Transkript
INTERVIEW
«Für die Patienten ist das ein Desaster»
Analfisteln bei Morbus-Crohn-Patienten
Viele Patienten mit Morbus Crohn sind im Laufe ihres Lebens von Analfisteln betroffen. Oft sind diese röhrenartigen Auswüchse sehr komplex und schwierig zu behandeln. Für die Betroffenen bedeutet dies nicht nur eine physische, sondern auch eine sehr starke psychische Belastung. Grund genug, nach effektiven Therapiemöglichkeiten zu suchen, wie der Fistelexperte Prof. Gerhard Rogler vom Unispital Zürich erklärt.
sich besser von den sie umgebenden Epithelzellen lösen, schneller in die Wundfläche einwandern und dort wieder eine Deckung erreichen. Sie können aber auch ins Gewebe unter der Wunde vordringen. Wenn dieses Vordringen und diese Wanderung nicht durch Kontaktinhibierung gestoppt wird, dringen diese Zellen immer tiefer ins Gewebe vor und bilden sozusagen Schläuche, die Fistelgänge. In den schlauchartigen Fistelgängen sammelt sich bei Entzündungen der Eiter. Um diese Flüssigkeit wieder loszuwerden, wird Kontakt entweder zu anderen Organen oder eben nach aussen gesucht. Eigentlich ist das Ganze ein beim Wundverschluss selten auftretender Fehler.
ARS MEDICI: Herr Professor Rogler, wie häufig sind Fisteln bei ARS MEDICI: Warum haben besonders Crohn-Patienten mit
Morbus-Crohn-Patienten?
diesem Problem zu kämpfen?
Prof. Gerhard Rogler: Die Hälfte aller Crohn-Patienten ist Rogler: Weil immer wieder Schleim und Bakterien aus dem
irgendwann im Laufe der Erkrankung von Fisteln betroffen. Darmlumen in die Fistelröhren nachfliessen. Deshalb haben
Obwohl das nicht immer permanente Fisteln sind, leiden Crohn-Patienten viel häufiger Abszesse in den Fisteln. Hin-
doch zwei Drittel davon unter Fisteln, die nicht oder schlecht gegen ist bei sporadischen Fisteln, die ja von aussen nach
abheilen. Demnach ist das bei sehr vielen Patienten ein chro- innen ziehen, die Komplikationsrate geringer. Die Konse-
nisches Problem. Es gibt natürlich auch ohne Vorliegen eines quenzen bei Morbus Crohn sind daher häufig dramatischer:
Morbus Crohn bei sonst gesunden Menschen Fisteln. Diese Es können sich bogenförmige Hufeisenfisteln oder soge-
sogenannten sporadischen Fisteln stammen in der Regel von nannte Fuchsbauten entwickeln, was im schlimmsten Fall zu
Drüsenabszessen, die von aussen nach innen wandern. Die einer völligen Zerstörung des Schliessmuskels und zur In-
Morbus-Crohn-Fisteln hingegen entstehen zumeist aus Drü- kontinenz führt. Aber auch Öffnungen in den Enddarm oder,
senabszessen im Rektum und brechen dann nach aussen bei Frauen, im Rektovaginalbereich sind möglich. Bei einem
durch. Auch bei rund 5 Prozent der Colitis-ulcerosa-Patien- meiner Patienten zieht der Schlauch bis tief in die Beinmus-
ten treten Fisteln auf, aber zumeist vom sporadischen Typ. kulatur hinunter, sodass die Fistelöffnung in der Mitte des
Oberschenkels erscheint. Bei einem anderen führen blind
ARS MEDICI: Wie entsteht eigentlich eine solche Fistel?
endende Fisteln vom Rektum ins Skrotum, was diese Region
Rogler: Mit der Entstehung von Fisteln bei Morbus Crohn rot anschwellen lässt.
haben sich bisher nur sehr wenige Arbeitsgruppen beschäf-
tigt, darunter wir. Bei Morbus Crohn entstehen die Fisteln ARS MEDICI: Ich nehme an, dass dies nicht nur organische Pro-
aus einem Prozess heraus, der mit der Wundheilung zu tun bleme mit sich bringt?
hat. Das Ziel des Körpers ist es ja, Wunden oder Geschwüre Rogler: Ja, Fisteln haben nicht nur einen physischen, sondern
im Rektum schnell zu schliessen, damit wieder eine Barriere auch einen sehr starken psychologischen und sozialen As-
entsteht und keine Bakterien über die offenen Wundflächen pekt. Bei Frauen mit rektovaginalen Fisteln geht ein Grossteil
der Partnerschaften in die Brüche. Es kommt
zu Stuhl- oder Eiterübertritt, zu Gerüchen oder
«Bei nicht wenigen jungen Patienten ist die Fistel das erste Symptom zu Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Se-
eines Morbus Crohn.»
xualität ist dann nur noch in sehr eingeschränktem Masse möglich. Aber auch Män-
ner, die Angst haben, der Eiter oder der Stuhl
ins Blut gelangen. Dazu müssen die Epithelzellen beweglich könnten perianal austreten, die immer wieder übel riechende
sein. Bei der sogenannten epithelialen mesenchymalen Trans- Flüssigkeit in der Unterwäsche haben, sind sexuell und sozial
differenzierung, abgekürzt EMT, formen sich normale Epi- isoliert. Sie sind voller Scham und trauen sich kaum zum
thelzellen zu bindegewebsähnlichen Zellen um. Diese können Arzt. Das ist ein Desaster.
