Transkript
FORTBILDUNG
Mit Kindern auf Fernreisen
Welche reisemedizinischen Besonderheiten sind zu beachten?
Auch Fernreisen werden heutzutage im Zeitalter des günstigen Pauschaltourismus gerne mit der ganzen Familie angetreten. Dass die Gesundheitsrisiken in tropischen Ländern für kleine Kinder deutlich höher sind als für Erwachsene, wird dabei oft nicht bedacht. «Muss ich noch etwas beachten?», «Braucht mein Kind noch irgendwelche Impfungen?» und «Was soll ich mitnehmen?» lauten die typischen Fragen an den Hausarzt – im ungünstigsten Fall eine Woche vor Reiseantritt.
während der Ferien auftreten und ein ausreichender Impfschutz aufgebaut werden kann. Zum einen sollte der Impfschutz laut allgemeinem Impfplan überprüft und gegebenenfalls komplettiert werden, zum anderen gilt es, das jeweilige Mindestalter zu beachten (vgl. Tabelle 1). Noch zu wenig Beachtung findet bei der reisemedizinischen Beratung die Tollwutimpfung. Insbesondere Kinder sollte man grosszügig impfen, da sie Gefahr oft nicht richtig einschätzen können und meist eine hohe Affinität zu Tieren haben. Ausserdem finden Bisse häufiger als bei Erwachsenen in Kopfhöhe statt, was durch den schnelleren Transport der Erreger ins ZNS eine kürzere Inkubationszeit bedingt.
MEDWELT
Das Ziel und die Art der Ferienreise sollten sich am jüngsten Teilnehmer orientieren. Allgemein gilt, dass man mit Kleinkindern Malariagebiete meiden sollte, auch wegen der dort gehäuft auftretenden anderen tropenmedizinisch relevanten Erkrankungen. Sind Wander- beziehungsweise Aktivferien in heissen Ländern geplant, ist zu bedenken, dass Kinder Ausdauerbelastungen schlechter vertragen und ein erhöhtes Risiko für Hitze- und UV-Schäden haben. Eine Auslandskrankenversicherung abzuschliessen sowie einen gegebenenfalls nötigen Rücktransport im Vorfeld zu sichern, sind gerade bei Reisen mit Kindern sicher gute Empfehlungen.
Impfungen Notwendige Impfungen sollten möglichst bis 14 Tage vor der Reise erledigt sein, damit eventuelle Impfreaktionen nicht
Merksätze
❖ Ziel und Art der Ferienreise sollten sich am jüngsten Teilnehmer orientieren.
❖ Grundsätzlich sollte man eine Reise mit Kindern in Malariagebiete vermeiden.
❖ Bei Durchfall entziehen Cola und Salzstangen dem Körper noch mehr Flüssigkeit und sind daher ungeeignet. Auch eine Nahrungs- oder Stillpause wird heute nicht mehr empfohlen.
❖ Noch zu wenig geachtet wird auf die Tollwutimpfung.
Durchfall und Erbrechen Wenn Kinder unter Reisediarrhö leiden, stecken am häufigsten fäkal-oral übertragene bakterielle Erreger dahinter. Bei Säuglingen und Kleinkindern empfiehlt es sich, Fertigbreie und Fertiggerichte von zu Hause mitzunehmen, da gewohnte Kost vor unerwünschten Nebenwirkungen schützt. Ist es dennoch zur Diarrhö gekommen, macht sich der Flüssigkeitsverlust bei Kindern sehr viel schneller bemerkbar als bei Erwachsenen. Daher sind sofort orale Rehydratationslösungen zu verabreichen, die auch selbst hergestellt werden können (Tabelle 2). Cola und Salzstangen entziehen dem Körper noch mehr Flüssigkeit und sind daher ungeeignet. Auch eine Nahrungs- oder Stillpause wird heute nicht mehr empfohlen. Bei bakterieller Enteritis mit geschädigter Darmwand ist zusätzlich zur Rehydrierung ein Antibiotikum erforderlich. Solange man den Erreger nicht kennt, empfiehlt sich die Gabe von Trimethoprim/Sulfamethoxazol oder ein Cephalosporin der dritten Generation. Bei wässrigem oder blutigem Durchfall dürfen Kinder keine «Durchfallstopper» (Loperamid) erhalten, da sonst die darmwandschädigenden Erreger im Darm verbleiben. Sollte sich der Durchfall beziehungsweise das Erbrechen nicht innerhalb weniger Stunden bessern, oder kommen noch andere Symptome (Bauchschmerzen, Fieber, Blut im Stuhl, Apathie) hinzu, sollten die Eltern im Ferienland einen Arzt aufsuchen. Normalerweise klingt eine gastrointestinale Infektion nach zwei bis drei Tagen ab. Bei anhaltendem Durchfall ist auch an Parasiten (Amöben, Lamblien) zu denken.
