Transkript
FORTBILDUNG
Schwierigkeiten bei der Blutdruckeinstellung
Tag-Nacht-Rhythmus beachten
Langfristiges Ziel einer antihypertensiven Therapie ist die Reduktion des kardiovaskulären Risikos beim Hochdruckpatienten. Prognostisch eine wichtige Rolle spielen hierfür offenbar die Blutdruckwerte in der Nacht. Bei welchen Patienten sollten Sie die nächtliche Entwicklung genauer unter die Lupe nehmen, und wie lässt sich bei nicht ausreichender Nachtabsenkung therapeutisch eingreifen?
Niereninsuffizienz, linksventrikulärer Hypertrophie, Schlafapnoe oder Schwangerschaftshypertonie ist der Blutdruck nachts dagegen in der Regel erhöht, schreiben Prof. Dr. Roland E. Schmieder, Erlangen, und Kollegen in der «Deutschen Medizinischen Wochenschrift» (1). Das gelte auch bei sekundären Hypertonieformen wie Nierenarterienstenose, renoparenchymatöser Hypertonie, primärem Hyperaldosteronismus und Phäochromozytom. Auch bei Patienten mit maligner Hypertonie ist der physiologische Tag-Nacht-Rhythmus aufgehoben.
STEFANIE LINDL-FISCHER
Der Blutdruck eines Menschen unterliegt einem zirkadianen Rhythmus, den endogene Zeitgeber, unter anderem Hormone, beeinflussen (s. Kasten). Typisch bei Gesunden sind ein nächtliches Absinken und ein morgendlicher Wiederanstieg. Bei Erkrankungen wie Diabetes mellitus, chronischer
Merksätze
❖ Anhand des relativen Abfalls bzw. Anstiegs des nächtlichen systolischen Blutdruckwerts gegenüber dem Tageswert können die Patienten in verschiedene sogenannte «Dipper»-Typen eingeteilt werden.
❖ Indem die antihypertensive Medikation und der Einnahmezeitpunkt an den jeweiligen Typ angepasst werden, lässt sich das Blutdruckprofil der Patienten über 24 Stunden verbessern.
❖ Insbesondere bei Non-Dippern lässt sich durch Gabe der Antihypertensiva in den Abendstunden die nächtliche Blutdruckeinstellung verbessern und ein normales Dippingprofil wiederherstellen. Auch Patienten mit therapierefraktärer Hypertonie könnten von der abendlichen Einnahme profitieren.
❖ Bei älteren Patienten ist die morgendliche Gabe von Antihypertensiva zu bevorzugen.
❖ Die einzelnen antihypertensiven Substanzklassen sind unterschiedlich gut und Betablocker eher nicht für eine abendliche Gabe geeignet.
❖ Zur Chronotherapie, insbesondere mit Fixkombinationen, liegen bis anhin keine ausreichenden Daten aus Studien vor.
24-Stunden-Profil erheben Tageszeitliche Blutdruckschwankungen und eventuelle Veränderungen im zirkadianen Rhythmus machen eine 24-Stunden-Messung nachvollziehbar. Sie ist nach Angaben der Autoren indiziert: ❖ bei unzureichender Senkung des Gelegenheitsblutdrucks in
der Praxis trotz offenbar adäquater Therapie und normaler Werte in der Selbstmessung; ❖ wenn die Senkung erhöhter Blutdruckwerte während des Nachtschlafs belegt werden muss; ❖ bei fehlender Regression von Organschäden nach 6 bis 12 Monaten trotz guter Einstellung des Gelegenheitsblutdrucks; ❖ bei Nebenwirkungen wie Schwindel (besonders bei älteren Patienten), die vermutlich durch übermässige Blutdrucksenkung verursacht werden und durch Gelegenheitsselbstmessung nicht geklärt werden können; ❖ bei therapierefraktärer Hypertonie. Anhand des relativen Abfalls beziehungsweise Anstiegs des systolischen Nachtmittelwerts gegenüber dem Tageswert können die Patienten in verschiedene sogenannte «Dipper»Typen eingeteilt werden (s. Tabelle). Indem die antihypertensive Medikation und der Einnahmezeitpunkt an den jeweiligen Typ angepasst werden, lässt sich das Blutdruckprofil der Patienten über 24 Stunden verbessern.
Einnahmezeitpunkt anpassen Insbesondere bei Non-Dippern ist es dringend angezeigt, Antihypertensiva anhand ihrer unterschiedlichen Wirksamkeit über 24 Stunden auszuwählen und auch den Zeitpunkt der Medikamenteneinnahme anzupassen, raten die Autoren. Erfolgt diese in den Abendstunden, lasse sich die nächtliche Blutdruckeinstellung verbessern und ein normales Dippingprofil wiederherstellen – entsprechende Compliance natürlich vorausgesetzt. In der Folge sinkt das kardiovaskuläre Risiko, und es treten weniger Organschäden auf.
