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FORTBILDUNG
Thiopurine bei chronisch entzündlichen Darmkrankheiten
In der Behandlung chronisch entzündlicher Darmkrankheiten sind Thiopurine seit Langem etabliert. In einem Übersichtsartikel haben schweizerische Wissenschaftler Empfehlungen zu Dosierung und Indikationen sowie zu Veränderungsoptionen des Regimes bei Nebenwirkungen und zum optimalen Zeitpunkt einer Beendigung der Behandlung zusammengefasst.
WORLD JOURNAL OF GASTROENTEROLOGIE
Die Anwendung von Thiopurinen zur Immunsuppression hat sich bei refraktären oder chronisch aktiven Erkrankungsformen des Morbus Crohn (MC) und der Colitis ulcerosa (CU) bewährt. Zur Behandlung chronisch entzündlicher Darmkrankheiten (CED) werden am häufigsten Azathioprin (AZA; Imurek® und Generika) und 6-Mercaptopurin (6-MP; Puri-Nethol®) sowie gelegentlich 6-Thioguanin (6-TG; Lanvis®) angewendet. Das Prodrug AZA wird enzymatisch zu 6-MP abgebaut, welches anschliessend in der Leber und im Darm von mehreren Enzymen weiter metabolisiert wird. Eines davon ist die Thiopurin-S-Methyltransferase (TPMT), welche eine Umwandlung von 6-MP in 6-Methyl-MP (6-MMP) katalysiert. Von einem anderen Enzym wird 6-MP zu 6-Thioguanin-Nucleotiden (6-TGN) umgewandelt. Der finale wirksame Metabolit ist 6-TG, das sich nur langsam in den Zellen anreichert,
Merksätze
❖ Die Möglichkeit, die 6-TGN-Konzentration zu bestimmen, wird zu wenig genutzt.
❖ Der Nutzen der Thiopurine besteht in der verbesserten Lebensqualität durch eine Remission, in der Vermeidung chirurgischer Eingriffe und in der Prävention von Darmkrebs durch die Entzündungskontrolle.
❖ Thiopurine sind mit einem erhöhten Risiko für Infektionen, für Lymphome wie HSTCL und für Nebenwirkungen wie Pankreatitis verbunden.
was vermutlich für das späte Einsetzen der Wirksamkeit nach 10 bis 12 Wochen verantwortlich ist. Die Empfehlungen zur Dosierung von AZA und 6-MP unterscheiden sich in aktuellen Richtlinien nur geringfügig. Sie variieren von 2 bis 3 mg/kg/Tag für AZA und 1 bis 1,5 mg/kg/Tag für 6-MP in den Richtlinien der American Gastroenterological Association (AGA) sowie von 1,5 mg bis 2,5 mg/kg für AZA und 0,75 bis 1,5 mg/kg für 6-MP in denen der European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO). Wenn ausnahmsweise 6-TG angewendet wird, sollte mit einer sehr viel niedrigeren Dosis von etwa 20 mg/Tag begonnen und eine Dosis von 25 mg täglich nicht überschritten werden. Für die Anwendung von 6-TG gibt es bei CED nur sehr wenige Indikationen. 6-TG kann bei CED-Patienten angewendet werden, die ein Thiopurin zur Erhaltungstherapie benötigen, jedoch 5-Aminosalicylsäure (ASA, Mesalazin; Asacol®, Asazine®, Pentasa®, Salofalk®; Colitis ulcerosa) beziehungsweise AZA, 6-MP und Methotrexat (Methotrexat Pfizer® und Generika; Morbus Crohn) nicht vertragen oder gegenüber diesen Substanzen resistent sind und die zudem nicht operiert werden können. Unter diesen klinischen Bedingungen sollte jedoch auch eine Behandlung mit Biologicals als Alternative zu 6-TG in Betracht gezogen werden. Die ECCO-Experten kamen 2006 zu dem Schluss, dass 6-Thioguanin derzeit aufgrund einer hohen Rate an Leberabnormitäten, vor allem nodulärer regenerativer Hyperplasien, nicht zur Erhaltungstherapie bei Morbus Crohn empfohlen werden kann. Die oben aufgeführten Dosisempfehlungen basieren auf westlichen beziehungsweise kaukasischen Richtlinien und sind mit der Annahme verbunden, dass der TPMT-Stoffwechselpfad unter normaler Enzymaktivität verläuft. Eine verminderte TPMT-Aktivität aufgrund von Mutationen des TPMT-Gens führt jedoch bei Standarddosierung zu toxischen Konzentrationen an 6-TGN, was wiederum einen Risikofaktor für eine medikamenteninduzierte Myelosuppression darstellt. Mutationen des TPMT-Gens sind in kaukasischen Populationen nicht selten (Prävalenz etwa 10%), seltener bei chinesischen Patienten (5%) und sehr selten bei japanischen Patienten (1%). Für einen optimalen Therapieerfolg scheint die richtige Konzentration an intrazellulären 6-TGN ausschlaggebend zu sein. Die Serumwerte sind in diesem Zusammenhang nicht aussagekräftig. Zu hohe 6-TNG-Konzentrationen führen zur Myelosuppression, zu niedrige resultieren in einer nicht ausreichenden Wirksamkeit bei CED. Die derzeit empfohlene Konzentration beträgt 235–500 pmol/8 × 108 Erythrozyten.
