Transkript
FORTBILDUNG
Opioide bei nicht tumorbedingten Schmerzen
Datenlage, Behandlungsempfehlungen und Vorsichtsmassnahmen
Bei nicht tumorbedingten Schmerzen werden immer häufiger Opioide verschrieben. Aus Metaanalysen geht zwar eine gewisse Wirksamkeit zur Schmerzreduzierung hervor, allerdings wurden die meisten randomisierten Studien von der Pharmaindustrie finanziert und liefern lediglich Kurzzeitergebnisse bei hoch selektierten Patienten. Opioidinduzierte Abhängigkeit und Missbrauch haben zugenommen und werden vor allem durch schnell freisetzende und kurz wirksame Darreichungsformen begünstigt.
BRITISH MEDICAL JOURNAL & DER SCHMERZ
In einer Übersichtsarbeit haben Rainer Freynhagen vom Benedictus Hospital Tutzing und seine Arbeitsgruppe die Datenlage zur Anwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen zusammengefasst. Ausserdem geben die Experten Behandlungsempfehlungen für diesen Anwendungsbereich (1). Rüdiger Scharnagel vom UniversitätsSchmerzCentrum (Dresden) und sein Team diskutieren die Problematik einer Langzeitbehandlung nicht tumorbedingter Schmerzen mit schnell freisetzenden und kurz wirksamen Darreichungsformen im Zusammenhang mit Missbrauch und Abhängigkeit (2). Opioide sind die Eckpfeiler im Management tumorbedingter Schmerzen. Veränderungen in der Beurteilung dieser Substanzklasse und ein aggressives Marketing haben in den letzten Jahren jedoch auch zu einer massiven Zunahme der Anwendung bei nicht tumorbedingten Schmerzen geführt (1).
Merksätze
O Bei nicht tumorbedingten Schmerzen werden immer häufiger Opioide verschrieben.
O Unerwünschte Effekte wie Missbrauch und Abhängigkeit nehmen zu.
O Abhängigkeit und Missbrauch werden durch schnell freisetzende und kurz wirksame Darreichungsformen begünstigt.
Eine Datenauswertung einer Versichertenstichprobe der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Hessen ergab, dass 77 Prozent der Opioidpräparate im Jahr 2010 Patienten verschrieben wurden, die nicht an einer Krebserkrankung litten (2).
Wie gut wirken Opioide bei nicht tumorbedingten Schmerzen? Zur Wirksamkeit von Opioiden existieren zahlreiche Metaanalysen. Allerdings wurden die meisten der hier ausgewerteten randomisierten Studien von der pharmazeutischen Industrie finanziert und liefern lediglich heterogene Kurzzeitergebnisse bei hoch selektierten Patienten. Die verbleibende Literatur setzt sich aus nicht randomisierten und unkontrollierten Beobachtungsstudien zusammen (1). Ungeachtet dessen geht aus den meisten Studien konsistent eine gewisse Effektivität von Opioiden zur Reduzierung der Schmerzintensität bei chronischen nicht tumorbedingten Schmerzen hervor. In Metaanalysen zeigte sich speziell bei neuropathischen Schmerzen eine Wirksamkeit. Aufgrund ihres Nutzen-Risiko-Profils werden Opioide jedoch in den meisten Richtlinien bei dieser Schmerzart erst als zweite oder dritte Behandlungsoption empfohlen. In einem Cochrane-Review von 2009 wurden Opioide im Vergleich zu Plazebo in 10 randomisierten oder quasi randomisierten kontrollierten Studien (orales Codein, Oxycodon, Oxymorphon [nicht im AK der Schweiz], Morphin und transdermales Fentanyl) bei 2268 Patienten mit chronischer Hüft- oder Kniearthrose untersucht. Die Ergebnisse führten zu der Schlussfolgerung, dass der geringfügige bis moderate Nutzen das massiv zunehmende Risiko für unerwünschte Wirkungen nicht überwiegt und dass Opioide deshalb nicht einmal bei starken arthrosebedingten Schmerzen routinemässig angewendet werden sollten. Die Einschätzung der langfristigen Wirksamkeit von Opioiden gestaltet sich schwierig, da nur wenige randomisierte kontrollierte Studien über einen Zeitraum von mehr als 6 Wochen durchgeführt wurden. In einem systematischen Review von 2011 wurden 21 Studien unterschiedlicher Qualität zu Opioiden (transdermales Fentanyl, transdermales Buprenorphin, orales Morphin, Tramadol, Oxycodon, Oxymorphon, Tapentadol, Hydromorphon) bei chronischen nicht tumorbedingten Schmerzen mit einem Untersuchungszeitraum von mindestens 12 Wochen ausgewertet. Hier zeigte sich eine potenzielle Wirksamkeit von Tramadol bei Arthrose. Für alle anderen Opioide und alle anderen Erkrankungen lag nur eine geringfügige Evidenz im Hinblick auf eine Wirksamkeit vor (1).
