Transkript
Orale Schlaganfallprävention bei Vorhofflimmern
Erste Langzeitdaten bestätigen Sicherheit und Wirksamkeit von Dabigatran
BERICHT
Pressekonferenz Dabigatran
Veranstalter: Firma Boehringer Ingelheim (Schweiz) GmbH, 5.12.2012, Zürich
Die neuen oralen Antikoagulanzien haben die Schlaganfallprävention für Patienten mit Vorhofflimmern verändert. Die aktuellen ESC-Leitlinien empfehlen ihren Einsatz bei der Mehrheit der Patienten anstelle von Vitamin-K-Antagonisten. An der Jahrestagung der American Heart Association (AHA) wurden nun erstmals Langzeitdaten präsentiert: Die Ergebnisse der RELY-ABLE-Studie bestätigen für Dabigatran, dass sowohl Wirkung als auch Sicherheit über mehr als vier Jahre anhalten, so Prof. Dr. Thomas Lüscher, Zürich, im Rahmen einer Pressekonferenz von Boehringer Ingelheim.
CHRISTINE MÜCKE
Vorhofflimmern (VHF) zählt zu den Hauptrisikofaktoren für die Entwicklung eines Schlaganfalls, sowohl direkt als auch indirekt durch den häufig damit assoziierten Bluthochdruck. In über 90 Prozent der Fälle handelt es sich bei einem daraus entstehenden Schlaganfall um ein ischämisches Ereignis, das mit gravierenden Folgen einhergeht: So blieben in einer Studie von Gladstone et al. rund 60 Prozent dieser Patienten dauerhaft behindert, 20 Prozent verstarben daran (1). Bei der Prävention «befinden wir uns zwischen Skylla und Charybdis», so Lüscher, «denn es geht es zum einen darum, diese ischämischen Schlaganfälle zu vermeiden, und zum anderen darum, das Risiko für hämorrhagische
Schlaganfälle bei Vorhofflimmern (VHF)
❖ In der Schweiz gibt es zirka 16 000 Schlaganfälle pro Jahr, davon rund 4000 im Zusammenhang mit Vorhofflimmern.
❖ Ischämischer Schlaganfall ist mit 92 Prozent der häufigste durch VHF verursachte Schlaganfall, er ist das Hauptziel der Antikoagulation.
❖ In der Schweiz leiden etwa 100 000 Menschen an VHF. ❖ VHF ist einer der Hauptrisikofaktoren für Schlaganfall. ❖ Das Risiko für einen Schlaganfall ist bei VHF fünffach erhöht.
Empfehlung zur Schlaganfallprophylaxe bei VHF*
Wenn eine OAK-Therapie empfohlen wird, sollte ein neues orales Antikoagulans, entweder ❖ ein direkter Thrombinhemmer (Dabigatran) oder ❖ ein oraler Faktor-Xa–Hemmer (z.B. Rivaroxaban, Apixaban), gegenüber einem dosisangepassten Vitamin-K-Antagonisten (INR 2 bis 3) für die meisten Patienten mit nicht valvulärem VHF unter Berücksichtigung ihres klinischen Nettonutzens bevorzugt werden.
(Empfehlungsgrad IIa, Evidenzgrad A)
*Auszug aus den überarbeiteten ESC-Richtlinien 2012 zur Schlaganfallprophylaxe mit neuen oralen Antikoagulanzien bei nicht valvulärem VHF, nach «European Heart Journal» (2).
Schlaganfälle sowie Hirnblutungen zu minimieren.»
Durchbruch in der Pharmakotherapie Über viele Jahrzehnte waren die Vitamin-K-Antagonisten die wirksame Standardtherapie mit den bekannten Schwierigkeiten und Risiken. Demgegenüber sind die neuen oralen Antikoagulanzien ein Durchbruch in der Pharmakotherapie – einer der wenigen in den letzten Jahren – und sollten laut dem Experten entsprechend in der Praxis zur Anwendung kommen. Das bringt auch das im «European Heart Journal» publizierte Update der ESC-
Leitlinien zum Ausdruck, demzufolge auf eine Antikoagulation nur bei Patienten mit sehr geringem Schlaganfallrisiko zu verzichten ist und bei der Mehrheit der Patienten vorzugsweise der Einsatz der neuen oralen Antikoagulanzien, wie zum Beispiel Dabigatran, gegenüber den Vitamin-K-Antagonisten in Betracht gezogen werden soll. Acetylsalicylsäure soll demnach zur Vorbeugung von Schlaganfällen bei VHF nicht mehr eingesetzt werden (2). Überdies sind die neuen oralen Antikoagulanzien für Arzt und Patient angenehmer, die INR-Messung entfällt, die Patienten können einfacher in die
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RE-LY und RELY-ABLE: Schlaganfall und systemische Embolie
0,10 Dabigatran 150: 1,25 %/Jahr Dabigatran 110: 1,54 %/Jahr HR: 0.81; KI: 95% (0,66–0,96)
0,08
0,06
0,04 RE-LY
Fazit
❖ Langzeitdaten sind für die langfristige Behandlung von Patienten mit VHF besonders interessant.
❖ RELY-ABLE bestätigt die Wirksamkeit und die Sicherheit der Behandlung mit Dabigatran über mehr als 4 Jahre.
❖ EMA (5/2012) und FDA (11/2012) bestätigen die Sicherheit der Anwendung von Dabigatran.
❖ Weltweite Erfahrung aus über 1 Million Patientenjahre.
