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STUDIE REFERIERT
Pränatale Eisensubstitution nützt Mutter und Kind
Aus einem systematischen Review mit Metaanalyse geht hervor, dass eine Eisensubstitution bei Anämie während der Schwangerschaft mit einer Verbesserung des Hämoglobinstatus der Mutter sowie mit einer Erhöhung des Hämoglobinspiegels beim Ungeborenen und einem reduzierten Risiko für ein niedriges Geburtsgewicht verbunden ist.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Eisenmangel ist weltweit die häufigste ernährungsbedingte Mangelerscheinung und zudem die häufigste Ursache einer Anämie in der Schwangerschaft. Zu den weiteren Ursachen einer Anämie gehören parasitäre Erkrankungen wie Malaria, Hakenwurminfektionen oder Schistosomiasis sowie ein Mangel an Mikronährstoffen wie Folsäure, Vitamin A oder Vitamin B12 und genetisch bedingte Hämoglobinopathien wie die Thalassämie (1).
Merksätze
O Die tägliche Einnahme von Eisen während der Schwangerschaft verbessert den Hämoglobinstatus der Mutter.
O Die pränatale Eisenapplikation erhöht in einer linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung das Geburtsgewicht des Kindes.
O Eine pränatale Eisenzufuhr verringert das Risiko für ein geringes Geburtsgewicht.
Nach Schätzungen der Nutritional Impact Model Study aus dem Jahr 2011 litten zu diesem Zeitpunkt weltweit 38 Prozent aller schwangeren Frauen (32 Mio.) an einer Anämie. Aufgrund der dauerhaft hohen Krankheitslast empfiehlt die World Health Organisation (WHO) in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen seit Langem eine pränatale Eisensubstitution, und in vielen Ländern mit hohem Einkommen wird dies ebenfalls empfohlen. In älteren Reviews zu Beobachtungsstudien zeigte sich eine Verbindung zwischen einer pränatalen Anämie und dem Risiko für eine Frühgeburt, die Evidenz für weitere Ergebnisse war inkonsistent. In einem Cochrane-Review zur pränatalen Eisensubstitution wurde jedoch keine Evidenz im Hinblick auf eine Reduzierung des Risikos eines geringen Geburtsgewichts und einer vorzeitigen Geburt beobachtet. Aufgrund der widersprüchlichen Ergebnisse untersuchten amerikanische Wissenschaftler nun in einem neuen Review mit Metaanalyse die Evidenz zur Verbindung einer Eisengabe bei Anämie während der Schwangerschaft mit dem mütterlichen Hämoglobinstatus und den Schwangerschaftsergebnissen. Ergänzend evaluierten sie die Expositions-Wirkungs-Assoziation zwischen der Dosierung und der Dauer der Eisenapplikation (mit und ohne Folat) mit der pränatalen Hämoglobinkonzentration des Kindes und dem Geburtsgewicht, dem Risiko für ein niedriges Geburtsgewicht und dem Risiko für eine Frühgeburt (1).