810
ARS MEDICI 15/16 I 2013
FORTBILDUNG
Opioidtherapie gegen chronische Schmerzen er-
Tabelle 1:
halten, die DSM-Kriterien für eine Abhängigkeit
Abschätzung des Abhängigkeitsrisikos mit dem Opioid-Risk-Tool
erfüllt. In einer neuen norwegischen Studie zu schwachen Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen lag der Anteil einer dauerhaft pro-
1. Substanzmissbrauch in der Familie O Alkohol O illegale Drogen O verschriebene Medikamente
Frauen
Männer
I 1 Punkt I 2 Punkte I 4 Punkte
I 3 Punkte I 3 Punkte I 4 Punkte
blematischen Opioidanwendung dagegen nur bei 0,3 und 0,08 Prozent. Sedierung und kognitive Beeinträchtigung kommen bei konstanter langfristiger Dosierung selten vor. Dennoch sollte der Patient bei Beginn oder Veränderungen der Behandlung auf diese
2. Substanzmissbrauch in der eigenen Anamnese
potenzielle Gefahr hingewiesen werden (1).
O Alkohol O illegale Drogen O verschriebene Medikamente
I 3 Punkte I 4 Punkte I 5 Punkte
I 3 Punkte I 4 Punkte I 5 Punkte
Welche Vorsichtsmassnahmen sind sinnvoll? Es gibt zwar keine absoluten Kontraindikationen zur Anwendung von Opioiden bei chro-
3. Alter zwischen 16 und 45 Jahren
I 1 Punkt I 1 Punkt
nischen nicht tumorbedingten Schmerzen, jedoch sollten Vorsichtsmassnahmen getroffen
4. Sexueller Missbrauch in der Kindheit 5. Psychische Erkrankungen
I 3 Punkt I 0 Punkte
werden, um Nebenwirkungen und Risiken zu minimieren. Morphin sollte bei eingeschränkter Nierenfunk-
O Aufmerksamkeitsdefizitstörung, Zwangsstörung, I 2 Punkte I 2 Punkte
tion gar nicht oder nur in niedrigen Dosierungen
O bipolare Erkrankung oder Schizophrenie O Depressionen
I 1 Punkte I 1 Punkte
0 bis 3 Punkte: geringes Risiko; 4 bis 7 Punkte: moderates Risiko; 8 oder mehr Punkte:
gegeben werden. Zur Vermeidung einer Atemdepression ist eine Kombination mit Medikamenten zu vermeiden, die ebenfalls auf das zentrale Nervensystem wirken; dazu gehören
hohes Risiko
(nach Freynhagen et al.)
Benzodiazepine. Langsames Hochtitrieren ist
vor allem bei Methadon aufgrund der hohen
interindividuellen Variabilität der Halbwertszeit
und des Akkumulierungsrisikos von Bedeutung.
Wie sicher ist die Behandlung mit Opioiden?
Zu weiteren Vorsichtsmassnahmen gehören die richtlinien-
Zu den schweren Nebenwirkungen in Verbindung mit Opio- gemässe Anwendung und eine Evaluierung des Abhängig-
iden gehört ein erhöhtes Sturzrisiko. Eine opioidinduzierte keitsrisikos (siehe Tabelle 1) vor Behandlungsbeginn. Liegen
Atemdepression kann tödlich verlaufen, kommt aber in der Risikofaktoren für eine potenzielle Abhängigkeit vor, sind
Langzeitbehandlung nur selten vor. Ein erhöhtes Risiko für besondere Vorsichtsmassnahmen wie die Teilnahme an
eine Atemdepression besteht vor allem im Zusammenhang einem Medikamente-Monitoring-Programm oder Urinkon-
mit Änderungen der Dosierung, Applikationsirrtümern oder trollen erforderlich. Eine andere Möglichkeit besteht in der
Missbrauch (1).
