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Titel
Arsenicum
Untertitel
Fast Food
Lead
Und der Doktor wird dir jetzt auch sagen, wie schädlich Fast Food für dich ist!», trompetete die übergewichtige Mutter, die ich nicht hatte abschütteln können. Mit ihrem Vierzehnjährigen hatte sie sich in das Sprechzimmer gedrängt. Dieser sass be- und erdrückt da, eine bleiche, pralle Couchpotato, mit abfallenden Schultern, hängendem Kopf und dicken Extremitäten. Ich hatte den Drang zu sagen, dass ihm die Mutter nicht gut täte.
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Rubriken — ARSENICUM
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5491
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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Fast Food

U nd der Doktor wird dir jetzt auch sagen, wie schädlich Fast Food für dich ist!», trompetete die übergewichtige Mutter, die ich nicht hatte abschütteln können. Mit ihrem Vierzehnjährigen hatte sie sich in das Sprechzimmer gedrängt. Dieser sass be- und erdrückt da, eine bleiche, pralle Couchpotato, mit abfallenden Schultern, hängendem Kopf und dicken Extremitäten. Ich hatte den Drang zu sagen, dass ihm die Mutter nicht gut täte. Dass sie noch viel schädlicher und dick machender sei als Fast Food der übelsten Sorte. Da aber selbst Hausärzte nicht alles sagen dürfen, kämpfte ich diesen Impuls mannhaft runter. Schluckte schwer daran. «Er isst ganz falsch!», zeterte die Mutter weiter. «Zu viel, zu süss, zu fettig. Und salzen tut er auch zu viel!» Mit traurigen Augen suchte der Teenager Blickkontakt mit mir. Er musste gar nichts sagen. Es war offensichtlich, dass bei dieser Mutter nur Burger halfen. Weiche Weissmehlbrötchen, das Fleisch doppellagig, mit Käse überbacken. Darüber zweierlei Saucen: Tomatenketchup und Mayonnaise. Dazu eine Riesenportion Pommes frites. Auch mit zwei Saucen. Und ein halber Liter Coca Cola. Share a Coke with a friend – und auch deine Sorgen, denn geteiltes Leid ist halbes Leid. Was sich in allen Fast-Food-Imbissbuden offenbart. Dort tauschen sich Teenager über Bergen von Leichtverdaulichem über das Schwerstverdauliche in ihrem Leben aus: Eltern, Schule/Lehre, den aktuellen Schwarm und nochmals Eltern. Im Sprechzimmer herrschte nun dicke Luft. «Was ich koche, ist gesund!», hob die Mutter wieder an. «Gemüse. Salat. Das ist gutes Essen! Aber der junge Herr muss ja sein Sackgeld zu * tragen und sich mit dessen fetttriefendem Frass vollstopfen!» Mit zornesroten Wangen starrte sie mich an. «Nun, Frau **», sagte ich, «das glaube ich gerne, dass Sie gut kochen. Aber auch gesundes Essen macht dick, wenn es im Übermass genossen wird.» Als sie aufbegehren wollte, fuhr ich mit lauterer Stimme fort. «Und Sie sind auch zu dick, Frau **. Mindestens zwanzig Kilos zu viel haben Sie.

Als Arzt bin ich verpflichtet, Ihnen zu sagen, dass wir uns auch Ihre Essgewohnheiten einmal anschauen müssen. Daher empfehle ich dringend, dass Sie zusammen mit Ihrem Sohn zur Ernährungsberaterin gehen.» Sie war sprachlos. Als ob ich ihr den Kehlkopf mit Marshmallows (übergossen mit Fudge und Schoggisauce) gefüllt hätte. Diese Ungeheuerlichkeit, die ich da auszusprechen gewagt hatte, würde vermutlich nachher mit Pasta bekämpft werden (an dreierlei Sauce: Bolognese, Carbonara und Aglio/Olio, mit Parmesan überstreut). Die arme Frau hatte ja nicht wissen können, dass ihr Hausarzt ein Fan von Burgern ist. Ein Afficionado von Nachos, Fajitas und Tacos. Von Hot Dogs und Fritten. Ich komme an keinem Dönergrill und an keinem GyrosDrehspiess vorbei, ohne dort etwas zu essen. Alles mag ein Ende haben – ausser der Wurst, die bekanntlich zwei Enden hat, und meiner endlosen Lust auf Würste. Wenn man auf dem Land als Sohn von Familiengartenpächtern aufgewachsen ist, der mit fädigen Bohnen, stippigen Äpfeln, holzigen Radieschen und viel zu viel Zucchinis ernährt wurde, will man urban essen. Sweet’n’greasy. Meine Kinder wollen das auch, obwohl sie die exellente Cuisine meiner Frau gewohnt sind: alles bio, alles perfekt zubereitet. Bei ihren Besuchen geniessen sie zwar noch Mutters Bœuf Stroganoff, gefolgt von Obstsalat. Aber in ihren Studentenbuden gibt’s Pizza aus dem Tiefkühlfach oder vom Pizzakurier, runtergespült mit Himbeersirup, und als Dessert eine Handvoll Gummibärchen. Erstaunlicherweise sind sie noch normalgewichtig und bestehen ihre Prüfungen. Aber eben – es gilt, das rechte Mass zu finden. Und der menschliche Organismus verträgt viel. Schliesslich haben wir einen sogenannten Stoffwechsel, der das vor Kalorien strotzende Softeis, welches ich nach dieser Patientin nötig hätte (mit M&MStückchen und Rahm), in Muskel- und Hirngewebe umwandelt. Hoffentlich.
*Hier nannte sie den Namen eines amerikanischen Restaurantkonzerns, der vermutlich sofort klagen würde, wenn man seinen Namen in diesem Kontext erwähnen würde. ** Der Name ist dem Schreibenden bekannt, fällt aber unter den Datenschutz.

ARSENICUM

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ARS MEDICI 13 ■ 2013