Transkript
Der kardiale Notfall
Massnahmen vor der Klinikeinweisung
FORTBILDUNG
Der akute Herzinfarkt, Herzrhythmusstörungen oder auch die akute Herzinsuffizienz sind lebensbedrohliche Situationen, in denen zeitkritisches und zielgerichtetes Handeln unabdingbar ist. Der vorliegende Artikel soll notwendige diagnostische und therapeutische Erstmassnahmen vor der Klinikeinweisung aufzeigen.
OLIVER LANGNER
Der Herzinfarkt ist in den industrialisierten Ländern die führende Todesursache. Von den rund 250 000 Menschen, die in Deutschland jährlich einen Infarkt erleiden, stirbt etwa jeder vierte an den direkten Folgen. Es handelt sich bei einem Herzinfarkt um eine akute Notfallsituation, in der die ersten Minuten von entscheidender Bedeutung sind. Aus der Entität Herzinfarkt können sich andere Notfallbilder binnen kurzer Dauer entwickeln.
Akutes Koronarsyndrom Auf die verschiedenen klinischen Manifestationen der koronaren Herzerkrankung soll im Folgenden eingegangen werden. Das Leitsymptom des akuten Koronarsyndroms (ACS) ist der Thoraxschmerz. Das ACS wird anhand des ST-Strecken-Verlaufs im Ruhe-EKG in zwei grosse Kategorien eingeteilt (Abbildung 1). Patienten mit Nicht-ST-Strecken-Hebungs-ACS (NSTEACS) zeigen persistierende oder dynamische ST-StreckenSenkungen, T-Wellen-Abnormalitäten oder unauffällige beziehungsweise unspezifische EKG-Befunde. Das NSTE-ACS ist charakterisiert durch Symptomvielfalt. Die typischen Beschwerden sind retrosternaler Druck oder Engegefühl
Merksätze
❖ Atypische Beschwerden beim akuten Koronarsyndrom finden sich häufiger bei älteren Patienten, Frauen und Diabetikern.
❖ Beim Nicht-ST-Strecken-Hebungs-ACS (NSTE-ACS) findet man im EKG ST-Strecken-Senkungen oder transiente ST-StreckenHebungen.
❖ Der kardiogene Schock ist gekennzeichnet durch kühle, blasse, schweissige Haut.
(«Angina»), die zum linken Arm, Hals oder Kiefer ausstrahlen. Diese Beschwerden können intermittierend auftreten (üblicherweise einige Minuten anhaltend) oder persistieren. Der Brustschmerz kann von anderen Symptomen, zum Beispiel Kaltschweissigkeit, Übelkeit, abdominellen Beschwerden oder Synkopen, begleitet werden. Auch atypische Manifestationen wie epigastrische Missempfindungen, Bauchschmerzen oder zunehmende Dyspnoe sind nicht ungewöhnlich. Diese atypischen Beschwerden finden sich häufiger bei älteren Patienten (>75 Jahre), Frauen sowie Patienten mit Diabetes, chronischer Niereninsuffizienz oder Demenz. Nicht selten führt das Fehlen von Brustschmerzen dazu, dass die Diagnose nicht gestellt und die Erkrankung inadäquat behandelt wird. Die initiale Strategie besteht darin, Ischämie und Symptome zu beheben, den Patienten mittels serieller EKGs zu überwachen und wiederholte Messungen der serologischen Marker der Myokardnekrose durchzuführen. Nach Vorliegen der Troponinwerte unterscheidet man weiterhin den Nicht-ST-Hebungs-Myokardinfarkt (NSTEMI) von der instabilen Angina.
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FORTBILDUNG
Checkliste «akute koronare Herzerkrankung»
Leitsymptom: akuter Thoraxschmerz CAVE!: Schmerz häufig atypisch bei Patienten < 40 und > 75 Jahre, Diabetikern, Frauen
Anamnese/Risikofaktoren Diabetes, Hypertonie, Nikotinabusus, positive Familienanamnese, Lebensalter, Geschlecht, Niereninsuffizienz frühere Ereignisse Myokardinfarkt, aortokoronare-Bypass-Operation, Koronarintervention EKG: 12-Kanal-EKG prähospital (innerhalb von 10 min)
Biochemische Marker Troponin T/I, CK-MB CAVE!: fehlender Anstieg innerhalb der ersten 2–4 Stunden
Leitsymptom
SCHMERZ
hypertensive Krise gilt es in Erwägung zu ziehen; dies stellt den Untersucher meist vor eine schwierige Aufgabe.
