Transkript
EDITORIAL
Nachdem das Telefon eine atemberaubende Karriere vom immobilen reinen Sprachvermittler zum hand-
schmeichelnden smarten Immerdabei-Alleskönner durchlaufen hat, avanciert es nun auch noch zum Hilfstherapeuten. Es gibt bereits unzählige mehr oder minder sinnvolle Apps, die die Gesundheit via Smartphone fördern sollen. Über den tatsächlichen Nutzen telefonischer Therapieunterstützung weiss man allerdings noch recht wenig. Ein Beispiel ist Rauchstopp mit Zuspruch per SMS: klappt oder klappt nicht, je nach Studie (1). Auch ob «mobile messaging» beim Bewältigen langwieriger Krankheiten hilfreich ist, weiss man nicht so recht: Es gebe einige, insgesamt aber sehr einge-
herausgestellt habe, dass diese Personen eigentlich gar keine richtige Physiotherapie brauchten. Sollten die Hausärzte wirklich dermassen falsch gelegen haben mit ihrer Verordnung? Weil man in England sehr lange auf einen Termin beim Physiotherapeuten wartet, haben sich dort sogenannte PhysioDirect-Servicecenter etabliert, bei denen die Patienten erst einmal anrufen müssen. Nur Auserwählte bekommen dann einen Termin. Dahinter steht die fragwürdige Ansicht, dass physiotherapeutische Wartelisten mit Personen verstopft seien, denen eine Beratung von Angesicht zu Angesicht sowieso nicht mehr nützen würde als eine Telefonberatung und ein paar Merkblätter per Post. Die frisch publizierte Studie beweist nach Ansicht der Autoren, dass PhysioDirect erstens mindestens genauso gut ist wie das übliche System und zweitens folglich empfeh-
Tolle Telefontherapie
schränkte Hinweise, dass «mobile messaging» für diese Patienten hilfreich sein könnte, so die vage, vorsichtige Schlussfolgerung der Autoren einer kürzlich erschienenen Cochrane-Publikation. Zudem bestünden noch erhebliche Wissenslücken bezüglich Langzeiteffekt, Akzeptanz, Kosten und Risiken (2). Nun gut, da tun sich auch weiterhin mannigfaltige Forschungsfelder auf, die beackern mag, wem nichts Besseres in den Sinn kommt. Bedenklich wird es aber, wenn eine Therapie durch telefonische Intervention nicht nur unterstützt, sondern gleich ganz ersetzt werden soll – sogar eine Physiotherapie, die im wahrsten Sinn des Wortes eine Be-hand-lung ist. Das glauben Sie nicht? Ist aber wahr: Vor zwei Wochen verkündeten Studienautoren im «British Medical Journal» begeistert, man habe die Hälfte der Patienten, denen ihr Hausarzt eine Physiotherapie verordnet hatte, erfolgreich telefonisch abwimmeln können (3). «Abwimmeln» stand da natürlich nicht, sondern, dass sich bei der telefonischen Beratung durch einen Physiotherapeuten
lenswert. Die erste Schlussfolgerung stimmt wahrscheinlich: Die übliche physiotherapeutische Versorgung scheint in England tatsächlich so katastrophal zu sein, dass es nicht viel braucht, um «genauso gut» zu sein. Empfehlenswert macht das die Physiotherapie per Telefon aber noch lange nicht. SMS, Apps und Callcenter im Dienste der Gesundheit mögen gut gemeint sein – ihr therapeutischer Nutzen ist jedoch fraglich. Und nichts, wirklich gar nichts, ersetzt den Kontakt von Angesicht zu Angesicht.
Renate Bonifer
1. Whittaker R et al.: Mobile phone-based interventions for smoking cessation. Cochrane Database Syst Rev. 2012 Nov 14;11:CD006611. doi: 10.1002/14651858.CD006611.pub3.
2. de Jongh T et al.: Mobile phone messaging for facilitating self-management of longterm illnesses. Cochrane Database of Systematic Reviews 2012, Issue 12. Art. No.: CD007459. DOI: 10.1002/14651858.CD007459.pub2.
3. Salisbury C et al.: Effectiveness of PhysioDirect telephone assessment and advice services for patients with musculoskeletal problems: pragmatic randomised controlled trial. BMJ 2013;346:f43 doi: 10.1136/bmj.f43.
ARS MEDICI 4 ■ 2013
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