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STUDIE REFERIERT
Asthmamedikament Omalizumab auch bei chronischer idiopathischer Urtikaria wirksam
In einer Phase-III-Studie wurde mit Omalizumab bei Patienten mit chronischer idiopathischer Urtikaria, die auf H1-Antihistaminika und andere Medikamente nicht angesprochen hatten, eine signifikante Reduzierung des Juckreizes und der Quaddelbildung im Vergleich zu Plazebo erreicht.
NEW ENGLAND JOURNAL OF MEDICINE
Die chronische idiopathische Urtikaria ist durch juckende Quaddeln gekennzeichnet, die sechs Wochen oder länger ohne erkennbare äussere Ursachen bestehen. Mitunter treten zusätzlich Angioödeme auf. Die Erkrankung dauert meist 1 bis 5 Jahre, persistiert jedoch bei etwa 14 Prozent der Betroffenen über 5 bis 11 Jahre. Die Urtikaria ist häufig mit grossen emotionalen und physischen Belastungen verbunden. Nicht sedierende Antihistaminika stellen die Eckpfeiler zur initialen Behandlung der chronischen idiopathischen Urtikaria dar und sind zudem die einzigen hierfür zugelassenen Substanzen. Zahlreiche Patienten sprechen jedoch auf H1-Antihistaminika nicht an, selbst
Merksätze
❖ Bei Patienten mit chronischer idiopathischer Urtikaria, die auf H1-Antihistaminika nicht ansprechen, kann mit Omalizumab eine signifikante Reduzierung des Juckreizes und der Quaddelbildung erreicht werden.
❖ Nach Absetzen des Medikaments kehren die Symptome zurück.
wenn sie in drei- bis vierfach höheren Dosierungen als der zugelassenen appliziert werden. Zu den Behandlungsoptionen für Patienten, bei denen H1-Antihistaminika nicht ausreichend wirksam sind, gehören H2-Antihistaminika, Leukotrienrezeptorantagonisten, systemische Glukokortikoide, Ciclosporin (Sandimmun®), Hydroxychloroquin (Plaquenil®), Dapson (nicht im AK der Schweiz), Methotrexat (Methotrexat Pfizer®), Sulfasalazin (Salazopyrin®) und intravenöse Immunglobuline. In Phase-II-Studien hat auch Omalizumab (Xolair®) bei therapieresistenten Urtikariapatienten Wirkung gezeigt. Der monoklonale Antikörper Omalizumab bindet an Antikörper vom IgE-Typ und beeinflusst die Funktion der Mastzellen und der basophilen Granulozyten, die im Krankheitsgeschehen der idiopathischen Urtikaria möglicherweise eine wichtige Rolle spielen. Derzeit ist Omalizumab (auch in der Schweiz) jedoch nur als Zusatztherapie bei schwerem persistierendem allergischem Asthma zugelassen.
Methode In einer ersten von 3 multizentrischen, randomisierten, doppelblinden PhaseIII-Studien wurden die Wirksamkeit und die Sicherheit von Omalizumab bei Erwachsenen und Jugendlichen ab zwölf Jahren (in Deutschland 18– 75 Jahre) mit mittelgradiger bis schwerer Urtikaria evaluiert, bei denen die Symptomatik trotz einer Behandlung mit H1-Antihistaminika in der zugelassenen Dosis bestehen blieb. Im Rahmen der Studie erhielten 323 Patienten randomisiert drei subkutane Injektionen im Abstand von 4 Wochen mit 75 mg, 150 mg oder 300 mg Omalizumab oder mit Plazebo. An die Behandlungsphase von 12 Wochen
schloss sich eine 16-wöchige Beobachtungsphase an. Als primärer Wirksamkeitsendpunkt wurde die Veränderung eines wöchentlich erhobenen «weekly itch-severity score» mit Punktwerten von 0 bis 21 (je höher der Wert, desto stärker der Juckreiz) in Woche 12 im Vergleich zur Baseline definiert. Zu den ebenfalls in Woche 12 untersuchten sekundären Endpunkten gehörten Veränderungen des UrtikariaAktivitäts-Scores (UAS) über einen Zeitraum von sieben Tagen (UAS7), Veränderungen der wöchentlich erhobenen Scores für die Quaddelanzahl, die Zeit bis zu einer Reduzierung des wöchentlich erhobenen Juckreiz-Scores um mindestens 5 Punkte («minimal important difference», MID), der Anteil der Patienten mit einem UAS7 von 6 oder darunter sowie der Anteil der angioödemfreien Tage in den Wochen 4 bis 12.
