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STUDIE REFERIERT
Unterschiede zwischen bei Erwachsenen und bei Kindern auftretendem Asthma
wurde ein reduziertes Asthmarisiko beobachtet. Patienten, deren Asthma sich in der Kindheit manifestiert, haben meist eine gute Prognose und sprechen gut auf eine medikamentöse Behandlung an.
Eine im Erwachsenenalter auftretende Asthmaerkrankung unterscheidet sich von Asthma, das sich im Kindesalter manifestiert. Bei Erwachsenen ist die Erkrankung meist nicht atopisch bedingt, schwerer ausgeprägt und mit einer schnelleren Reduzierung der Lungenfunktion verbunden. Aufgrund der Heterogenität der verursachenden Faktoren könnten diese Patienten von einer phänotypgesteuerten Behandlung profitieren.
EUROPEAN RESPIRATORY REVIEW
Bei Asthma handelt es sich um eine heterogene Erkrankung, bei der das Alter der Erstmanifestation möglicherweise eine wichtige Rolle spielt. Weitaus die Mehrzahl aller Publikationen befasst
Merksätze
❖ Die meisten Asthmaerkrankungen beginnen in der Kindheit.
❖ Hauptrisikofaktoren bei Kindern sind genetische Disposition, Allergien und Tabakexposition.
❖ Erwachsenenasthma betrifft vorwiegend Frauen, ist mit niedrigeren Remissionsraten verbunden und weniger oft mit Allergien und atopischen Erkrankungen assoziiert.
❖ Triggerfaktoren sind berufliche Substanzexposition, Umweltschadstoffe, weibliche Sexualhormone, Medikamente, Atemwegserkrankungen, Übergewicht und Stress.
sich mit dem in der Kindheit beginnenden allergischen Asthma. Die Inzidenz der Erstmanifestation von Asthma bei Erwachsenen beträgt jedoch immerhin 12 Fälle pro 1000 Personenjahre. Neue Clustermethoden zur Gruppierung von Patienten mit ähnlichen klinischen Charakteristika ermöglichten die Identifizierung verschiedener Asthmaphänotypen bei Erwachsenen. Trotz umfangreicher Evidenz, dass sich Asthma auch bei Personen entwickeln kann, die als Kind nie relevante Symptome im Atemtrakt aufwiesen, wird die Existenz einer Asthmaerkrankung im Erwachsenenalter als eigenständige Entität kontrovers diskutiert. Ein neuer Review befasst sich mit Erwachsenenasthma und zeigt Unterschiede zur Asthmaerkrankung im Kindesalter auf. Zudem werden Risikofaktoren für die Entwicklung verschiedener Asthmaphänotypen aufgeführt und neue Vorgehensweisen im Hinblick auf ein personalisiertes Management erläutert.
Asthma in der Kindheit Weitaus die Mehrheit aller Asthmaerkrankungen beginnen in der Kindheit. Etwa 95 Prozent der Betroffenen erleiden ihren ersten Asthmaanfall im Alter unter 6 Jahren. Die Hauptrisikofaktoren für kindliches Asthma sind: ❖ genetische Prädisposition; ❖ familiäre Allergien und familiäres
Asthma: ❖ Virusinfektionen der Atemwege; ❖ bakterielle Kolonisierung; ❖ allergische Sensibilisierung; ❖ Zigarettenrauchexposition.
Manche Faktoren in der frühen Kindheit scheinen auch gegen die Entwicklung von Asthma zu schützen. Bei Kindern, die in Kontakt mit Tieren oder auf einem Bauernhof aufwachsen,
Asthma bei Erwachsenen Das Alter bei der initialen Diagnosestellung von Asthma im Erwachsenenalter variiert in der Literatur zwischen 12 und über 65 Jahren. Aus Studien geht hervor, dass Erwachsenenasthma überwiegend Frauen betrifft, mit einer niedrigen Remissionsrate assoziiert ist und seltener als bei Kindern mit Allergien und atopischen Erkrankungen in Verbindung steht. Zudem haben viele erwachsene Asthmapatienten aufgrund eines schnelleren Verlusts der Lungenfunktion und einer schwereren dauerhaften Einschränkung der Atmung eine ungünstige Prognose. Bei erwachsenen Asthmatikern mit schwerer Erkrankungsform wird oft rasch eine eingeschränkte Lungenfunktion diagnostiziert, was darauf hinweist, dass bereits kurz nach der initialen Diagnose ein signifikanter Verlust der Lungenfunktion eintritt. Während der letzten 20 Jahre hat die Gesamtprävalenz des Asthmas um 38 Prozent zugenommen. Die Prävalenzraten bei Kindern sind zwar besser untersucht, man geht aber davon aus, dass auch die Asthmaprävalenz bei Erwachsenen zugenommen hat. Die geschätzte Inzidenz des Erwachsenenasthmas aus gepoolten Populationsstudien beträgt 4,6 pro 1000 Personenjahre bei Frauen und 3,6 pro 1000 Personenjahre bei Männern, wobei ein Trend zu einer höheren Inzidenz mit zunehmendem Alter beobachtet wird. In einer Studie wurden die langfristigen Ergebnisse und die Veränderung der Schwere über die Zeit bei erwachsenen Asthmatikern untersucht. Hier litten 95 Prozent der Teilnehmer 5 Jahre nach der Diagnose noch immer unter einer aktiven Erkrankung, und bei etwa der Hälfte von ihnen war die Erkrankung mittelgradig bis schwer ausgeprägt.
