Transkript
Kardiovaskuläre Prävention
Schützen Omega-3-Fettsäuren und Schweizer Alpkäse vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen?
FORTBILDUNG
Studien deuten darauf hin, dass die vermehrte Aufnahme von Omega-3-Fettsäuren mit der Nahrung dazu beitragen kann, Herz-Kreislauf-Erkrankungen vorzubeugen. Der folgende Übersichtsartikel erläutert biologische Wirkungsmechanismen von Omega-3-Fettsäuren, fasst epidemiologische Daten über deren Einfluss auf die primäre und sekundäre Prävention von kardiovaskulären Erkrankungen zusammen und beschreibt einen potenziell protektiven Effekt von Schweizer Alpkäse auf das Herz-Kreislauf-System.
MARTIN F. REINER, SIMONA STIVALA UND JÜRG H. BEER
Herz-Kreislauf-Erkrankungen zählen zu den häufigsten Todesursachen in der westlichen Welt. Eine Verbesserung der Primär- und Sekundärprävention und dadurch eine Senkung der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität durch nutritive Interventionen sind daher von bedeutender Relevanz. Es hat sich gezeigt, dass unter anderem die vermehrte Auf-
Merksätze
❖ Zahlreiche Studien belegen eine Senkung der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität durch die vermehrte Zufuhr der n-3Fettsäuren EPA und DHA, entweder durch vermehrte Einnahme von Fisch oder durch Nahrungsergänzung mittels Fettsäurekapseln.
❖ Eine kostengünstige Alternative ist die pflanzliche Alpha-Linolensäure, deren protektiver Einfluss auf das Herz-Kreislauf-System ebenfalls in zahlreichen Studien gezeigt wurde.
❖ Die Schweiz und Frankreich zählen zu den Ländern mit dem meisten Käsekonsum weltweit, zeigen allerdings trotz der vermehrten Fettaufnahme eine relativ geringe kardiovaskuläre Mortalität. Dies könnte darin begründet sein, dass das Alpengras und folglich die Kuhmilch einen hohen Anteil an pflanzlicher Alpha-Linolensäure enthalten.
nahme von Omega-3-Fettsäuren (n-3-FS) mit der Nahrung positive Auswirkungen auf die Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen hat (1, 2). Mehrfach ungesättigte n-3-FS senken Triglyzeridspiegel (3) und weisen antihypertensive (4), antiarrhythmische (5), antiinflammatorische (6), antithrombotische (7) und antiatherosklerotische (8) Wirkungen auf. Zudem wurde eine Verbesserung der endothelialen Funktion festgestellt (9). Die pflanzliche Alpha-Linolensäure (ALA) sowie die marine Eikosapentaensäure (EPA) und Dokosahexaensäure (DHA) repräsentieren dabei die wichtigsten Vertreter von biologisch aktiven n-3-FS.
Essenzielle ungesättigte Fettsäuren Omega-3-Fettsäuren enthalten eine Doppelbindung am drittletzten Kohlenwasserstoffatom des Alkylendes und gehören damit zur Klasse der essenziellen ungesättigten Fettsäuren. Abhängig vom Vorhandensein einer oder mehrerer Doppelbindungen spricht man von einfach oder mehrfach ungesättigten Fettsäuren. Denen stehen die gesättigten Fettsäuren gegenüber, die ausschliesslich Einfachbindungen enthalten. Desaturasen, also Enzyme, die zum Einbau von Doppelbindungen am n-3- oder am n-6-Ende befähigt sind, liegen im menschlichen Körper nicht vor. Die lebenswichtigen n-3- sowie n-6-FS können daher nicht de novo synthetisiert werden, müssen mit der Nahrung aufgenommen werden und zählen damit zu den essenziellen Fettsäuren. Des Weiteren stellen sie die zwei wichtigsten Klassen der in der Nahrung enthaltenen mehrfach ungesättigten FS dar (10). Zu den biologisch relevanten n-3-FS zählen vor allem die pflanzliche mittelkettige 3-fach ungesättigte Alpha-Linolensäure (ALA), die aus 18 Kohlenwasserstoffatomen aufgebaut ist (18:3 n-3), sowie die marinen langkettigen Fettsäuren Eicosapentaensäure (20:5 n-3) und Docosahexaensäure (22:6 n-3). Die essenzielle Linolsäure (LA; 18:2 n-6) und ihr Metabolit, die Arachidonsäure (AA, 20:4 n-6), sind wichtige Vertreter der n-6-FS (11). Fisch und Fischöl stellen die Hauptnahrungsquellen für EPA und DHA dar, während ALA Bestandteil verschiedener Pflanzen ist (Tabelle). ALA wird nur zu einem geringen Teil (0,05–10%) in langkettige FS umgewandelt, was eine zusätzliche diätetische Zufuhr der Letzteren notwendig macht (12, 13). Der Anteil von n-6zu n-3-FS ist für deren Resorption und Konversion zu langkettigen FS von Bedeutung. Ein hohes LA/ALA-Verhältnis reduziert die Aufnahme von ALA und deren Umwandlung zu EPA und DHA, da sowohl für LA als auch ALA dieselben Enzyme für Desaturation und Elongation zur Umwandlung in langkettige FS benötigt werden (14).