Ergebnisse Das durchschnittliche Alter der Teilnehmer lag bei 42,5 ± 13,7 Jahren, 76 Prozent von ihnen waren Frauen. Die Patienten wogen median 82,4 ± 21,9 kg, und der Body-Mass-Index (BMI) betrug durchschnittlich 29,8 ± 7,3. Die IgE-Werte der Teilnehmer waren mit 168,2 ± 231,9 IU/ml erhöht (Normalbereich: 13–127). Die Diagnose war durchschnittlich 6,5 bis 8,6 Jahre zuvor gestellt worden, und die Patienten hatten bereits 4,3 ± 2,7 Medikamente zur Behandlung der Urtikaria erhalten. Zu Studienbeginn lag der wöchentlich erhobene Juckreiz-Score in allen vier Gruppen bei einem Wert von etwa 14 Punkten. In Woche 12 wurde eine durchschnittliche Reduzierung (±SD) um -5,1 ± 5,6 in der Plazebogruppe, um -5,9 ± 6,5 in der 75-mg-OmalizumabGruppe (p = 0,46), um -8,1 ± 6,4 in der 150-mg-Omalizumab-Gruppe (p=0,001) und um -9,8 ± 6,0 in der 300-mg-Omalizumab-Gruppe (p < 0,001) beobachtet. Bei der niedrigsten Dosis von 75 mg Omalizumab wurde somit keine signifikante Verbesserung im Vergleich zu Plazebo festgestellt. Nach Woche 12 stiegen die Ergebnisse der JuckreizScores in allen Omalizumabgruppen auf ähnliche Werte an wie unter Plazebo, die Ausgangswerte wurden jedoch während des Follow-ups nicht wieder erreicht.
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Auch bezüglich der meisten sekundären Outcomes wurden dosisabhängige Effekte beobachtet. Im Hinblick auf angioödemfreie Tage in den Wochen 4 bis 12 wurde jedoch lediglich in der Gruppe mit 300 mg Omalizumab eine Signifikanz erreicht. Ähnlich wie beim Juckreiz-Score verringerte sich auch der wöchentlich erhobene Score für die Anzahl der Quaddeln unter allen drei Omalizumabdosierungen in grösserem Ausmass als unter Plazebo, wobei die grösste Differenz unter 300 mg Omalizumab beobachtet wurde. Nach der 12-wöchigen Behandlungsphase stieg der durchschnittliche wöchentliche Score für die Anzahl der Quaddeln in allen Omalizumabgruppen auf vergleichbare Werte an wie unter Plazebo, erreichte jedoch während des Beobachtungszeitraums nicht wieder die Ausgangswerte. In einer Post-hoc-Analyse in Woche 12 betrug der Anteil der Patienten, die frei von Quaddeln waren, in der Plazebogruppe 10 Prozent sowie unter 75 mg Omalizumab 18 Prozent, unter 150 mg Omalizumab 23 Prozent und unter 300 mg Omalizumab 53 Prozent. Die Anteile der Patienten, die sowohl frei von Quaddeln als auch frei von Juckreiz waren, lagen bei 5 Prozent unter Plazebo sowie bei 16 Prozent unter 75 mg Omalizumab, bei 22 Prozent unter 150 mg Omalizumab und bei
44 Prozent unter 300 mg Omalizumab. Die Häufigkeit unerwünschter Ereignisse war in allen Gruppen vergleichbar. Schwere unerwünschte Ereignisse wurden selten beobachtet, allerdings war ihre Rate in der Gruppe, die 300 mg Omalizumab erhielt, mit 6 Prozent höher als in der Plazebogruppe (3%) oder in den anderen beiden Gruppen (jeweils 1%). Todesfälle oder anaphylaktische Schockereignisse wurden im Rahmen dieser Studie nicht beobachtet.
Diskussion Bei Patienten, die 150 mg oder 300 mg Omalizumab erhielten, wurden bis Woche 12 signifikante und klinisch bedeutsame Veränderungen im Hinblick auf den primären Endpunkt des «weekly itch-severity score» sowie bezüglich der meisten sekundären Endpunkte erzielt. Das Sicherheitsprofil von Omalizumab war mit demjenigen vergleichbar, das im Rahmen der Behandlung von allergischem Asthma beobachtet wurde. Die Wirksamkeit von Omalizumab setzte innerhalb einer Woche nach Behandlungsbeginn ein. Die durchschnittliche Zeit bis zum MID-Ansprechen auf den Juckreiz-Score war in der Gruppe, die 300 mg Omalizumab erhielt (1 Woche), und in der Gruppe, die 150 mg erhielt (2 Wochen), signifikant kürzer als unter Plazebo (4 Wochen).
Die Juckreizunterdrückung hielt nach
Woche 12 unter 150 mg und 300 mg
Omalizumab länger an als bei der
Applikation von Plazebo. In der Plaze-
bogruppe blieben die Werte der Juck-
reiz-Scores nach einer geringfügigen
Reduzierung in den ersten Wochen für
den verbleibenden Studienzeitraum
konstant.
Die Beobachtung, dass die Urtikaria-
symptome nach Beendigung der
Omalizumabinjektionen allmählich
wiederkehren – was durch einen Wie-
deranstieg der Score-Werte für Juckreiz
und Quaddeln nach Woche 12 deutlich
wird –, weist darauf hin, dass Omali-
zumab zumindest im gewählten Stu-
dienzeitraum und mit den gewählten
Dosierungen den zugrunde liegenden
Krankheitsprozess der chronischen
idiopathischen Urtikaria nicht wesent-
lich modifiziert.
❖
Petra Stölting
Quelle: Maurer M et al.: Omalizumab for the treatment of chronic idiopathic or spontaneous urticaria. NEJM 2013; 368(10): 924–935.
Interessenkonflikte: Die Studie wurde von Genentech und Novartis Pharma finanziert. Repräsentanten beider Unternehmen waren an der Studienkonzeption und der Datenerfassung sowie an der Interpretation und der Analyse der Daten beteiligt. Alle Autoren haben Verschwiegenheitsverpflichtungen mit Genentech unterzeichnet. Alle Autoren haben Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten oder sind Angestellte von Genentech oder Novartis.
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