Verschreibung missbrauchsresistenter Darreichungsformen,
Die zunehmende Anwendungshäufigkeit ist mit einem bei denen pharmakologische oder mechanische Barrieren
raschen Anstieg der Todesfälle im Zusammenhang mit ver- eine Opioidextraktion und die anschliessende parenterale
schriebenen Opioiden assoziiert. Zu den Ursachen gehören Applikation verhindern.
eine nicht verschreibungsgemässe Einnahme durch den
Patienten und Verschreibungsfehler seitens der Ärzte. Hier- Wie wirksam sind Opioide
bei handelt es sich häufig um eine zu rasche Dosissteigerung im Vergleich zu anderen Analgetika?
oder einen Behandlungsbeginn mit hohen Dosen bei opioid- Ungeachtet der Medikamentenklasse (Opioide und Nicht-
naiven Patienten. Zu weiteren Nebenwirkungen gehören opioidanalgetika) zeigen randomisierte, plazebokontrollierte
endokrine Effekte wie ein opioidinduziertes Androgendefizit, Studien, dass die klinische Wirksamkeit trotz einer statistisch
das bei Männern zu Osteoporose und Immunsuppression signifikanten Schmerzreduzierung nur geringfügig bis mode-
führt. In einigen Fällen kommt es auch zu opioidinduzierter rat einzustufen ist. Die wenigen direkten Vergleichsstudien
Hyperalgesie.
zwischen Opioiden und Nichtopioiden führten zu wider-
Nicht zuletzt sind Opioide auch mit einem Potenzial für sprüchlichen Ergebnissen. Da alle Analgetika nur eine mäs-
Missbrauch und Abhängigkeit verbunden. In Studien vari- sige Wirksamkeit aufweisen, sollte ein Präparat anhand des
ieren die Anteile der iatrogenen Abhängigkeit von 0,27 bis individuellen Risikoprofils ausgewählt werden. So könnten
3,3 Prozent. Aus der Datenlage geht hervor, dass ein erhöh- Patienten mit einem Risiko für Komplikationen bei der Ein-
tes Abhängigkeitsrisiko bei Patienten mit Substanzmiss- nahme von NSAID (z.B. bei Magen- oder Zwölffingerdarm-
brauch oder psychischen Störungen in der Anamnese sowie geschwüren oder Niereninsuffizienz) ein Opioid erhalten,
bei Männern, bei jüngeren Menschen und bei Patienten während Patienten mit Risiken bei der Applikation von
besteht, die täglich relativ hohe Dosen erhalten. Eine neue Opioiden (z.B. ältere und gebrechliche Personen mit Sturz-
Studie an einer nicht selektierten Population weist darauf risiko) eher von einem NSAID profitieren (1).
hin, dass etwa einer von drei Patienten, die eine langfristige
812
ARS MEDICI 15/16 I 2013
FORTBILDUNG
Tabelle 2:
Zu Morphin äquivalente orale und transdermale Opioiddosen zur Behandlung chronischer Schmerzen
Opioid Orale Dosen Dihydrocodein Tramadol Tilidin Tapentadol Oxycodon
Hydromorphon
Buprenorphin Methadon, Levomethadon
Zu 30 mg Morphin äquivalente Dosis Handelspräparate (Durchschnittswerte)
120 mg 150 mg 150 mg 100 mg 20 mg
4 mg
0,4 mg sublingual aufgrund grosser Variabilität Titration erforderlich
Codicontin®
Tramal® und Generika
Valoron®
Palexia®
Oxycodon® Sandoz Oxycontin® Oxynorm® Targin® (Kombination mit Naloxon)
Jurnista® Palladon® Generika
Temgesic® Subutex®
Ketalgin® und Generika
Transdermale Dosen Buprenorphin
Fentanyl
17,5 µg/h 12 µg/h
Transtec® Actiq® Durogesic® Matrix und Generika
(modifiziert nach Freynhagen et al.)
