Transkript
STUDIE REFERIERT
Zu wenig Sonne, zu wenig Vitamin D
Neue Daten aus der Schweizer Bevölkerung
Wie steht es um die Vitamin-D-Versorgung in der Schweizer Bevölkerung? Eine bevölkerungsbasierte Erhebung gibt wertvolle Hinweise.
SWISS MEDICAL WEEKLY
Dem Vitamin-D-Mangel wird heute im Hinblick auf die Knochengesundheit, aber auch auf die vermutete Bedeutung für chronische Krankheiten des HerzKreislauf-Systems, Diabetes, Depression, rheumatoide Arthritis, Multiple Sklerose und Neoplasien vermehrte Beachtung geschenkt. Die Vitamin-D-Versorgung unterliegt grossen Schwankungen, da die Zufuhr über die Ernährung allfällige Mängel kaum deckt und die körpereigene Produktion besonders in den sonnenärmeren Jahreszeiten, aber auch wegen Sonnenschutzmassnahmen, nicht ausreicht. Gemeinhin wird heute von einem ausgeprägten Vitamin-D-Mangel gesprochen, wenn die Serum-25-Hydroxy-Vitamin-D-(25[OH]D)-Konzentration unter 25 ng/ml (50 nmol/l) liegt und von einer Unterversorgung im Sinne eines
Merksätze
❖ Tiefe Vitamin-D-Spiegel im Blut sind unter Schweizer Erwachsenen verbreitet.
❖ Dies trifft besonders zu während der Wintermonate, bei übergewichtigen und adipösen Personen sowie in der Deutschschweiz und in der Romandie.
❖ Diese Ergebnisse sind im Hinblick auf die Rolle von Vitamin D in grundlegend wichtigen biologischen Prozessen bedenklich.
moderaten Mangels, wenn sie zwischen 20 und 29 ng/ml (50–70 nmol/l) beträgt. Aus verschiedenen Ländern wurde über sehr unterschiedliche Häufigkeiten von Vitamin-D-Mangelzuständen berichtet. Die letzten Zahlen aus der Schweiz waren mehr als 20 Jahre alt und stammten vom MONICA-Projekt. Damals hatten 6 Prozent der Bevölkerung einen eindeutigen Vitamin-D-Mangel (25[OH]D < 8 ng/ml [≤ 20 nmol/l]) und weitere 34 Prozent eine tiefe Vitamin-D-Konzentration (25[OH]D <15ng/ ml [≤ 38 nmol/l]). Die vorliegende Studie hatte zum Ziel, die 25(OH)D-Verteilung und die Prävalenz einer Vitamin-D-Insuffizienz (definiert als 25[OH]D 20–29,9 ng/ml [50– 75 mmol/l]) und eines Vitamin-D-Mangels (25[OH]D < 20 ng/ml [50 nmol/l]) in der erwachsenen Schweizer Bevölkerung zu erfassen. Ausserdem sollten Faktoren, welche den Vitamin-D-Status beeinflussen, näher charakterisiert werden. Methodik Die Autoren stützten sich auf die Daten der Schweizer Studie zur Salzaufnahme (SSS), einer Untersuchung auf Bevölkerungsebene aus den Jahren 2010–2011. Bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern waren die Serum-Vitamin-DKonzentrationen mittels Flüssigchromatografie-Tandem-Massenspektrometrie gemessen worden. Zusätzliche relevante Informationen wurden in Telefonbefragungen gesammelt. Die hier interessierenden Daten zur Sonnenscheindauer entstammen der Verbindung von Wohnadresse und Daten der nächstgelegenen Messstation von Meteoswiss. Ergebnisse Die Analyse konnten sich auf diejenigen 93 Prozent der Teilnehmer stützen, von denen alle interessierenden Parameter vorlagen. Dies waren 1309 Personen. Zwischen den Sprachregionen der Schweiz gab es gewisse statistisch signifikante Unterschiede. So lag der Body Mass Index (BMI) in der italienischsprachigen Schweiz tiefer. Ebenfalls bestanden unterschiede beim Raucherstatus, albuminkorrigiertem Kalzium, Höhe über Meer, monatlichen Sonnenstunden, Wein- und Fischkonsum sowie dem Ausmass der körperlichen Aktivität. Das adjustierte Mittel der 25(OH)DSpiegel betrug gesamthaft 23,1 ng/ml (57,7 nmol/l) (95%-KI: 22,6–23,6 [56,4–58,9]). Dieser Mittelwert war mit der Jahreszeit und der Sprachregion assoziiert. Auf der