Transkript
Konventionelle Therapie oder Biologika?
Trends bei der Behandlung von Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen
BERICHT
Fortschritte in der Pharmakologie Swiss Society of Pharmacology and Toxicology
31. Januar 2013, Bern
Bei der Therapie von Patienten mit chronisch entzündlichen Darmkrankheiten geht der Trend anscheinend zu den Biologika. An der Jahrestagung der Schweizer Gesellschaft für Pharmakologie und Toxikologie gab Prof. Christophe Beglinger einen Überblick zum aktuellen Stand.
RENATE BONIFER
Seit Ende der Siebzigerjahre seien Steroide die Basis der Therapie bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, sagte Prof. Christophe Beglinger vom Universitätsspital Basel. Bei rund der Hälfte der Morbus-Crohn-Patienten erreicht man damit nach einem Monat eine völlige Remission, bei weiteren rund 30 Prozent eine partielle. Jedem fünften Patienten nützen sie nichts. Beglinger erwähnte in diesem Zusammenhang, dass die Plazeborate hierbei rund 30 Prozent betrage, eine Grössenordnung, an die man beim Lesen neuer Studien immer denken sollte. Skepsis sei angebracht, wenn die Plazeborate in einer Studie wesentlich von diesem Wert abweiche. Während Steroide initial also rund 80 Prozent der Morbus-Crohn-Patienten helfen, sieht es im Langzeitverlauf nicht so rosig aus: Einen Monat nach Absetzen der Steroide sah man in der klassischen Studie von Munkholm 1994, dass die Remission zwar bei gut der Hälfte der Patienten auch ohne
Steroide anhielt (55%), bei den anderen aber flammte die Erkrankung ohne Steroide sofort wieder auf, ein Phänomen, das man als Steroidabhängigkeit bezeichnet. Da eine langfristige systemische Steroidgabe mit den bekannten Nebenwirkungen verbunden ist, begann man bereits in den Achtzigerjahren, diese mit Immunsuppressiva wie Azathioprin, 6-Mercaptopurin oder Methotrexat zu kombinieren (zu Beginn 3 Monate lang Steroid plus Immunsuppressivum, danach weiter mit Immunsuppressivum alleine). «So machen wir das auch heute noch», sagte Beglinger. Azathioprin sei die beste konventionelle Therapie zur Aufrechterhaltung der Remission. Die konventionelle immunsuppressive Therapie sei zwar wirksam, aber sie verändere den Verlauf der Erkrankung wahrscheinlich nicht, und viele Patienten benötigten wegen der Nebenwirkungen eine andere Medikation, erläuterte Beglinger: «Sie sind sicher besser als Plazebo, aber die Wirksamkeit ist doch beschränkt.»
Biologika Für die Behandlung bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen mit Biologika kommen verschiedene Mechanismen infrage, wie TNF-Blockade (z.B. Infliximab, Adalimumab, Certolizumab Pegol, Golimumab), Zelladhäsionshemmung (Natalizumab, Vedolizumab, AJM300, rhuMab 7), JanusKinaseinhibition (Tofacitinimab) und Antikörper gegen bestimmte Interleukine (z.B. gegen IL-12 und -23; Ustekinumab). Für Morbus Crohn sind derzeit nur die Anti-TNF-Antikörper Infliximab (Remicade®), Adalimumab (Humira®) und Certolizumab Pegol (Cimzia®) zugelassen, deren Wirksamkeit vergleichbar sei, sagte Beglinger. Aufgrund der Zu-
lassungsstudien darf man nach einer achtwöchigen Anwendung bei zirka 40 bis 50 Prozent der Patienten mit einer Remission rechnen, die bei den meisten von ihnen auch nach einem Jahr noch anhält. Bis anhin ist nur Infliximab auch für Colitis ulcerosa zugelassen, für Adalimumab und Golimumab sei die Zulassung für diese Indikation eingereicht, ergänzte der Basler Gastroenterologe. Unter den mannigfaltigen Molekülen, die man als Ziel für eine Therapie bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen bereits ins Visier genommen hat, erwiesen sich viele als nicht geeignet. Insofern seien die TNF-Blocker zurzeit noch immer die wirksamsten Substanzen, sagte Beglinger. Bei den Biologika in der «Pipeline» stehen zurzeit die Zelladhäsionsblocker im Vordergrund. Sie sollen verhindern, dass aktivierte Leukozyten in das Gewebe infiltrieren und die Entzündung am Laufen halten. Dass dieser Ansatz bei Morbus Crohn funktioniert, wurde mit Natalizumab in einer Studie belegt. Da es unter Natalizumab jedoch zu Enzephalitisfällen gekommen war, scheiterte die Zulassung für die chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Nun hofft man auf den Antikörper Vedolizumab, der darmspezifisch sein soll und in ein bis zwei Jahren verfügbar sein könnte.
Wohin geht der Trend? Bei Morbus Crohn sei der Gebrauch von Mesalazinpräparaten (5-ASA) rückläufig, berichtete Beglinger. Er selbst verwende es bei diesen Patienten ohnehin nicht, und auch die deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie habe Mesalazin aus ihren Therapieempfehlungen bei Morbus Crohn gestrichen. Während der Steroidgebrauch mehr oder weniger konstant geblieben ist,
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sieht man einen gewissen Anstieg der Immunsuppressiva und einen deutlichen Zuwachs beim Gebrauch der Biologika. Anders als bei Morbus Crohn steigt der Einsatz von Mesalazin bei Colitis-ulcerosa-Patienten, ebenso der Gebrauch von Steroiden und Immunsuppressiva. Die Antikörpertherapie spiele bei Colitis ulcerosa noch keine grosse Rolle, nicht zuletzt, weil bis anhin nur ein Präparat dafür zugelassen sei, so Beglinger. Er wies auch darauf hin, dass der Gebrauch von Medikamenten gegen entzündliche Darmerkrankungen generell gestiegen sei, weil die Anzahl der Patienten wachse. Die Gründe hierfür sind nicht bekannt.
Wie läuft es in der Praxis? In der Fragerunde nach seinem Vortrag fasste Beglinger die derzeit gängige Strategie bei Morbus Crohn stichwortartig zusammen: primär Steroide (nicht länger als 3 Monate) plus Azathioprin für Patienten, die mehr als einen Schub pro Jahr erleiden. TNF-Blocker kommen bei Steroidunwirksamkeit oder Steroidabhängigkeit infrage, oder wenn es unter Azathioprin oder einem anderen Immunsuppressivum trotzdem zu einem Therapieversagen kommt. Auf Nachfrage bestätigte Beglinger, dass man anstelle der systemischen Steroide auch Budesonid einsetzen könne; es sei zwar weniger wirksam, weise dafür aber auch weniger Nebenwirkungen auf.
Konventionell behandeln oder mit
Biologika sei im Übrigen keine Ent-
weder-oder-Entscheidung, sondern man
brauche «beides gezielt für den rich-
tigen Patienten», so Beglinger. Auf die
Frage, welcher Arzt die teure und
komplizierte Behandlung mit Biologika
verordnen und durchführen sollte, ant-
wortete er: «Wichtiger als der Fach-
arzttitel ist die Erfahrung mit diesen
Substanzen.»
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Renate Bonifer
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