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Tabelle:
Indikationen für Thiopurine bei chronisch entzündlichen Darmkrankheiten (nach Frei et al.)
Morbus Crohn
Indikation
❖ Remissionserhaltung bei moderatem bis schwerem MC ❖ (jede Lokalisierung, vor allem bei ausgebreiteter Erkrankung) ❖ Remissionserhaltung bei MC mit frühem Rezidiv ❖ (< 3 Monate nach dem letzten Flare-up) oder bei häufigem ❖ Aufflackern (mehr als 2 pro Jahr) ❖ fistulierender MC (in Kombination mit Antibiotika, wenn kein ❖ Beginn mit Anti-TNF erfolgt oder wenn Operation erforderlich) ❖ postoperative Prävention eines MC-Rezidivs (ohne Hochrisiko❖ situation wie mehrere OP oder dauerhafter Raucher) ❖ in Kombination mit Anti-TNF bei schwerem MC
Keine Indikation
❖ Remissionsinduktion (als Monotherapie ❖ bei aktiver Erkrankung)
Colitis ulzerosa (behandelt mit 5-ASA in der optimalen Dosis,wenn keine Unverträglichkeit besteht)
❖ Remissionserhaltung bei steroidabhängiger CU ❖ Remissionserhaltung bei CU mit frühem Rezidiv, ❖ das Steroide erfordert ❖ Remissionserhaltung bei CU mit häufigen ❖ Flare-ups, die Steroide erfordern ❖ Remissionserhaltung bei CU nach Remissionsinduzierung mit ❖ Ciclopsporin (Sandimmun®, Ciclosol®), Tacrolimus (Prograf® ❖ und Generika) oder i.v.-Steroiden ❖ akute oder chronisch refraktäre Pouchitis
❖ Remissionsinduktion (als Monotherapie ❖ bei aktiver Erkrankung)
Da nur eine sehr geringe Korrelation zwischen der Dosierung der Thiopurine und den 6-TGN-Spiegeln und zudem eine ethnische Variabilität bestehen, empfehlen die Autoren eine regelmässige Erfassung der Konzentrationswerte.
TPMT-Monitoring Neben der Bestimmung der Thiopurinmetaboliten kann auch vor Behandlungsbeginn eine TPMT-Genotypisierung (Analyse einzelner Nukleotidpolymorphismen, welche die TPMT-Aktivität beeinflussen) und eine Phänotypisierung (Messung der TPMT-Aktivität) vorgenommen werden. Diese Evaluierung kann zur Identifizierung von «slow metabolizers» von Nutzen sein, bei denen bei Standarddosierung das Risiko für eine medikamenteninduzierte Toxizität besteht. Der Nutzen des TPMT-Monitorings wird kontrovers diskutiert. Die Food and Drug Administration (FDA) in den USA empfiehlt vor Behandlungsbeginn mit Thiopurinen ein TPMT-Monitoring, die europäische ECCO hingegen nicht. In diesem Zusammenhang muss beachtet werden, dass eine TPMT-Testung nicht das Langzeitrisiko für eine Myelosuppression oder für idiokratische unerwünschte Wirkungen wie Fieber, Arthralgien, Hepatitis oder Pankreatitis prädiktiert. Daher ist weiterhin ein regelmässiges hämatologisches Monitoring erforderlich, zu Beginn jede zweite Woche, bis der Patient einen Monat lang eine konstante Dosis erhalten hat, und später alle drei Monate. Dazu gehört ein komplettes Blutbild inklusive Differenzialblutbild, um die Lymphozytenwerte sowie die Plättchen-, die Amylase- und die Leberenzymwerte zu erfassen.