292
ARS MEDICI 6 ■ 2013
INTERVIEW
Zur Person
Der Gastroenterologe Prof. Dr. med. Dr. phil. Gerhard Rogler vom Unispital Zürich ist Beiratsmitglied von ARS MEDICI und ein anerkannter FistelSpezialist. Seine Forschungen trugen und tragen wesentlich zur Aufklärung der Fistelgenese bei.
hufeisenförmige Fuchsbauten entstehen. Auch wenn eine einfache Fistel mit klinisch wenig Symptomatik anfangs nur wenig Probleme macht, sollte sie trotzdem abgeklärt werden. Zu einem Ausgangsbefund gehört übrigens auch ein MRI des Beckens. Aber leider wird schon das initiale Staging häufig nicht durchgeführt.
ARS MEDICI: Sind Spontanheilungen möglich? Rogler: In Studien hat man beobachtet, dass es bei bis zu 20 Prozent der Patienten unter Plazebo – selbst bei schon lang anhaltenden Fisteln – zu Abheilungen kam. Also gibt es auch bei Fisteln einen Effekt, der zum spontanen Verschluss der Öffnungen führt. Ob das allerdings eine dauerhafte Heilung ist, weiss man dann noch nicht. Wenn die Fisteln wiederkommen, dann meistens genau an den Stellen, an denen die alten waren.
ARS MEDICI: Können Fisteln primär darauf hinweisen, dass ein ARS MEDICI: Welche Behandlungen stehen zur Verfügung?
noch nicht diagnostizierter Morbus Crohn vorliegt?
Rogler: Wenn ein Abszess da ist, muss vom Chirurgen ein
Rogler: Das ist in der Tat so. Bei nicht wenigen jungen Patien- Seton eingelegt werden, um eine Drainage zu ermöglichen.
ten ist die Fistel das erste Symptom eines Morbus Crohn. Das Solche Plastikschlaufen in der Fistel sorgen dafür, dass sie
wird manchmal verkannt. Ich habe einen Patienten, der ging nicht mehr eitern. Allerdings kommt es durch die Fadenein-
erst 15 Jahre nach der Fistel-Erstdiagnose zur Koloskopie. lage nicht mehr zum Fistelverschluss. Die konservative medi-
Und erst dann hat man die Erkrankung diagnostiziert. Wir kamentöse Therapie ist dreistufig. Initial wird mit Antibio-
haben im Nachhinein in den histologischen Präparaten von tika wie Ciprofloxacin oder Metronidazol behandelt. Zwar
verbessern sich kurzfristig die Symptome, aber
die endgültigen Fistelverschlussraten liegen nur
«Eine Fistel mag am Anfang nur relativ wenig Probleme bereiten,
bei 20 Prozent. Zudem drohen schwere neuropathische Nebenwirkungen oder Achilessehnen-
aber je länger sie besteht und unbehandelt bleibt, umso grösser entzündungen bei einer Anwendungsdauer von
ist das Risiko von Komplikationen.»
mehr als drei Monaten. Eine solche Antibiotikatherapie ist in einer Akutsituation sinnvoll, aber
als Dauertherapie kommt das nicht infrage. Die
nächste Stufe sind Immunsuppressiva wie Aza-
damals Granulate gefunden. Das bedeutet, die Fistel hing thioprin oder 6-Mercaptopurin. Da haben wir Verschluss-
schon vor 15 Jahren mit dem Morbus Crohn zusammen. Es raten von 25 Prozent – also auch nicht sehr gut.
ist schade, wenn so etwas verkannt wird, denn der Patient Als dritte Möglichkeit stehen die TNF-Hemmer zu Verfü-
musste dann wegen einer Crohn-Stenose operiert werden. gung. Mit Verschlussraten von 60 Prozent sind sie heute ganz
Das hätte man mit einer frühzeitigen Therapie eventuell ver- klar die effektivste Behandlung. Das ist zwar viel besser als
meiden können.
unter Immunsupprimierung oder Antibiotika, aber bei der
Hälfte der Patienten entwickeln sich nach Ende der Therapie
ARS MEDICI: Was sollte der Hausarzt beachten?
wieder neue Öffnungen. Deshalb wird mit Anti-TNF-alpha
Rogler: Es gibt insgesamt viel mehr sporadische Fisteln als auch langfristig behandelt.
Crohn-Fisteln. Wenn jedoch bei jungen Menschen eine Fistel
auftritt, sollte man aufhorchen und auch an eine chronische ARS MEDICI: Und wann wird operiert?
