Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Kardiovaskulär unbedenklich:
Ein Ei pro Tag
Die Ernährung gilt als wesentliche Determinante des Serumcholesterins, aber die Aufnahme von Cholesterin mit der Nahrung trägt nur in bescheidenem Mass zu den Plasmakonzentrationen des «bösen» LDL-Cholesterins bei. Allerdings könnte mit dem Essen aufgenommenes Cholesterin die Oxidation von LDL fördern und die postprandiale
Lipämie erhöhen und auch auf diesem Weg das Risiko für Gefässerkrankungen steigern. Die American Heart Association empfiehlt daher dem
Publikum, täglich weniger als 300 mg Cholesterin zu verzehren. Ein grosses Ei enthält immerhin 210 mg Cholesterin, was in manchen Ländern zur Empfehlung geführt hat, den regelmässigen Eierkonsum einzuschränken. Andererseits sind Eier auch eine preisgünstige und kalorienarme Quelle vieler Nährstoffe wie Mineralien, Proteine und ungesättigte Fettsäuren, die das kardiovaskuläre Risiko sogar senken könnten. Bei Populationen mit kohlenhydratreduzierter Ernährung könnte Cholesterin aus Eiern die Plasmakon-
zentrationen des «guten» HDL-Cholesterins erhöhen. Das hat zum Beispiel in Nepal, Thailand und Südafrika zu Empfehlungen geführt, die Eier auf täglicher oder jedenfalls regelmässiger Basis als Bestandteil einer gesunden Ernährung zu propagieren. Die Empfehlungen sind weltweit gesehen doch sehr unterschiedlich und widersprechen sich auch. Chinesische Forscher geben jetzt aufgrund einer Metaanalyse prospektiver Kohortenstudien Entwar-
nung. Sie werteten die Dosis-WirkungsBeziehung zwischen Eierkonsum und kardiovaskulären Risiken anhand umfangreicher Daten aus (3 081 269 Personenjahre mit 5847 KHK-Neuerkrankungen sowie 4 148 095 Personenjahre und 7579 neu aufgetretene Fälle von Schlaganfall). Fazit: «Ein höherer Konsum von Eiern – bis zu einem Ei pro Tag – ist nicht mit einem erhöhten Risiko für koronare Herzkrankheit oder Stroke assoziiert.» In einer Subgruppenanalyse bei diabetischen Populationen ergab sich jedoch zwischen höchstem und tiefstem Eierkonsum ein relatives Risiko von 1,54 (95%-Konfidenzintervall 1,14–2,09; p = 001), und ausserdem hatten Leute mit einem höheren Eierkonsum ein um 25 Prozent tieferes Risiko für Hirnblutungen. Für etwas Verwirrung und weitere Forschungsaufgaben ist somit gesorgt … HB❖
Rong Y et al.: Egg consumption and risk of coronary heart disease and stroke: dose-response meta-analysis of prospective cohort studies. BMJ 2013; 346: e8539.
Ernährungsmedizin:
Keine Selensupplemente für Gesunde
Ein Selenmangel ist in den vergangenen Jahren mit vielen Erkrankungen in Verbindung gebracht worden, wie beispielsweise Unfruchtbarkeit bei Männern, Gemütsschwankungen, Fehlgeburten, Alzheimer, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder entzündliche Gelenkerkrankungen. Einen Beleg, dass die Einnahme von Selen all diese Erkrankungen verhindere oder bessern könne, gab und gebe es jedoch nicht, so Prof. Dr. med. Helmut Schatz, Mediensprecher der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE). Zweifel an einer Selensupplementation gesunder, gut ernährter Personen scheinen berechtigt. So zeigte sich in einer kürzlich publizierten Cochrane-Analyse 12 randomisierter, kontrollierter Studien mit annähernd 20 000 Teilnehmern kein Schutz vor Herz-KreislaufErkrankungen mittels Selengabe. «In
mit Selen gut versorgten Regionen der Erde wie in den USA oder auch bei uns ist eine Selenzufuhr zur kardiovaskulären Prävention offenbar ohne Effekt. Ein Selenmangel ist bei uns höchstens bei Veganern oder künstlich ernährten Menschen zu finden», kommentierte Schatz. Fleisch, Meeresfrüchte, Fisch sowie Milch- und Getreideprodukte sind reich an Selen. Gesunde Menschen benötigten keine Selenpräparate, so Schatz. Eine Einnahme ohne Grund könne sogar schädlich sein und zu Vergiftungserscheinungen führen wie Magen-Darm-Beschwerden, Haarausfall, Nagelveränderungen, Abgeschlagenheit, Reizbarkeit und Nervenirritationen. Auch wisse man aus Studien, dass unter Selengabe das Risiko für Typ-2-Diabetes bis auf das Dreifache steigen kann.