Sonnenschutz Bekanntlich erhöhen insbesondere Sonnenbrände im Kindesalter das Risiko für die Entstehung maligner Melanome. Kindliche Haut reagiert zudem schneller auf UV-Licht mit Verbrennungsschäden. Daher ist ausreichender Sonnenschutz
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FORTBILDUNG
Tabelle 1:
Mindestalter bei Impfungen für Kinder
Mindestalter 2 Monate
Impfungen
Diphterie, Tetanus, Pertussis, Polio (IPV), Haemophilus influenzae (Hib), Hepatitis B
Meningokokken C Tollwut
Verfügbare Impfstoffe Schweiz*
Infanrix® hexa (DTPa-IPV-Hib-HepB)
Weitere Kombinationen/Einzelimpfstoffe: Infanrix® DTPa-IPV+Hib Infanrix® DTPa-IPV Tetravac® (DTPa-IPV) Hiberix® (Hib) Engerix®-B 10 (Hep B) HBVAXPRO® 5 (Hep B) Poliorix® (Polio) Diphtherie-Tetanus-Adsorbatimpfstoff für Kinder (DT) Meningitec® Menjugate® Tollwut-Impfstoff Mérieux®
6 Monate
Gelbfieber Influenza
Stamaril® im Herbst jeweils neu verfügbar
9 Monate
Masern
Measles Vaccine (live) M-M-RVAXPRO® (Masern/Röteln/Mumps) Priorix® (Masern/Röteln/Mumps) Varilrix®
12 Monate
FSME Hepatitis A
Japanische Enzephalitis
Typhus oral Varizellen
Encepur® N Kinder FSME-Immun® 0,25 ml Junior
Epaxal® Havrix® 720 Twinrix® 720/20 (Hepatitis A und B)
Nur bei erhöhtem Erkrankungsrisiko empfohlen (über 30 Tage Aufenthalt in ländlichen Regionen); muss immer mit einem Spezialisten für Tropen- oder Reisemedizin besprochen werden. Eine Impfung ab dem Alter von einem Jahr ist ggf. möglich, aber «off label».
Vivotif® L (in der Schweiz zurzeit nicht verfügbar [Stand 24.4.2013]; Vivotif® erst ab 5 Jahren zugelassen)
Varivax® Priorix-Tetra® (Masern/Röteln/Mumps/Varizellen)
2 Jahre
Cholera oral Meningokokken PS
Pneumokokken 23PS Typhus parenteral
Dukoral® Mencevax® ACWY Menveo® (zugelassen ab 11 Jahren, ab 1 Jahr «off label» möglich) Pneumovax®-23 In der Schweiz nicht registriert; allenfalls in Impfzentren verfügbar falls orale Typhusimpfung nicht möglich.
*Es werden nur die in der Schweiz zurzeit verfügbaren Impfstoffe mit der entsprechenden Altersempfehlung gemäss InfoVac-Liste vom 24. April 2013 (www.infovac.ch) aufgeführt; es ist möglich, dass weitere Impfstoffe in der Schweiz zwar zugelassen, aber nicht verfügbar sind.
eine wichtige Präventionsmassnahme. Folgende Regeln sollten Sie den Eltern ans Herz legen: ❖ Babys sollten sich gar nicht in der Sonne aufhalten. ❖ Topischer Sonnenschutz muss UV-A- und UV-B-Schutz um-
fassen (LSF 10 bis 50, je nach Hauttyp).
❖ Nach dem Baden sollte man nachcremen. ❖ Mittagssonne ist zu vermeiden (2 h vor bis 2 h nach dem
Höchststand der Sonne) – Faustregel: «Zwischen 11 und 3 ist sonnenfrei.» ❖ Geeignete Kleidung und Kopfschutz wählen.
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Tabelle 2:
Orale Rehydratationslösung
1 Liter nach WHO-Standard 13,5 g/l Glukose
2,6 g/l Natriumchlorid 2,9 g/l Natriumbikarbonat 1,5 g/l Kalium Gesamtosmolalität: 245 mmol/l
1 Liter selbst hergestellt
8 TL Zucker (möglichst Traubenzucker) 1 gestr. TL Kochsalz ggf. ¾ TL Backpulver ggf. zusätzlich Banane Alle Zutaten auf 1 Liter abgekochtes Wasser (ggf. 100 ml Fruchtsaft zur Geschmacksverbesserung beigeben).