Darmentzündung denken. In jungen Jahren sind nämlich Rogler: Es gab eine Phase, in der grosse Hoffnung in soge-
sporadische Fisteln weniger häufig. Deswegen ist eine etwas nannte Fistelplaques gesetzt wurde. Das sind Kollagenrollen
ausführlichere Diagnostik zu empfehlen. Gab es Bauch- aus Schweinehaut, die der Chirurg in die Fistel eingenäht hat.
schmerzen, Stuhlunregelmässigkeiten oder Inkontinenz? Am Anfang wurde von 70 Prozent Heilungserfolg berichtet,
Treten chronisch entzündliche Darmerkrankungen in der Fa- das wäre besser gewesen als alles bislang zu Verfügung Ste-
milie auf? Verdichtet sich der Verdacht, kann Calprotectin hende. Leider stellte es sich aber in kontrollierten Studien
bestimmt werden. Ist das deutlich erhöht, sollte an einen heraus, dass diese Rate eher bei enttäuschenden 20 Prozent
Gastroenterologen überwiesen werden.
liegt und sie damit auch nicht besser ist als bei Antibiotika
oder Immunsuppressiva. Prinzipiell führen Operationen
ARS MEDICI: Man sollte also nicht zu lange warten...
immer zu einer gewissen Gewebezerstörung und sind deshalb
Rogler: Ja, für eine Fistel gilt, was für den allgemeinen Morbus nicht ganz ideal. So hat das Spalten komplexer Fisteln sehr
Crohn gilt: Sie kann am Anfang ein bisschen stören, aber im häufig eine Inkontinenz zur Folge. Wenn sie einen Patienten
Übrigen relativ wenig Probleme machen. Je länger aber eine fragen, was ihm lieber ist, die Sekretion aus der Fistel und ab
Fistel besteht und je länger sie unbehandelt bleibt, desto und zu ein Abszess oder lebenslange Inkontinenz, wird fast
höher ist das Risiko, dass beispielsweise solche schlimme immer die erste Möglichkeit gewählt. Beim sogenannten
ARS MEDICI 6 ■ 2013
293
INTERVIEW
Mukosaflap wird hingegen nur die Schleimhaut aufgeschnitten und auf die Fistel genäht. Damit ist immerhin der Fisteleingang verschlossen, was die Chancen auf eine Abheilung erhöht. Da wird von Heilungsraten von bis zu 60 Prozent berichtet. Ich fürchte aber, dass diese Werte wieder nach unten gehen, wenn wir dieser Therapie nicht nur die hierfür idealen Patienten zuführen und auch komplexe Fisteln behandelt
man diese Faktoren lokal blockieren könnte, wäre der Prozess gestoppt. Allerdings dürfte es schwierig sein, den Vorgang komplett zu unterbrechen, da ja die Wundheilung im Darm ein lebensnotwendiger Prozess ist. Würde es nämlich keinen Verschluss der Barriere mehr geben, bestünde die Gefahr, dass Bakterien ins Blut übertreten. Deshalb muss man ganz exakt wissen, was man tut.
«Mit Verschlussraten von 60 Prozent sind TNF-Hemmer heute ganz klar die effektivste Behandlung.»
werden müssen. Ob nun konservative oder operative Therapie: Je komplexer die Fistel, je mehr Gänge vorhanden sind, desto schwieriger ist die Situation. Insgesamt sind die therapeutischen Optionen heute noch nicht optimal.
ARS MEDICI: Wie könnte man Ihrer Meinung da weiterkommen? Rogler: Letztlich müssen die Mechanismen der Fisteln verstanden werden, um neue Targets zu finden und neue Therapien zu etablieren. Derzeit läuft eine Studie mit einer Schweizer Firma, in der geschaut wird, inwiefern kleine Anti-TNF-alpha-Fragmente lokal in die Fisteln und das Gewebe eindringen können, um die Entzündung einzudämmen. Fast alle Entwicklungen gehen in Richtung antientzündliche Therapie. Wir selbst arbeiten derzeit an verschiedenen molekularen Ansätzen. Zum Beispiel haben wir die Transkriptionsfaktoren identifiziert, die bei den Fisteln an der mesenchymalen Transdifferenzierung beteiligt sind. Wenn
ARS MEDICI: Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Rogler: Ich würde mir mehr Aufmerksamkeit für die vielen
Patienten mit Fisteln wünschen. Gleichzeitig sollte die For-
schung an Fisteln intensiver gefördert werden. Es braucht
seitens der pharmazeutischen Industrie mehr Interesse, neue
effektive Therapien weiterzuentwickeln. Man darf die Be-
troffenen nicht immer aus den klinischen Morbus-Crohn-
Studien ausschliessen, sondern sollte eigene klinische Studien
mit Fistelpatienten durchführen. Zwar haben wir mit den
TNF-Hemmern einen Riesenschritt gemacht, aber wir lassen
immer noch die Hälfte der Patienten mit ihrer Krankheit
alleine.
❖
Das Interview führte Klaus Duffner.
Das Interview fand am Rande des diesjährigen Jahreskongresses der European Crohn's and Colitis Organisation (ECCO) in Wien statt.
294
ARS MEDICI 6 ■ 2013