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STUDIE REFERIERT
Glaukomtherapie: Laser, Operation und Medikamente im Vergleich
Ergebnisse einer systematischen Übersichtsarbeit
Beim Glaukom («grüner Star») kommt es zu Schädigungen des Nervus opticus und zu Gesichtsfelddefekten, die häufig im Zusammenhang mit einem erhöhten Augeninnendruck auftreten. Therapeutisch stehen Medikamente sowie Laser- und operative Methoden zur Verfügung.
ANNALS OF INTERNAL MEDICINE
Das Glaukom ist eine erworbene Erkrankung des Sehnervs, die durch spezifische strukturelle Veränderungen und Gesichtsfeldausfälle gekennzeichnet ist. Über 60 Millionen Menschen leiden an einem Glaukom, das weltweit die zweithäufigste Ursache für Erblindung darstellt. Primär unterscheidet man das Offenwinkelglaukom vom Engwinkelglaukom, je nachdem, ob das Areal, das der Drainage des Kammerwassers dient, ein offenes oder geschlossenes Erscheinungsbild bietet.
Merksätze
❖ Medikamente, Laser- und operative Verfahren senken bei Glaukompatienten den intraokulären Druck.
❖ Die medikamentöse Glaukombehandlung und die Trabekulektomie reduzieren im Vergleich zu abwartendem Verhalten das Risiko für Sehnervenschäden und für Gesichtsfeldausfälle.
❖ Welche Behandlungsoptionen am besten vor Sehbehinderung schützen und die von den Patienten berichteten Outcomes verbessern, ist unklar.
Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass die Schädigung des Nervus opticus beim Glaukom vom Augeninnendruck (intraokulärer Druck, IOD) abhängt. Die Senkung des IOD reduziert sowohl die Glaukominzidenz bei Menschen ohne Schädigung des Sehnervs als auch die Rate an neu auftretenden Schäden bei Patienten mit Glaukom. Deswegen können medikamentöse und chirurgische Behandlungsoptionen, die den IOD senken, Sehstörungen und Erblindung verhindern. Zu den häufig eingesetzten Glaukomtherapien zählen topische oder orale Substanzen, die entweder die Produktion von Kammerwasser hemmen oder den Abfluss verbessern. Andere Strategien zur Senkung des IOD sind die Laser-Trabekuloplastie, die Inzisionschirurgie (wie z.B. die Trabekulotomie oder Massnahmen, bei denen Implantate zur Kammerwasserdrainage eingesetzt werden) sowie einige neuere Verfahren. In der Praxis sind Struktur und Funktion des Sehnervs von grösstem Interesse. Die Nervenstruktur kann mithilfe klinischer Untersuchung, photografischer Dokumentation und ScanningLaser-Tomografie beurteilt werden. Die Funktion wird meist mithilfe von Gesichtsfelduntersuchungen bewertet. Da sich Veränderungen von Struktur und Funktion oft erst nach mehreren Jahren manifestieren, wird zur Bewertung von Glaukomtherapien die Senkung des IOD häufig als intermediäres Ergebnis akzeptiert. Der IOD ist auch relevant, weil alle derzeit verfügbaren Behandlungen darauf abzielen, den IOD zu senken, um dadurch Sehnervenschäden zu stoppen oder zu verlangsamen. In einer umfangreichen Literaturrecherche identifizierte ein amerikanisches Forscherteam englischsprachige
Übersichtsartikel, randomisierte und quasirandomisierte, kontrollierte Studien sowie Beobachtungsstudien, um die Effektivität von medikamentösen, chirurgischen und Laserverfahren bei Erwachsenen mit Offenwinkelglaukom hinsichtlich IOD-Senkung sowie Prävention von Sehnervenschäden, Sehstörungen und Sehverlust zu vergleichen. Beauftragt wurde diese Übersichtsarbeit von der U.S. Preventive Services Task Force. Berücksichtigt wurden insgesamt 23 systematische Review-Artikel, 11 zur medikamentösen Therapie des Offenwinkelglaukoms, 10 zur chirurgischen Therapie sowie 2 Arbeiten, in denen die medikamentöse mit der chirurgischen Behandlung verglichen wurde.
