Transkript
EDITORIAL
Das Frage ist nicht neu: Kann man Teilzeit arbeiten und trotzdem eine gute hausärztliche Betreuung gewähr-
leisten? Die Frage stellte kürzlich wieder mal eine Patientin, die ihre Gynäkologin (ihre «Hausärztin» in Sachen Frauenkrankheiten) wegen Hormonstörungen aufsuchte. Unter dem verordneten Hormonpräparat entwickelte die Patientin massive Sehstörungen – gänzlich verschieden von dem ihr bekannten Skotom bei Migräne. Die Packungsbeilage war eindeutig: Sehstörungen – ein zwingender Grund zum Absetzen des Medikaments. Aber durfte sie das einfach so? Der Anruf in der Praxis brachte keine Klarheit; die Gynäkologin, Teilzeit arbeitend wie alle in der Gruppenpraxis, war nicht anwesend. Die
Was heisst eigentlich optimale hausärztliche Betreuung? Die klassisch einzelkämpferischen Hausärzte lebten (und leben) es: nebst Empathie und breiter Ausbildung vor allem (fast jederzeitige) Verfügbarkeit. Sehr anspruchsvoll. Und unbequem. Aber, tja nun, es gibt Berufe, die sind körperlich anstrengend, es gibt andere, die sind psychisch belastend, und es gibt solche, die sind psychisch und sozial fordernd. Zum Beispiel der Beruf des Hausarztes. Passt nicht mehr in unsere Zeit, in der eine ausgeglichene Work-Life-Balance (des Arztes bzw. der Ärztin und des Partners bzw. der Partnerin) über alles geht. Nun, man kann den Zeitgeist nicht ändern. Teilzeitarbeit, persönliche Entfaltung, Zeit für die Familie, kurz: eine optimierte Work-Life-Balance kommt heute sogar noch vor einem optimierten Einkommen. Irgendwie sympathisch. Irgendwie. Auch wenn das oftmals bedeutet, sich den lästigen und zugegeben manchmal überbordenden Ansprüchen der Patienten
Ausgeglichene Work-Life-Balance und Patienten
Praxisassistentin: «Frau Doktor ruft sie nächste Woche zurück, nehmen Sie die Tabletten bis dahin weiter.» Eine unbefriedigende Auskunft, die ein paar unsichere Tage verhiessen. Zum Glück gab’s noch den «richtigen» Hausarzt, der die Patientin am Telefon beruhigte und zum Absetzen riet. Wenige Wochen später: andere Praxis, ähnliche Probleme. Patientin A. ist beunruhigt, sie hat einen Knoten in ihrer Brust entdeckt. Die Ärztin palpiert das Knötchen, die Biopsie wird wenige Tage später durchgeführt. Danach hört Frau A. nichts mehr. Als sie sich nach dem Befund erkundigt, erhält sie telefonisch die Auskunft: Frau Doktor sei in den Ferien, aber sie (die Patientin) habe ja einen Termin am … (ca. drei Wochen später), da werde alles besprochen. Die verängstigte Patientin macht ein paar schlimme Wochen durch. Der Befund der Biopsie ist zum Glück negativ: ein benignes Fibrom oder so. Die Erleichterung über die gute Nachricht ist schliesslich grösser als der Ärger über ihre Ärztin. Frau A. sagt nichts.
diskret zu entziehen. Sympathisch und verständlich, aber … man sollte die Folgen ehrlich ansprechen: Es mag den Ärztinnen und Ärzten besser gehen – was ihnen gegönnt sei –, die medizinische Versorgung der Patienten jedoch verschlechtert sich. Nicht in technischen und fachlichen Belangen, aber im Hinblick auf das, was – wie gesagt – den guten Hausarzt seit jeher ausmachte: Verfügbarkeit des immer gleichen Ansprechpartners. Sicher, ein Teil der Auswirkungen einer ausgeglichenen ärztlichen Work-Life-Balance lässt sich in gemanagten Praxen durch eine bessere Organisation und innovative Zusammenarbeitsmodelle lösen. Halbwöchentliche Abwesenheiten ohne ausreichende Information eines Praxispartners beziehungsweise einer Praxispartnerin, begleitet von Vertröstungen auf später durch die Vollzeit arbeitende Praxisassistentin, allerdings gehen auf Kosten der Patienten. Ob so die Zukunft einer überwiegend femininen und ausbalancierten Hausarztmedizin aussieht?
Richard Altorfer
ARS MEDICI 17 I 2013
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