Transkript
BERICHT
Myopathierisiko wird überbewertet
Diabetesrisiko unter Statinen muss in Beratung und Lifestyle-Management einfliessen
11. Zürcher Review-Kurs in Klinischer Kardiologie
«Statins – more side effects than effects?», Zürich, 11. April 2013
Mit umfassender Information der Patienten sollten Statine in der Verhütung kardiovaskulärer Erkrankungen weiterhin aggressiv zum Einsatz kommen, sagte Prof. Thomas G. Allison, Mayo Clinic, Rochester, USA.
HALID BAS
Alle aktuellen Guidelines propagieren Statine als initiale medikamentöse Therapie beim Lipidmanagement. Diese Empfehlung stützt sich auf eine grosse Zahl randomisierter Studien sowohl in der Sekundär- als auch in der Primärprävention, die belegen, dass Statine die Zahl kardiovaskulärer Ereignisse senken. Einige Studien, wie etwa 4S, HPS und JUPITER, haben zudem einen Mortalitätsnutzen gezeigt. Trotzdem bleiben einige kontroverse Diskussionen, meinte Thomas Allison.
Reizthema Myopathien Vor 2012 galt die statininduzierte Myopathie als Hauptproblem. Eine Myopathie – definiert als jegliche Form von Muskelschmerzen mit oder ohne Erhöhung der Kreatinkinase (CK) – wurde in randomisierten Studien bei 1,5 bis 5 Prozent der Patienten beobachtet (1). Die Häufigkeit einer Myopathie mit massiver CK-Erhöhung (> 10x obere Grenze Normalbereich) ist jedoch mit 0,1 Prozent sehr selten. Noch seltener (0,01% bei niedriger, 0,04% bei hoher Statindosis) waren Rhabdomyolysen. Rhabdomyolysen wurden vor allem
unter 80 mg Simvastatin gesehen, so Allison. Allerdings kannten die randomisierten klinischen Studien zahlreiche Ausschlusskriterien und hatten eine Run-in-Phase. So wurden für Myopathien empfindliche Personen von vornherein ausgeschlossen. Dies erklärt die 1,5- bis 2-fach höheren Myopathieraten in medizinischen Datenbanken und Registerstudien.
Neuer Fokus: Statine und Demenz Eine epidemiologische Studie sah bei Patienten, die jemals Statine erhalten hatten, eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit für ein demenzfreies Überleben als bei Patienten, die niemals Statine erhalten hatten (2). «Allerdings bestand hier ein offensichtlicher Bias, da ältere Menschen mit Alzheimer eine wesentlich geringere Wahrscheinlichkeit für eine Statinbehandlung haben dürften als solche ohne Demenz», meinte Thomas Allison. Eine weitere Evidenz, die ebenfalls für eine etwa 30-prozentige Reduktion der Demenzwahrscheinlichkeit unter Statinbehandlung spricht, stammt durchwegs aus Beobachtungsstudien. Dann wurde aber mit dem PROSPER Trial eine prospektive Studie durchgeführt, in der 5804 Männer und Frauen zwischen 70 und 82 Jahren randomisiert entweder 40 mg/die Pravastatin oder Plazebo erhielten (3). Die Beobachtungszeit betrug im Mittel 3,2 Jahre, und die kognitive Funktion wurde in jährlichen Intervallen erneut mit psychometrischen Scores sowie Instrumenten zur Erfassung der Alltagsaktivitäten überwacht. «Es ergaben sich zwar im Zeitverlauf einige Trends, aber keine signifikante Differenz zwischen StatinUsern und -Nonusern», kommentierte Professor Allison. In dieser Studie traten zudem auch keine Unterschiede in der Stroke-Häufigkeit zutage.
Berücksichtigung des Diabetesrisikos
Die Women’s Health Initative (WHI-)
Studie umfasste sowohl Frauen mit vor-
bestehenden kardiovaskulären Krank-
heiten (CVD) als auch solche ohne eine
höhere Inzidenzrate für Diabetes melli-
tus. Dies entsprach einer Hazard Ratio
(HR) von etwa 1,5. Adjustiert für rele-
vante Variable lag die HR bei mit Stati-
nen behandelten Frauen ohne CVD
1,46 (95%-Konfidenzintervall [KI]
1,29–1,65) und bei Frauen mit CVD
1,48 (95%-KI 1,36–1,62). «Dies war
eine grosse Überraschung, da die pri-
märpräventive WOSCOP-Studie eine
Reduktion des Diabetesrisikos durch
Statine gezeigt hatte», sagte Allison.
Erhöhter Nüchternblutzucker, Body
Mass Index, Triglyzeride und Hyperto-
nie waren mit einem erhöhten Diabetes-
risiko unter Atorvastatin assoziiert (5).
Für ein signifikantes Risiko müssen
mindestens drei dieser vier Risikofakto-
ren vorhanden sein, fehlen sie, ist unter
Statinen mit keinem signifikant erhöh-
ten Risiko zu rechnen. Zudem ist das
Risiko von der Dosis abhängig. Sehr
ähnlich fiel eine Analyse der JUPITER-
Studie mit Rosuvastatin aus (6). Hier
zeigte sich zudem, dass das reale, aber
geringe Risiko für einen neu auftreten-
den Diabetes den präventiven Nutzen
hinsichtlich Mortalität und kardio-
vaskuläre Ereignisse keineswegs zu-
nichte macht. Die Patienten sollten ent-
sprechend informiert werden, schloss
Thomas Allison.
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Halid Bas
1. Mancini JGB et al., Can J Cardiol 2011; 27: 635–662. 2. Beydoun et al., J Epidemiol Community Health 2011;
65: 949–957. 3. Trompet S et al., J Neurology 2010; 257: 85–90. 4. Culver AL et al., Arch Intern Med 2012; 172(2):
144–152. 5. Waters et al., J Am Coll Cardiol 2011; 57(14):
1535–1545. 6. Ridker P et al., Lancet 2012; 380: 565–571.
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ARS MEDICI 13 ■ 2013