Effekt auf den intraokulären Druck Medikamentöse Therapie Systematische Übersichtsarbeiten, in denen Timolol mit Travoprost oder Latanoprost verglichen wurde, ergaben eine effektivere Senkung des IOD unter Prostaglandinanaloga. Zwei systematische Übersichtsarbeiten kamen zu dem Schluss, dass Bimatoprost (0,03%) nach 3 Monaten den IOD effektiver senkte als Latanoprost (Risikodifferenz: 12, 95%-Konfidenzintervall [KI]: 4–21), obwohl dieser Unterschied nach einem beziehungsweise 6 Monaten nicht nachweisbar war. Zwei Publikationen ergaben eine ähnliche durchschnittliche IOD-Senkung unter Travoprost und Latanoprost. Metaanalysen, in denen Bimatoprost mit Travoprost verglichen wurde, kamen zu unterschiedlichen Ergebnissen: In einer Studie wurde über einen signifikanten Unterschied zugunsten von Bimatoprost nach 3 oder mehr Monaten berichtet, während eine andere Metaanalyse ergab, dass Bimatoprost und Travoprost ähnlich effektiv waren. Insgesamt ergab die Literaturrecherche, dass topisch applizierte Glaukommedikamente den IOD reduzieren und dass Prostaglandinanaloga im Vergleich zu anderen Monotherapien den IOD wirkungsvoller senken.
Chirurgische Therapie Zwei Übersichtsarbeiten berichteten, dass die Gabe von Antimetaboliten zusätzlich zu einer Trabekulotomie den IOD der Patienten senkte. Eine der bei-
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den Publikationen konstatierte, dass Teilnehmer, die intraoperativ Mitomycin C bekommen hatten, nach 12 Monaten einen durchschnittlichen IOD aufwiesen, der um 5,4 mmHg niedriger war als bei den Patienten, die Plazebo oder keine Behandlung erhalten hatten. Ein ähnliches Ergebnis wurde für postoperativ verabreichtes Fluorouracil berichtet. Ein weiterer systematischer Review verglich verschiedene Laserverfahren. Das Risiko eines Therapieversagens unterschied sich nicht, wenn die Dioden- und Argonlaser-Trabekulotomie nach einem Jahr (relatives Risiko [RR]: 3,0; KI: 0,4–24) und nach 2 Jahren (RR: 0,50; KI: 0,1–2,4) Nachbeobachtungszeit verglichen wurden beziehungsweise wenn die selektive Laser-Trabekuloplastie mit der Argonlaser-Trabekuloplastie nach 1 Jahr verglichen wurde (RR: 1,3; KI: 0,8–1,9). Bei Teilnehmern, die randomisiert einer Argonlaser-Trabekuloplastie zugeordnet worden waren, kam es doppelt so häufig zu einem Therapieversagen wie bei Patienten, bei denen eine Trabekulotomie durchgeführt worden war.
Effekt auf Sehnervenschäden und Gesichtsfeldausfälle Eine Metaanalyse fasste die Ergebnisse aus 5 randomisierten kontrollierten Studien zusammen, in denen Personen mit erhöhtem Augeninnendruck randomisiert eine medikamentöse, eine chirurgische Behandlung oder aber keine Therapie erhielten. Bei Teilnehmern, die topische Medikamente bekamen, war die Wahrscheinlichkeit für progrediente Gesichtsfeldausfälle und Papillenschädigung im Vergleich zu Teilnehmern ohne Therapie um 44 Prozent vermindert. Patienten mit primärem Offenwinkelglaukom, die medikamentös oder chirurgisch behandelt wurden, wiesen im Vergleich zu Patienten ohne Behandlung eine um 35 Prozent reduzierte Wahrscheinlichkeit für progrediente Gesichtsfeldausfälle und Papillenschädigung auf. Eine Übersichtsarbeit, bei der 3 randomisierte kontrollierte Studien berücksichtigt wurden, verglich die initiale medikamentöse Behandlung mit der initialen Trabekulektomie hinsichtlich der Prävention von progredienten Gesichtsfeldausfällen und Sehnervenschädigungen. Eine Studie ergab, dass es
nach Trabekulektomie zu einer geringeren Progression der Gesichtsfeldausfälle kam als unter medikamentöser Behandlung, während in den anderen beiden Studien hinsichtlich der Progression keine klaren Unterschiede gezeigt werden konnten. In 2 Studien wurde die ArgonlaserTrabekuloplastie mit medikamentösen Therapieoptionen bei Patienten mit neu diagnostiziertem Glaukom verglichen. Nach 2 Jahren war das Risiko für Gesichtsfeldausfälle in beiden Behandlungsgruppen ähnlich hoch. Insgesamt ist die aus 3 Übersichtsarbeiten stammende Evidenz hoch, dass eine Senkung des IOD mit Medikamenten, Laser oder Inzisionschirurgie Sehnervenschäden – nachgewiesen durch Gesichtsfeld- oder strukturelle Untersuchungen – reduziert.
