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BERICHT
Kopfschmerzen nach Hirntrauma
Vorbestehende Kopfschmerzen und andere Komorbiditäten beeinflussen Verlauf und Prognose
Fachtagung Arbeit und chronischer Schmerz «Hirntrauma und Kopfschmerzen in Bezug auf die arbeitsbezogene Leistungsfähigkeit», Prof. Sönke Johannes, Medizinischer Direktor, Rehaklinik Bellikon. Rehaklinik Bellikon, 8. November 2012
Akute Kopfschmerzen nach einem Hirntrauma haben in der Regel eine gute Prognose. Chronische posttraumatische Kopfschmerzen werden oft iatrogen ausgelöst (kritiklose Medikamentenverschreibung) und durch unfallbedingte Einbussen kompliziert.
HALID BAS
Akuter posttraumatischer Kopfschmerz Nach einem mittelschweren bis schweren Hirntrauma mit entsprechender klinischer Symptomatik und in der Bildgebung nachgewiesener struktureller Schädigung kann es zu akuten posttraumatischen Kopfschmerzen kom-
rer und schwerer Hirnschädigung klagen über Kopfschmerzen. «Die einzige evidenzbasiert wirksame Intervention bei akutem posttraumatischem Kopfschmerz ist die frühzeitige Patientenedukation», betonte Prof. Johannes. Den Betroffenen muss erklärt werden, dass diese Schmerzen ein normales Phänomen nach Hirnverletzung sind, aber eine gute Prognose haben und schnell wieder verschwinden werden. Diese Informationen müssen die Patienten möglichst früh erreichen. Der hohe Stellenwert einer frühen Patienteninformation zur Verbesserung der Langzeitprognose hat sich auch in verschiedenen internationalen Leitlinien ebenso wie in denjenigen der SUVA niedergeschlagen. Die SUVA stellt eine schriftliche Patienteninformation bereit (www.suva.ch/lthv-informationsblatt.pdf). Zusätzlich zum Patientengespräch ist die schriftliche Information wichtig, da sich die Betroffenen nach dem Unfall in einer komplexen Situation mit weiteren somatischen und psychischen Problemen befinden. Weiter ist nach akutem Hirntrauma eine frühzeitige Schichtbildgebung (mittels Computertomografie) indiziert. Diese hilft, Blutungen zu erkennen.
«Die einzige evidenzbasiert wirksame Intervention bei akutem posttraumatischem Kopfschmerz ist die frühzeitige Patientenedukation.»
men. Nach der Definition der internationalen Kopfschmerzklassifikation treten diese innert der ersten sieben Tage nach dem Trauma auf und halten weniger als drei Monate an, erklärte Prof. Sönke Johannes, Medizinischer Direktor an der Rehaklinik Bellikon. Ungefähr 66 Prozent der Patienten mit traumatischer leichter Hirnverletzung, aber nur 38 Prozent nach mittelschwe-
Als dritte Massnahme ist ein symptomadaptiertes Medikamentenmanagement notwendig, erwähnte Prof. Johannes mit Nachdruck. Das bedeutet, dass die anfängliche analgetische Therapie nicht unbesehen einfach weitergeführt wird: «Patienten mit akutem posttraumatischem Kopfschmerz dürfen nicht für mehr als einige wenige Wochen bei der täglichen Einnahme von Analgetika bleiben.»
In der Regel ist nach akutem Hirntrauma die arbeitsbezogene Leistungsfähigkeit zumindest vorübergehend deutlich reduziert. Je nach Schwere der vom Kopfschmerz auch unabhängigen weiteren Beeinträchtigungen empfehlen sich berufsbezogene Rehabilitationsmassnahmen.
Chronischer Kopfschmerz nach Kopftrauma Wesentlich schwieriger ist die Einschätzung chronischer Kopfschmerzen, die in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit einem Kopftrauma (mit oder ohne akut nachgewiesene Strukturschädigung) stehen und dann länger als drei Monate anhalten. Differenzialdiagnostisch ist immer zuerst an einen Medikamentenübergebrauchskopfschmerz zu denken, ferner auch an Kopfschmerzen bei psychiatrischen Störungen. Der Medikamentenübergebrauchskopfschmerz tritt definitionsgemäss an mehr als 15 Tagen pro Monat auf, und sein Auslöser ist eine chronische Medikamenteinnahme an mindestens 10 bis 15 Tagen pro Monat für mehr als drei Monate. Der Übergebrauch kann viele verschiedene Medikamentenklassen betreffen (früher Ergotamine, heute eher Triptane, Analgetika, Opioide, auch alle möglichen Kombinationen). Der Medikamentenübergebrauchskopfschmerz hat mit 1 bis 2 Prozent eine hohe Prävalenz in der Bevölkerung. Fast immer hat ein primärer Kopfschmerz (Spannungskopfschmerz, Migräne) vorbestanden. Als Interventionen bei Medikamentenübergebrauchskopfschmerz werden empfohlen: ❖ Medikamentenentzug ❖ Prophylaxe des primären Kopf-
schmerzes ❖ multidisziplinäre Behandlung durch
Neurologen und Psychologen ❖ Nachbetreuung von einem Jahr.