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Tabelle:
Gehalt von Alpha-Linolensäure (ALA), Eicosapentaensäure (EPA) und Docosahexaensäure pro 100 g Nahrungsmittel
Pro 100 g
Leinsamenöl Rapsöl Englische Walnuss Butternuss Sojaöl, ungehärtet Senföl Sojaöl, gehärtet Schwarze Walnuss Buchecker Pekannuss
ALA (g)
53,3 9,1 9,1 8,7 6,8 5,9 2,6 2,0 1,7 1,0
Pro 100 g
Sardellen Atlantischer Hering Farmlachs Wildlachs Makrele Blaubarsch Atlantische Sardinen Forelle Torpedobarsch Schwertfisch
EPA + DHA (mg)
2055 2014 1966 1840 1203 988 982 936 905 899
Aus: Mozaffarian D, Wu JH: Omega-3 fatty acids and cardiovascular disease: effects on risk factors, molecular pathways, and clinical events. J Am Coll Cardiol 2011; 58 (20): 2047–2067.
Aggregation (Impedanz [⍀])
Kollagen
Niedrig dosiert ALA 25
20
15
10
5
0
Hoch dosiert ALA
0 12 34 567
Zeit (min)
Abbildung 1: Verminderte Plättchenaggregation nach Zusatz der Omega-3-Fettsäure ALA zur Nahrung. (Nachdruck mit freundlicher Genehmigung aus Holy EW et al.: Dietary α-linolenic acid inhibits arterial thrombus formation, tissue factor expression, and platelet activation. Arterioscler Thromb Vasc Biol 2011; 31 (8): 1772–1780.)
Zahlreiche Studien belegen eine Senkung der kardiovaskulären Morbidität und Mortalität durch die vermehrte Zufuhr der n-3-Fettsäuren EPA und DHA, entweder durch die vermehrte Einnahme von Fisch oder durch Nahrungsergänzung mittels Fettsäurekapseln (1, 2). Eine kostengünstige Alternative stellt die pflanzliche Alpha-Linolensäure dar, deren protektiver Einfluss auf das Herz-Kreislauf-System ebenfalls in zahlreichen Studien belegt wurde (15–17).
Wirkmechanismen Omega-3-FS werden, nachdem sie hauptsächlich zu Glycerophospholipiden verestert wurden, in die Zellmembran eingebaut und wirken dort über ❖ die Freisetzung von Mediatoren ❖ die Beeinflussung von Ionenkanälen ❖ über direkte Effekte auf die Zellmembran (11). Unsere Arbeitsgruppe zeigte in einem Mausmodell, dass sich durch Zusatz von ALA zur Nahrung die Atherosklerose um 50 Prozent reduziert. Des Weiteren wurden der Gehalt von T-Zellen in den Plaques und die Expression von VCAM-1 (vascular cell adhesion molecule 1) – einem Adhäsionsmolekül für Leukozyten auf Endothelzellen – reduziert und die Expression des Tumor-Nekrose-Faktors (TNF) alpha, als Zeichen einer antiinflammatorischen Wirkung, vermindert (18). Andere Studien konnten eine Reduktion der Adhäsionsmoleküle ICAM-1 (intercellular adhesion molecule 1) und P-Selectin und damit verbunden eine verringerte Infiltration von Monozyten aufzeigen (19). Zudem konnten wir eine antithrombotische Wirkung von ALA durch die Hemmung der Plättchenaggregation nach Stimulation mit Thrombin oder Kollagen (Abbildung 1) zusätzlich zu einer Abnahme der Expression des stark prokoagulatorischen »tissue factor» (TF) und einer verringerten Bildung arterieller Thromben nachweisen. Diese Ergebnisse belegen eine duale (Hemmung der Thrombozyten und Hemmung der Koagulation durch verminderte TF-Expression) antithrombotische Wirkung der n-3-FS ALA (20).
