Transkript
STUDIE REFERIERT
Hörverlust und Abnahme kognitiver Fähigkeiten bei Senioren
Neue Erkenntnisse über das Zusammenspiel von Alterserscheinungen
Bei Senioren wird häufig ein Hörverlust beobachtet. Gleichzeitig nehmen die kognitiven Fähigkeiten im fortgeschrittenen Alter oft ab. Es stellt sich die Frage, ob ein verschlechtertes Hörvermögen mit einer verminderten Gedächtnisleistung im Alter einhergeht.
den Jahren von 1997 bis 1998 ins Leben gerufen. Bei der Rekrutierung wurden nur Personen mit weisser oder schwarzer Hautfarbe angesprochen. Ursprünglich sollten nämlich auch körperliche Unterschiede untersucht werden. Es standen allerdings nicht genügend Ressourcen zur Verfügung, um in der Studie noch weitere Ethnizitäten zu berücksichtigen.
JOURNAL OF THE AMERICAN MEDICAL ASSOCIATION INTERNAL MEDICINE
Es wird angenommen, dass sich die Prävalenz der Demenzerkrankungen alle 20 Jahre verdoppelt. Dies wird auf das zunehmende Alter der Weltbevölkerung zurückgeführt. Im Fokus stehen daher die Faktoren, die zu einer Abnahme kognitiver Fähigkeiten bei Senioren beitragen. Daneben tritt ein vermindertes Hörvermögen bei nahezu zwei Dritteln der über 70-Jährigen auf. Bei dieser Altersklasse bleibt dieses Defizit in der Regel unbehandelt.
Health-ABC-Studie Die Ergebnisse einiger Studien weisen darauf hin, dass die kognitiven Fähigkeiten im Alter schneller nachlassen, wenn ein Hörverlust vorliegt. Bei einer Schwerhörigkeit ziehen sich ältere Menschen vermehrt aus dem sozialen Umfeld zurück und werden geistig weniger gefordert. Es bleibt zu klären, ob dieser Zusammenhang tatsächlich besteht. Dazu wurde die prospektive Health-ABC-Beobachtungsstudie in
Merksatz
❖ Liegt eine Schwerhörigkeit vor, nehmen die kognitiven Fähigkeiten bei älteren Leuten häufig schneller ab.
Studientests Zu Beginn der Untersuchung absolvierten 2206 Probanden einen Hörtest. Dazu wurde die Lautstärke der Töne in verschiedenen Frequenzbereichen (0,5–4 kHz) allmählich erhöht. Eine leichte Schwerhörigkeit lag laut WHODefinition vor, wenn der durchschnittliche Wert am besseren Ohr über 25 dB betrug. Auf dieser Stufe beginnen üblicherweise die ersten Probleme bei der Kommunikation in alltäglichen Situationen. Anschliessend wurde der modifizierte Mini-Mental-Status-Test (3MS) durchgeführt. Damit wurden Orientierung, Konzentration, Sprache, Praxis und Merkfähigkeit überprüft. Im Idealfall konnten bis zu 100 Punkte erreicht werden. Ein Wert von unter 80 oder eine Verschlechterung um 5 Punkte nach Studienbeginn wurden als Hinweise auf eine verminderte kognitive Leistungsfähigkeit gewertet. Im weiteren Verlauf wurde auch der ZahlenSymbol-Test durchgeführt. Mit dieser nicht verbalen Prüfung wurde die Verarbeitungsgeschwindigkeit untersucht. Die Teilnehmer erhielten zu Beginn einen Zuordnungscode. Damit mussten sie einer Reihe von Zahlen die korrespondierenden Symbole richtig zuweisen; dafür hatten sie maximal 90 Sekunden Zeit.
Studienergebnisse Am Studienanfang wurden 1984 Personen mit einem Durchschnittsalter von 77,4 Jahren als geistig fit eingestuft
und durften daher teilnehmen. Des Weiteren wurde zu Beginn bei 1162 Personen ein Hörverlust festgestellt. Im Vergleich zu Teilnehmern mit normalem Hörvermögen schnitten sie im späteren Verlauf beim 3MS- und ZahlenSymbol-Test schlechter ab. Innerhalb von 6 Jahren nahm der 3MS-Wert bei den Personen mit Hörverlust von 90,3 (95%-Konfidenzintervall [KI]: 89,8– 90,8) auf 86,4 (95%-KI: 85,7–87,1) ab. Bei den hörgesunden Probanden sank der 3MS-Wert von 91,0 (95%-KI: 90,5–91,6) auf 88,3 (95%-KI: 87,5– 89,1). Das entspricht einem jährlichen Schwund von 0,65 versus 0,46 Punkten (p = 0,004). Als der Zahlen-SymbolTest bei den hörgeschädigten Teilnehmern durchgeführt wurde, nahmen die Werte in einem Zeitraum von 6 Jahren von 31,1 (95%-KI: 29,9–32,3) auf 26,1 (95%-KI: 24,8–27,4) ab. Bei den Senioren mit normalem Hörvermögen verringerten sich die Werte nur von 32,0 (95%-KI: 30,7–33,4) auf 28,3 (95%-KI: 26,9–29,6). Das entspricht einem jährlichen Rückgang von 0,83 gegenüber 0,63 (p = 0,02).
Diskussion
Lag ein Hörverlust zu Beginn der Stu-
die vor, hatten die Betroffenen im Ver-
gleich zu hörgesunden Personen ein er-
höhtes Risiko von 24 Prozent (Hazard
Ratio [HR]: 1,24; 95%-KI: 1,05–1,48;
p = 0,01) für das allmähliche Einsetzen
einer geistigen Beeinträchtigung. Je
grösser der Hörverlust zu Beginn der
Studie war, desto stärker war die Ab-
nahme der kognitiven Fähigkeiten im
späteren Verlauf.
Des Weiteren wurde der Einfluss von
Hörhilfen untersucht. Es wurde ge-
schlussfolgert, dass sie das Risiko für
das Auftreten einer kognitiven Beein-
trächtigung nicht signifikant senken
konnten (HR: 0,82; 95%-KI: 0,58–
1,16; p = 0,26). Insbesondere hier sind
weitere, umfangreiche Studien notwen-
dig, um den näheren Sachverhalt besser
zu erforschen.
❖
Monika Lenzer
Quelle: Lin FR et al: Hearing loss and cognitive decline in older adults. JAMA Intern Med 2013; 173(4): 293–299.
Interessenkonflikte: FRL arbeitet als Consultant bei einem Pharmaunternehmen und ist als unbezahlter Sprecher für einen Hörgeräteentwickler tätig.
ARS MEDICI 8 ■ 2013
419