Indikationen für AZA oder 6-MP Es liegt keine ausreichende Evidenz vor, um Thiopurine zur Indizierung einer Remission bei aktiver CED zu empfehlen. Bei inaktivem Morbus Crohn und inaktiver Colitis ulcerosa haben sich AZA und 6-MP in randomisierten kontrollierten Studien zur Verhinderung von Rezidiven als wirksam erwiesen. Insgesamt können 60 Prozent der CED-Patienten in Remission gehalten werden, wenn die Applikation von AZA über 9 bis 12 Monate fortgesetzt wird. Aus zwei randomisierten kontrollierten Studien geht hervor, dass AZA oder 6-MP zur Verhinderung eines postoperativen Rezidivs Plazebo überlegen sind. Postoperativ gegebene Thiopurine reduzierten zudem auch bei populationsbasierten Kohorten die Rezidivhäufigkeit. Somit können Thiopurine eine nutzbringende Option nach Operationen darstellen. Anti-Tumor-Nekrose-Faktoren (anti-TNF) könnten unter diesen Gegebenheiten jedoch noch wirksamer zur Verhinderung von Rezidiven sein, vor allem bei Hochrisikopatienten wie Rauchern, bei perforierender Erkrankung oder nach mehr als zwei Operationen. In einer Metaanalyse zeigte sich bei fistulierendem Morbus Crohn eine signifikant höhere Ansprechrate auf AZA und 6-MP (54%) im Vergleich zu Plazebo (21%). In den ausgewerteten Studien waren Patienten mit perianalen, enterokutanen, interenterischen und rektovaginalen Fisteln eingeschlossen. Mit AZA und 6-MP konnte zwar nur bei einer Minderheit der Patienten ein vollständiger Verschluss der Fisteln erreicht werden, Beschwerden wie Entzündungen, Absonderungen oder Missempfindungen konnten mit diesen
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Medikamenten jedoch massgeblich gelindert werden. Da das Ansprechen auf diese Substanzen erst nach mehreren Monaten einsetzt, ist die Immunsuppression hier nur als SecondLine-Option sinnvoll, wenn keine Operation der Fistel erforderlich ist. Meist werden Antibiotika als Medikamente der ersten Wahl gegeben, mit denen parallel zu den Thiopurinen begonnen werden sollte.
Nebenwirkungen Bei AZA und 6-MP kommt es zu vergleichbaren Nebenwirkungen, die in einer gross angelegten, holländischen Studie bei 39 Prozent der Patienten zum Behandlungsabbruch führten. In anderen klinischen Zusammenhängen sind die Unverträglichkeitsraten jedoch meist viel niedriger. Die meisten unerwünschten Wirkungen treten innerhalb der ersten 3 Behandlungsmonate auf. Bei mehr als 50 Prozent der Patienten, die AZA nicht vertragen, ist 6-MP langfristig verträglich. Die häufigsten Nebenwirkungen können in dosisabhängige und idiosynkratische unterteilt werden. Die wichtigste dosisabhängige unerwünschte Wirkung ist die medikamenteninduzierte Myelosuppression, die bei 2 bis 5 Prozent der kaukasischen Patienten beobachtet wird. Infektionen sind meist dosisabhängige, manchmal aber auch idiosynkratische Nebenwirkungen. Eine Hepatotoxizität kann sich als frühe medikamenteninduzierte Hepatitis, als noduläre regenerative Hyperplasie nach mehreren Behandlungsjahren, als sinusiodale Dilatation oder als Fibrose manifestieren. Eine durch Thiopurine induzierte Hepatotoxizität entwickelt sich eher dosisabhängig als idiosynkratisch. Zu den häufigsten idiosynkratischen Nebenwirkungen, die bei bis zu 15 Prozent der Patienten auftreten, gehören Übelkeit, Erbrechen und Unwohlsein. Weitere häufige Nebenwirkungen, die bei bis zu 10 Prozent der Patienten beobachtet werden, sind Kopfschmerzen, Fatigue, Gewichtsverlust, Stomatitis, Alopezie, Arthralgie, Muskelschwäche und Hautausschläge. Bei diesen Nebenwirkungen kann geprüft werden, ob sie bei einer Dosisreduzierung nachlassen. Eine Pankreatitis tritt bei bis zu 4 Prozent der Patienten als schwere Nebenwirkung meist innerhalb der ersten Behandlungswochen auf. Ist der Anstieg der Amylasewerte mit charakteristischen Schmerzsymptomen assoziiert, muss die Behandlung mit Thiopurinen abgebrochen werden.
