Transkript
FORTBILDUNG
Serie: Kompressionstherapie
Diagnostik und Therapie der chronisch venösen Insuffizienz
Eine chronisch venöse Insuffizienz ist keine Seltenheit, aber rechtzeitig erkannt, ist es in der Regel möglich, daraus erwachsende Komplikationen zu verhindern. Wichtig ist neben der Abklärung die Kompression als Basismassnahme der Behandlung. Zur weiterführenden Therapie stehen bei Bedarf verschiedene operative Möglichkeiten zur Verfügung.
Mikrozirkulation und nachfolgend zu einer zellulären Schädigung in der Haut.
CLAUS ROMBACH
Unter chronisch venöser Insuffizienz (CVI) werden die Erkrankungen des venösen Systems der unteren Extremitäten zusammengefasst, die mit einer venösen Hypertension einhergehen. Pathophysiologisch liegt ihr eine Insuffizienz der Venenklappen zugrunde (siehe Abbildung 1). Erschwerend, selten auch ursächlich, kann eine fehlende Pumpfunktion bei muskuloskeletalen Störungen des Sprunggelenks hinzukommen. Typische Erkrankungen, die unbehandelt zu einer CVI führen, sind die Varikose und das postthrombotische Syndrom. Daraus können bedeutende Komplikationen resultieren. Der verzögerte Abstrom kann ursächlich sein für eine Thrombophlebitis beziehungsweise eine Varikophlebitis und eine daraus resultierende Beinvenenthrombose. Durch die permanente venöse Hypertension kommt es zu einer Beeinträchtigung der
Merksätze
❖ Unbehandelt führt die CVI zu schwerwiegenden Komplikationen.
❖ Basisuntersuchungen können vom Hausarzt durchgeführt werden.
❖ Basismassnahme ist die Kompressionsbehandlung.
❖ Weiterführende Therapien (konservativ/operativ) stehen zur Verfügung und sind nur wenig belastend.
❖ Für die differenzierte Therapie ist eine spezielle apparative Diagnostik erforderlich.
❖ Die Behandlung des «Venenkranken» sollte individuell sein und orientiert sich an den modernen Möglichkeiten und Leitlinien.
Abbildung 1: Klappeninsuffizienz
Volkswirtschaftliche Bedeutung Die CVI ist deshalb sowohl in der alltäglichen Praxis als auch volkswirtschaftlich von Bedeutung. Gemäss der Bonner Venenstudie leiden ungefähr jede 3. Frau und jeder 5. Mann an einer Varikose (1). Jede 5. Frau hat Symptome einer CVI
(siehe Abbildung 2). 1 Prozent der Bevölkerung hat sogar ein Ulcus cruris. Der volkswirtschaftliche Schaden durch eine solche chronische Wunde ist immens. Genaue Zahlen gibt es nicht, die Jahreskosten für die Behandlung eines Ulcus cruris liegen in Deutschland schätzungsweise bei über 10 000 Euro. Unbehandelt ist die CVI beim nicht bettlägerigen Menschen in aller Regel progredient. Die Kenntnis dieser Entität sollte es uns aber ermöglichen, frühzeitig – also rechtzeitig – die möglichen Komplikationen der CVI zu verhindern. Hierzu braucht es nicht gleich Abbildung 2: CVI den Spezialisten, sondern zunächst einmal Anamnese und Basisdiagnostik, wie sie in der hausärztlichen Praxis ohnehin erbracht werden.
Anamnese und Basisdiagnostik Typische Beschwerden sind im Tagesverlauf zunehmend schwere Beine und Stauungsgefühl. Diffuse Schmerzen sind häufig, ebenso nächtliche Muskelkrämpfe und Jucken/Brennen der Beine. Meistens lässt sich eine positive Familienanamnese
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für Venenleiden eruieren. Eine überwiegend sitzende oder
stehende berufliche Tätigkeit und fehlende sportliche Aktivi-
tät erhöhen das Risiko des Einzelnen. Eine Schwangerschaft
ist häufig der Zeitpunkt des erstens Auftretens bei den
Frauen. Wichtig ist auch die Frage nach früherer Traumati-
sierung und Operationen.
Bei der Untersuchung sind
nicht selten Ödeme der Unter-
schenkel zu finden. Besenreiser
oder retikuläre Varizen kön-
nen als Ursache eine bereits
manifeste CVI haben. Grös-
sere, deutlich erkennbare Vari-
zen, Hautekzeme und Hyper-
pigmentierung sind bereits
Spätzeichen (siehe Abbildung 3).
Abbildung 3: Varikose
Natürlich sind die beklagten
Beschwerden nicht beweisend,
deshalb muss auch immer eine pAVK ausgeschlossen werden
und eine orientierende neurologische und orthopädische
Untersuchung erfolgen.
