Transkript
FORTBILDUNG
Diagnose und Behandlung supraventrikulärer Tachykardien
Medikamente versus Katheterablation
Herzrasen, Brustschmerzen, Angstzustände, Benommenheit, Kurzatmigkeit und kurzzeitige Ohnmachtsanfälle – dies sind verbreitete Symptome einer supraventrikulären Tachykardie. Zur Behandlung stehen nicht medikamentöse und medikamentöse Optionen zur Verfügung. Doch welche ist am besten geeignet?
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Eine supraventrikuläre Tachykardie (SVT) ist eine Herzrhythmusstörung, deren Ursprung über den Kammern zu finden ist. Die Erregungsbildung oder -weiterleitung ist gestört, wobei Extrasystolen eine zirkulierende Tachykardie auslösen können. Es gibt unterschiedliche Arten einer SVT: In der Praxis werden die AV-Knoten-Reentry-Tachykardie (AVNRT), die AV-Reentry-Tachykardie (AVRT) und die atriale Tachykardie üblicherweise unter diesem Begriff zusammengefasst.
AVNRT. Bei der normalen Form sind die P-Wellen im EKG oft nur schwer erkennbar, da sie der QRS-Komplex überlagert. Dahingegen erscheinen die P-Wellen beim atypischen Fall ein Stück hinter dem QRS-Komplex.
AV-Reentry-Tachykardie Patienten mit einer AVRT besitzen eine zusätzliche Leitungsbahn, die sich zwischen Vorhof und Kammer befindet. Unabhängig vom filternden AV-Knoten können dadurch Impulse zwischen Vorhof und Kammer übertragen werden. Wird die Kammer vorzeitig erregt, da die Weiterleitung schneller ist als auf dem üblichen Weg über den AV-Knoten, spricht man von einer Präexzitation. Ein charakteristischer Hinweis im Oberflächen-EKG sind Deltawellen. Tritt eine atriale Extrasystole auf, solange die zusätzliche Leitungsbahn noch refraktär ist, wird der Impuls ausschliesslich entlang des AV-Knotens geleitet. Die zusätzliche Leitungsbahn kann den Impuls dann vom Ventrikel zurück zum Vorhof übertragen. Die Erregung kann nun orthodrom kreisen. Die antidrome, entgegengesetzte Richtung kommt dahingegen seltener vor.
AV-Knoten-Reentry-Tachykardie Ein Viertel der Bevölkerung hat zwei angeborene AV-KnotenLeitungsbahnen, über die die Erregung von den Vorhöfen auf die Herzkammern weitergeleitet wird. Dies kann unterschiedlich schnell erfolgen. Tritt nun eine supraventrikuläre Extrasystole auf, wenn die schnelle Bahn noch refraktär ist, kann der elektrische Impuls nur entlang der langsamen Bahn mit der kürzeren Refraktärzeit wandern. Er kann dann bei der mittlerweile erholten schnelleren Bahn wieder hochsteigen – der typische Kreislauf einer AVNRT hat sich gebildet. Weniger üblich ist der umgekehrte Weg, bei dem der Impuls erst bei der schnellen Bahn absteigt und bei der langsamen Bahn wieder aufsteigt. Hier handelt es sich um eine atypische
Merksätze
❖ Als Sofortmassnahme bei einer supraventrikulären Tachykardie (SVT) wird die Überleitung am AV-Knoten verlangsamt. Dazu können vagale Manöver oder Adenosin eingesetzt werden.
❖ Eine SVT kann mittels Katheterablation geheilt werden, wohingegen die medikamentöse Langzeitbehandlung keine grosse Bedeutung hat.
Atriale Tachykardie Atriale Tachykardien können sowohl aufgrund einer gestörten Erregungsbildung als auch durch kreisende Mechanismen entstehen. Es werden verschiedene Formen unterschieden. Die fokale atriale Tachykardie wird durch schnelle elektrische Impulse von einer kleinen lokalisierten Stelle im Vorhof ausgelöst. Seltener ist die multifokale atriale Tachykardie, bei der mehrere Ursprungsorte vorhanden sind. Schliesslich gibt es noch die atriale Makro-Reentry-Tachykardie, bei der die Kreiserregung häufig in grossen Teilen des Vorhofs stattfindet.
EKG und Co. Um eine Arrhythmie während eines Anfalls mit Herzrasen aufzuzeichnen, kann ein 12-Kanal-Elektrokardiogramm erstellt werden. Vor allem das Ende der Tachykardie ist dabei von Interesse. Bei Patienten ohne lang anhaltende Episoden kann ein Langzeit-EKG oder ein Eventrecorder mehr Aufschluss geben. Bei supraventrikulären Tachykardien werden häufig schmale QRS-Komplexe (QRS-Breite < 120 ms) beobachtet, wohingegen breite QRS-Komplexe eher selten sind. Solange bei der Eingangsuntersuchung nicht das Gegenteil bewiesen ist, sollte eine breite QRS-Komplex-Tachykardie daher als ventrikuläre Tachykardie behandelt werden. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob eine Deltawelle vorliegt. Daneben ist die Echokardiografie eine aufschlussreiche
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Ultraschalluntersuchung des Herzens; Funktion und Aussehen der einzelnen Strukturen lassen sich damit überprüfen. Liegt eine strukturelle Herzerkrankung vor, sollte sofort ein Facharzt hinzugezogen werden. Diese Patienten erhalten am besten keine Klasse-I-Antiarrhytmika wie Flecainid. Die meisten Personen mit einer SVT haben jedoch ein strukturell gesundes Herz.
