Transkript
FORTBILDUNG
Nagelerkrankungen
Neues zur Diagnostik und Therapie
Onychomadesis bei kleinen Kindern nach HandFuss-Mund-Krankheit, Therapie der Nagelpsoriasis, Hilfe bei brüchigen Nägeln, intraläsionale Immuntherapie bei periungualen Warzen, modernes Therapiekonzept bei Nagelpilzerkrankungen – über Neues zu diesen praxisrelevanten, die Fingerund Fussnägel betreffenden Themen berichteten zwei Experten in München im Rahmen der 23. Fortbildungswoche für Dermatologie und praktische Venerologie.
ALFRED LIENHARD
Parainfektiöse Onychomadesis bei Kindern In den letzten Jahren wurde gut dokumentiert, dass der Onychomadesis bei Kindern oft eine Hand-Fuss-Mund-Krankheit vorausgeht, wie Prof. Dr. Dietrich Abeck, DermatologiePraxis, München, an einem Seminar der deutschen Firma Taurus Pharma zur Kernkompetenz Nagelerkrankungen sagte. Bei dieser Nagelveränderung handelt es sich also meist um eine parainfektiöse Erkrankung, mehrheitlich nach Coxsackie-Virus-Infektion. Dermatologisch tätige Ärzte sind immer wieder mit Fällen von Onychomadesis bei Kindern konfrontiert. Im Unterschied zu vielen anderen Krankheiten löst sich dabei die Nagelplatte an einem einzigen oder an mehreren Nägeln proximal ab. Es sind fast nur Kinder betroffen, und die besorg-
Merksätze
❖ Der Onychomadesis bei Kindern geht oft eine Hand-Fuss-MundKrankheit voraus.
❖ Bei Psoriasispatienten mit leichten Nagelveränderungen oder bei Nagelpsoriasis als einziger Psoriasismanifestation ist oft eine topische Therapie indiziert. Bei >3 betroffenen Nägeln oder > 50 Prozent Befall muss zusätzlich systemisch behandelt werden.
❖ Das grösste Problem bei der Nagelpilzbehandlung ist die hohe Rezidivrate.
❖ Wenn kein Leidens-/Behandlungsdruck besteht, müssen Warzen im Kindesalter nicht therapiert werden.
ten Eltern sind sehr erleichtert, wenn der Arzt bereits mit einem Blick auf die Nägel und mit einer gezielten anamnestischen Frage die korrekte Diagnose stellen kann. Etwa in der Hälfte der Fälle wird der Arzt mit seiner anamnestischen Frage auf eine Hand- Fuss-Mund-Krankheit vor wenigen Wochen stossen. Eine spanische Arbeitsgruppe berichtete vor 2 Jahren über einen Onychomadesis-Ausbruch in einer Kinderkrippe (1). Von 27 betroffenen Kindern (Durchschnittsalter 1,8 Jahre) hatten 24 durchschnittlich 40 Tage zuvor eine Hand-FussMund-Krankheit durchgemacht. Dabei handelt es sich um eine ansteckende Enterovireninfektion mit leichtem Fieber, vesikulärem Exanthem der Handflächen und Fusssohlen sowie erosiver Stomatitis (Ulzerationen an Zunge, weichem Gaumen, Wangenschleimhaut oder Zahnfleisch). Üblicherweise heilt die Infektionskrankheit nach 6 Tagen spontan ab. Vermutlich kann die Virusreplikation die Nagelmatrix schädigen und eine vorübergehende Nageldystrophie mit BeauLinien (quere Nagelfurchen) oder proximaler Nagelablösung (Onychomadesis) bewirken. Die Nagelerkrankung heilt meist spontan ab (2).