Endotheliale Dysfunktion, die mit kardiovaskulären Erkrankungen assoziiert ist (21), wurde in vitro durch die Behandlung von humanen Endothelzellen mit DHA reduziert. Dieser Effekt wurde über eine erhöhte Expression und Aktivierung von eNOS (endothelial nitric oxide synthase) und eine dadurch verbesserte Stickoxid (NO-)Bioverfügbarkeit vermittelt (22). Die antiarrhythmische Wirkung von n-3-FS wird unter anderem durch die Modifizierung von Na+-, K+- und Ca2+-Kanälen sowie den Na+/Ca2+-Austauscher (NCX) erreicht (23). Mehrfach ungesättigte Fettsäuren hemmen Na+Kanäle, verkürzen das Aktionspotenzial, erhöhen die Erregungsschwelle zu positiveren Potenzialen und verlängern die relative Refraktärzeit. Des Weiteren werden spannungsaktivierte L-Typ-Ca2+-Kanäle (24) und der kardiale Natrium/Kalzium-Austauscher NCX 1 gehemmt (25). Eine Verminderung des Na+- und Ca2+-Einstroms beugt der Entstehung von Extrasystolen vor (24). Langkettige Omega-3-Fettsäuren senken Triglyzeridspiegel durch Verminderung der Produktion von (potenziell atherogenen) VLDL (very low density lipoproteines) in der Leber und durch eine Erhöhung der VLDL-Clearance. Die hormonsensitive Lipase (HSL) bestimmt die Lipolyse in Adipozyten, wodurch die Plasmakonzentration von nicht veresterten Fettsäuren, die eine wichtige Quelle für die Bildung von VLDL darstellen, reguliert wird. Omega-3-FS hemmen die Aktivität der HSL und vermindern dadurch die VLDL-Konzentration (26).
Schweizer Alpkäse und das «alpine Paradox» Hauswirth et al. führten eine Studie zum Gehalt an Omega3-Fettsäuren (v.a. Alpha-Linolensäure) in Schweizer Alpkäse im Vergleich zu anderen Käsesorten durch (14). Die Nurses Health Study hat gezeigt, dass der tägliche Konsum von durchschnittlich 1,36 g ALA das relative Risiko, an einer ischämischen Herzkrankheit zu versterben, um 45 Prozent und das relative Risiko, einen nicht tödlichen Myokardinfarkt zu erleiden, um 15 Prozent im Vergleich zu einem moderaten Konsum von 0,71 g/Tag verringert (43).
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mg/100 g Käse
700
ALA
A600
500
400
300
200
100
0 Alpine LS Cheddar
Alpine-S Emmentaler
2,5
Total n-3 PUFA
C
2,0
1,5
1,0
0,5
0 Alpine LS Cheddar Alpine-S Emmentaler
Verhältnis n-6/n-3
mg/100 g Käse
50
B
40
EPA
30
20
10
0 Alpine LS Cheddar
Alpine-S Emmentaler
4,5
D4,0
Verhältnis n-6/n-3
3,5
3,0
2,5
2,0
1,5
1,0
0,5 Alpine LS Cheddar
Alpine-S Emmentaler
g/100 g Fettsäuremethylester
Abbildung 2: A) Alpha-Linolensäure (ALA); B) Eicosapentaensäure (EPA); C) totale Gesamtmenge an mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren (n-3-PUFA); D) das Verhältnis von Omega-6- zu Omega-3Fettsäuren in Schweizer Alpkäse aus Milch von Kühen, gefüttert mit Alpengras (Alpine), aus Milch von Kühen mit Silo-Teilfütterung (Alpine-S), in Schweizer Käse aus Milch mit Leinsamen angereichertem Futter (LS) sowie in handelsüblichem Emmentaler und Cheddar. (Nachdruck mit freundlicher Genehmigung aus Hauswirth CB et al.: High omega-3 fatty acid content in alpine cheese: the basis for an alpine paradox. Circulation 2004; 109 [1]: 103–107.)