Risikofaktoren für die Entwicklung von Asthma bei Erwachsenen In der Literatur werden einige exogene und endogene Triggerfaktoren mit der Entwicklung von Asthma im Erwachsenenalter in Verbindung gebracht.
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Berufliche Exposition: In vielen industrialisierten Ländern ist berufsbedingtes Asthma der häufigste Typ. Bei 9 bis 15 Prozent der Asthmaerkrankungen im Erwachsenenalter ist eine berufsbedingte Exposition gegenüber bestimmten Substanzen involviert. Bei beruflich bedingtem Asthma unterscheidet man durch Sensibilisierung induziertes Asthma (IgE-vermittelt oder nicht IgEvermittelt) und durch Reizstoffe induziertes Asthma. Umweltschadstoffe: Auch aktives und passives Rauchen stellt einen Risikofaktor für das Auftreten von Asthma im Erwachsenenalter dar. Bei persistenter kombinierter Exposition gegenüber Luftschadstoffen und Zigarettenrauch ist vermutlich mit einer additiven oder synergistischen Wirkung zu rechnen. Weibliche Sexualhormone: Weibliche Sexualhormone sind für die Entwicklung von Asthma ebenfalls von Bedeutung. Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern wurden in einer Studie mit 9091 randomisiert ausgewählten Männern und Frauen aus der Allgemeinbevölkerung über einen Zeitraum von 8 bis 10 Jahren untersucht. Hier zeigte sich bei Frauen eine höhere Asthmainzidenz als bei Männern, die nicht durch Unterschiede im Raucherstatus, beim Übergewicht oder in der Lungenfunktion erklärt werden konnte. Bei mehr als 60 Prozent der Frauen und bei 30 Prozent der Männer wurde nicht atopisches Asthma diagnostiziert. Die Inzidenz von nicht atopischem Asthma war bei Frauen in den reproduktiven Jahren im Vergleich zur Inzidenz bei Männern erhöht, während im Hinblick auf die Inzidenz des allergischen Asthmas keine Unterschiede beobachtet wurden. Die Asthmaprävalenz nimmt mit der Anzahl der Jahre einer Anwendung oraler Kontrazeptiva ab. Zudem sinkt die Asthmainzidenz nach der Menopause, während die Hormonersatztherapie mit einem erhöhten Asthmarisiko verbunden ist. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass endogene und exogene hormonelle Einflüsse im Hinblick auf die Asthmaentwicklung bei Frauen eine Rolle spielen. Erkrankungen der Atemwege: Erkrankungen der oberen Atemwege wie eine Rhinitis gehören ebenfalls zu den Auslösefaktoren einer Asthmaerkrankung bei Erwachsenen. Auch akute Infektionen der unteren Atemwege sind eng mit
dem Neuauftreten von Asthma assoziiert. Bestimmte Expositionen in der frühen Kindheit scheinen das Asthmarisiko im Erwachsenenalter zu senken. Aus einer neuen Studie geht hervor, dass zahlreiche gewöhnliche Infektionen in der Kindheit vor Asthma im Erwachsenenalter schützen, während Keuchhusten und Masern mit einem erhöhten Asthmarisiko im späteren Leben verbunden sind. Medikamente: Bei Patienten mit ASS(Acetylsalicylsäure-)intolerantem Asthma kann ASS die Bronchospasmen akut verschärfen. Die langfristige Einnahme von ASS scheint dagegen das relative Risiko für Asthma bei gesunden Frauen zu verringern. Die Anwendung von Paracetamol ist ein mutmasslicher Risikofaktor für das Auftreten von Asthma. Übergewicht: Bei übergewichtigen und fettleibigen Personen