Unerwünschte Wirkungen Medikamentöse Therapie Zu den Nebenwirkungen der medikamentösen Glaukomtherapie zählen in erster Linie lokale Effekte wie Augenreizung und -rötung sowie Pigmentveränderungen der Iris. Prostaglandinanaloga, die am häufigsten verordnete medikamentöse Therapie, führen nicht zu systemischen Nebenwirkungen, und Interaktionen mit anderen systemisch verabreichten Medikamenten sind nicht bekannt.
Chirurgische Therapie In der Literatur sind unterschiedliche Nebenwirkungen der verschiedenen operativen Methoden beschrieben. So soll es bei Trabekulektomien häufiger zu unerwünschten Effekten kommen als bei nicht penetrierenden Verfahren. Bei Patienten, die sich einer Trabekulektomie unterzogen hatten, kam es häufiger zu Hypotonie, Hyphaema, einer Abflachung der vorderen Augenkammer sowie zu Katarakt als bei Patienten, bei denen eine Viskokanalostomie und eine tiefe Sklerotomie durchgeführt worden waren. Darüber hinaus war die Trabekulektomie mit einem höheren Risiko für Aderhautablösungen assoziiert als die Viskokanalostomie und die tiefe Sklerotomie. Bei Patienten, die intraoperativ Mitomycin C erhalten hatten, wurde häufiger über Wundlecks, Hypotonie und Katarakt berichtet. Die Diodenlaser-Trabekuloplastie führte im Vergleich zur Argonlaser-Trabeku-
loplastie zu einem (statistisch nicht signifikanten) niedrigeren Risiko für periphere anteriore Synechien und frühe IOD-Spitzen. Im Vergleich zur medikamentösen Therapie war das Risiko für periphere anteriore Synechien bei einer Argonlaser-Trabekuloplastie 11-fach erhöht.
Schutz vor Gesichtsfeldausfällen Es besteht eine sehr gute Evidenz aus systematischen Übersichtsarbeiten und randomisierten Studien, dass die medikamentöse Glaukombehandlung den IOD senkt und vor einem zunehmenden Gesichtsfeldverlust schützt. Es gibt keine Head-to-Head-Vergleiche verschiedener Glaukommedikamente im Hinblick auf die Prävention von Sehnervenschäden oder Gesichtsfeldverlust. Sowohl die medikamentöse Therapie als auch die Trabekulektomie senken das Risiko für einen drohenden oder fortschreitenden Gesichtsfeldverlust, aber eine initiale Trabekulektomie kann in dieser Hinsicht effektiver sein.
Prostaglandinanaloga – wirksamste topische Therapie Prostaglandine sind derzeit die effektivste topische Medikation zur Senkung des IOD, andererseits führen Prostaglandinanaloga jedoch häufiger zu einer konjunktivalen Hyperämie als Timolol. Latanoprost führt seltener zu einer Hyperämie als Travoprost oder Bimatoprost; hinsichtlich Augenreizungen, entzündlicher Reaktionen, Veränderungen der Irispigmentierung und zystoiden Makulaödems verhalten sich die 3 Substanzen ähnlich. In seltenen Fällen kommt es unter medikamentöser Glaukomtherapie zu systemischen Nebenwirkungen, die nach Trabekuloplastie oder inzisionaler Glaukomchirurgie nicht auftreten. Systemische Nebenwirkungen bestimmter Glaukommedikamente bedürfen der Aufmerksamkeit von Ophthalmologen und Hausärzten.
