Transkript
Rosenbergstrasse 115
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Der Jahreswechsel ist Vergangenheit. Geblieben ist das angetütschte Gewissen, weil schon wieder Vorsätze und Einsichten nicht umgesetzt oder beherzigt wurden. Etwa der Vorsatz, seine Gewohnheiten zu überdenken. Beispiel: Wer jeden Tag mit dem Velo zur Arbeit fährt, sollte sich ernsthaft überlegen, ob sich die Quälerei wirklich lohnt, das Ding jeden Tag in den Kofferraum zu packen.
❖❖❖
Mehrmals im Jahr, immer wenn der neue LAZ erscheint (für Nicht-Innerschweizer Kollegen: der «Luzerner Arzt», die Ärztezeitung für die ganze Innerschweiz), macht der Ärger über Kollegen, vor allem solche in Führungspositionen, der Freude Platz, dass es auch anders geht. Herbert Widmer ist der Macher des Hefts (s. ARS MEDICI Nr. 9/2010: «20 Jahre LAZ»), Arzt (FMH Innere Medizin), Publizist, Politiker, Liberaler – eine in der Schweiz glücklicherweise noch nicht gänzlich despektierliche Qualifikation, obschon ein Teil der «staatsliberalen» Publizisten und Politiker mit Verve an der Disqualifikation des «reinen» Liberalismus arbeitet. Widmers Editorials lassen sich nicht zusammenfassen, man muss sie lesen. Sie tun gut, vor allem jenen, die nicht auf jeden neu angehängten Waggon des behördlichen Zugs für eine billigere (günstigere ginge ja noch) und verplantere Medizin aufspringen möchten. Wenn Sie den LAZ nicht erhalten, dann suchen Sie ihn auf: www.aerzte-zs.ch/nc/open_section/ der_luzerner_arzt/. Viel Vergnügen!
❖❖❖
Die Schweiz erhebt moderate Steuern, wir gehören zu den reichsten Ländern der Welt, auch ohne Rohstoffe (Erdöl, Erdgas), der Lebensstandard ist so hoch wie kaum in einem andern Land, Armut gibt es nur auf sehr hohem Niveau, und wir haben vermutlich das beste und gerechteste, nämlich alle gleich gut versorgende Gesundheits-
system der Welt. Irgendwas müssen wir richtig machen.
❖❖❖
Selbstverständlich, auch Gutes kann man noch verbessern. Vor Änderungen um des Änderns willen sollte man sich in unserer privilegierten Situation allerdings hüten. Die Vorstellung, noch mehr soziale Gerechtigkeit sei mit höheren Steuern und Umverteilungsmassnahmen jeglicher Art zu erreichen, könnte auch dazu führen, dass unser Erfolgsmodell an Effizienz einbüsst. Das Risiko jedenfalls besteht. Vor allem, wenn man jene machen lässt, die davon ausgehen, dass nicht sein kann, was nicht sein darf: Ideologen eben. Im Bereich Gesundheitswesen etwa will und kann sich der welsche Bundesrat Berset offenbar einfach nicht vorstellen, dass die direkte Medikamentenabgabe Kosten spart. Und trotz seiner Beteuerungen, die Hausärzte zu unterstützen, glaubt er insgeheim nicht daran, dass es ohne Ersatz von Ärzten durch weniger qualifiziertes, aber dafür billigeres Personal geht, dass Prävention Kosten erzeugt und nicht einspart, dass eine verordnete integrierte Versorgung auch nicht effizienter ist als ein freiwilliges Netz von Hausärzten. Auch nicht daran, dass der einzelne so leben dürfen soll wie er es möchte, selbst wenn er seiner Gesundheit mit zuviel Salz- und Fett- und Zuckeranteilen schadet. Für Liberale ein Gräuel.
❖❖❖
Aber tja nun, man schaue sich die Diskussion in Deutschland an, wo «liberal» zu einem Schimpfwort geworden ist. Liberale gibt’s vermutlich weniger als 5 Prozent – jene zirka 5 Prozent, die Liberale wählen. Wie meinte ein Kollege (Chirurg, und daher politisch klar einordbar): «Und da wunderst du dich? Schau dir die letzten paar hundert Jahre Geschichte der Deutschen an. Mit Ausnahme des Kabarettisten Nuhr (Dieter Nuhr) gibt es in Deutschland heute keine einzige öffentliche Person,
die es wagt, liberale Politik nicht zu verhöhnen.»
❖❖❖
Wer das Zeitliche gesegnet hat, wurde bisher erdbestattet oder kremiert und in eine Urne gesperrt. Moderner ist’s, sich gefriertrocknen zu lassen. Das Verfahren heisst Promession und ist – ein schlagendes Argument in der heutigen Zeit: ökologischer! Auf dass der grundsätzlich schädliche Mensch wenigstens in seinem Tod umweltverträglich sei.
❖❖❖
Die Holländer denken darüber nach, ihre Velowege im Winter zu beheizen. Die läppischen 40 000 Euro, die das pro Veloweg-Kilometer kostet, seien gut investiert, meinen sie: Man kann sich die Streukosten sparen und es gibt erst noch weniger Unfälle. Interessanter Ansatz. Warum in der Schweiz nicht gleich den Gotthardpass heizen? Käme billiger als eine neue Röhre.
❖❖❖
Der Schaffhauser Ständerat mit dem Tausendsassa-Winkelried-Robin-HoodImage, Thomas Minder, hat gute Chancen, am Ende als der Kämpfer von hinter dem Rheinfall dazustehen, der die politischen Tölpel dort oben in Bern gebodigt hat. Die Abzocker-Initiative will unsere hehre Schweizer Verfassung mit einem Zusatz bereichern, der den (zweifellos berechtigten) Ärger der kleinen Leute über ein paar Dutzend «Abzocker» befriedigt. Nun, solches anzustreben ist Minders gutes narzistisches Recht. Wenigstens bleibt Schaffhausen im Gespräch. Das ist auch was.
❖❖❖
Und das meint Walti: Es nützt nichts, schnell die Leiter hochzuklettern, wenn sie am falschen Baum steht!
Richard Altorfer
ARS MEDICI 2 ■ 2013
53