Kummulatives Risiko
0,02 RELY-ABLE
0 0123
Jahre
Warfarin (nur RE-LY)* Dabigatran 150 mg 2×/Tag Dabigatran 110 mg 2×/Tag
HR = hazard ratio / *Daten aus RE-LY
nach Connolly SJ et al.: AHA Scientific Sessions, 2012
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Abbildung: Als Verlängerung der RE-LY-Studie wurden in RELY-ABLE Wirksamkeit und Sicherheit von Dabigatran über 4,3 Jahre hinweg bestätigt: Es ergaben sich weiterhin niedrige Raten an Schlaganfällen und systemischen Embolien unter beiden Dosierungen.
Ferien gehen oder auch einmal ein Schmerzmittel nehmen, so Lüscher. Problematisch sind nur Niereninsuffizienz und eingeschränkte Nierenfunktion. Ab einer mässiggradig eingeschränkten Nierenfunktion mit einer Kreatininclearance von 30 bis 50 ml/min wird daher für Dabigatran laut Fachinformation eine Dosierung von zweimal 110 mg/ Tag empfohlen. Bei Herzinsuffizienzpatienten mit schwankender Clearance unter 50 ml/min hingegen rät Lüscher vom Einsatz des direkten Thrombinhemmers ab.
Daten aus RE-LY ... In der RE-LY-Studie1 (3, 4) erhielten mehr als 18 000 Patienten mit nicht valvulärem Vorhofflimmern Dabigatran (Pradaxa®) in den Dosierungen von zweimal täglich entweder 110 mg
1 RE-LY: Randomized Evaluation of Long-term anticoagulant therapy with dabigatran etexilate
2 RELY-ABLE: Long Term Multi-center Extension of Dabigatran Treatment in Patients with Atrial Fibrillation
(n = 6015) oder 150 mg (n = 6076) oder Warfarin (n = 6022; INR 2,0–3,0). Über 2 Jahre hinweg konnte das relative Risiko unter der 150-mg-Dosierung gegenüber Warfarin wie folgt signifikant reduziert werden: ❖ für Schlaganfälle oder systemische
Embolien um 35 Prozent ❖ für ischämische Schlaganfälle um
25 Prozent ❖ für hämorrhagische Schlaganfälle
um 69 Prozent.
Ausserdem traten unter beiden Dosierungen weniger schwere, insbesondere intrakranielle Blutungen auf (relative Risikoreduktion unter 2-mal täglich 150 mg Dabigatran um 59%, unter 110 mg um 70%) (3, 4).
... finden Bestätigung in RELY-ABLE Nach dem Ende der RE-LY-Studie wurden die beiden Arme mit Dabigatran als RELY-ABLE2 mit 5851 Patienten für weitere 2,3 Jahre fortgeführt (5). Damit liegt nun ein totales Follow-up über fast 4,5 Jahre vor, in dem man sieht, dass die Daten sehr konsistent sind, wie Lüscher ausführt: In beiden Dosierungen sind die Raten der Schlaganfälle und der systemischen Embolien weiterhin niedrig, ebenso die Raten der ischämischen Schlaganfälle. Sehr niedrig sind die Raten der hämorrhagischen Blutungen.
Langzeitdaten sehr wichtig Für Patienten, die wie beim Vorhofflimmern einer langfristigen – oft lebenslangen – Behandlung bedürfen, sind diese neuen Langzeitdaten von der AHA-Jahrestagung von besonderer Bedeutung. Auch wenn es sich dabei nicht um eine randomisierte Studie handelt, sind die von Prof. Dr. Stuart Conolly, Hamilton, präsentierten
Daten der RELY-ABLE-Studie sehr wichtig: Als erste Langzeitbeobachtung konnte RELY-ABLE zeigen, dass die Wirkung von Dabigatran über 4 Jahre anhält und die Sicherheitsdaten der RE-LY-Studie auch der langfristigen Beobachtung standhalten, so Lüscher.
Bestätigung durch Behörden und Praxis Ebenfalls wichtig für die sichere Anwendung im Alltag sind darüber hinaus die zahlreichen Erfahrungen aus der Praxis sowie die positiven Aussagen von EMA und FDA. Letztere hat im November 2012 die Sicherheit der Anwendung von Dabigatran bestätigt und kommt zu folgendem Fazit: «Pradaxa provides an important health benefit when used as directed.» Insgesamt liegen weltweit für Dabigatran Erfahrungen aus mehr als 1 Million Patientenjahre vor. «Auch wenn diese Patienten irgendwann wieder einen Hirnschlag oder eine Blutung haben, muss man die neuen Substanzen nicht danach, sondern im Vergleich zu Warfarin oder Plazebo beurteilen. Und da sehen die neuen Medikamente, wie der Faktor-IIHemmer Dabigatran, sehr gut aus.» ❖
Christine Mücke
Referenzen: 1. Gladstone DJ, et al., Stroke 2009; 40: 235–240. 2. 2012 focused update of the ESC Guidelines for the
management of atrial fibrillation. Eur Heart J 2012; 33: 2719–2747. 3. Connolly SJ, et al. N Engl J Med 2009; 361: 1139–1151. 4. Connolly SJ, et al. N Engl J Med 2010; 363(19): 1875–1876. 5. Connolly SJ, et al. Randomized Comparison of the Effects of Two Doses of Dabigatran Etexilate on Clinical Outcomes Over 4,3 Years: Results of the RELYABLE Double-blind Randomized Trial. CS.04. Clinical Science: Special Reports: Valvular Heart Disease, PAD, Atrial Fibrillation: International Perspectives. Presented on 7 November 2012 at the American Heart Association Scientific Sessions 2012.
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