Operation senkt IOD am effektivsten Als häufigster inzisionschirurgischer Eingriff wird bei Glaukom die Trabekulektomie durchgeführt, die den IOD auf einen durchschnittlichen Wert von rund 13–17 mmHg senkt. Die IODsenkende Wirkung lässt sich durch die intraoperative Gabe von Mitomycin C erhöhen, während Modifikationen der
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Operationstechnik oder der Einsatz von Implantaten, welche die Wundheilung modifizieren sollen, offensichtlich zu keiner zusätzlichen Reduktion des IOD führen. Darüber hinaus senkt die Trabekulektomie den IOD effektiver als die Laser-Trabekuloplastie oder die medikamentöse Therapie, doch ist das Risiko ungünstiger Ergebnisse nach Trabekulektomie höher.
Laser-Trabekuloplastie Studien zur Laser-Trabekuloplastie zeigen konsistent eine Senkung des IOD durch die Behandlung, doch ist es nicht möglich, aus diesen Studien Schlussfolgerungen zur am besten geeigneten Art des Lasers oder zur optimalen Anzahl der Laser-Sitzungen zu ziehen. Die Anwendung der verschiedenen Lasermethoden senkt den IOD und reduziert im Vergleich zu einer alleinigen medikamentösen Behandlung die Zahl der Medikationen, die erforderlich sind, um den IOD auf gleichem Niveau zu halten.
Sehstörungen und von Patienten berichtete Outcomes Keine ausreichende Evidenz fanden die Autoren zur vergleichenden Effektivität der verschiedenen Glaukomtherapieoptionen bezüglich Sehstörungen
oder von Patienten berichteter Outcomes. Es liessen sich keine Studien identifizieren, die einen direkten Zusammenhang zwischen den verschiedenen Behandlungen und diesen wichtigen Outcomes herstellten. Wenn man Sehstörungen und von Patienten berichtete Outcomes tatsächlich als wichtige Endpunkte des Glaukommanagements betrachtet, sollten diese Parameter in zukünftigen Studien untersucht werden; dies erfordert dann allerdings längere Nachbeobachtungszeiten.
Unerwünschte Wirkungen der Trabekulektomie Im Vergleich zu den nicht penetrierenden Verfahren (z.B. tiefe Sklerotomie) führt die Trabekulektomie häufiger zu Hypotonie, Hyphaema, Katarakt und anderen unerwünschten Wirkungen. Es ist auch belegt, dass die intraokuläre Glaukomchirurgie im Vergleich zur Laser-Trabekuloplastie und zur medikamentösen Behandlung das Kataraktrisiko erhöht. Zudem besteht bei intraokulärer Glaukomoperation ein gewisses Risiko für intraokuläre Infektionen, die bei medikamentöser oder Laserbehandlung nicht beobachtet werden.
Weiterer Forschungsbedarf
In zukünftigen Studien sollte ein Head-
to-Head-Vergleich der derzeit verfüg-
baren Glaukommedikamente im Hin-
blick auf die Prävention struktureller
Sehnervenschäden und Gesichtsfeld-
ausfälle erfolgen. Dringend erforder-
lich sind auch randomisierte kontrol-
lierte Studien, in denen neue, soge-
nannte minimalinvasive Verfahren zur
Glaukombehandlung mit geeigneten
Alternativen (wie z.B. Trabekulekto-
mie) verglichen werden.
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Andrea Wülker
Michael V. Boland et al.: Comparative effectiveness of treatments for open-angle glaucoma: a systematic review for the U. S. Preventive Services Task Force. Ann Intern Med 2013; 158: 271–279.
Interessenlage: Die vorliegende Übersichtsarbeit wurde von der Agency for Healthcare Research and Quality (AHRQ) finanziert. Ein Teil der Autoren hat Forschungsgelder von der AHRQ und/oder Beraterhonorare von verschiedenen Unternehmen erhalten.
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