Apparative Diagnostik
Bei der apparativen Diagnostik wird es dann zunehmend spe-
zieller. Aber allein mit dem bidirektionalen Taschendoppler
lässt sich eine CVI bestätigen. Pathognomonisch ist der Re-
flux in der untersuchten Vene beim Valsava-Manöver oder
beim gleichwertigen Provokationsmanöver. Ein Reflux von
länger als 1 Sekunde ist auffällig beziehungsweise patholo-
gisch. Wichtig ist es, bei der Durchführung zu unterscheiden
zwischen sub-, epi- und transfazialem Venensystem. Bereits
nach diesem Untersuchungsgang könnte die Notwendigkeit
einer Behandlung festgestellt worden sein.
Speziellere, apparative Diagnostik kann dann erforderlich
sein, um eine differenziertere Aussage über die zugrunde lie-
gende venöse Störung zu machen. Goldstandard ist die Farb-
duplexsonografie (siehe Abbildung 4).
Das insuffiziente Venensystem kann si-
cher identifiziert und dokumentiert
werden. Hierauf basiert die weitere
Therapieentscheidung. Ergänzend kön-
nen Venenfunktionstests wie die digi-
tale Fotoplethysmografie oder in selte-
nen Fällen die Phlebodynamometrie
durchgeführt werden. In aller Regel
werden diese Untersuchungen beim
hierfür spezialisierten Phlebologen
durchgeführt. Eine Phlebografie wird
nur noch selten und bei besonderer Fra-
gestellung erforderlich. Zunehmend
häufiger wird ein Angio-MRI zur Klä-
Abbildung 4: Farbduplex- und rung einer venösen Besonderheit des
Dopplersonografie
Beckens durchgeführt.
Indikation zur Behandlung Auch wenn man die kosmetischen Störungen des Einzelnen unberücksichtigt lässt, sollte die Indikation zur Behandlung einer CVI dennoch grosszügig gestellt werden. Wie stets ist das Ziel einer Therapie die Besserung der subjektiven Beschwerden des Patienten und das Vermeiden von Kompli-
kationen. Im Falle der CVI sind das die Ödemreduktion, die Besserung trophischer Störungen und Verhinderung der Progredienz einer CVI oder deren Komplikationen. Hierfür ist eine kausale Therapie erforderlich. Diese ist allein medikamentös nicht möglich. Allenfalls eine geringe Ödemreduktion beziehungsweise -prophylaxe kann durch entsprechende Substanzen bewirkt werden. Lokale Anwendung ist wegen hoher Allergisierung zu vermeiden und nicht wirksam. Die Basis jeglicher Massnahmen ist die Kompressionsbehandlung, deren Wirksamkeit zunehmend auch in klinischen Studien hinsichtlich Ödemreduktion und Verbesserung der Lebensqualität bestätigt wird. Die CVI kann mitunter alleine mit dieser Massnahme adäquat behandelt werden. Durch die Kompression von aussen kann der Diameter der erweiterten und insuffizienten Venen verringert und der venöse Abstrom verbessert werden. Drohende thrombembolische Komplikationen können verhindert werden wie auch Hautläsionen. Bereits bestehende Hautirritationen werden verbessert, Ulzerationen können zur Abheilung gebracht werden. Im alltäglichen Gebrauch haben sich die medizinischen Kompressionsstrümpfe bewährt, während Kompressionswickelungen häufig bereits nach kurzer Zeit nicht mehr wirksam sind. Nachts können die Strümpfe ausgezogen werden, da die Kompression nur beim aufrechten Menschen wirksam sein muss. Nicht verwechselt werden sollte die Kompressionsbehandlung mit der Thromboseprophylaxe beim liegenden, immobilisierten Patienten. Bei richtiger Abmessung und Indikationsstellung bieten Kompressionsstrümpfe einen ausreichenden Tragekomfort, der die erforderliche Compliance der Patienten gewährleistet (siehe Abbildung 5). Ins-
besondere da subjektive Beschwerden, die durch die CVI ausgelöst sind, mit der Kompression rasch besser werden. Eine pAVK sollte vorgängig immer ausgeschlossen werden, genauso wie gewährleistet sein muss, dass der Strumpf selbst an- und ausgezogen werden kann beziehungsweise Hilfe zur Verfügung steht. In Einzelfällen muss alleine hierfür die Abbildung 5: Kompression Spitex organisiert werden.