Nagelpsoriasis Bei Psoriasispatienten mit leichten Nagelveränderungen oder bei Nagelpsoriasis als einziger Psoriasismanifestation ist oft eine topische Therapie indiziert, zum Beispiel mit topischen Glukokortikosteroiden, Calcipotriol, Ciclosporin, Tazaroten, 5-Fluorouracil oder Anthralin (3). Im Rahmen einer kürzlich publizierten offenen, randomisierten, kontrollierten Studie wurde der antiinflammatorische Wirkstoff Tacrolimus in Form einer Salbe (0,1%) im Off label use bei 21 Patienten mit Psoriasis während 12 Wochen auf die betroffenen Nägel der einen Hand aufgetragen, während die Nägel der andern Hand keine Behandlung erhielten (4). Mit dieser Behandlung, die der Referent als «therapeutisches Highlight» bezeichnete, konnte eine statistisch signifikante, deutliche Besserung erzielt werden. Der Nail Psoriasis Severity Index (NAPSI-Score) verminderte sich an den behandelten Händen um 13 Punkte (an den unbehandelten Händen um 3 Punkte). Bei zahlreichen Nägeln konnte sogar eine komplette Abheilung erreicht werden. Bei vermuteter leichter Nagelpsoriasis und positiver Familienanamnese riet der Referent zur Inspektion der Analfalte. Die Analrhagade (Psoriasis inversa) bestätigt die Diagnose einer Psoriasis. Eine leichte Nagelpsoriasis kann mit einem topischen Kortikosteroid behandelt werden, und zusätzlich kann abends Sililevo® Nagellack aufgetragen werden. Dieser
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Abbildung 1: Onycholyse und Ölfleck bei Psoriasis vulgaris Abbildung 2: Onychoschisis (distale Aufsplitterung der Nagelplatte) (Fotos: Dr. Marguerite Krasovec, Schlieren, ZH)
Nagellack enthält drei Wirkstoffe zur Förderung des Nagelaufbaus: Schachtelhalmextrakt mit Silizium, das den Nagel mineralisiert; Methylsulfonylmethan mit Schwefel, der die Nagelplatte stärkt; Hydroxylpropylchitosan, das Entzündungen in der Nagelmatrix vermindert. In einer Studie reduzierte Sililevo® Nagellack bei 28 Patienten mit Nagelpsoriasis (Tüpfelnägel, Onycholyse, Leukonychie) den NAPSI um mehr als 60 Prozent (5). Gegen brüchige Nägel (Onychoschisis, Onychorhexis) empfahl Dietrich Abeck die Kombinationsbehandlung von Sililevo® Nagellack (1-mal täglich abends topisch auf die betroffenen Fingernägel aufgetragen) und Biotin (5 mg pro Tag per-
oral). «Nach 8 bis 12 Wochen sind die Nägel nicht mehr brüchig», sagte der Referent.
Intraläsionale Warzen-Immuntherapie Bei der Warzenbehandlung hat sich in den vergangenen 25 Jahren wenig verändert. Wenn bei Kindern kein Leidensdruck und vonseiten der Eltern kein Behandlungsdruck besteht, müssen Warzen im Kindesalter nicht therapiert werden. Die Spontanheilung nichtgenitaler Warzen liegt bei Kindern bei 23 Prozent innerhalb von 2 Monaten. Dagegen wird eine Warze einen über 25-Jährigen weiterhin begleiten, wenn nicht therapeutisch interveniert wird.
