Transkript
EDITORIAL
Schon der Medizinstudent verinnerlicht die gleichermassen korrekte wie banale Aussage «Was häufig ist,
ist häufig – was selten ist, ist selten» als hilfreiche Richtschnur im Labyrinth der Differenzialdiagnosen. Doch was für den Arzt in der täglichen Routine durchaus sinnvoll ist, wird für den Patienten mit einer sogenannten seltenen Krankheit häufig zum Problem. Oft vergehen viele Jahre bis zur korrekten Diagnose – eine verlorene Zeit, in der man das Fortschreiten einer Krankheit vielleicht hätte aufhalten oder wenigstens unnütze Therapien und deren Nebenwirkungen hätte vermeiden können. Selbst wenn es keine Therapie gibt (was für viele seltene
Als seltene Krankheit gilt, was weniger als 1 von 2000 Menschen betrifft, und die Prävalenz der verschiedenen seltenen Krankheiten liegt meist noch weitaus tiefer. Also kein Thema für den Hausarzt? Vielleicht doch, denn wenn man die Sache einmal von einem anderen Standpunkt aus betrachtet, wird aus dem vermeintlich nicht so relevanten Problem «seltene Krankheit» eine durchaus bedeutende Angelegenheit für das Gesundheitswesen: Man schätzt, dass 5 bis 6 Prozent der Bevölkerung von einer der bis anhin bekannten rund 7000 seltenen Krankheiten betroffen sind. In der Schweiz wären das somit rund eine halbe Million Menschen. Ist das noch selten? Sicher nicht. Künftig werden wir darum vermehrt über seltene Krankheiten berichten, insbesondere über solche, für die therapeutische Optionen vorhanden sind. Im Zentrum
Seltene Krankheit? Häufiges Problem!
Krankheiten zutrifft), ist der Wert der korrekten Diagnose nicht zu unterschätzen: Wer weiss, was er hat, kann damit im Alltag besser umgehen. So unterschiedlich die Krankheiten auch sein mögen, die Probleme der Patienten ähneln sich: ratlose Ärzte, verspätete Diagnose, unklare Zuständigkeiten, mangelnde Unterstützung im Alltag und vor allem auch immer wieder Ärger mit der Krankenkasse, weil die Therapie «off label» und/oder sehr teuer ist. Wer mit seiner Krankheit in keine altbekannte Schublade passt, kann leicht Probleme mit der Vergütung bekommen. Welch bittere Blüten das treiben kann, berichtete eine Referentin an der Zürcher Veranstaltung zum internationalen Tag der seltenen Krankheiten Ende Februar: Man wollte eine Patientin mit Epidermolysis bullosa in einem Schweizer Spital behalten, damit sie dort gut versorgt in Würde sterben kann. Aber die DRG kennen keine Gnade, sondern nur Codierungen – und für so einen Fall gibt es die nicht. Nur mit dem Trick, die Patientin zu entlassen und sie kurz darauf wieder neu einzuweisen, liess sich die Administration überlisten.
stehen dabei die Frage nach verdächtigen Symptomen und die Information, wo Spezialisten für den jeweiligen Fall in der Schweiz zu finden sind. Den Anfang machen wir in dieser Ausgabe mit der primären Ziliendyskinesie (ab Seite 586), die manchen von Ihnen vielleicht auch unter dem Namen Kartagener-Syndrom bekannt ist. Sehr lesenswert, auch wenn Sie in Ihrer Praxis vielleicht nie einen solchen Patienten sehen werden – vielleicht haben Sie aber auch schon einen, ohne es zu wissen ... Oder haben Sie vielleicht selbst Erfahrung mit seltenen Krankheiten? Dann senden Sie uns Ihren Fallbericht und teilen Sie Ihr Wissen mit den Kollegen.
Renate Bonifer
Kommentare und Fallberichte zu seltenen Krankheiten bitte an renate.bonifer@rosenfluh.ch
ARS MEDICI 11 ■ 2013
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