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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Diabetes
Bluttest kann Typ-1-Diabetes voraussagen
Man weiss, dass bereits vor der Manifestation eines Typ-1-Diabetes Antikörper gegen Inselzellen im Blut nachweisbar sind. Unbekannt war bis anhin, inwieweit das Auftreten solcher Antikörper einen Typ-1-Diabetes vorhersagt. Eine kürzlich in der Zeitschrift JAMA publizierte Studie ergab, dass das gemeinsame Auftreten gleich mehrerer diabetesrelevanter Antikörper ein deutliches Signal dafür ist, dass ein junger Mensch in der Zukunft an Typ-1Diabetes erkranken wird: «Diese Auto-
antikörper entwickeln sich oft schon viele Jahre vor Ausbruch des Diabetes und kündigen ihn auf diese Weise an», so Anette-Gabriele Ziegler, Direktorin des Instituts für Diabetesforschung des Helmholtz-Zentrums München und Erstautorin der Studie. Die Autoren werteten die Daten aus drei Studien mit insgesamt 13 777 Kindern aus, die ein genetisch bedingtes erhöhtes Risiko für Typ-1-Diabetes trugen und bei denen nach den diabetesrelevanten Autoantikörpern gegen Insulin, GAD65 oder IA2 gesucht wurde. Der Follow-up-Zeitraum betrug bis zu 20 Jahre. Entwickelten die Kinder mehr als einen Autoantikörper (n = 585), betrug ihr Zehnjahresrisiko für Typ-1-Diabetes 70 Prozent. Bei den 474 Kindern, die nur einen Autoantikörper aufwiesen, war dieses Risiko mit 14 Prozent wesentlich geringer. Verschwindend gering war es bei den Kindern, die trotz potenziell erhöhten Risikos gar keine diabetesrelevanten Antikörper entwickelten. Hier waren nur 0,4 Prozent bis zu ihrem 15. Lebensjahr an Typ-1Diabetes erkrankt.
Zeigten sich die Autoantikörper bereits
früh, vor Vollendung des dritten Le-
bensjahres, war das mit einer schnelle-
ren Progression zum manifesten Typ-1-
Diabetes verbunden (Zehnjahresrisiko
75% vs. 61%). Auch bestimmte Gewe-
betypen (HLA DR3/DR4-DQ8) und
weibliches Geschlecht gingen mit einer
rascheren Progression einher.
Ziegler betont, dass das Auftreten meh-
rerer Autoantikörper praktisch immer
für die Entwicklung eines Typ-1-Dia-
betes nach spätestens 20 Jahren spricht:
«Nach 15 Jahren waren es bereits
85 Prozent, zum Ende der Beobach-
tungszeit nahezu 100 Prozent.» Nun
hoffe man, die Entwicklung eines Typ-
1-Diabetes durch frühzeitiges Eingrei-
fen bremsen oder gar verhindern zu
können. Behandlungen mit antigen-
basierter Immuntherapie werden der-
zeit bei Kindern und jungen Erwachse-
nen erprobt.
RBO❖
Ziegler AG et al.: Seroconversion to multiple islet autoantibodies and risk of progression to diabetes in children. JAMA. 2013; 309 (23): 2473–2479 und Pressemitteilung der Deutschen Diabetesgesellschaft vom 19. Juni 2013.
Blutdruck
Einer für (fast) alle
Mit ihren neuen Hypertonie-Guidelines verabschieden sich die europäischen Kardiologen vom Konzept unterschiedlicher Blutdruckziele für ansonsten «gesunde» Hypertoniker und solche mit weiteren Risikofaktoren. Für fast alle Personen gilt nun 140/ 90 mmHg als oberes Limit. Es habe letztlich nicht genügend Beweise dafür gegeben, dass 130/80 mmHg für Personen mit höherem Risiko tatsächlich etwas bringe. Weitere bedeutende Änderungen gegenüber den letztmals vor sechs Jahren aktualisierten Richtlinien betreffen die Selbstmessung zu Hause, die nun ein höheres Ansehen geniesst als zuvor, die
ausdrückliche Betonung, dass man alle kardiovaskulären und anderen Gesundheitsrisiken vor Beginn einer Therapie gründlich evaluieren müsse, sowie eine differenzierte Betrachtung einzelner Gruppen, wie zum Beispiel Schwangere, Diabetiker oder Hochbetagte über 80 Jahre; bei Letzteren gilt nun ein systolischer Blutdruck von 160 mmHg zwar nicht als unbedingt wünschenswert, aber noch als akzeptabel. Auch zur Therapie gibt es Neues: Bei hoch normalem Blutdruck braucht es keine Medikamente, und für eine Monotherapie wird keine bestimmte Medikamentenklasse speziell empfohlen – Hauptsache, der Blutdruck sinkt.
