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Titel
Arsenicum
Untertitel
Destinations-Schicksale
Lead
Unser exzellenter Reisebürochef, Herr Leuenberger, nennt Reiseziele «Destinationen». Mit dem englischen «Destiny» = «Schicksal, Bestimmung» hat es viel zu tun, wohin man im Urlaub reist. Einige möchten sich ihrem Schicksal nicht ergeben und versuchen, mit Hilfe des Hausarztes der gewünschten Feriendestination des/der Partners/in zu entgehen.
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Rubriken — ARSENICUM
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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN

ARSENICUM

Destinations-Schicksale
U nser exzellenter Reisebürochef, Herr Leuenberger, nennt Reiseziele «Destinationen». Mit dem englischen «Destiny» = «Schicksal, Bestimmung» hat es viel zu tun, wohin man im Urlaub reist. Einige möchten sich ihrem Schicksal nicht ergeben und versuchen, mit Hilfe des Hausarztes der gewünschten Feriendestination des/der Partners/in zu entgehen. «Für mein allergisches Asthma ist das Gebirge doch sicher gar nicht gut …», piepsen diese Fremdbestimmten hoffnungsvoll, denen es an Durchsetzungsvermögen fehlt, und warten auf mein Veto. Welches nicht kommt, da die Allergenlage gut ist. Kein Trost für die furchtsame Patientin, die im alpinen Dorf täglich um ihren Partner bangt, der nicht ohne Freeclimbing leben will. Oder für den Kältempfindlichen, der frierend drei Wochen Verbannung durchleidet, auf einer friesischen Insel mit wortkargen Menschen, weil seine Partnerin Wattwanderungen und steife Brisen liebt. Augenscheinlich ist es schicksalhaft, dass sich Menschen finden und binden, die ferienmässig inkompatibel sind. Die extravertierte, nachtaktive Shopping- und Spielsüchtige, die in Grossstädten bei einem Städte-Weekend die Sau und viel Geld rauslassen will, ist sicher mit einem sparsamen Hobby-Ornithologen verheiratet, dessen Ferienglück darin besteht, stundenlang unbeweglich mit Feldstecher und Lockpfeife im Schilf zu stehen, oder mit einem Frühaufsteher, der gerne jagt – wenn möglich in sibirischen Wäldern ab vier Uhr morgens pirscht. Der Motorrad-Fan, der am liebsten auf kalifornischen Autobahnen dahinbrettert, tut es nicht, sondern lässt sich von der kunstsinnigen ÖV-Fahrerin, die er liebt, von einem Museum ins andere schleppen. Mit dem ÖV. Weil sie ja nur das Beste für den Partner will, der sich in den Ferien erholen soll, überrascht ihn die liebende Ehefrau mit einer Luxus-Wellness-SpaWoche im Fünfsternhotel. Wo der Beschenkte keine ruhige Minute hat und ständig schlecht gelaunt ist. Denn er überlegt: a) was das kostet, b) was die grazile indische Masseurin sich wohl denkt, wenn sie seine Fettmassen durchwalkt, c) ob der Personal Trainer etwas mit seiner Frau hat. Die Sesshaften mit Haustieren, die im Urlaub am liebsten im trauten Heim und Garten ein bisschen herumwerkeln würden, sind meist mit Fernwehkranken verbandelt, die es in die grosse weite Welt zieht. Zu Menschen, deren Sprache man

nicht versteht, in unbequeme Betten, zu ungewohnter Kost. Zuhause geht der während Monaten beackerte Garten vor die Hunde, und der Hund wird im Tierheim depressiv. Die Hausfrau, die in den Ferien mal keine Hausarbeit mehr will, hat oft einen Wohnwagenbesitzer geheiratet und muss auf engstem Raum mit primitivsten Mitteln haushalten. Es gibt keine Studien darüber, wie viele Menschen in den Ferien zu etwas genötigt werden, was sie nicht wollen – und dies erdulden. Aber die Statistiken über das Ausmass von Streit in der «schönsten Zeit des Jahres» sind besorgniserregend. Schon Kinder rebellieren, wenn sie zu Wander- oder Kulturferien mit den Eltern gezwungen werden oder in Lager mit «lauter Asis», oder in SprachAustausche, wo sie nicht nur der furchtbaren Gastgeberfamilie ausgeliefert sind, sondern auch noch deren schreckliche/n Sohn/Tochter weitere drei Wochen in ihrem eigenem Heim ertragen müssen. Ameisen und Kakerlaken haben Paare auseinandergebracht, wenn begeisterte Zweimann-Zelt-Camper oder Sonnenanbeter mit Komfort liebenden Sauberkeitsfanatikern Ferien machten. Jedes Jahr sind die Ratgeberspalten vor den Ferien voller guter Tipps: Bedürfnisse und Erwartungen miteinander absprechen, ehrlich und realistisch sein, Landessituation sowie das Budget beachten. Das machen die Leute aber nicht. Und schon gar nicht denken sie daran, mal getrennt Ferien zu machen. Denn man will doch in den Ferien mit den Menschen zusammen sein, die man liebt. Und das machen, was man selber gerne tut, und das kontrollieren, von dem man meint, das es der andere tun sollte ... Ich wollte dieses Jahr an den Sempachersee fahren, wo ich gut wassersporteln, Vögel beobachten und mit Kollegen im SPZ fachsimpeln kann. Meine Frau könnte in Sursee ganz toll shoppen und ins Museum gehen. Warum sie ihr Veto eingelegt hat, ist mir schleierhaft. Unser Kompromiss war, dass wir nur einen Abend nach Eich fahren und mit unserem Anwalt und seiner Frau grillieren und Wein trinken. Ausserdem fahren wir wieder eine Woche lang dorthin, wo Herrn Leuenbergers Eltern letztes Jahr Ferien gemacht haben. Das hat sich noch jedes Jahr bewährt – die scheinen mit uns ferienkompatibel zu sein. Zu guter Letzt fliegen meine Frau und meine Kreditkarte nach Paris. Ich arbeite dann wieder. Irgendein Hausarzt muss ja da sein und empathisch zuhören, wenn die Patienten über ihre entsetzlichen, teuren Ferien klagen…

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ARS MEDICI 14 ■ 2013