mit anderen Medikamenten, die zentral wirken, mit Alkohol oder mit illegalen Drogen zu schweren Nebenwirkungen wie einer Überdosierung oder sogar zum Tod führen kann. Der Patient sollte auch darüber informiert werden, dass es beim plötzlichen Absetzen zu Entzugserscheinungen kommen kann und wie er sich verhalten soll, wenn eine Dosis vergessen wurde. Zudem erhält er Anweisungen zur sicheren Anwendung und Aufbewahrung seiner Medikamente. In manchen Fällen kann auch ein «Vertrag» von Nutzen sein, in dem die Rechte und Pflichten von Arzt und Patient dokumentiert werden. Die Dosistitration lang wirksamer Opioide wird von einer regelmässigen Überprüfung der Behandlungsziele begleitet. In den meisten Richtlinien wird eine Maximaldosierung von etwa 100 mg Morphinäquivalent empfohlen. Der Patient wird angewiesen, während der Titrationsphase nicht Auto zu fahren und keine schweren Maschinen zu bedienen, bis Sedierung und kognitive oder psychomotorische Beeinträchtigungen ausgeschlossen werden können (1).
Monitoring Der Arzt sollte sich vergewissern, dass sich der Patient an den Behandlungsplan hält, und regelmässig die Analgesie, die Funktionstüchtigkeit im Alltag, unerwünschte Wirkungen und das Applikationsverhalten evaluieren. Auch die Compliance wird regelmässig überprüft. Dazu gehört die Inanspruchnahme nur eines verschreibenden Arztes, der Bezug aus nur einer Apotheke und die Einnahme der vorgeschriebenen Dosis. Bei Veränderungen der Symptomatik wird die dem Schmerz zugrunde liegende Erkrankung des Patienten erneut evaluiert (1).
Bevor Opioide in Betracht gezogen werden Zunächst sollte eine möglichst exakte psychologische und körperliche Diagnose der Schmerzursache gestellt werden. Idealerweise erhalten die Patienten dann ein multidisziplinäres und multimodales Schmerzmanagement. Nutzen und Risiken einer Opioidbehandlung sollten ausführlich mit dem Patienten besprochen werden. In diesem Zusammenhang werden auch Behandlungsziele formuliert. Dazu gehören neben der Schmerzreduzierung auch Ziele im Hinblick auf den Schlaf, die Stimmung, den Beruf oder soziale Aktivitäten. Zentral wirkende Medikamente wie Benzodiazepine werden nach Möglichkeit vor einem Behandlungsbeginn ausgeschlichen (1).
Behandlungsbeginn mit Opioiden Zu Beginn wird eine Probebehandlung über vier Wochen durchgeführt. In diesem Zeitraum sollten zuvor definierte Ziele erreicht werden. Im Anschluss daran wird entschieden, ob eine Fortsetzung sinnvoll ist. Der Arzt sollte eine informierte Zustimmung des Patienten sicherstellen, auch im Hinblick auf das Risiko für Abhängigkeit, opioidinduzierte Hyperalgesie und Toleranzentwicklung. Dem Patienten wird zudem zu bedenken gegeben, dass die Kombination von Opioiden
Beendigung der Opioidtherapie Eine Behandlung mit Opioiden ist nicht als lebenslange Option zu betrachten; häufig ist eine Beendigung angebracht. Die Behandlung sollte beendet werden, wenn die zuvor definierten Ziele nicht erreicht werden oder wenn es zu einer missbräuchlichen Einnahme kommt. Um Entzugserscheinungen zu vermeiden, sollte die Opioiddosis schrittweise reduziert werden (1).
Schnell freisetzende und kurz wirksame Opioide in der Langzeitbehandlung Aufgrund der mangelnden Evidenz zur Wirksamkeit von Opioiden in der Langzeitanwendung bei Patienten mit nicht tumorbedingten Schmerzen sind die Verschreibungszahlen nach Ansicht von Rüdiger Scharnagel und seiner Arbeitsgruppe als kritisch zu bewerten. Am UniversitätsSchmerzCentrum präsentierte sich in den letzten Jahren eine zunehmende Anzahl von Patienten mit nicht tumorbedingten Schmerzen, die zuvor fehlerhaft verschriebene nicht retardierte Opioide erhalten hatten. Häufig wurde die Behandlung nicht leitliniengerecht durchgeführt, und bei den Patienten war es zu einer iatrogenen Opioidabhängigkeit oder einer schädlichen Opioidanwendung gekommen (2).