Eine positive Wirkung von Selensup-
plementen könne jedoch für bestimmte
Schilddrüsenerkrankungen gegeben sein,
betont die DGE. Viele Endokrinologen
setzen Selen therapeutisch bei Auto-
immunerkrankungen der Schilddrüse
wie der Hashimoto-Thyreoiditis ein.
Doch selbst hier scheint die Datenbasis
eher dünn zu sein. Selen sei zwar ein
Baustein bestimmter Enzyme, welche
bei der Produktion der Schilddrüsen-
hormone beteiligt sind, aber die Be-
weislage für die Notwendigkeit einer
Selengabe sei nach Einschätzung des
DGE- Sprechers nicht gesichert: «Dafür
müssen dringend prospektive, kontrol-
lierte Therapiestudien mit Selen im Ver-
gleich zu Plazebo an einer grösseren
Anzahl von Patienten durchgeführt
werden.»
DGE/RBO❖
K. Rees et al.: Selenium supplementation for primary prevention of cardiovascular disease. Cochrane Database Syst Rev 2013; DOI:10.1002/14651858.CD009671.pub2. Rayman MP: Selenium and human health. Lancet 2012; 379: 1256-1268.
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ARS MEDICI 4 ■ 2013
Prospektive Beobachtungsstudien zum kardiovaskulären Risiko:
Kalzium: «Allzu viel ist ungesund»
Eine Kalziumsupplementation mit oder ohne gleichzeitige Vitamin-D-Einnahme wurde für Menschen in der zweiten Lebenshälfte im Hinblick auf die Verhütung von Knochenbrüchen für viele Jahre eher kritiklos propagiert. Dies geschah in der Annahme, dass ein Mineralstoff, der im Körper ohnehin in grosser Menge vorhanden ist, nicht schaden könne. Nun haben sich in den letzten Jahren die Anzeichen gemehrt, dass auch bei der Kalziumzufuhr mehr nicht immer besser ist. Ein erster grosser Warnhinweis kam aus der Analyse der Daten der Women’s-HealthInitiative-(WHI-)Studie zur Knochengesundheit. Sie ergab, dass die zu täglich 1 g Kalzium plus 400 IE Vitamin D randomisierten Teilnehmerinnen ein signifikant höheres Risiko für Koronarereignisse und für Stroke hatten. In der Folge fand auch eine Metaanalyse, die zusätzlich 8 weitere randomisierte Studien umfasste, ein sehr ähnliches Resultat. Jetzt bestätigen zwei prospektive Kohortenstudien das vermutete höhere kardiovaskuläre Risiko bei erhöhter Kalziumzufuhr. In der National Institutes of Health–AARP Diet
and Health Study wurden 388 229 Männer und Frauen zwischen 50 und 71 Jahren verfolgt. Während einer im Mittel zwölfjährigen Beobachtungszeit konnten bei den Männern 7904 und bei den Frauen 3674 Todesfälle aufgrund kardiovaskulärer Ursachen registriert werden. Bei Männern war eine zusätzliche Kalziumzufuhr (über Kalziumsupplemente beziehungsweise Multivitaminpräparate) mit einem erhöhten kardiovaskulären Sterberisiko assoziiert, wobei die Korrelation nur bei Herzerkrankungen, nicht aber bei Stroke signifikant war. Demgegenüber war eine Kalziumsupplementation bei Frauen nicht
mit einem kardiovaskulären Sterbeüberschuss
assoziiert, was sowohl für kardiale wie zere-
brovaskuläre Ursachen zutraf. Die ebenfalls
erfasste Kalziumaufnahme mit der Nahrung
korrelierte weder bei Männern noch bei
Frauen mit den kardiovaskulären Todesfäl-
len. Sind also Kalziumsupplemente (in hoher
Dosierung) nur bei Männern bedenklich?
Ein weitere, soeben publizierte Beobach-
tungsstudie, diesmal mit 61 433 Frauen der
schwedischen Mammografie-Kohortenstu-
die, berichtet ebenfalls von erhöhten Sterbe-
risiken unter gesteigerter Kalziumzufuhr.