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Hormonelle Einflüsse auf den Blutdruckrhythmus
An einem Tiermodell mit hypothalamisch bedingtem erhöhten sympathischen Druck wurde beschrieben, dass unter anderem Vasopressin, Oxytocin und thyreotropinfreisetzendes Hormon an der zirkadianen Blutdrucksteuerung beteiligt sind. Weitere Beispiele für physiologische Mediatoren sind: ❖ Plasma-Noradrenalin und Adrenalin mit niedrigen Werten zwischen
3 und 6 Uhr, einem deutlichen Anstieg zwischen 6 und 9 Uhr und Spitzenkonzentrationen zwischen 9 und 15 Uhr; ❖ Aldosteron und Renin mit den niedrigsten Konzentrationen im Blut zwischen 21 und 24 Uhr und anschliessendem Anstieg, der etwa gegen 6 Uhr morgens sein Maximum erreicht. Zudem sind Einflüsse durch Körperlage und -aktivität, physische Belastung oder exogene Faktoren wie Licht und Temperatur nachgewiesen.
Bessere Nachtabsenkung – geringere Sterblichkeit Welche Implikationen die verbesserte Blutdruckkontrolle über 24 Stunden für die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität hat, zeigte laut den Ausführungen der Autoren die randomisierte, kontrollierte Studie MAPEC, an der 2201 Patienten mit unbehandeltem oder therapieresistentem Bluthochdruck teilnahmen. Die Behandlungsgruppe, die mindestens ein Medikament zur Nacht einnahm, zeigte signifikant stärkere Blutdruckabfälle zur Nacht und niedrigere nächtliche Werte. Der Anteil an Non-Dippern lag in dieser Gruppe signifikant unter der Vergleichsgruppe. Die Kaplan-MeierÜberlebenskurve zeigte eine signifikant höhere Rate an ereignisfreiem Überleben unter abendlicher im Vergleich zu morgendlicher Einnahme. Besonders hervorzuheben sei die verminderte Gesamtsterblichkeit infolge signifikant reduzierter kardiovaskulärer Sterblichkeit, betonen die Auoren. Als stärkste Prädiktoren für ereignisfreies Überleben hätten sich der nächtliche Blutdruckmittelwert und die Intensität der Nachtabsenkung erwiesen.
Auch Patienten mit therapierefraktärer Hypertonie könnten von der abendlichen Einnahme profitieren. Das Autorenteam verweist auf eine Studie von R.C. Hermida und Kollegen, die bei therapieresistenten Patienten unter Therapie mit drei oder mehr antihypertensiven Substanzklassen die Gabe von allen Medikamenten morgens mit der Gabe von mindestens einer Substanz zur Nacht verglich. Nachgewiesen wurde eine signifikante Senkung des 24-Stunden-Blutdruck-Mittelwerts um 9,4/6,0 mmHg bei abendlicher Gabe. Sie resultierte hauptsächlich aus einem Abfall der nächtlichen Blutdruckwerte. Bei älteren Patienten ist dagegen die morgendliche Gabe von Antihypertensiva zu bevorzugen, raten Schmieder und Mitarbeiter. Denn ein überschiessender Blutdruckabfall erhöhe insbesondere bei Personen mit koronarer Herzkrankheit oder Zerebralsklerose die Gefahr nächtlicher Ischämien.
Welche Antihypertensiva sind geeignet? Die einzelnen antihypertensiven Substanzklassen sind allerdings unterschiedlich gut für eine abendliche Gabe geeignet. Schmieder und Kollegen differenzieren folgende Unterschiede: ❖ Betablocker: Sie sollten morgens eingenommen werden.
