Mammakarzinoms betrug die NNT («number needed to treat») 53 Frauen. Die Inzidenz duktaler Karzinome in situ wurde mit SERM um 31 Prozent (p = 0,006) reduziert, wobei sich die Wirksamkeit der Substanzen unterschied. In Studien zu Tamoxifen beobachteten die Wissenschaftler eine Reduzierung um 38 Prozent, unter Raloxifen wurde dagegen keine Reduzierung dieser Brustkrebsart festgestellt. Zu den Effekten von Lasofoxifen und Arzoxifen waren im Hinblick auf duktale Karzinome in situ zu wenige Informationen für eine Auswertung vorhanden. Die Mortalität wurde in keiner Studie als Endpunkt definiert, und bei keinem SERM wurden Auswirkungen bezüglich der Gesamtsterblichkeit beobachtet. In den meisten Studien waren keine Daten zu Todesursachen vorhanden. In den Studien zu Tamoxifen traten insgesamt 59 Todesfälle ein. Hier stellten die Wissenschaftler im Hinblick auf die brustkrebsbedingte Mortalität keinen Unterschied zu Plazebo fest. Unter Tamoxifen kam es im Vergleich zu Plazebo zu einer höheren Anzahl an Endometriumkarzinomen (2,18; 1,39– 3,42; p = 0,001). Dieser Anstieg wurde in den ersten 5 Jahren beobachtet, in ARS MEDICI 18 I 2013 915 STUDIE REFERIERT den Jahren 5 bis 10 nicht mehr. In den Studien zu Raloxifen zeigte sich dagegen keine Zunahme der Inzidenz an Endometriumkrebs (1,09; 0,74–1,62; p = 0,7). Im Zusammenhang mit Lasofoxifen war die Datenlage für eine entsprechende Auswertung nicht ausreichend, und unter Arzoxifen wurde eine 2,3-fache Zunahme (2,26; 0,70–7,32; p = 0,2) der Inzidenz des Endometriumkarzinoms beobachtet. Unter allen SERM war die Anzahl thromboembolischer Ereignisse im Vergleich zu Plazebo signifikant erhöht (Odds Ratio [OR]: 1,73; 95%-KI: 1,47–2,05; p < 0,0001). Bei der Evaluierung des Frakturrisikos beobachteten die Forscher eine signifikante Reduzierung vertebraler Frakturen um 34 Prozent (0,66; 0,59–0,73), jedoch nur einen geringfügig günstigen Effekt im Hinblick auf nicht vertebrale Frakturen (0,93; 0,87–0,99) (1). Diskussion Aus der aktualisierten Metaanalyse geht hervor, dass SERM das Brustkrebsrisiko bei Frauen mit hohem oder mittlerem Risiko, die nicht an Brustkrebs erkrankt sind, senken. Dies ist vor allem auf eine Reduzierung der Inzidenz an ER-positivem invasivem Brustkrebs zurückzuführen. Im Hinblick auf ER-negativen Brustkrebs wurde dagegen kein positiver Effekt beobachtet. Bis auf Raloxifen zeigten alle SERM auch eine Wirkung zur Prävention duktaler Karzinome in situ (1). Der Nutzen der SERM zur Prävention von Brustkrebs zeigte sich während des Behandlungszeitraums und auch danach. Die Reduzierung ER-positiver invasiver Tumoren in den Jahren 5 bis 10 wurde jedoch hauptsächlich in den Studien zu Tamoxifen und Raloxifen beobachtet. Nach Ansicht der Autoren sind weitere Langzeituntersuchungen erforderlich, um herauszufinden, wie lange der protektive Effekt dieser beiden Substanzen anhält und ob auch bei Lasofoxifen und Arzoxifen ein entsprechender Langzeitnutzen beobachtet werden kann. Die Autoren fanden keine Hinweise auf eine Auswirkung der SERM bezüglich der brustkrebsspezifischen Mortalität oder der Gesamtsterblichkeit. Auch hierzu sind ihrer Meinung nach weitere, langfristigere Untersuchungen erforderlich. Trotz der Wirksamkeit ist die präventive Anwendung der SERM von Frauen mit hohem Brustkrebsrisiko und den behandelnden Ärzten nach Einschätzung der Autoren derzeit nicht breit akzeptiert. Ursachen