Wann sollte das Thiopurinregime bei Nebenwirkungen verändert werden? Wie bereits erwähnt, kann es bei idiosynkratischen Nebenwirkungen sinnvoll sein, von AZA auf 6-MP zu wechseln. Zudem kann bei bevorzugt 6-MMP-verstoffwechselnden Patienten, die aufgrund der hohen Werte von 6-MMP mit assoziierter Hepatotoxizität nur geringe 6-TGN-Konzentrationen erreichen, die zusätzliche Gabe von niedrig dosiertem Allopurinol (Zyloric® und Generika) als XO-Inhibitor zu dosisvermindertem AZA (25–33% der beabsichtigten Dosis) einen Wechsel der AZA-Metabolisierung (zu 6-TGN statt zu 6-MMP) bewirken. Mit dieser Strategie können häufig therapeutische Konzentrationen an 6-TGN und darüber eine Remission erreicht werden. Zudem bessert sich bei dieser Kombination auch häufig die Übelkeit, die mehr als 80 Prozent der Patienten zu schaffen macht.
Maligne Komplikationen Die Behandlung mit AZA oder 6-MP ist mit einem potenziellen Risiko für die Entwicklung von Lymphomen inklusive hepatosplenaler T-Zell-Lymphome (HSTCL) verbunden. Obwohl das relative Risiko hierfür unter Thiopurinen um das Vier- bis Fünffache erhöht ist, bleibt das absolute Risiko ziemlich gering, und aus der Datenlage geht hervor, dass der Nutzen der Thiopurine bei CED diese Risiken bei Weitem überwiegt. Mit der Thiopurinbehandlung der CED ist auch ein erhöhtes Risiko für nicht melanösen Hautkrebs verbunden. Daher sollte vor und während der Behandlung ein regelmässiges Hautscreening in Betracht gezogen werden, vor allem bei älteren Patienten. Zur Prävention ist hier ein ausreichender Hautschutz von entscheidender Bedeutung.
Wann sollte die Thiopurinmonotherapie beendet werden? Den richtigen Zeitpunkt für das Absetzen der Thiopurine zu finden, ist eine der schwierigsten Aufgaben bei der Behandlung von CED. Entsprechend einer randomisierten, kontrollierten Studie aus dem Jahr 2005 profitierten sogar Patienten, die bereits 3,5 Jahre in Remission waren, von einer dauerhaften AZA-Therapie. Die Rezidivraten in dieser Untersuchung lagen bei 8 Prozent gegenüber 21 Prozent mit Plazebo. Dennoch ist auch eine Unterbrechung der Behandlung gerechtfertigt, denn fast alle Patienten, die erneut behandelt werden, erreichen wieder eine Remission. Unabhängige Prädiktoren für ein Wiederaufflammen der Erkrankung sind CRP-Werte über 20 mg/l, Hämoglobinwerte unter 12 mg/dl und eine absolute Anzahl an Neutrophilen von mehr als 4 × 109/l vor Behandlungsbeginn. Da mehr als die Hälfte der Patienten, die Risikofaktoren aufweisen, innerhalb von 24 Monaten ein Rezidiv erleiden (im Vergleich zu 15 Prozent der Patienten ohne negative Prädiktoren), wird für diese eine Dauerbehandlung mit Thiopurinen empfohlen. In der klinischen Alltagspraxis muss zur Entscheidung über die Behandlungsdauer der Nutzen der Immunsuppression gegen die Risiken für Malignitäten und andere Komplikationen abgewogen werden.
Thiopurine in Schwangerschaft und Stillzeit
Obwohl Thiopurine zur Schwangerschaftskategorie D der
FDA gehören, erscheint den Autoren das damit assoziierte
Risiko gering. Das Hauptrisiko besteht vermutlich in einer
vorzeitigen Geburt, die jedoch auch in Verbindung mit der
CED stehen kann. Nach Ansicht der Autoren können Frauen
mit CED zum Zeitpunkt der Empfängnis sowie während der
Schwangerschaft und der Stillzeit sicher mit Thiopurinen be-
handelt werden. Aus einer Umfrage bei Gastroenterologen
geht zudem hervor, dass mehr als 90 Prozent von ihnen eine
kontinuierliche Behandlung mit Thiopurinen empfehlen
würden.
❖
Petra Stölting
Quelle: Frei P. et al.: Use of thiopurines in inflammatory bowel disease. World J Gastroenterol 2013; 19 (7): 1040–1048.
Interessenkonflikte: Keine Angaben dazu vorhanden.
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