Grund sind die tageszeitlichen Schwankungen des Sympathikus, der am Tag besonders aktiv, in der Nacht weniger relevant ist. Eine Studie mit Nebivolol konnte dementsprechend keine signifikanten Wirksamkeitsveränderungen in Abhängigkeit vom Einnahmezeitpunkt dokumentieren. ❖ Diuretika: Die abendliche Gabe des Schleifendiuretikums Torasemid kann dagegen dessen Effektivität über 24 Stunden erheblich steigern. In einer Studie war die Blutdrucksenkung am Tag verdoppelt, in der Nacht um den Faktor 3 erhöht. Dabei kam es nicht, wie allgemein für Diuretika
Tabelle:
Klassifizierung von Dippern
Verhältnis zwischen den Blutdruckwerten nachts und am Tag
«inverted dipper»: nachts keine Senkung des systolischen Blutdrucks gegenüber dem Tagesmittelwert beziehungsweise sogar Blutdruckanstieg und damit Inversion des zirkadianen Rhythmus
Non-Dipper: nächtliche Senkung des systolischen Blutdrucks um < 10 Prozent des Tagesmittelwerts der ambulanten Blutdruckmessung
normale Dipper: nächtliche Blutdrucksenkung um ≥ 10 Prozent und ≤ 20 Prozent des Tagesmittelwerts der ambulanten Blutdruckmessung
extreme Dipper: nächtliche Blutdrucksenkung um ≥ 20 Prozent des Tagesmittelwerts
Therapeutische Empfehlung abendliche Gabe von Antihypertensiva notwendig, gegebenenfalls in Mehrfachkombination
Versuch mit abendlicher Gabe lang wirksamer ACE-Hemmer oder Angiotensinrezeptorblocker, eventuell in Kombination mit morgendlicher Einnahme alleinige morgendliche Einnahme einer lang wirksamen Substanz beziehungsweise von Kombinationspräparaten
aussschliessliche Gabe von Antihypertensiva am Morgen, keine abendliche Dosierung zur Vermeidung eines zu starken ken nächtlichen Blutdruckabfalls, eventuell am Tag nur kurz wirksame Substanz
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postuliert, zu einer gehäuften Nykturie; lediglich 4 von 56 Studienteilnehmern waren betroffen. ❖ Kalziumkanalblocker: Für die abendliche Gabe zeigen Studien mit Nifedipin zwei Vorteile: Zum einen führt sie zu verstärkter Senkung des nächtlichen Blutdrucks und zu einer Konversion von Non-Dippern zu Dippern. Zum anderen wurden periphere Ödeme, eine typische Nebenwirkung bei morgendlicher Einnahme, deutlich reduziert. ❖ ACE-Hemmer/Angiotensinrezeptorblocker: Sie zeigten in den meisten Studien eine höhere Effektivität bei abendlicher Einnahme. Die nächtliche Blutdrucksenkung war fast dreimal so stark, häufig normalisierte sich das DippingVerhalten. Am Tag zeigten sich nur geringe Unterschiede. Als Grund hierfür gelten die gesteigerte Aktivität des Renin-Angiotensin-Systems (RAS) in den frühen Morgenstunden und die kürzere Halbwertszeit einiger Substanzen, zum Beispiel des ACE-Hemmers Ramipril. Entsprechend könne auch die Gabe eines nur 12 Stunden wirksamen Medikaments am Abend beziehungsweise zur Nacht das Dipping-Verhalten positiv beeinflussen, konstatieren die Autoren. Auch Olmesartan und das vergleichsweise lang wirksame Telmisartan erzielten bei abendlicher Gabe eine grössere Blutdrucksenkung im 24-Stunden-Mittel. Dies ist vermutlich auf spezifische chronobiologische Effekte, die zirkadiane Rhythmik des RAS mit höchster Aktivität gegen Ende der Nacht, zurückzuführen. In weiteren Studien konnten die Autoren noch einen Pluspunkt für die abendliche Einnahme von Sartanen ausmachen: Während bei morgendlicher Einnahme von Candesartan mit oder ohne Diuretikum die Albuminausscheidung um
34,5 Prozent sank, ging sie bei abendlicher Gabe sogar um 45,7 Prozent zurück. Auch für Valsartan liegen Daten von 200 Non-Dippern vor, bei denen durch Verschiebung der Einnahme in den Abend die signifikant grösste Reduktion der Albuminurie erzielt wurde. Eine vermehrte Albuminausscheidung gilt als Marker für die Verschlechterung der Nierenfunktion und ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko.
Eingeschränkte Daten, vor allem zu Fixkombinationen
Das grosse Manko der bisher zur Chronopharmakotherapie
erhobenen Daten sehen die Autoren in kleinen Fallzahlen,
fehlender Verblindung und zum Teil fehlender Randomisie-
rung. Besonders wenig Studien gibt es bis jetzt zur Chrono-
therapie mit Fixkombinationen. Schmieder et al. verweisen
auf eine weitere Untersuchung von R.C. Hermida und Kolle-
gen, in der die Fixkombination aus 160 mg Valsartan und 5
mg Amlodipin bei abendlicher Gabe die effektivste Blut-
drucksenkung zeigte. Auch die Wirksamkeit von 5 mg Am-
lodipin und 25 mg HCT in einer Tablette verbesserte sich in
einer Studie bei abendlicher Gabe.
Um die zusammengestellten Empfehlungen zu validieren,
seien allerdings weitere randomisierte, kontrollierte Studien
mit ausreichender Fallzahl und harten Endpunkten nötig, be-
tonen die Autoren.
❖
Stefanie Lindl-Fischer
1. Schmieder RE et al.: DMW 2012; 137: 317–321.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 19/2012. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin.
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