für die mangelnde Akzeptanz sehen sie in Bedenken im Hinblick auf Toxizitäten und der Erwartung eines ungünstigen Verhältnisses von Nutzen und Risiken. Da sich in den Langzeitergebnissen jedoch ein günstigeres Sicherheitsprofil als bei kürzeren Untersuchungen zeigte, sollte die Untersuchung dieser Substanzen, vor allem von Lasofoxifen, fortgesetzt werden, resümieren die Forscher (1). Kommentar Im Editorial weist Anthony Howell vom University Hospital of South Manchester darauf hin, dass Jack Cuzick und sein Team in ihrer Metaanalyse die Ergebnisse aus mehr als einem Vierteljahrhundert Forschung präsentieren (2). Basierend auf den Ergebnissen der SERM-Studien wird in aktuellen Richtlinien des National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) empfohlen, prämenopausalen Frauen mit einem Brustkrebsrisiko über die Lebenszeit von 30 Prozent oder mehr (Risiko in der Allgemeinbevölkerung: 10–12%) eine Prävention mit Tamoxifen anzubieten. Postmenopausalen Frauen kann Tamoxifen oder Raloxifen angeboten werden. Für Frauen mit einem moderat erhöhten Risiko (> 17 bis < 30%) sollte die Prävention zumindest in Erwägung gezogen werden. In einer Studie zum Nutzen-RisikoProfil von Tamoxifen und Raloxifen zeigte sich, dass das Verhältnis von Nutzen und Risiken mit dem Alter, dem Brustkrebsrisiko und dem Vorhandensein des Uterus in Zusammenhang steht. Raloxifen war vor allem bei Frauen mit Uterus von Nutzen, da diese Substanz nicht das Risiko für Endometriumkarzinome erhöht, während Tamoxifen sich als etwas vorteilhafter für Frauen ohne Uterus erwies. Ein substanzieller Aspekt der aktualisierten Metaanalyse bestand in der Abschätzung der Langzeiteffekte der SERM. Einige Studien wurden jedoch bereits bei oder vor Ende des 5-jährigen Behandlungszeitraums beendet. Dieser frühzeitige Abbruch schliesst nach Ansicht des Kommentators nicht nur die Gewinnung von Daten für Langzeitrisiken, sondern auch die Erfassung des Langzeitnutzens aus. Ursache der kur- zen Beobachtungszeiträume sind vor allem die Kosten. Zudem kann eine verblindete Fortführung in den USA aus ethischen Gründen problematisch sein, da die Food and Drug Adminis- tration (FDA) Tamoxifen bereits zur Prävention zugelassen hat, als die Er- gebnisse des Breast Cancer Prevention Trial vorlagen. Dennoch ist Howell der Meinung, dass die unangemessenen Be- obachtungszeiträume in vielen Studien nicht dem besten Interesse der kli- nischen Wissenschaft und der Teilneh- merinnen entsprechen. Aus den Daten einer Langzeitstudie zu Tamoxifen geht hervor, dass der präventive Effekt bis zu einem Zeitraum von 10 Jahren zu- nimmt, selbst wenn die Behandlung nach 5 Jahren beendet wurde. Eine ähnliche Fortsetzung der Effektivität von Tamoxifen wurde nach einem Fol- low-up von 15 Jahren bei der Anwen- dung zur Prävention von Brustkrebs- rezidiven beobachtet (2). O Petra Stölting Quellen: 1. Cuzick J et al.: Selective oestrogen receptor modula- tors in prevention of breast cancer: an updated metaanalysis of individual participant data. Lancet 2013; 381(9880): 1827–1834. 2. Howell A, Evans DG: Breast cancer prevention: SERMs come of age. Lancet 2013; 381 (9880): 1795–1797. Interessenkonflikte: 1. Einer der 16 Autoren hat Gelder von AstraZeneca für die Studien zur Chemoprävention erhalten. Zwei weitere waren oder sind Angestellte oder Teilhaber von Eli Lilly. 2. Keine deklariert. 916 ARS MEDICI 18 I 2013