Alpensüdseite (26,1 ng/ml) lag der mittlere VitaminD-Spiegel höher als in der französisch(22,1 ng/ml) und deutschsprachigen (22,9 ng/ml) Schweiz. Diese Unterschiede blieben auch signifikant, wenn nur diejenigen Teilnehmer berücksichtigt wurden, die keine Vitamin-D-Supplemente oder -Therapien erhielten. Die Prävalenzen von Vitamin-D-Insuffizienz (25[OH]D 20–29,9 ng/ml) und eines Vitamin-D-Mangels (25[OH]D < 20 ng/ml) waren im Zeitraum Januar bis März am höchsten: Nicht ausreichende Vitamin-D-Spiegel lagen bei 26,4 Prozent (95%-Konfidenzintervall [KI]: 21,6–31,7) vor, ein Vitamin-DMangel bei 61,6 Prozent (95%-KI: 56,0–67,0). Im ersten Quartal des Jahres wiesen 9 von 10 Männern entweder eine Vitamin-D-Unterversorgung oder einen Vitamin-D-Mangel auf. Die ganz überwiegende Mehrheit (rund 95%) der Befragten nahm keine Vitamin-D-Supplemente zu sich. Die gemessenen Serum-Vitamin-DSpiegel korrelierten mit dem BMI. Bei Normalgewichtigen lag der mittlere adjustierte 25(OH)D-Spiegel bei 24,3 ng/ml, bei Übergewichtigen betrug er 22,3ng/ml und bei Adipösen 20,3 ng/ml (p < 0,001). Die italienischsprachige Schweiz stach hervor durch die mit 59,8 Prozent tiefste Prävalenz von Vitamin-D-Insuffizienz oder -Mangel (Romandie: 74,2%, Deutschschweiz 76,4%, p < 0,001). Im Vergleich zu den nördlicheren Gebieten waren Vitamin-D-Unterversorgungszustände in der italienischsprachigen Schweiz sowohl bei Frauen als auch bei Männern und bei Normalgewichtigen durchgehend seltener. ARS MEDICI 6 ■ 2013 315 In multivariaten Analysen war der BMI mit dem Vitamin-DSpiegel invers assoziiert. Positive Assoziationen ergaben sich hingegen für orale Kontrazeptiva, Höhenlage über Meer, Kalziumausscheidung im Urin, Gebrauch von Vitamin-D-Supplementen, hohen Weinkonsum sowie körperliche Aktivität. Die Autoren verglichen ihre Ergebnisse auch mit denjenigen früherer Erhebungen aus der Schweiz (MONICA-Projekt und die beiden Kohorten der Selenium- und SRK-Studien). Das Winterminimum der Vitamin-D-Spiegel (Februar-März) war in allen Studien praktisch identisch, bei den sommerlichen Spitzenwerten ergaben sich grössere Fluktuationen. Diskussion «In dieser bevölkerungbasierten Studie zeigen wir, dass die Prävalenz einer Vitamin-D-Insuffizienz oder eines Vitamin-D- Mangels bei Erwachsenen in der Schweiz hoch ist und sich nach Jahreszeit, BMI und Sprachregion unterscheidet», resü- mieren die Autoren. Die Gesamtprävalenz von Vitamin-D- Insuffizienz oder -Mangel betrug 74,7 Prozent und stieg bei denjenigen ohne Vitamin-D-Supplementation auf 76,0 Pro- zent an. Zwar würden die gesundheitlichen Auswirkungen insuffizienter Vitamin-D-Spiegel noch kontrovers diskutiert, bei Individuen ohne Vitamin-D-Supplementation oder -The- rapie lag jedoch in 39,5 Prozent ein eindeutiger Vitamin-D- Mangel (25[OH[D < 20 ng/ml) vor. Die derzeitige Evidenz stützt die Auffassung, dass 25(OH)D-Konzentrationen von mindestens 20 ng/ml (50 mmol/l) zur Unterstützung der Knochengesundheit bei Erwachsenen und zur Erhaltung der Muskelgesundheit bei älteren Personen notwendig sind. Wei- tere Forschung sollte untersuchen, ob sich durch breite Vit- amin-D-Supplementation Gesundheitsvorteile für die ganze Bevölkerung erzielen lassen. ❖ Halid Bas Idris Guessousa et al. on behalf of the Swiss Survey on Salt Group: Vitamin D levels and associated factors: a population-based study in Switzerland. Swiss Med Wkly. 2012;142:w13719. doi:10.4414/smw.2012.13719 Interessenkonflikte: Die Studie wurde durch das BAG und den Schweizerischen Nationalfonds unterstützt.