Erstmassnahmen bei Infarktverdacht Dringlich, das heisst innerhalb von zehn Minuten nach dem ersten medizinischen Kontakt, sollte bei Patienten mit geäusserten thorakalen Beschwerden ein 12-Kanal-Ruhe-EKG erstellt und sofort beurteilt werden. Die charakteristischen EKG-Veränderungen beim NSTE-ACS sind ST-StreckenSenkungen oder transiente ST-Strecken-Hebungen und/oder Veränderungen der T-Welle. Persistierende ST-StreckenHebungen weisen auf einen ST-Hebungs-Infarkt hin und erfordern entsprechendes weiteres Vorgehen, das sich vom NSTE-ACS unterscheidet (vgl. Abbildung 2). Beachte: Ein normales EKG schliesst ein NSTE-ACS nicht aus. Bei klinischem Verdacht auf einen myokardial bedingten thorakalen Schmerz sollte sofort eine Therapie begonnen werden. Hauptaugenmerk ist dabei auf die Einleitung einer Thrombozytenaggregationshemmung und einer Schmerztherapie zu richten. Der Patient sollte umgehend in einem spezialisierten Zentrum vorgestellt werden. In der Praxis hat sich als initiale Therapie das Vorgehen nach MONA bewährt (vgl. Tabelle 1). Zu den wohl häufigsten akuten Komplikationen des Myokardinfarkts zählen akute Herzrhythmusstörungen, die akute Herzinsuffizienz und der kardiogene Schock.
Arbeitsdiagnose EKG
Akutes Koronarsyndrom
ST-Elevation
ohne ST-Elevation
Labor CK – MB ↑ Troponin ↑ Troponin neg.
Endgültige Diagnose
STEMI
NSTEMI Instabile Angina
Abbildung 1: Einteilung des akuten Koronarsyndroms
Patienten mit akutem ST-Strecken-Hebungs-Myokardinfarkt (STEMI) leiden unter Brustschmerzen, die typischerweise länger als 20 Minuten anhalten, und weisen im Ruhe-EKG ST-Strecken-Hebungen auf. Der Befund spricht meist für den kompletten Verschluss einer Koronararterie. Therapeutisches Ziel ist die schnelle, vollständige und anhaltende Reperfusion mittels primärer perkutaner Koronarintervention (PCI) oder Fibrinolyse.
Körperliche Untersuchung Die körperliche Untersuchung der Patienten ergibt häufig keine Auffälligkeiten. Zeichen für Herzinsuffizienz oder hämodynamische Instabilität erfordern vom behandelnden Arzt eine unverzügliche Diagnostik und Therapie. Ein wichtiges Ziel der körperlichen Untersuchung ist der Ausschluss von nicht kardialen Ursachen des Thoraxschmerzes (z.B. akute Lungenerkrankungen) und von nicht ischämischen Herzerkrankungen (Lungenembolie, Perikarditis, Aortendissektion, Klappenvitien, Kardiomyopathie). Auch eine
Akute Herzrhythmusstörungen Von einer bradykarden Herzrhythmusstörung spricht man ab einer effektiven Ventrikelfrequenz von weniger als 60/min. Für die Notfallbehandlung der bradykarden Herzrhythmusstörungen werden üblicherweise Frequenzen von unter 40/min relevant. Die Notwendigkeit und das Ausmass der Therapie bradykarder Arrhythmien richten sich in erster Linie nach deren hämodynamischen Auswirkungen und der begleitenden Symptomatik. Bei ausgeprägter Bradykardie oder Asystolie mit Bewusstseinsverlust sind unverzüglich Reanimationsmassnahmen einzuleiten (6). Bis eine passagere Schrittmacherstimulation zur Verfügung steht, sollte möglichst zeitgleich zu Beginn der Reanimationsmassnahmen Adrenalin verabreicht werden. Als Tachykardie bezeichnet man Herzfrequenzen über 100/min, dabei ist in aller Regel erst ab Frequenzen von 150/min von einer symptomatisch oder hämodynamisch relevanten Notfallsituation auszugehen. Die Unterscheidung in hämodynamisch stabile oder instabile Tachykardien ist für das Vorgehen in der Akutsituation entscheidend. Bei hämodynamisch instabilen Tachykardien, die mit einer Schocksymptomatik, Bewusstseinsstörung oder Stauungslunge einhergehen, ist eine rasche Kardioversion oder/und Defibrillation durchzuführen. Die Therapie einer hämodynamisch stabilen Tachykardie ist die Domäne der medikamentösen Behandlung.