Wann zum Spezialisten? Es gibt verschiedene Gründe, einen Spezialisten hinzuzuziehen. Für viele an einer CVI erkrankte Patienten ist das dauerhafte Tragen eines Kompressionsstrumpfes tagsüber nicht die Therapieoption ihrer Wahl. Auch kann es nicht selten notwendig sein, die CVI über die Basismassnahme hinaus zu behandeln. Und auf jeden Fall immer dann, wenn es trotz Kompression zu einer Progredienz der CVI kommt oder zu einer unzureichenden Reduktion der Beschwerden. Spätestens dann sollte die Zuweisung zum Spezialisten erfolgen. Dieser kann auch entscheiden, ob beim Vorliegen einer Insuffizienz der subfaszialen Leitvenen eine Verbesserung der venösen Hämodynamik durch Massnahmen an den epifaszialen Venen erreicht werden kann. Grundsätzlich müssen aber bei Störungen der Leitvenen die Kompressionsstrümpfe
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Algorithmus zur Diagnostik und Behandlung der CVI
Anamnese/Beschwerden
Typische Beschwerden oder klinische Hinweise für CVI
Ja Nein
Therapie: Kompressionsstrumpf
gegebenenfalls Differenzialdiagnostik Abbildung 7: Extraluminaler Venenpatch
Weitere Diagnostik: Dopplersonografie Farbduplexsonografie Venenfunktionstest
Diagnostische Veneninsuffizienz
Ja Nein
Therapie: Kompressionsstrumpf Konservativ und/oder operative
Behandlung
gegebenenfalls Differenzialdiagnostik
Rot = spezielle apparative Diagnostik und Behandlung durch Spezialisten
dauerhaft getragen werden. Weiterführende Therapien kön-
nen konservative, klassisch operative oder moderne endolu-
minale Operationsmethoden sein, die an den epifaszialen
Venen durchgeführt werden. Ziel ist es immer, die insuffi-
zienten Venenabschnitte des epifaszialen und transfaszialen
Systems auszuschal-
ten. Das kann zum Teil
mittels Verödung er-
reicht werden. Gerade
die Schaumsklerosie-
rung kann in der Be-
handlung grösserer
Varizen, auch Stamm-
venen, eingesetzt wer-
den. Schaumsklerosie-
rung bedeutet, dass
Abbildung 6: Mini-Phlebektomie
die zur Sklerosierung
verwendete Substanz
(meist Polidocanol in verschiedener Konzentration) in einem
Gasgemisch aufgeschäumt und in die veränderte Vene inji-
ziert wird. Sie ist wenig belastend und führt zu keiner unmit-
telbaren Einschränkung im Alltag. Klassische Operations-
methode ist die Crossektomie mit Stripping der Stammvenen
über die Länge ihrer krankhaften Veränderung. Das Stripping
Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der CVI der DGP unter
www.phlebology.de
kann mit einem Kryo-Stripper oder anderen, zum Beispiel Drahtsonden, durchgeführt werden. Bei den Draht- oder Einmalsonden ist ein zusätzlicher kleiner Schnitt zum Ausführen erforderlich. Ergänzend sind meist Mini-Phlebektomien der weiteren Seitenastvarizen erforderlich (siehe Abbildung 6). Diese nach kosmetischen Gesichtspunkten durchgeführten Eingriffe sind in aller Regel ambulant und in Lokalanästhesie durchführbar. Die postoperativen Beschwerden sind moderat. Zunehmend werden endoluminale Verfahren durchgeführt. Meistens als Laser- oder Radiowellenobliteration der Stammvenen. Hierbei kann auf die Crossektomie verzichtet werden. Der Eingriff ist schonender als das Stripping, und die anfänglichen Beschwerden sind noch geringer. Die Wirksamkeit dieser Methoden hat sich in vielen Studien bestätigt. Ein Problem ist aber der Kostenfaktor, noch übernimmt die Grundversicherung die Kosten für diese Methode nicht. Grundsatz ist zum einen die kausale Therapie, zum anderen aber auch, dass gesunde Venenabschnitte erhalten werden sollten. Deshalb können auch klappenerhaltende Operationsverfahren sinnvoll sein, wie die extraluminale Valvuloplastie. Bei dieser wird um die terminale Klappe im saphenofemoralen Übergang von aussen ein Patch um die Vene platziert, um den Venendurchmesser auf ein physiologisches Mass zu reduzieren (siehe Abbildung 7). Dadurch kann ein suffizienter Klappenschluss erreicht werden. Dass selbst erweiterte Stammvenen sich wieder normalisieren, wenn der Reflux ausgeschaltet wird, macht sich auch die CHIVAMethode zu eigen. Sofern für den Einzelnen die Notwendigkeit besteht, über die Basismassnahme hinaus eine Therapie anzubieten, sollte die Beurteilung durch den spezialisierten Phlebologen erfolgen. Er kann die differenzierte Diagnostik durchführen, um auf deren Basis die individuell beste Behandlung zu ermitteln. ❖
Claus Rombach Leitender Arzt Chirurgie und Phlebologie Kantonsspital Nidwalden 6370 Stans E-Mail: claus.rombach@ksnw.ch
Interessenskonflikte: keine
1. E. Rabe et al.; Phlebologie 1/2003
Im Rahmen dieser Serie, die auf Anregung der Firma Sigvaris entstand, kommen verschiedene Experten zu Wort. Deren Angaben basieren auf der aktuellen Studienlage und den Erfahrungswerten aus der Praxis.
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