Transkript
BERICHT
Auf neuen Wirkstoff warten oder gleich behandeln?
Neue Wirkstoffe für die Therapie bei chronischer Hepatitis C, Genotyp 1 in den Pipelines
European Congress on Clinical Microbiology and Infectious Diseases (ECCMID) Symposium «The revolving alphabet soup of hepatitis viral infections», Berlin, 30. April 2013
Bereits die Proteaseinhibitoren der ersten Generation haben die Therapie der chronischen Hepatitis C vom schwer behandelbaren Genotyp 1 erheblich vorangebracht: Sie steigern die Heilungschancen um etwa 30 Prozent, unabhängig davon, ob die Patienten vorbehandelt sind und auf eine Vortherapie angesprochen haben. Nun steht eine Fülle neuer Wirkstoffe vor der Tür, die noch höhere Heilungsraten, weniger Resistenzen und rein orale, interferonfreie Regime bringen sollen.
MANUELA ARAND
Bis die ersten Proteaseinhibitoren eingeführt wurden, bestand das Standardregime für chronisch mit dem Hepatitis-C-Virus (HCV) infizierte Patienten für alle Genotypen aus pegyliertem Interferon alpha und Ribavirin (P/R). Vor allem der Genotyp 1 liess sich damit jedoch schwer behandeln: Bei therapienaiven Patienten lagen die Heilungsraten nur etwa bei 50 Prozent. Bei erfolglos vorbehandelten Patienten fielen sie noch schlechter aus. Wer überhaupt nicht auf die Vortherapie angesprochen hatte, durfte bei erneuter Therapie nur zu 5 Prozent mit Heilung rechnen. Als geheilt gilt ein Patient, wenn auch 24 Wochen nach Ende der Behandlung keine Virus-DNA mehr nachweisbar ist (sustained virological response, SVR).
Die Proteasehemmer der ersten Generation, Boceprevir und Telaprevir, verbessern die Erfolgschancen dramatisch, nämlich bei allen Patientengruppen um etwa 30 Prozent, wie Prof. Dr. Massimo Puoti, Mailand, berichtete. 8 von 10 therapienaiven Patienten können geheilt werden, aber auch bis zu 40 Prozent der Nonresponder. Der Preis dafür: komplizierte Therapieregime mit komplexen Stoppregeln, zum Teil ausgeprägte Nebenwirkungen, vor allem Rash und Anämie, die ihrerseits gemanagt werden wollen, sowie eine grosse Zahl potenzieller Arzneimittelinteraktionen. Zudem dürfen Proteasehemmer nicht in Monotherapie, sondern nur in der Dreifachkombination mit P/R gegeben werden, weil andernfalls eine rasche Resistenzentwicklung droht. Immerhin kann die Behandlung bei einem Gutteil der Patienten verkürzt werden, vor allem bei therapienaiven und bei Personen mit Relapse, also bei jenen, die einen Rückfall erlitten haben, nachdem sie bei Therapieende VirusRNA-negativ waren. Das reduziert natürlich auch den Zeitraum des Nebenwirkungs- und Interaktionsrisikos. Die Dreifachkombinationen stellen derzeit ganz klar den Goldstandard der Anti-HCV-Therapie für den Genotypen 1 dar. Die NS2/3-Protease sei nicht der einzige Punkt, an dem das HCV angreifbar sei, erklärte Prof. Puoti. An weiteren Wirkstoffklassen, vor allem an nukleosidischen und nukleotidischen Hemmstoffen der Polymerase, wird derzeit intensiv gearbeitet. Ausserdem werden Proteasehemmer der zweiten und dritten Generation entwickelt, die bei höherer Resistenzbarriere eine stärkere antivirale Potenz aufweisen. Es zeichnet sich bereits ab, dass mit diesen Wirkstoffen noch höhere Heilungsraten erzielt und noch mehr Patienten
verkürzt behandelt werden können.
Sogar eine Therapiedauer von zwölf
Wochen erscheint inzwischen realistisch
– bei der aktuellen Tripletherapie be-
trägt die Mindestdauer 24 Wochen.
Quadrupeltherapien sind in Arbeit,
die früheren Nullrespondern deutlich
höhere Heilungschancen vermitteln
sollen, auch wenn die Studien bisher zu
klein sind, um valide Schlüsse zu zie-
hen. Auch der Wunschtraum vieler
Ärzte und Patienten, auf Interferon und
seine Nebenwirkungen verzichten zu
können, ohne höhere Resistenzraten
zu riskieren, scheint sich zu erfüllen.
Besonders vielversprechend erscheint
der Polymeraseinhibitor Sofosbuvir:
Hoch potent und gering resistenz-
gefährdet, erzielte er in kleinen Studien
in Kombination mit Ribavirin SVR-
Raten bis zu 100 Prozent. Ausserdem
scheint er auch gegen Genotyp 3 zu wir-
ken, den nächsten Problemkandidaten
auf der Liste.
Angesichts dieser grossen Zahl vielver-
sprechender Optionen stellt sich die
Frage: Wer sollte heute behandelt wer-
den, bei wem lohnt sich das Warten auf
die neuen Wirkstoffe? Für Prof. Dr.
Heiner Wedemeyer, Hannover, sind
Patienten mit Relapse, aber auch the-
rapienaive Patienten mit fortgeschrit-
tenem Leberschaden Kandidaten für
die Soforttherapie. Erstere, weil ihre
Heilungschancen auch bei verkürzter
Therapie so gut stehen, Letztere, weil es
gilt, die Progression der Leberfibrose zu
verhindern. Warten würde er bei Pa-
tienten mit geringer Leberpathologie,
weil diese Patienten nichts versäumen,
wenn sie nicht sofort behandelt wer-
den. Unverzichtbar für eine solche
Strategie ist eine saubere Erfassung
des Leberschadens, notfalls auch per
Leberbiopsie.
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Manuela Arand
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ARS MEDICI 14 ■ 2013