Die Schweiz und Frankreich zählen zu den Ländern mit dem meisten Käsekonsum weltweit, zeigen allerdings auch eine trotz der damit verbundenen vermehrten Fettaufnahme relativ geringe Mortalität aufgrund kardiovaskulärer Erkrankungen. Eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen liegt vielleicht in dem hohen Gehalt der pflanzlichen Alpha-Linolensäure im Alpengras und folglich in der Kuhmilch (27), die zur Herstellung von Alpkäse verwendet wird. Schweizer Alpkäse, zum einen hergestellt aus Milch von Kühen der Alpenregion um Gstaad, gefüttert mit Alpengras, und zum anderen aus der Milch von Gstaader Kühen mit Silo-Teilfütterung, wurde mit handelsüblichem Emmentaler, englischem Cheddar und Käse aus der Milch von Kühen, deren Futter mit Leinsamen angereichert wurde, um den Omega-3-FSGehalt zu erhöhen, verglichen. Tatsächlich konnte ein hoher Gehalt von Alpha-Linolensäure, Eicosapentaensäure sowie gesamter Omega-3-Fettsäuren in Schweizer Alpkäse, hergestellt aus der Milch von mit Alpengras gefütterten Kühen, gefunden werden. Zudem erscheint das für die Resorption und die Konversion in langkettige FS wichtige n-6-/n-3-Fettsäure-Verhältnis im Alpkäse niedriger und damit vorteilhaft zu sein (Abbildung 2). In Milch von Kühen, die mit Leinsamen angereichertes Futter erhielten, fiel der Gehalt an ALA, EPA und totalen n-3-FS im Käse eher gering aus. Verglichen mit den meisten Käsesorten war er zwar erhöht, allerdings geringer als jener im Alpkäse. Käse aus der Milch von Kühen mit Silo-Teilfütterung zeigte dagegen einen deutlich geringeren Gehalt an ALA verglichen mit Käse von den mit Alpengras gefütterten Kühen, was die Bedeutung des Alpha-Linolensäuregehalts im Alpengras unterstreicht (14). Durchschnittlich werden in der Schweiz 55 g Käse pro Kopf und Tag verzehrt (28). Bei einer Zufuhr von Alpkäse würde das einer Menge von 272 mg ALA entsprechen, jedoch nur 62 mg, wenn ausschliesslich Cheddar gegessen werden würde. Ein einfacher Wechsel der Käsesorte hätte damit einen beträchtlichen Zugewinn an diätetischen Omega-3-
Fettsäuren und eine damit verbundene potenzielle kardiovaskulär protektive Wirkung zur Folge, wobei Käsekonsum an sich aufgrund des Cholesterin- und Kaloriengehalts nicht protektiv auf das Herz-Kreislauf-System wirkt. Genaue Auswirkungen des Verzehrs von Schweizer Alpkäse müssen im Zusammenhang mit der Erhöhung verschiedener n-3-FS näher bestimmt werden (14).