Für die Kombinationen der einzelnen
Substanzen gibt es keine Hierarchie,
sondern man versucht, mit den neuen
Guidelines die Ärzte bei der für ihren
Patienten individuell optimalen Medi-
kamentenwahl zu unterstützen.
In unserer Beilage «CongressSelection
Kardiologie» werden wir demnächst
im Detail über die neuen Hypertonie-
Guidelines berichten.
RBO❖
Task Force for the management of arterial hypertension of the European Society of Hypertension (ESH) and of the European Society of Cardiology (ESC): 2013 ESH/ESC Guidelines for the management of arterial hypertension. European Heart Journal 2013, doi:10.1093/eurheartj/eht151 und Pressemitteilung der European Society of Cardiology (ESC) vom 14. Juni 2013.
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ARS MEDICI 13 ■ 2013
ICD-Therapie
Hohes Alter allein kein Ausschlusskriterium
PREISGEKRÖNT
KHM Forschungspreis 2013
Die Entscheidung für oder wider die Therapie mit einem implantierbaren Kardioverter/Defibrillator (ICD) sollte nicht allein vom Alter des Patienten abhängig gemacht werden, sondern auch andere zum Sterblichkeitsrisiko beitragende Faktoren einbeziehen. Zu diesem Schluss kommen die Autoren einer kanadischen Registerstudie mit 5399 ICD-Empfängern im Alter von 18 bis über 80 Jahren, die jetzt im Fachblatt «Circulation» veröffentlicht wurde. Der Nutzen eines ICD kann bei älteren Menschen durch zunehmende Komorbiditäten und eine dementsprechend relativ häufigere nicht arrhythmiebedingte Sterblichkeit eingeschränkt sein und wird von daher kontrovers diskutiert. Auf der anderen Seite ist der Durchschnittspatient mit Herzinsuffizienz und linksventrikulärer systolischer Dysfunktion bereits älter als 65 Jahre. In der Altersgruppe der über 80-Jährigen wird der Anteil der nach konventionellen Kriterien für eine Implantation eines ICD infrage kommenden Personen noch auf etwa 28 Prozent geschätzt. Tatsächlich stellte die Arbeitsgruppe um Douglas S. Lee an der University of Toronto
bei den im Zeitraum von Februar 2007 bis
September 2010 sowohl zur Primär- als
auch zur Sekundärprävention mit einem
ICD versorgten Patienten des Ontario-ICD-
Registers eine altersabhängige Zunahme der
Mortalität fest. Doch das Alter war zwar ein
unabhängiger Prädiktor für Sterblichkeit,
nicht aber für eine effektive ICD-Therapie:
Die Raten der von den Geräten abgegebenen
adäquaten und inadäquaten Schocks waren
in beiden Kohorten über sämtliche Alters-
gruppen ähnlich hoch. Ältere Menschen
können also hinsichtlich der Verhinderung
eines arrhythmiebedingten Todes den glei-
chen Nutzen aus einer ICD-Therapie ziehen
wie jüngere Patienten.
Die Berücksichtigung prognostischer Fakto-
ren für Mortalität, verbunden mit einer indi-
viduellen klinischen Beurteilung, könne dazu
beitragen, ältere Patienten zu identifizieren,
die von einer ICD-Implantation profitieren,
so das Fazit der Autoren.
RABE❖
Yung D et al.: Survival after implantable cardioverter-defibrillator implantation in the elderly. Circulation 2013; 127: 2383–2392.