Hier wurden Informationen zur Kalziumauf-
nahme mit der Nahrung über Fragebögen am
Anfang sowie nach zehn Jahren (für 38 984
Frauen) erhoben. Im Vergleich zu Kalzium-
aufnahmen von 600 bis 1000 mg täglich war
die hohe Zufuhr von 1400 mg oder mehr pro
Tag mit höheren Sterberaten für alle Ursa-
chen (Hazard Ratio [HR]: 1,40, 95%-Konfi-
denzintervall [KI]: 1,09–2,02) und ischämi-
sche Herzerkrankungen (HR: 2,14; 95%-KI:
1,48–3,09), nicht aber für Stroke (HR: 0,73;
95%-KI: 1,19–5,55) assoziiert. In dieser Stu-
die nahmen 6 Prozent der Teil-
Rageloss, Wikimedia Commons
nehmerinnen Kalziumtabletten
ein (Dosis 500 mg/Tag), und diese
Supplementation war im Durch-
schnitt nicht mit einer erhöhten
Mortalität aller oder spezifischer
Ursachen assoziiert. Aber Frauen,
welche die Kalziumtabletten
zusätzlich zu einer hohen Kal-
ziumzufuhr mit der Ernährung
(> 1400 mg/Tag) einnahmen, hat-
ten ein signifikant höheres Ge-
samtsterberisiko (HR: 2,57, 95%-
KI: 1,19–5,55). Die Quintessenz
der Studienautoren lautet: «Hohe
Kalziumzufuhr bei Frauen ist
mit höheren Sterberaten für alle sowie für
kardiovaskuläre Ursachen – aber nicht für
Stroke – assoziiert.»
HB❖
Susanna C. Larsson: Are calcium supplements harmful to cardiovascular disease? JAMA Intern Med. Published online February 4, 2013. doi:10.1001/jamainternmed.2013.3769. Qian Xiao et al.: Dietary and supplemental calcium intake and cardiovascular disease mortality. The National Institutes of Health– AARP Diet and Health Study. JAMA Intern Med. Published online February 4, 2013. doi:10.1001/jamainternmed.2013.3283.
Karl Michaëlsson et al.: Long term calcium intake and rates of all cause and cardiovascular mortality: community based prospective longitudinal cohort study. BMJ 2013; 346. doi: 10.1136/bmj.f228.
RÜCKSPIEGEL
Vor 10 Jahren
WHO-Alarm wegen SARS
Am 12. März 2003 schlägt die WHO weltweit Alarm wegen einer neuen, hochgradig ansteckenden Lungenkrankheit in Vietnam. Heute weiss man, dass SARS in der südchine-
sischen Provinz Guangdong begann. Einer der behandelnden Ärzte infizierte sich und reiste mit dem noch unerkannten neuen Erreger nach Hongkong, wo er innert 24 Stunden ein Dutzend internationale Hotelgäste ansteckte, die SARS in alle Welt trugen. Ende Februar untersuchte der WHO-Arzt Carlo Urbani in Hanoi einen amerikanischen Geschäftsmann, der an einer bis anhin unbekannten Lungenentzündung litt. Urbani nannte die Erkrankung SARS (sudden acute respiratory syndrom) und meldete dies der WHO am 10. März 2003. 19 Tage später, am 29. März 2003 starb auch Urbani an SARS (Foto: Mit SARS-Viren infizierte Zelle im Elektronenrastermikroskop; CDC/Dr. Mary Ng Mah Lee, National University of Singapore).
Vor 50 Jahren
Lebertransplantation
Am 1. März 1963 führt der Chirurg Thomas Starzl in Denver die erste Lebertransplantation an einem Menschen durch. Der Empfänger war ein 3-jähriges Kind mit kongenitaler biliärer Atresie. Es starb noch auf dem OP-Tisch an Blutungen. Im gleichen Jahr versuchte Starzel die Lebertransplantation noch bei mindestens zwei weiteren Patienten, einem 48- und einem 67-jährigen Mann. Beide überlebten die Operation, starben aber nach 22 beziehungsweise 7 Tagen an Lungenembolien. Starzl schildert in einer im Dezember 1963 erschienenen Publikation alle drei Fälle im Detail inklusive genauer Angaben, wie die Leber des Donors zu entnehmen ist.
Vor 100 Jahren
Sexualwissenschaft
Am 21. Februar 1913 wird in Berlin die Ärztliche Gesell-
schaft für Sexualwissenschaft und Eugenik gegründet.
Gründungsmitglieder sind unter anderem Magnus Hirsch-
feld, der 1919 das erste Institut für Sexualwissenschaft in
Berlin gründete, und Iwan Bloch, der den Begriff «Sexual-
wissenschaft» 1906 geprägt haben soll. Im November des
gleichen Jahres gründet sich auf Initiative von Albert Moll,
dem Herausgeber der «Zeitschrift für Sexualwissen-
schaft» noch gleich eine zweite Fachgesellschaft unter
dem Namen Internationale Gesellschaft für Sexualfor-
schung. Die Herausgeberschaft der Zeitschrift übernahm
später Max Marcuse, einer der Gründer des Bundes für
Mutterschutz.
RBO❖