Klinische Studien Unzählige Studien zeigen einen inversen Zusammenhang der kardiovaskulären Eventrate und der Einnahme von Omega-3-Fettsäuren. Bang et al. beschrieben erstmals 1971 eine geringe Inzidenz von Herzinfarkten bei Inuit aus Grönland und führten diese auf den hohen Fischkonsum zurück (29). Die Diet-and-Reinfarction-Studie (DART) zeigte eine Abnahme der Zwei-Jahres-Gesamtmortalität um 29 Prozent im Zusammenhang mit vermehrtem Fischverzehr bei Patienten mit vorangegangenem Herzinfarkt. Die Kombination Reinfarkt und Tod aufgrund kardialischämischer Ursachen war jedoch vergleichbar in beiden Gruppen (30). Die tägliche Aufnahme von 1 g mehrfach ungesättigter Fettsäuren zur Nahrungsergänzung konnte den primären Endpunkt (Tod, nicht tödlicher Herzinfarkt und Schlaganfall) bei Patienten nach Myokardinfarkt um 15 Prozent reduzieren (31). Bei Patienten mit Hypercholesterinämie resultierte ein Vergleich von Statintherapie allein mit Statintherapie plus 1800 mg EPA pro Tag in einer 19-prozentigen relativen Risikoreduktion von koronaren Ereignissen (plötzlicher Herztod, Myokardinfarkt, instabile Angina pectoris, Stenting oder Bypass-Operation) (32). Die GISSI-HF-Studie testete die Wirkung einer täglichen Aufnahme von 1 g mehrfach ungesättigter FS auf herzinsuffiziente Patienten (NYHA II–IV), fand jedoch nur eine geringe Senkung der Gesamtmortalität im Vergleich zu Plazebo (33). Ergebnisse neuerer Studien konnten die protektive Wirkung von mehrfach ungesättigten Fettsäuren nicht bestätigen. Die Alpha-Omega-Studie untersuchte den Einfluss von niedrig dosierten Omega-3-Fettsäuren (EPA/DHA vs. ALA vs. EPA/DHA und ALA) im Vergleich zu Plazebo bei Patienten mit vorangegangenem Myokardinfarkt. Dabei wurde kein signifikanter Unterschied bezüglich der als primärer Endpunkt definierten kardiovaskulären Eventrate festgestellt (34). Erwähnt werden sollte, dass die in der Studie verwendete geringe Dosis von 376 mg EPA/DHA nicht gut mit jenen der oben genannten Studien vergleichbar ist. Zusätzlich enthält Margarine, die in dieser Studie als Trägersubstanz für n-3-FS diente, Transfettsäuren, die bekanntlich das Risiko für koronare Herzerkrankungen erhöhen (35). Die geringe Dosis der potenziell protektiven n-3-FS sowie die schädlichen Transfettsäuren aus der Margarine könnten mögliche Ursachen dafür sein, dass sich die positiven Effekte der Omega-3Fettsäuren auf das Herz-Kreislauf-System nicht bestätigen liessen. Ausserdem vermag eine optimale Pharmakotherapie von Patienten mit Betablockern, Statinen und ACE-Inhibitoren einen weiteren protektiven Effekt von n-3-FS zu überdecken. Gleichzeitig birgt das jedoch die Möglichkeit, Patienten ohne entsprechende State-of-the-Art-Therapie aufgrund etwaiger Unverträglichkeiten oder anderer Gründe ergänzend mit Omega-3-Fettsäuren zu behandeln, um deren kardiovaskuläres Outcome zu verbessern.
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Kürzlich wurden die Daten der ORIGIN-Studie publiziert. Hier zeigte sich im Vergleich zur Plazebogruppe, dass Typ-2Diabetiker beziehungsweise Patienten mit erhöhtem Risiko für Typ-2-Diabetes nicht von der täglichen Einnahme von 1 g Omega-3-Fettsäuren profitieren konnten: Die kardiovaskuläre Eventrate war in beiden Gruppen identisch (36). Erwähnenswert ist, dass die Kontrollgruppe mit Olivenöl, das Omega-9-FS enthält und damit ebenfalls kardioprotektive Wirkungen aufweist (37), behandelt wurde. Das könnte den potenziell protektiven Effekt einer Supplementation mit n-3-FS in dieser Hochrisikopopulation maskieren. Kürzlich zeigte die Metaanalyse von 26 prospektiven Kohortenstudien und 12 randomisierten kontrollierten Studien von Chowdhury et al. einen inversen Zusammenhang von Fischkonsum und dem Auftreten zerebrovaskulärer Ereignisse. Dieser Effekt liess sich allerdings in Studien, in denen Omega3-FS zusätzlich zur Ernährung in Form von Fischölkapseln supplementiert wurden, nicht bestätigen. Diese Ergebnisse deuten auf einen zusätzlich günstigen Effekt von weiteren Nahrungsbestandteilen im Fisch hin und zeigen einen möglichen Vorteil von Fischkonsum gegenüber der Supplementation von n-3-FS durch Fischölkapseln (38).