Methoden Der systematische Review wurde entsprechend den Methoden der Cochrane Collaboration durchgeführt. Im Rahmen ihrer Metaanalyse werteten die Autoren randomisierte Studien und prospektive
Kohortenstudien aus dem Zeitraum von 1966 bis 2012 aus. Querschnittsstudien, Fallkontrollstudien und quasirandomisierte Studien wurden nicht in die Untersuchung einbezogen (1). Eine Anämie lag definitionsgemäss bei Hämoglobinwerten von < 110 g/l, ein Eisenmangel bei Serumferritinwerten von < 12 µg/l und eine Eisenmangelanämie bei Hämoglobinwerten von < 110 g/l und Serumferritinwerten von < 12 µg/l vor. Um eine vorzeitige Geburt handelte es sich bei weniger als 37 Wochen Schwangerschaftsdauer und um ein niedriges Geburtsgewicht bei weniger als 2500 g (1). Ergebnisse Die Wissenschaftler schlossen 48 randomisierte Studien (17 793 Frauen) zur pränatalen Eisensubstitution ein. Von diesen wurden 27 (4861 Frauen) in Ländern mit hohem Einkommen und 21 (12 932) in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen durchgeführt. Des Weiteren werteten die Autoren 44 prospektive Kohortenstudien (1 851 682 Frauen) zur pränatalen Anämie aus, von denen 22 (650 126 Frauen) in Ländern mit hohem Einkommen und 22 (1 201 556 Frauen) in Ländern mit niedrigem Einkommen durchgeführt worden waren (1). In den randomisierten Studien erhöhte die Eisensubstitution die Hämoglobinkonzentration der Mutter durchschnittlich um 4,59 g/l (95%-Konfidenzintervall [KI]: 3,72–5,46 g/l) im Vergleich zu Kontrollpersonen. Zudem reduzierte die tägliche Einnahme von Eisen signifikant das Risiko für eine Anämie (relatives Risiko [RR]: 0,50; 0,42–0,59) für Eisenmangel (0,59, 0,46–0,79), für Eisenmangelanämie (0,40; 0,26–0,60) und für ein geringes Geburtsgewicht (0,81; 0,71–0,93). Positive Auswirkungen der Eisensubstitution im Hinblick auf die Reduzierung des Risikos für eine Frühgeburt waren erkennbar, jedoch nicht signifikant (0,84; 0,68–1,03). In der Analyse der Kohortenstudien zeigte sich bei einer Anämie der Mutter im 1. und 2. Trimester ein signifikant erhöhtes Risiko für ein geringes Geburtsgewicht (adjustierte Odds Ratio: 1,29; 1,09–1,53) und eine vorzeitige Geburt (1,21; 1,13–1,30). Die Analyse des dosisbezogenen Ansprechens ergab, dass für jede Erhöhung 912 ARS MEDICI 18 I 2013 STUDIE REFERIERT der Eisendosierung um 10 mg/Tag bis zu 66 mg/Tag das relative Risiko für eine Anämie der Mutter jeweils bei 0,88 (0,84–0,92) lag (p < 0,001 für einen linearen Trend). Das Geburtsgewicht des Kindes nahm bei jeder Erhöhung der Eisendosis um 10 mg/Tag um durchschnittlich 15,1 g (6,0–24,2 g) zu (p = 0,005 für einen linearen Trend), und das Risiko für eine Frühgeburt reduzierte sich um 3 Prozent (RR: 0,97; 0,95–0,98; p < 0,001 für einen linearen Trend) bei jeder Erhöhung der täglichen Eisendosis um 10 mg. Die Dauer der Eisensubstitution war nach Abgleich mit der Dosierung nicht signifikant mit den Schwangerschaftsergebnissen assoziiert. Bei jeder Zunahme der Hämoglobinkonzentration um 1 g/l im Serum des Kindes nahm das Geburtsgewicht durchschnittlich um 14 g (6,8–21,8 g) zu (p = 0,002 für einen linearen Trend). Der durchschnittliche Hämoglobinspiegel an sich war jedoch nicht mit einem Risiko für ein geringes Geburtsgewicht und eine Frühgeburt verbunden. Im Hinblick auf Effekte der Eisensubstitution bezüglich der Dauer der Schwangerschaft, einer zu kleinen Körpergrösse im Verhältnis zur Schwangerschaftsdauer und der Körperlänge bei der Geburt fanden die Autoren keine Evidenz (1). Fazit und Diskussion Insgesamt kamen die Autoren zu dem Schluss, dass eine tägliche Eisensubstitution in der Schwangerschaft in einer linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung zu einer Erhöhung des Geburtsgewichts führt und somit das Risiko für ein geringes Geburtsgewicht sinkt (1). Als Stärke ihrer Untersuchung erachten die Wissenschaftler, dass es sich um die erste