Alternative ist Flecainid (Tambocor®), das sich jedoch nicht bei Patienten mit strukturellen oder ischämischen Herzerkrankungen eignet. Daneben kann Amiodaron (Cordarone®) bei atrialen Tachykardien eingesetzt werden, die auf andere Behandlungen nicht ansprechen. Vor allem Patienten mit strukturellen Herzerkrankungen und ältere Personen sind passende Kandidaten.
Sofortmassnahmen im Akutfall Bei Patienten mit einer anhaltenden Tachykardie sollte die hämodynamische Stabilität überprüft werden. Nur selten ist eine sofortige elektrische Kardioversion notwendig. Als erste Massnahme kann ein Vagusreiz gesetzt werden. Dadurch kann eine kurzzeitige AV-Knoten-Blockierung ausgelöst werden, um damit die Tachykardie zu beenden. Zu den vagalen Manövern gehören die Valsalva-Methode und die Karotissinusmassage. Falls diese Massnahmen nicht zum Ziel führen, wird in erster Linie die intravenöse Gabe von Adenosin (Krenosin®) empfohlen. Dies bewirkt eine rasche Umkehr von paroxysmalen supraventrikulären Tachykardien – einschliesslich derjenigen bei akzessorischen Bahnen – in einen normalen Sinusrhythmus. Bei Asthmatikern ist der Einsatz allerdings kontraindiziert. Die Wirkung setzt schnell ein, und die Halbwertszeit ist kurz, was zwei grosse Vorteile darstellt. In einer randomisierten, doppelblinden Studie wurde die Tachykardie bei 91 Prozent der Patienten, die 6 mg oder 12 mg Adenosin erhielten, beendet. Mit Plazebo lag die Erfolgsquote nur bei 16 Prozent. Ähnlich wirksam ist die intravenöse Verabreichung von Verapamil, doch in der Schweiz ist dieser Wirkstoff nur in Form von Tabletten im Handel. Dahingegen stehen für den Notfall Injektionslösungen mit den Wirkstoffen Amiodaron (Cordarone®) und Flecainid (Tambocor®) zur Verfügung. Atriale Makro-Reentry-Tachykardien sprechen üblicherweise nicht gut auf Antiarrhytmika an, weshalb in der Regel gleich eine elektrische Kardioversion durchgeführt wird. Diese Massnahme wird ebenfalls bei einem Vorhofflimmern mit Präexzitation angeraten.
Katheterablation
Eine SVT ist mittels Katheterablation gut behandelbar. Bei
der AVNRT wird die langsame Leitungsbahn verödet. In
einer grossen Beobachtungsstudie wurde ein sofortiger
Erfolg in 98 Prozent der Fälle erzielt. Rezidivraten von unter
5 Prozent bestätigen zudem einen guten Langzeiterfolg, und
ernsthafte Komplikationen sind nur selten. Beachtliche Er-
gebnisse werden auch bei der AVRT erreicht: Beobachtungs-
und Fallstudien berichten eine sofortige Erfolgsrate von über
95 Prozent und Rezidivraten von 4,3 Prozent. Liegt die
zusätzliche Leitungsbahn nahe am AV-Knoten und am His-
Bündel, ist allerdings Vorsicht geboten, da das Risiko eines
AV-Blocks besteht. Die fokale atriale Tachykardie kann
ebenso mit dieser Methode behandelt werden. Die Datenlage
ist zwar dünn, doch es werden eine sofortige Erfolgsrate von
85 Prozent und Rezidivraten von 8 Prozent angenommen.
Diese Zahlen sind eindeutig: Sofern nichts dagegen spricht,
sollte eine Katheterablation einer medikamentösen Behand-
lung vorgezogen werden.
❖
Monika Lenzer
Quelle: Whinnett ZI et al.: Diagnosis and management of supraventricular tachycardia. BMJ 2012; 345: e7769.
Interessenkonflikte: Ein Autor erhielt finanzielle Unterstützung von der British Heart Foundation.
Langfristige Behandlungsoptionen Für Patienten mit wiederkehrenden symptomatischen Episoden stehen verschiedene Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung. Zunächst können sie die Valsalva-Methode erlernen, um die Störungen in den Griff zu bekommen. Die medikamentöse Langzeittherapie gehört in der Regel nicht zur ersten Wahl. Die Häufigkeit der Beschwerden lässt sich zwar verringern, aber eine vollständige Unterdrückung ist selten möglich. Damit wird oft nur die Zeit bis zur Katheterablation überbrückt. Zur Zielgruppe gehören ebenfalls Patienten, die keinen Eingriff wünschen oder bei denen das Risiko zu hoch ist. Bei einer AVNRT ohne Präexzitationssyndrome werden meistens Wirkstoffe zur Verzögerung der Erregungsüberleitung am AV-Knoten eingesetzt. Über den Langzeiteinsatz sind jedoch nur wenige Daten verfügbar. Eine kleine randomisierte, doppelblinde Studie zeigte, dass Digoxin (DigoxinSandoz®), Verapamil (Isoptin®) und Propranolol (Inderal®) die Häufigkeit der Beschwerden gleichermassen verringerten. Insbesondere die ersten beiden Wirkstoffe sind allerdings beim Wolff-Parkinson-White-Syndrom, einer Form der AVRT, laut Fachinformation kontraindiziert. Eine mögliche
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