Empfehlungen Die American Heart Association (AHA) empfiehlt allen Erwachsenen zweimal wöchentlich den Konsum von Fisch, vor allem von fettem Fisch wie Makrele, Seeforelle, Hering, Sardinen und Lachs (entspricht etwa 227 g). Patienten mit einer koronaren Herzkrankheit wird die tägliche Einnahme von 1 g EPA, kombiniert mit DHA, in Form von fettem Fisch oder Fischölkapseln empfohlen. Zudem könnten 2–4 g EPA/DHA pro Tag helfen, die Triglyzeridlevel bei Patienten mit Hypertriglyzeridämie um 20 bis 40 Prozent zu senken (39). Das Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) empfiehlt ebenfalls, ein- bis zweimal wöchentlich Fisch (entsprechend 100–240 g) zu sich zu nehmen, um den Bedarf an langkettigen Omega-3-Fettsäuren zu decken. Als Alternative können täglich 500 mg EPA/DHA in Form von Fischöl oder Kapseln eingenommen werden. Gemäss den AHA-Richtlinien zur Sekundärprävention nach Myokardinfarkt wird die tägliche Zufuhr von 1000 mg EPA/DHA oder mehr empfohlen. Zusätzlich gibt das BAG an, die Aufnahme von Omega-6- und Omega-3-Fettsäuren auf ein Verhältnis von 5:1 zu reduzieren,
um das Thrombose- und Entzündungsrisiko durch eine zu hohe Aufnahme von Omega-6-Fettsäuren zu reduzieren. Darüber hinaus wird die tägliche Zufuhr von Alpha-Linolensäure (1,1 g für Frauen; 1,6 g für Männer) empfohlen (40).
Diskussion
Es erscheint fragwürdig, ob der weltweite Fischbestand über-
haupt ausreichen würde, um den Bedarf der gesamten Welt-
bevölkerung an marinen n-3-FS zu decken (15). Zudem ist zu
berücksichtigen, dass mit einem erhöhten Fischkonsum die
Exposition gegenüber dem toxischen Schwermetall Queck-
silber (41) und polychlorierten Biphenylen, die in manchen
Arten angereichert sind, zunimmt. Ein hoher Quecksilber-
anteil findet sich besonders in den Arten Hai, Schwertfisch,
Königsmakrele und Torpedobarsch, wobei Fischsorten wie
Thunfisch, Lachs, Pollack und Katzenfisch einen geringeren
Anteil aufweisen. Besonders Kinder und Schwangere sind
angewiesen, Fische mit hohem Quecksilbergehalt zu meiden
(41, 42).
Die pflanzliche Alpha-Linolensäure stellt dagegen eine güns-
tige Alternative zu marinen Omega-3-Fettsäuren dar und
könnte durch gezielten Anbau den Bedarf an n-3-FS decken.
Zudem belegen zahlreiche experimentelle (18, 20) und kli-
nische Studien (15–17) vergleichbare protektive Effekte der
Alpha-Linolensäure auf das Herz-Kreislauf-System, unab-
hängig von der Konversion in die langkettigen Fettsäuren
EPA und DHA. Weitere Forschungsarbeiten im Bereich der
vielversprechenden kardiovaskulär protektiven Wirkungen
dieser pflanzlichen Fettsäure, vor allem im Bereich randomi-
sierter, plazebokontrollierter Studien, ist dringend erforder-
lich, um ihren Einfluss auf das Herz-Kreislauf-System besser
zu verstehen.
❖
Korrespondenzadresse: Dr. Martin F. Reiner Kardiovaskuläre Forschung Institut für Physiologie Universität Zürich/Irchel Winterthurerstrasse 190, 8057 Zürich E-Mail: reiner.martin@gmx.ch
Literatur: Die Referenzenliste steht unter www.arsmedici.ch zur Verfügung.
Erstpublikation in SZE 5/12.
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ARS MEDICI 13 ■ 2013