Akute Herzinsuffizienz Die infarktbedingte akute Herzinsuffizienz manifestiert sich in der Mehrzahl der Fälle in der Form des kardiogenen Schocks nach Aufnahme in die Klinik (8). Nur bei wenigen Patienten zeigt sich präklinisch infolge der mechanischen Infarktkomplikationen oder akuter Herzrhythmusstörungen das Vollbild einer akuten Herzinsuffizienz. Im Falle einer
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FORTBILDUNG
Kardiogener Schock
Patienten mit akutem Koronarsyndrom
Der kardiogene Schock ist meist die Folge des linksventrikulären Pumpversagens im Rahmen eines
Angina > 20 min in ärztlicher Begleitung mit Defibrillator
↓
Krankenhauseinweisung
↓
akuten Myokardinfarkts. Rund 5 bis 10 Prozent der Patienten erleiden einen kardiogenen Schock entweder akut oder im Verlauf der ersten Behandlungstage bei/nach Myokardinfarkt. Die Sterblichkeit des infarktbedingten kardiogenen Schocks liegt bei zirka 50 bis 80 Prozent. Pathogenetisch liegen
12-Kanal-EKG innerhalb 10 Minuten
Troponin sofort, Ergebnis < 60 min Anamnese und Untersuchung ↓↓ keine ST-Strecken-Hebung ST-Strecken-Hebung ↓↓ Risikomerkmale keine Risikomerkmale ↓ Perfusionstherapie Troponinerhöhung ST-Streckensenkung > 0,1 mV
↓
wiederholte 12-Kanal-EKG/ggf. kontinuierliches ST-Monitoring/Troponinkontrolle
dem kardiogenen Schock nach Myokardinfarkt myogene, mechanische oder rhythmogene Ursachen zugrunde (1). Im Vordergrund steht das linksventrikuläre Pumpversagen, welches laut SHOCKRegister in 78,5 Prozent der Fälle auftritt (6). Nur durch eine rasche Wiederherstellung der Zirkulation und die kausale Infarkttherapie kann die Mortalität um 50 Prozent gesenkt werden. Hier
Hämodynamische Instabilität Rhythmusstabilität Diabetes mellitus
↓ spätestens innerhalb
48 h
↓
Risikomerkmale oder
↓ erneute Angina
↓
keine Risikomerkmale nichtinvasive Diagnostik Differenzialdiagnostik nichtinvasiver Belastungstest
scheint die rasche Wiederherstellung der Organperfusion durch den Einsatz von Katecholaminen schon vor der Krankenhauseinweisung eine grosse Rolle zu spielen. Der kardiogene Schock ist gekennzeichnet durch
↓
invasive Herzkatheterdiagnostik
positiver Belastungstest
↓
konservativ
Zeichen der zerebralen Minderperfusion (z.B. in Form von Agitiertheit), eine kühle, blasse, schweissige Haut sowie eine herabgesetzte Kapillarbett-
Abbildung 2: Algorithmus akutes Koronarsyndrom
durchblutung mit einer Oligurie. Begleitet werden diese durch eine Zyanose der Akren. Bei der klini-
schen Untersuchung der Patienten findet man regel-
haft gestaute Halsvenen als Ausdruck einer oberen Einfluss-
Tabelle 1:
stauung. Das wichtigste Symptom, wenngleich nicht zwin-
Basistherapie des akuten Koronarsyndroms – «MONA»
gend vorhanden, ist die Hypotonie. Hämodynamisch werden beim kardiogenen Schock folgende Kriterien zugrunde gelegt:
❖ Morphin fraktioniert bis schmerzfrei (3–5 mg pro Bolus)
❖ systolischer Blutdruck < 90 mmHg oder
❖ Oxygen (Sauerstoffgabe per Maske, Ziel: Sauerstoffsättigung 94–96 %)
❖ Blutdruckabfall um ≥ 30 mmHg vom Ausgangswert für ≥ 30 min.
❖ Nitroglycerin (1– 2 Hub [0,4 mg] s.l., wenn RR syst > 90 mmHg)
❖ Acetylsalicylsäure (160–325 mg ASS p.o. oder i.v. plus 600 mg Clopidogrel p.o.)