ist die Asthmainzidenz um 50 Prozent erhöht. In zwei Observationsstudien zeigte sich, dass die abdominelle Adipositas unabhängig mit einer erhöhten Asthmaprävalenz und -inzidenz verbunden ist. Da die Prävalenz von Übergewicht stark zunimmt, könnte auch damit assoziiertes Asthma zur Epidemie werden. Stress: Stress verursachende Lebensereignisse werden ebenfalls in zunehmendem Mass als Risikofaktoren für Asthma anerkannt. In einigen longitudinalen Populationsstudien war ausgeprägter Stress mit einem zwei- bis dreifach erhöhten Asthmarisiko im Vergleich zu einem niedrigen Stresspegel verbunden. Von den zehn belastendsten Ereignissen waren Krankheit eines Familienmitglieds, Eheprobleme, Scheidung oder Trennung sowie Konflikte mit Vorgesetzten am engsten mit Asthma assoziiert. In einer Studie zum Zusammenhang zwischen Stress im Beruf und Asthma trat bei Personen unter besonders stressigen Arbeitsbedingungen mit 50 Prozent höherer Wahrscheinlichkeit Asthma auf. Diese Verbindung war für beide Geschlechter evident und konnte nicht durch Beruf, Alter, BMI oder Raucherstatus erklärt werden.
Phänotypen Mithilfe von Clustertechniken wurden verschiedene Phänotypen identifiziert, die sich im Hinblick auf die Symptome und die eosinophile Inflammation so-
wie bezüglich der Lungenfunktion und dem Alter zu Beginn der Asthmaerkrankung unterscheiden. Einer der Phänotypen ist durch die Prädominanz übergewichtiger Frauen mit einem höheren Body-Mass-Index (BMI), geringer Atopie und einer ausgeprägten Symptomexpression ohne eosinophile Entzündung gekennzeichnet. Bei diesen Patientinnen wird oft bereits frühzeitig eine Reduzierung der Lungenfunktion diagnostiziert, und viele erhalten regelmässig systemische Kortikosteroide. Als weiterer Phänotyp wurde eine nicht topische entzündungsprädominante Asthmaform mit nicht (vollständig) reversibler Atemflussbegrenzung ermittelt. Hiervon sind hauptsächlich Männer betroffen, die täglich symptomatisch sind und eine aktive eosinophile Entzündung aufweisen. Dieser Phänotyp ist mit häufigen Exazerbationen, einer dauerhaften Atemflussbegrenzung und einer Abhängigkeit von oralen Kortikosteroiden verbunden. Anhand einer Clusteranalyse von 724 erwachsenen koreanischen Patienten wurde ein Phänotyp mit leichtem Asthma identifiziert, der ein Drittel der Asthmatikerpopulation umfasste. Bei diesen Patienten wurde die beste Lungenfunktion diagnostiziert; 74 Prozent von ihnen waren Frauen, und bei 54 Prozent lag atopisches Asthma vor. Der BMI dieser Patienten war niedrig, und es lag kein signifikanter Raucherstatus in der Anamnese vor. In der gleichen koreanischen Analyse wurde ein Cluster von Patienten mit tabakrauchassoziiertem Asthma identifiziert. Diese Gruppe umfasste hauptsächlich männliche Patienten, deren Asthma sich in einem durchschnittlichen Alter von 46 Jahren manifestierte. Bei etwa 66 Prozent lag eine nicht atopische Erkrankungsform vor, und die Lungenfunktion blieb relativ gut erhalten. Raucher und ehemalige Raucher waren aus dieser Studie ausgeschlossen. Da bekannt ist, dass Rauchen das Asthmarisiko erhöht, sollte die Clusteranalyse nach Ansicht der Autoren unter Einbeziehung von rauchenden Asthmatikern wiederholt werden.
