Transkript
ARGUS PHARMAKOTHERAPIE
Berichte, Studien, Innovationen
Zweitlinientherapie des nicht kleinzelligen Bronchialkarzinoms
Tyrosinkinasehemmer stellt zielgerichtete Therapieoption bei definiertem Patientenkollektiv mit NSCLC dar
Bei Patienten mit einem fortgeschrittenen oder metastasierten nicht kleinzelligen Bronchialkarzinom (NSCLC), die zudem im Tumor eine bestimmte Gentranslokation aufweisen, verlängert eine Zweitlinientherapie mit dem Tyrosinkinasehemmer Crizotinib das progressionsfreie Überleben wirksamer als eine Standardchemotherapie. Das zeigte eine kürzlich veröffentlichte prospektive, randomisierte Phase-IIIStudie.
NEW ENGLAND JOURNAL OF MEDICINE
plastischen Lymphomkinase (ALK) zu häufen.
Studiendesign In der aktuellen Studie hatten 347 Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem ALK-positivem Bronchialkarzinom nach einer platinbasierten Erstlinientherapie entweder den Tyrosinkinasehemmer Crizotinib (n = 173) in einer Dosierung von 250 mg 2-mal täglich oder eine intravenöse Chemotherapie mit Pemetrexed (n = 99) oder Docetaxel (n = 72) erhalten. Als primärer Endpunkt der Studie war das progressionsfreie Überleben festgelegt.
In den vergangenen Jahren hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es sich beim NSCLC um heterogene histologische und molekularbiologische Entitäten handelt, deren Therapie von spezifischen zielgerichteten Ansätzen profitiert. Insbesondere die Präsenz eines bestimmten Fusionsonkogens, das sich bei etwa 5 Prozent aller NSCLC-Patienten nachweisen lässt, geht mit höheren Ansprechraten auf den Tyrosinkinasehemmer Crizotinib einher. Zudem scheint sich bei jüngeren Patienten und Nichtrauchern dieses sogennante chromosomale Rearrangement der ana-
Merksätze
• Beim NSCLC ist heute eine Differenzierung auf der Basis histologischer und genetischer Marker des Tumors möglich.
• Crizotinib kommt für NSCLC-Patienten in Frage, die eine chromosomale Translokation im Gen der anaplastischen Lymphomkinase (ALK) aufweisen und die bereits mit einer anderen Therapie vorbehandelt sind.
Resultate Das mediane progressionsfreie Überleben betrug unter Crizotinib 7,7 Monate im Vergleich zu 3 Monaten unter der Standardchemotherapie. Patienten, bei denen unter Chemotherapie eine Progredienz festgestellt wurde, konnten in der Folge ebenfalls den Tyrosinkinasehemmer erhalten. Sekundäre Endpunkte wie Ansprechraten verdreifachten sich von 20 Prozent unter einer Chemotherapie mit Pemetrexed oder Docetaxel auf 65 Prozent unter Crizotinib. Das Gesamtüberleben war in beiden Gruppen vergleichbar und lag bei etwa 20 Monaten; in der Crizotinibgruppe wurden eine bessere Symptomlinderung und eine höhere Lebensqualität gegenüber der Kontrollgruppe erzielt.
Nebenwirkungen Die Inzidenz therapiebedingter schwerer Nebenwirkungen war mit 33 Prozent unter Crizotinib und 32 Prozent unter Chemotherapie so gut wie gleich. Die Rate aller Nebenwirkungen war in der Crizotinibgruppe höher. Im Vergleich zur Chemotherapie häufigere Nebenwirkungen mit einer Inzidenz von mindestens 5 Prozent waren Sehstörungen, Diarrhö, Übelkeit und Erbrechen, Obstipation, erhöhte Lebertransaminasen, Ödeme, Infek-
tionen der oberen Atemwege, Dysgeusie und Schwindel. Unter Chemotherapie häufiger waren hingegen Fatigue, Alopezie, Dyspnoe und Hautausschlag. Die Studienautoren weisen darauf hin, dass zwei wichtige Aspekte bei der Statistik der Nebenwirkungen nicht berücksichtigt wurden, welche möglicherweise zu diesem Ungleichgewicht bezüglich der Nebenwirkungen beigetragen haben: Zum einen war die Therapiedauer mit Crizotinib mit median 31 Wochen gegenüber 12 Wochen mit Chemotherapie wesentlich länger (bedingt durch das Cross-over von Patienten aus der Kontroll- in die Crizotinibgruppe), zum anderen führten deutlich mehr Patienten die Crizotinibtherapie auch nach Eintritt der Progredienz weiter.
Genanalyse des Tumors
Auf der Basis genetischer Marker ist heute
eine molekulare Unterscheidung von
NSCLC-Tumoren möglich. Bei etwa 5 Pro-
zent aller Patienten mit nicht kleinzelligem
Lungenkarzinom ist in den Tumorzellen ein
Rearrangement des ALK-Gens nachweis-
bar. Diese erworbene genetische Verände-
rung führt zur Überexpression von ALK,
einer Tyrosinkinase, deren Aktivierung
unter Beteiligung komplexer Signaltrans-
duktionswege zu unkontrollierter Zell-
teilung und zu einer gesteigerten Tumor-
zellproliferation führt. Eine Therapie mit
einem selektiven Tyrosinkinasehemmer
scheint daher bei diesen Patienten ein viel-
versprechender Ansatz, schreiben Onkolo-
gen vom Massachusetts General Hospital.
Beim fortgeschrittenen/metastasierten nicht
kleinzelligen Bronchialkarzinom verlän-
gert eine Zweitlinientherapie mit dem Ty-
rosinkinasehemmer Crizotinib das pro-
gressionsfreie Überleben, verbessert An-
sprechraten und auch die Lebensqualität
der betroffenen Patienten. Der scheinbar
fehlende Überlebensvorteil unter Crizoti-
nib ist möglicherweise auf den Cross-over-
Effekt zurückzuführen, also darauf, dass
112 der Patienten im Kontrollarm (64%)
im weiteren Krankheitsverlauf ebenfalls
Crizotinib erhalten hatten.
O
Anka Stegmeier-Petroianu
Quelle: Shaw AT et al.: Crizotinib versus chemotherapy in advanced ALK-positive lung cancer. N Engl J Med 2013; 368(25): 2385–2394.
Interessenkonflikt: Die Studie wurde von Pfizer finanziert.
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ARS MEDICI 15/16 I 2013