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Abbildung 3: Periunguale Warzen (Foto: Dr. Marguerite Krasovec, Schlieren, ZH)
(maximal 5 Behandlungen einer einzigen Warze in 2-wöchentlichen Intervallen). In der MMR-Gruppe heilten die Warzen in 80 Prozent ab. Das therapeutische Ansprechen war in der MMR-Gruppe hochsignifikant besser als in der Kontrollgruppe (p < 0,001). Nach den Erfahrungen des Referenten (30 Patienten, die seit mindestens 2 Jahren hartnäckige Warzen aufwiesen) beträgt die Abheilungsrate 65 Prozent. Auch wenn zum Beispiel 30 oder 40 Warzen vorhanden sind, werden nur 2 Warzen intraläsional immuntherapeutisch behandelt (alle 3–4 Wochen 0,1 ml des Impfstoffs intraläsional injiziert). Auch die restlichen Warzen heilen bei dieser Form der Behandlung ab. Abbildung 4: Weisse oberflächliche Onychomykose Abbildung 5: Onychomykose (Fotos: Dr. Marguerite Krasovec, Schlieren, ZH) Neuerdings wurde versucht, Bleomycin als Pricklösung aufzutragen und in die Warze zu pricken, um eine verbesserte Penetration zu erreichen. Möglicherweise könnte die Prickmethode auch mit Verrumal® gelingen, meinte der Referent. «Ich fasse alle Warzen ohne Handschuhe an, obschon mich die Patienten ganz entsetzt anblicken. Meine LangerhansZellen sind immunkompetent – ich stecke mich nicht mit Warzen an», erklärte der Referent. Warzenpatienten weisen eine lokale Immundefizienz auf, in der Regel aber nicht eine allgemeine Immunschwäche. In den USA ist es schon lange üblich, zur Immuntherapie Antigene intraläsional in Warzen zu injizieren. Dabei werden Antigenpräparate (Mumps, Candida, Trichophyton) verwendet, die üblicherweise der Hauttestung (Status des zellulären Immunsystems) via intradermale Injektion dienen (6). Dass auch ein problemlos erhältliches Antigen – der MasernMumps-Röteln-Impfstoff – verwendet werden kann, wurde in Ägypten in einer randomisierten, kontrollierten Studie gezeigt (7). 85 Warzenpatienten wurden intraläsional mit MMR-Impfstoff behandelt, während 50 Patienten der Kontrollgruppe intraläsional eine Salzlösung injiziert erhielten Immer mehr Kinder haben Nagelpilz Obschon die Onychomykose eine sehr alte und sehr bekannte Krankheit sei – sie erhielt bereits 1855 von Rudolf Virchow ihren Namen –, gebe es auf diesem Gebiet jedes Jahr etwas Neues, sagte Prof. Dr. Hans-Jürgen Tietz, Institut für Pilzkrankheiten und Mikrobiologie, Berlin. Die Regel, dass die Onychomykose bei Kindern und Jugendlichen sehr selten sei, gilt heute nicht mehr. Bei Kindern ist zurzeit eine deutliche Zunahme von Nagelpilzinfektionen feststellbar. Zweifellos sind immer noch die meisten Nagelpilzpatienten ältere Leute. Jede 2. über 65-jährige Person hat eine Onychomykose. Gemäss einer Studie war der Leidensdruck bei Patienten mit Nagelpilz gleich hoch wie bei Patienten mit Psoriasis. Etwa 6 Monate nach Beginn der Onychomykosetherapie war der Leidensdruck auf 40 Prozent des Ausgangswertes abgesunken. Etwa 80 Prozent der Betroffenen wenden sich mit Nagelpilz an die Apothekerin. Aber Diagnostik und Differenzialdiagnostik sind Sache der Ärzte – und nicht immer bereits mit einem Blick erledigt. Hans-Jürgen Tietz gab drei Beispiele von Differenzialdiagnosen, die Ärzte kennen müssen: Die genetisch bedingte Onychogrypose; die Leukonychia striata, zum Beispiel als Arzneimittelnebenwirkung bei Frauen, die L-Thyroxin einnehmen; die Onycholysis semilunaris, zum Beispiel durch Formaldehyd in kosmetischen Nagellacken. Auch sollten die Ärzte die «Hoheit über die Therapie» nicht verlieren, forderte der Referent. Dass Patienten wegen der Selbstbehandlung oft frustriert sind, liegt daran, dass die Therapie unzureichend ist (z.B. Anwendung der in den Apotheken am häufigsten abgegebenen Acryllacke lediglich einmal pro Woche). Moderne Therapie der Onychomykose Der befallene Nagel ist in 15 Prozent der Fälle dick und muss zuerst abgetragen werden. Der Referent favorisiert dazu die «Methode