Tabelle 3:
Malariaprophylaxe bei Kindern
Substanz
Dosierung
Chloroquin-Base
5 mg/kg KG/Woche
Mefloquin (ab 5 kg KG) 5 mg/kg KG/Woche
Atovaquon/Proguanil 1 Junior-Tbl. (62,5 mg/
(ab 11–40 kg KG)
25 mg) pro 10 kg KG/Tag
Doxycyclin (ab 8 Jahren) 1,5 mg/kg KG/Tag
Präparate Schweiz* Nivaquine® Lariam®, Mephaquin® Malarone® Junior
Doxycyclin Axapharm®, Doxycyclin-Acino 100, Doxycyclin-CIMEX
*gemäss Swissmedic, Stand: 4. Juni 2013 (www.swissmedicinfo.ch)
Tabelle 4:
Reiseapotheke für Kinder*
Reiseübelkeit, Erbrechen Durchfall Verstopfung Schmerzen, Fieber
Schnupfen, Ohrenschmerzen Verletzungen
Juckreiz, Insektenstiche
Dimenhydrinat (Reisekaugummmi [Trawell®]), Traubenzucker
Elektrolytlösungen (z.B. Elotrans®, Oralpädon®)
z.B. Bulboid®, Glycerin-Suppositorien Fonte SA, Microlax®
Fieberthermometer, Paracetamol-Zäpfchen/-Saft (z.B. Ben-u-ron®, Panadol® Junior, Tylenol® Kinder), Ibuprofen (z.B. Algifor® Junior)
abschwellende Nasentropfen, 0,9% NaCl, ggf. Antibiotikum (Amoxicillin)
Hautdesinfektionsmittel, Pflaster, Pinzette, sterile Tupfer, Mullbinde, elastische Binde, Schere, Antiseptikum
imprägniertes Moskitonetz, Repellenzien, Antihistaminikum, Malaria-Chemoprophylaxe
* Es werden nur die in der Originalpublikation genannten Substanzen aufgeführt, die auch in der Schweiz zugelassen sind, sowie beispielhaft einige Präparate, die speziell für Kinder unter 12 Jahren angeboten werden.
Malaria Grundsätzlich sollte man eine Reise mit Kindern in Malariagebiete vermeiden. Ein Leitsatz der WHO lautet: Kinder unter fünf Jahren sollten generell nicht in Gebiete mit Chloroquin-resistenter Malaria tropica reisen. Wird eine solche Reise dennoch angetreten, ist die Expositionsprophylaxe (Repellenzien, helle, lange Kleidung, imprägnierte Moskitonetze) der beste Schutz. In Malariagebieten mit niedrigem oder mittlerem Risiko reicht sonst eine «Stand-by-Strategie» aus (notfallmässige Selbsthilfe). Das setzt allerdings voraus, dass die Eltern erkennen können, wann eine Malariainfektion vorliegt. Ein Arzt sollte bei jedem unklaren Fieber konsultiert werden. Aber auch Durchfall und Erbrechen sind bei Kindern häufige Symptome einer Malaria. Art, Einsatz und Dosierung der Selbsthilfe müssen vor der Reise ausführlich besprochen und sollten schriftlich individualisiert für jedes Kind mitgegeben werden. Hinweise auf eine (schwere) Malariainfektion mit der Notwendigkeit eines Arztbesuchs sind: ❖ Fieber über 40 °C ❖ schwacher Puls, Blutdruckabfall ❖ geringe Urinproduktion ❖ dunkel gefärbter, brauner Urin ❖ Bewusstseinstrübung ❖ Krampfanfälle ❖ blasse Haut und Schleimhäute ❖ Ikterus ❖ Hämorrhagien.
Bei Reisen in Gebiete mit hohem Malariarisiko ist eine gewichtsadaptierte Chemoprophylaxe empfehlenswert (Tabelle 3). Erbricht das Kind die Medikamente, gelten folgende Regeln: ❖ Erbrechen innerhalb von 30 Minuten nach Einnahme:
komplette Dosis neu geben; ❖ Erbrechen innerhalb von 30 bis 60 Minuten nach Ein-
nahme: halbe Dosis nachgeben; ❖ Erbrechen später als eine Stunde nach Einnahme: keine
wiederholte Gabe.
Reiseapotheke
Im Ausland sind Medikamente zwar manchmal günstiger als
zu Hause, aber es muss mit Medikamentenfälschungen ge-
rechnet werden. Daher sollte eine vorher zusammengestellte
Reiseapotheke mitgeführt werden (vgl. Tabelle 4). Zudem
sind bei Reisen in warme Länder die Lagerungshinweise zu
beachten.
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Vera Seifert
Quelle: C.-M. Kitz: Reisen mit Kindern. MedWelt 2012; 113–118.
Interessenkonflikte: keine
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 13/2012. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin. Die Tabellen wurden durch die Redaktion ARS MEDICI an die Verhältnisse in der Schweiz angepasst beziehungsweise ergänzt.
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