Metaanalyse handelt, in der Zusammenhänge zwischen der Dosierung und der Dauer der Eisensubstitution und der Hämoglobinkonzentration, dem Geburtsgewicht sowie dem Risiko eines geringen Geburtsgewichts untersucht wurden. Als weitere Stärke werten sie, dass der Effekt von Eisen als Einzelsubstanz und von Eisen in Kom- bination mit Folat evaluiert wurde. Zudem untersuchten sie die Wirkungen der täglichen Eiseneinnahme in zuvor definierten Untergruppen und führten Sensitivitätsanalysen durch, um die Auswirkungen der methodischen Qualität der Studien auf die Effektgrössen erfassen zu können. Die Autoren machen aber auch auf Limitationen ihrer Untersuchung aufmerksam. Die Verbindung zwischen der Eisengabe und einigen klinischen Ergebnissen wie Totgeburten oder der neonatalen und perinatalen Mortalität konnte aufgrund einer unzureichenden Datenlage nicht evaluiert werden. Auch zur Anreicherung von Eisen bei schwangeren Frauen konnten die Wissenschaftler aufgrund zu weniger Studien keine separate Metaanalyse durchführen. Die Ergebnisse legen nach Ansicht der Autoren nahe, dass eine Eisensupplementation bei schwangeren Frauen als präventive Strategie zur Verbesserung des Hämoglobinstatus der Mutter und zur Erhöhung des Geburtsgewichts von ARS MEDICI 18 I 2013 913 STUDIE REFERIERT Nutzen sein kann. Nach Meinung der Autoren sollten vor allem die Gesundheitsversorgungsprogramme einkommensschwacher Länder entsprechend evaluiert und nachgebessert werden (1). Kommentar Alexander Krafft von der Universitätsklinik Zürich kommentiert Studie und Ergebnisse in derselben Ausgabe des «BMJ». Zunächst macht er darauf aufmerksam, dass bei Schwangeren und bei Frauen im gebärfähigen Alter meist eine Eisensupplementierung erforderlich ist, da selbst bei optimaler Ernährung die Aufnahme der in der Schwangerschaft notwendigen 1 bis 2 g/Tag nicht erreicht wird. In CochraneReviews und anderen Metaanalysen wurde lange Zeit der Schluss gezogen, dass eine Eisensupplementierung zwar Anämie und Eisenmangel vorbeugt, jedoch im Hinblick auf neonatale Ergebnisse wie ein geringes Geburtsgewicht, eine verzögerte Entwicklung oder eine vorzeitige Geburt weder mit Nutzen noch mit Schaden verbunden ist (2). Haider und Kollegen konnten anhand ihres umfassenden Reviews nun jedoch zeigen, dass pränatales orales Eisen bei der Mutter signifikant das Risiko für Anämie, Eisenmangel und Eisenmangelanämie reduziert und zudem das Risiko für ein geringes Geburtsgewicht des Kindes senkt. In Richtlinien, Präventions- und Behandlungsprogrammen werden bezüglich der Dosis und des Verabreichungswegs widersprüchliche Empfehlungen gegeben. Aus den Dosis-WirkungsAnalysen von Haider und seinem Team geht nun jedoch eindeutig ein linearer Rückgang der Anämie mit steigender Eisendosierung bis zu Dosen von 66 mg pro Tag hervor, was etwa der von der WHO empfohlenen Standarddosis von 60 mg pro Tag entspricht. Zudem sind höhere Eisendosen mit linearen Anstiegen des pränatalen Hämoglobins und des Geburtsgewichts sowie einem reduzierten Risiko für ein geringes Geburtsgewicht verbunden. Die tägliche Einnahme einer Eisentablette während der Schwangerschaft könnte somit indirekt zu einer Reduzierung der perinatalen, neonatalen oder maternalen Morbidität und Mortalität beitragen. Nach langen Jahren der Suche nach einer besseren Evidenz im Hinblick auf den Nutzen einer Eisensupplementierung in der Schwangerschaft wurde der Cochrane-Review im Dezember 2012 unter Vorwegnahme der jetzt von Haider und Kollegen bestätigten Schlussfolgerungen überarbeitet (2). O Petra Stölting Quelle: 1. Haider BA et al.: Anaemia, prenatal iron use, and risk of adverse pregnancy outcomes: a systematic review and meta-analysis. BMJ 2013; 346: f3443. 2. Krafft A: Iron supplementation in pregnancy. BMJ 2013; 346: f4399. Interessenkonflikte: Sowohl für 1. als auch für 2. keine deklariert. 914 ARS MEDICI 18 I 2013