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BERICHT
Take Home Messages
❖ Nach Hirntrauma soll die Indikationsstellung für eine Schichtbildgebung grosszügig erfolgen.
❖ Nach Hirntrauma hat die Patientenedukation eine hohe Bedeutung.
❖ Bei akuten posttraumatischen Kopfschmerzen soll nur vorübergehend eine analgetische Therapie verschrieben werden.
❖ Bei chronischen posttraumatischen Kopfschmerzen ist immer auch an Medikamentenübergebrauch und an psychiatrische Komorbidität zu denken.
❖ Die arbeitsbezogene Leistungsfähigkeit nach mittelschwerer und schwerer traumatischer Hirnverletzung wird beeinflusst von kognitiven Beeinträchtigungen, Persönlichkeitsveränderungen und psychiatrischer Komorbidität.
Die berufsbezogene Leistungsfähigkeit ist während des Medikamentenentzugs in der Regel deutlich reduziert.
mass der Kopfverletzung und der Entwicklung chronischer Kopfschmerzen. Patienten mit schwerer Hirnverletzung haben also seltener chronische Kopfschmerzen. «Das können wir auch hier in Bellikon aus klinischer Erfahrung bestätigen», erwähnte Prof. Johannes. Bekannt ist auch eine häufige Komorbidität des chronischen Kopfschmerzes mit Depression und Angsterkrankungen sowie muskuloskeletalen Schmerzen. In diesen komplexen Fällen muss neben dem Medikamentenentzug (falls indiziert) ein multimodales Therapiekonzept zum Tragen kommen. Pharmakotherapeutisch werden trizyklische oder duale Antidepressiva eingesetzt.
Wann soll eine Bildgebung erfolgen? Heute wird die Indikation zur Schichtbildgebung mit einer Computertomografie grosszügig gestellt, und die Untersuchung soll rasch nach dem Trauma erfolgen. Hier geht es vor allem darum, neben Hinweisen auf strukturelle Hirnschädigungen auch Blutungen zu erkennen. Im weiteren Verlauf, zum Beispiel beim Hausarzt, ist eine Bildgebung mittels Magnetresonanz (MRI) sinnvoll, wenn die Erst-
«Bemerkenswerterweise besteht eine inverse Beziehung zwischen dem Ausmass der Kopfverletzung und der Entwicklung chronischer Kopfschmerzen.»
die Symptomatik der Kopfschmerzen verschlimmert, wenn neue neurologische Symptome auftreten, aber auch wenn der Patient Angst äussert, dass im Kopf «etwas kaputt gegangen» ist und der Schaden womöglich weiter zunimmt. Dann kann es hilfreich sein zu zeigen, dass trotz des Kopfschmerzes strukturell am Hirn keine Schädigung nachweisbar ist. Aus dem Bereich der muskuloskeletalen chronischen Schmerzen ist bekannt, dass die Arbeitstätigkeit korreliert mit: ❖ dem Glauben an die Möglichkeit,
den Schmerz selbst beeinflussen zu können ❖ personenbezogenen Faktoren ❖ arbeitsbezogenen Faktoren ❖ aber nicht mit dem Ausmass des Schmerzes.
Das gilt auch für die berufsbezogene Leistungsfähigkeit bei chronischem posttraumatischem Kopfschmerz. Zusätzlich erschwerend kommen in dieser Situation kognitive Beeinträchtigungen, Persönlichkeitsveränderungen sowie eine allfällige psychiatrische Komorbidität hinzu. Im Rahmen von Begutachtungen ist auch eine häufig vorkommende Verklärung des Zustands vor dem Unfallereignis mit Hirntrauma (good old days) sowie die hohe Prävalenz von Kopfschmerzen in der Bevölkerung zu berücksichtigen. ❖
Bemerkenswerterweise besteht eine in- manifestation des Schmerzes einen un- Halid Bas verse Beziehung zwischen dem Aus- typischen Charakter zeigt, wenn sich
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