Der Luzerner Hausarzt Dr. med. Christoph Merlo (Mitte) und seine Koautoren Dr. med. Constance Ross, Dr. med. Michael Trummler (re) und PD Dr. med. Andreas Zeller (li.) wurden für ihre Forschungsarbeit zur «Prävalenz und Symptomatik des Vitamin-D-Mangels in der Schweiz» mit dem Forschungspreis Hausarztmedizin 2013 des Kollegiums für Hausarztmedizin (KHM) ausgezeichnet. Sie hatten festgestellt, dass erstaunlich viele Personen selbst unmittelbar nach dem Sommer suboptimale Vitamin-D-Spiegel oder einen Vitamin-D-Mangel aufweisen. Die Bestimmung der Vitamin-D-Spiegel bei 776 Hausarztpatienten in Luzern und Umgebung ergab im September 2011, dass diese bei den meisten Personen (88,9%) unter dem als optimal angesehenen Zielbereich von > 75 nmol/l lagen. Ein Vitamin-D-Mangel (< 30 nmol/l) zeigte sich bei 9,8 Prozent, und bei 45,1 Prozent der Probanden lag der Wert mit unter 50 nmol/l im Mangelbereich. Verglich man Personen mit einem Vitamin-D-Spiegel unter und über 50 nmol/l fanden sich Unterschiede bezüglich Muskelschwäche und Müdigkeit, nicht aber bezüglich Muskelund Gelenkschmerzen. Der mit 30 000 Franken dotierte, von der Firma Mepha gestiftete KHM-Forschungspreis wird alljährlich für herausragende Forschungsarbeiten verliehen, die sich mit praxisrelevanten Themen aus dem Alltag von Hausärztinnen und Hausärzten befassen und so die Versorgung der Patienten verbessern. Schleudertrauma Angst vor Schmerzen nehmen KHM «Kopf des Jahres» 2013 Die Vermeidung jeglicher Aktivität aus Angst vor Schmerzen könnte bei Schleudertraumapatienten eine entscheidende Rolle für die Chronifizierung der Beschwerden spielen. Das ergab eine Studie mit 191 Patienten, die noch drei Monate nach dem Unfall unter schleudertraumaassoziierten Symptomen (WAD: whiplash-associated disorders) litten. Sie wurden in drei Gruppen eingeteilt: Alle Teilnehmer erhielten eine Broschüre mit Informationen zu WAD und und wie wichtig es ist, möglichst rasch wieder aktiv zu werden. Die Teilnehmer der ersten Gruppe erhielten nur die Broschüre, die zweite Gruppe zusätzlich ärztliche Beratungsgespräche (3 × 2 Stunden). Die dritte Gruppe bekam zusätzlich zur Broschüre dreimal zwei Stunden Psychothe- rapie in Form einer imaginierten und direkten Expositionstherapie mit den angstbesetzten Aktivitäten. Bei den Patienten mit Psychotherapie war der grösste postive Effekt zu beobachten, und zwar in allen Endpunkten (Verbesserung der Nackenbeweglichkeit, Schmerzen, Depression). Die Autoren der Studie schliessen daraus, dass für die Behandlung von subakuten Schleudertraumapatienten die Verminderung der Angst vor Schmerzen von entscheidender Bedeutung ist. RBO❖ Robinson JP et al.: The role of fear of movement in subacute whiplash associated disorders grades I and II. Pain 2013; 154(3): 393–401. Anders als in den vorherigen Jahren wurde nicht eine einzige Person, die sich um die Hausarztmedizin verdient gemacht hatte, ausgezeichnet, sondern mit den Jungen Hausärzten Schweiz (JHaS) eine Organisation. Die JHaS habe wesentlich dazu beigetragen, die Anliegen der zukünftigen Hausärztegeneration und damit die Forderung nach einer attraktiven Hausarztmedizin auf die gesundheitspolitische Tagesordnung zu setzen, hiess es in der Laudatio. Mit der Auszeichnung will das KHM den Elan und das Engagement der JHaS für eine gesicherte Zukunft der Hausarztmedizin unterstützten. SGAM-Vizepräsidentin Dr. med. Franziska Zogg überreichte die Urkunde an der KHM-Tagung in Luzern an JHaS-Präsident Dr. med. Sven Streit. RBO❖