Phänotypgesteuerte Behandlung Bei allergischem Asthma, das sich in der Kindheit manifestiert, ist die tägliche Inhalation von Kortikosteroiden in Verbindung mit der Applikation lang
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wirksamer Beta-2-Agonisten bei der Mehrheit der Patienten zur Verbesserung der Asthmakontrolle wirksam. Von den erwachsenen Asthmatikern spricht ein grosser Anteil auf Kortikosteroide dagegen kaum an. Angesichts der Heterogenität der verursachenden Faktoren könnten diese Patienten von einer gezielteren phänotypgesteuerten Behandlung profitieren. Bei manchen Personen ist das Meiden auslösender Substanzen wie Zigarettenrauch möglicherweise die beste Behandlungsoption. Bei anderen könnte das Absetzen von Paracetamol oder hormonhaltigen Medikamenten von Nutzen sein. Omalizumab: Der humane IgE-Antikörper Omalizumab wurde als wirksame Option zur Behandlung von schwerem allergischem Asthma entwickelt. In neueren Studien zeigte sich jedoch auch eine positive Wirkung bei nicht allergischem Asthma und Nasenpolypen. Dies weist darauf hin, dass Omalizumab auch bei bestimmten erwachsenen Asthmapatienten wirksam sein könnte. Bevor die Indikation entsprechend erweitert werden kann, sind jedoch weitere gross angelegte prospektive klinische Studien erforderlich. Mepolizumab: Der humanisierte monoklonale Antikörper Mepolizumab richtet sich gegen Interleukin (IL)-5 und hemmt selektiv die eosinophile Atemwegsentzündung. In einer Studie erwies sich Mepolizumab als wirksame und sichere Behandlungsoption, die das Risiko für Asthmaexazerbationen bei
Patienten mit schwerem eosinophilem Asthma linderte. In einer kleineren Studie zeigte sich zudem, dass Mepolizumab die Reduzierung der Kortikosteroiddosis bei Patienten mit kortikosteroidabhängigem eosinophilem Asthma ermöglicht. In einer neuen Studie war Mepolizumab auch gegen Nasenpolypen wirksam. Mepolizumab könnte somit für Patienten mit schwerem eosinophilem Asthma eine Option sein, für die derzeit kein wirksames Medikament ohne schwere Nebenwirkungen verfügbar ist. Lebrikizumab: Dieser humanisierte monoklonale IL-13-Antikörper könnte ebenfalls zur Behandlung von eosinophilem Asthma von Nutzen sein. In einer neuen Studie zeigte die Substanz Wirksamkeit bei Patienten mit mittelgradigem Asthma, die trotz inhalativer Kortikosteroide und lang wirksamer Beta-2-Agonsten symptomatisch blieben. Bei allen Patienten wurde eine Wirksamkeit bezüglich der Atemflussbegrenzung beobachtet, wobei die Effektivität bei Patienten mit hohen Periostinspiegeln besonders ausgeprägt war. Bronchiale Thermoplastie: Bei der bronchialen Thermoplastie handelt es sich um ein bronchoskopisches Verfahren, das zur Behandlung von schwerem Asthma zugelassen ist. Bei diesem Verfahren wird kontrollierte Wärmeenergie an die Wände der Atemwege appliziert, um die Masse der glatten Atemwegsmuskulatur zu reduzieren. Aus
Studien geht hervor, dass diese Inter-
vention die Lungenfunktion, die Hy-
perreaktivität der Atemwege, die asth-
maassoziierte Lebensqualität und die
Symptomscores verbessern sowie Exa-
zerbationen und Hospitalisierungen re-
duzieren kann. Die Thermoplastie hat
sich in der Langzeitanwendung unter
Aufrechterhaltung einer stabilen Lun-
genfunktion als sicher erwiesen. Die
bronchiale Thermoplastie könnte so-
mit auch eine Option für einige er-
wachsene Asthmatiker darstellen.
Diese Hypothese muss jedoch in gross
angelegten prospektiven Studien bestä-
tigt werden.
Bariatrische Chirurgie: Für überge-
wichtige Erwachsene mit einem nicht
eosinophilen Asthmaphänotyp besteht
die einzige Behandlungsoption derzeit
in einer drastischen Gewichtsabnahme.
In einer Studie zeigte sich, dass eine ba-
riatrische Operation die Asthmakon-
trolle beträchtlich verbessern kann.
Derzeit werden verschiedene Studien
durchgeführt, um den Nutzen der bari-
atrischen Chirurgie zur Asthmakon-
trolle und der Atemwegshyperreakti-
vität zu bestätigen.
❖
Petra Stölting
de Nijs SB et al: Adult-onset asthma: is it really different? Eur Respir Rev 2013; 22(127): 44–52.
Interessenkonflikte: Eine der drei Autorinnen hat im Namen des Department of Respiratory Medicine of the Academic Medical Centre Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten.
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