Dr. Harnstoff». Mit 40 Prozent Harnstoff können die Patienten selbst, fast wie mit einem Skalpell, innerhalb von 7 bis 8 Tagen den vom Pilz angegriffenen Nagel beseitigen. Die angrenzende Haut bleibt gesund, und der nicht vom Pilz angegriffene Nagel bleibt intakt erhalten. Wenn der Harnstoff nichts bewirkt, stimme meistens die Diagnose nicht, so Hans-Jürgen Tietz. In 85 Prozent der Fälle wird der Nagel durch die Pilzinfektion zu Staub zerlegt, sodass er nicht abgetragen werden muss. Das grösste Problem bei der Nagelpilzbehandlung ist die hohe Rezidivrate. Die Pilzinfektion hinterlässt keine Immunität, und im Nagel bleiben oft Pilzsporen zurück, die zum 556 ARS MEDICI 10 ■ 2013 FORTBILDUNG Beispiel ein Jahr später ein Rezidiv bewirken können, wobei die Pilzfäden wieder den Nagel zu zerstören beginnen. Pilzsporen sind gegen fast alle topischen Antimykotika resistent. Ciclopirox hat jedoch neben einem breiten Wirkspektrum auch eine starke sporozide Wirkung. Ciclopoli® Nagellack enthält Ciclopirox in optimaler Galenik, die es dem Wirkstoff erlaubt, an den Infektionsort – ins Nagelbett – vorzudringen. Es dauere mindestens 1 Jahr, bis ein vollständiger Heilerfolg erreicht sei, sagte der Referent. Um Rückfällen vorzubeugen, kann der sporozide Nagellack danach noch über lange Zeit präventiv angewendet werden. Schwierige Fälle Wenn mehr als drei Nägel zugleich betroffen sind oder wenn ein Nagel zu mehr als 50 Prozent befallen ist, muss zusätzlich zur topischen Therapie systemisch behandelt werden. Die Tabletten ersetzen aber den Nagellack keineswegs. Neben der zusätzlichen systemischen Therapie bleibt die Lokalbehandlung weiterhin Pflicht, betonte der Referent. Vor einer systemischen Therapie sollte der Erreger bestimmt werden. Nach einer kurzen Anflutphase mit täglicher Einnahme des Antimykotikums wird bei der modernen Onychomykosetherapie nur noch mit einer Dosis pro Woche behandelt. Bei Kindern empfahl der Referent Fluconazol (sehr gut verträglich) und eine Anflutphase von 3 Tagen. Bei Senioren empfahl er Terbinafin (kaum Interaktionen mit anderen Arzneimitteln) und eine Anflutphase von 5 bis 14 Tagen, abhängig vom klinischen Befallsgrad. Bei Itroconazol sei die Resorption nicht optimal. Fuss- und Nagelpilz gehören zusammen und werden durch den gleichen Erreger verursacht. Fusspilz muss ausreichend lange und auch sporozid mitbehandelt werden, bis die Haut ganz abgeheilt ist. Häufig entsteht Nagelpilz aus unzurei- chend und nicht sporozid behandeltem Fusspilz. Bei älteren Personen kann sich eine Nagelpilzinfektion auf der Haut des ganzen Körpers ausbreiten. Mit der topischen Therapie (Ciclopoli® Nagellack) kann der Nagel gewissermassen versiegelt werden, damit der Pilz nicht die Haut befallen und sich ausbreiten kann. ❖ Alfred Lienhard Referenzen: 1. Guimbao J et al.: Onychomadesis outbreak linked to hand, foot, and mouth disease, Spain, July 2008. Euro Surveill 2010; 15: pii=19663. www.eurosurveillance.org 2. Bernier V et al.: Nail matrix arrest in the course of hand, foot and mouth disease. Eur J Pediatr 2001; 160: 649–651. 3. Langley RG et al.: Treatment and management of psoriasis with nail involvement – a focus on biologic therapy. Dermatology 2010; 221 (suppl 1): 29–42. 4. De Simone C et al.: Tacrolimus 0,1% ointment in nail psoriasis – a randomized con- trolled open-label study. J Eur Acad Dermatol Venereol 2012 (Epub ahead of print). 5. Cantoresi F et al.: Improvement of psoriatic onychodystrophy by a water-soluble nail lacquer. J Eur Acad Dermatol Venereol 2009; 23: 832–834. 6. Horn TD et al.: Intralesional immunotherapy of warts with mumps, candida, and trichophyton skin test antigens. Arch Dermatol 2005; 141: 589–594. 7. Nofal A et al.: Intralesional immunotherapy of common warts – successful treatment with mumps, measles and rubella vaccine. J Eur Acad Dermatol Venereol 2010; 24: 1166–1170. Erstpublikation in «medicos» 5/12. ARS MEDICI 10 ■ 2013 557