ARS MEDICI 15/16 I 2013
813
FORTBILDUNG
Ein 45-jähriger Mann wurde aufgrund von Opioidmissbrauch und Dauerkopfschmerz an das UniversitätsSchmerzCentrum überwiesen. Bei diesem Patienten war die Behandlung nicht indikationsgerecht, da Opioide zur Behandlung primärer Kopfschmerzen nicht empfohlen werden. Zudem erhielt er eine potenziell suchtfördernde Darreichungsform von Tilidin/Naxolon, was besonders problematisch war, weil es bei ihm bereits zuvor zu einem Analgetikafehlgebrauch gekommen war. Eine 30-jährige Patientin mit schwerer therapieresistenter Colitis ulcerosa hatte vor der Überweisung an das UniversitätsSchmerzCentrum Opioide gegen krampfartige abdominelle Schmerzen erhalten, unter anderem Oxycodon, das sie nach Bedarf injizierte. Hier kam es zu einer massiven (illegalen) Dosiseskalation, da sich die Patientin von mehreren Ärzten Opioide verschreiben liess. Zudem wurde sie ausschliesslich medikamentös behandelt. Psychosoziale Aspekte der Schmerzproblematik wurden von der Patientin verdrängt und auch vonseiten der Ärzte nicht angegangen. Wie aus den Fallbeispielen deutlich wird, kann die Langzeitbehandlung mit schnell freisetzenden und kurz wirksamen Opioiden problematisch sein. In der deutschen S3-Leitlinie zur Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen (LONTS) wird empfohlen, Opioide mit retardierter Galenik oder langer Wirkdauer zu bevorzugen und nach einem festen Zeitschema zu applizieren. Der Einsatz eines Bedarfsmedikaments für aufgesetzte Schmerzattacken bleibt dem Einzelfall vorbehalten. Aus der derzeit vorhandenen Evidenz gehen keine eindeutigen Unterschiede bezüglich der Wirkungen und der Nebenwirkungen zwischen lang und kurz wirksamen Opioiden hervor. Allerdings sind die ausgewerteten Studien von mangelhafter Qualität, da eine Abhängigkeitsentwicklung nicht untersucht wurde und die jeweilige Studiendauer von maximal 30 Tagen zu kurz erscheint.
In aktuellen Richtlinien zur Opioidtherapie von Tumor-
schmerzen wird als Ergänzung zur Opioidbasismedikation
bei Durchbruchschmerzen eine schnell freisetzende Bedarfs-
medikation mit Opioiden empfohlen. Eine Übertragung die-
ses Breakthrough-pain-Konzepts auf Nichttumorschmerzen
erscheint den Autoren nicht ohne Weiteres gerechtfertigt.
Tumorbedingte Schmerzen stehen ätiologisch direkt im
Zusammenhang mit den Basisschmerzen. Im Gegensatz dazu
besteht bei den meisten Patienten mit nicht tumorbedingten
Schmerzen kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen
strukturellen Läsionen und Schmerzausprägung. Hier spielen
auch psychische Komorbiditäten und soziale Faktoren eine
bedeutende Rolle bei der Krankheitsaufrechterhaltung. Den
Einsatz potenziell suchtfördernder Darreichungsformen bei
Exazerbationen nicht tumorbedingter Schmerzen erachten
die Autoren daher als fragwürdig. Zudem halten die Wissen-
schaftler einen monokausal ausgerichteten Therapieansatz
mit einer rein medikamentösen Behandlung bei einer kom-
plexen chronischen Schmerzerkrankung für problematisch.
Die Autoren betonen, dass die kritische Auswertung der
Fallbeispiele nicht dazu führen sollte, in jedem Fall auf eine
Behandlung nicht tumorbedingter Schmerzen mit Opioiden
zu verzichten, sondern vielmehr dazu beitragen soll, das
Problembewusstsein im Umgang mit diesen Substanzen wie-
der zu schärfen (2).
O
Petra Stölting
Quellen: 1. Freynhagen R et al.: Opioids for chronic non-cancer pain, BMJ 2013; 346: f2937. 2. Scharnagel R et al.: Chronische nichttumorbedingte Schmerzen – Langzeitbehandlung
mit schnell freisetzenden und kurz wirksamen Opioiden im Kontext von Missbrauch und Abhängigkeit. Schmerz 2013; 27(7): 7–19.
Interessenkonflikte: 1. Zwei der drei Autoren haben Honorare von unterschiedlichen Pharmaunternehmen erhalten. 2. Keine deklariert.
814
ARS MEDICI 15/16 I 2013