Tabelle 2:
Differenzierte Therapie der Herzinsuffizienz mit/ohne Katecholamine
systolischer Druck ≥ 100 mmHg
systolischer Druck 85–100 mmHg
Nitroglycerin s.l./i.v. Furosemid i.v. (bei Lungenödem)
Nitroglycerin s.l./i.v. Dobutamin i.v. als Perfusor ± Furosemid i.v. (bei Lungenödem)
Therapieziele im kardiogenen Schock sind (2): 1. präklinisch: symptomatische Kreislaufstabilisierung
und umgehende Verlegung in das nächste Herzzentrum mit 24-h-Herzkatheterbereitschaft 2. innerklinisch: koronare Reperfusion so früh wie möglich
Um eine adäquate Organperfusion zu erreichen, müssen frühzeitig Katecholamine eingesetzt werden. Eine Steigerung der Inotropie durch die frühe Gabe von Dobutamin i.v. muss erreicht werden. Des Weiteren sollte die Nachlasterhöhung über den Einsatz eines Vasopressors (z.B. Noradrenalin) auf ein Minimum reduziert bleiben.
systolischer Druck < 85 mmHg Dobutamin plus Noradrenalin jeweils i.v. als Perfusor akuten kardialen Dekompensation kann nach der in Tabelle 2 empfohlenen differenzierten Therapie der Herzinsuffizienz vorgegangen werden. Erforderlich hierbei sind allerdings das engmaschige Monitoring der Vitalparameter und die strenge Reevaluation nach der eingeleiteten Therapie. Allgemeine Therapiemassnahmen in der Klinik Prinzipiell gelten für Patienten im kardiogenen Schock nach Myokardinfarkt die allgemeingültigen Richtlinien der entsprechenden Fachgesellschaften für die Behandlung des Myokardinfarkts (3, 4, 5). Die Gabe von Thrombozytenaggregationshemmern wie Acetylsalicylsäure oder ADP-Antagonisten (Clopidogrel) und die simultane Antikoagulation mit unfraktioniertem Heparin gehören zur Basistherapie des akuten Myokardinfarkts (1). 320 ARS MEDICI 6 ■ 2013 FORTBILDUNG Eine vorbestehende orale Medikation mit Nitraten, Betablockern, Kalziumantagonisten, ACE-Hemmern und ATIAntagonisten ist für die Dauer des Schockzustands abzusetzen, weil sie die bestehende arterielle Hypotonie verstärken kann (1). Die inspiratorische Sauerstoffkonzentration (FiO2) ist unverzüglich zu erhöhen. Dies kann überbrückend durch Sauerstoffzufuhr über Maske oder Nasensonde erfolgen. Damit kann die Atemarbeit reduziert und eine sichere Oxygenierung gewährleistet werden. Durch suffiziente Analgesie und Sedierung werden die überschiessende sympathische Aktivität sowie der Sauerstoffverbrauch vermindert und die Vor- und Nachlast gesenkt (11). Gegebenenfalls sind eine frühzeitige invasive Atemwegssicherung und eine kontrollierte invasive Beatmung sowie eine Analgosedierung zu erwägen. dingbar sind. Dabei kann der Hausarzt eine wichtige Basis- therapie noch vor Übergabe an den Rettungsdienst einleiten und damit die Wahrscheinlichkeit des Überlebens unserer Patienten steigern. Entscheidungen über spezielle Therapie- massnahmen, insbesondere zur differenzierten rhythmolo- gischen Behandlung, sollten jedoch in den erfahrenen, fach- kundigen Händen bleiben. Eine solide Basistherapie kann unsere Patienten vor Ver- schlimmerung des akuten Krankheitsbildes bewahren und somit deutlichen Nutzen bewirken. ❖ Dr. med. Oliver Langner RKK Klinikum – St. Josefskrankenhaus Freiburg Klinik für Innere Medizin, Kardiologie, Intensivmedizin D-79106 Freiburg Zusammenfassung Der akute Herzinfarkt, Herzrhythmusstörungen oder auch die akute Herzinsuffizienz beziehungsweise der kardiogene Schock sind nur einige der lebensbedrohlichen Situationen, in denen zeitkritisches und zielgerichtetes Handeln unab- Interessenkonflikte: keine deklariert Literatur unter www.allgemeinarzt-online.de/downloads Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 16/2012. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor. ARS MEDICI 6 ■ 2013 321