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STUDIE REFERIERT
Rheumatoide Arthritis
Tofacitinibmonotherapie wirksam, Sicherheit aber unklar
Die Monotherapie mit Tofacitinib erwies sich in einer Phase-III-Studie bei rheumatoider Arthritis als wirksam zur Reduzierung der Symptomatik und zur Verbesserung der körperlichen Funktionsfähigkeit. Allerdings bestand ein erhöhtes Infektionsrisiko im Vergleich zu Plazebo, und zur Evaluierung weiterer Sicherheitsaspekte sind umfangreichere Untersuchungen erforderlich.
NEJM
Bei der rheumatoiden Arthritis (RA) handelt es sich um eine chronische Autoimmunerkrankung, die durch eine Entzündung und Zerstörung der Gelenke gekennzeichnet ist. Derzeit wird der orale Januskinase-(JAK-)Inhibitor Tofacitinib (nicht im AK der Schweiz) als gezielter Immunmodulator und erkrankungsmodifizierende Behandlungsoption untersucht. Tofacitinib inhibiert primär JAK3 und JAK1, verhindert so die Signalübertragung im Zusammenhang mit verschiedenen Zytokinen (Interleukin 2, 4, 7, 9, 15 und 21) und moduliert vermutlich darüber die Immunantwort.
Merksätze
❖ Die Monotherapie mit Tofacitinib bewirkt bei rheumatoider Arthritis eine Verbesserung der Symptomatik und der körperlichen Funktionsfähigkeit.
❖ Als unerwünschte Ereignisse können schwere Infektionen auftreten.
❖ Tofacitinib kann mit einer Erhöhung der LDLCholesterin-, der Aminotransferase- und der Serumkreatininwerte verbunden sein.
Roy Fleischmann vom Metroplex Clinical Research Center, Dallas, USA, und seine Arbeitsgruppe haben in einer Phase-III-Studie die Wirksamkeit und Sicherheit von Tofacitinib als Einzelsubstanz bei Erwachsenen mit aktiver RA untersucht, die auf andere erkrankungsmodifizierende Medikamente (DMARD) nicht ausreichend angesprochen hatten.
Methoden In die Phase-III-Studie ORAL Solo wurden Patienten ab 18 Jahren mit einer aktiven RA aufgenommen, bei denen entsprechend den Kriterien des American College of Rheumatology (ACR) 6 oder mehr Gelenke (von 68) schmerzempfindlich und 6 oder mehr Gelenke (von 66) geschwollen waren. Zudem lag bei den Teilnehmern eine Erythrozytensedimentationsrate von über 28 mm/h oder ein CRP-(C-reaktives-Protein-)Wert von mehr als 7 mg/l vor, und mindestens ein nicht biologisches oder biologisches DMARD hatte bei ihnen keine ausreichende Wirksamkeit gezeigt. Vor Studienbeginn wurden alle erkrankungsmodifizierenden Medikamente bis auf Antimalariamittel abgesetzt. Die Anwendung nichtsteroidaler antientzündlicher Medikamente und von Glukokortikoiden (≤ 10 mg eines Prednisonäquivalents pro Tag) war erlaubt. Im Rahmen der Studie wurden 611 Patienten randomisiert im Verhältnis 4:4:1:1 folgenden Behandlungsarmen zugeordnet: ❖ 6 Monate 2-mal täglich 5 mg Tofa-
citinib ❖ 6 Monate 2-mal täglich 10 mg Tofa-
citinib ❖ 3 Monate Plazebo, anschliessend
3 Monate 2-mal täglich 5 mg Tofacitinib ❖ 3 Monate Plazebo, anschliessend 3 Monate 2-mal täglich 10 mg Tofacitinib.
Als primäre Endpunkte wurden in Monat 3 der Anteil der Patienten mit einem ACR-20-Ansprechen (definiert als Reduzierung des Gelenkbefalls um 20% sowie Verbesserung um mindestens 20% von 3 der weiteren 5 Beurteilungskriterien; siehe Kasten), die Veränderung der körperlichen Funktionsfähigkeit auf dem HAQ-DI (Health Assessment Questionnaire Disability Index) sowie der Anteil der Patienten mit einer Krankheitsaktivität von unter 2,6 auf dem DAS28-4 (ESR) (Disease Activity Score for 28-joint counts based on the erythrocyte sedimentation rate) untersucht. Ein weiteres primäres Ziel bestand in der Sicherheitsanalyse von Tofacitinib im Vergleich zu Plazebo. Dazu wurden die Inzidenz und die Schwere aller unerwünschten Ereignisse erfasst. Zu den sekundären Wirksamkeitsendpunkten gehörten die Patientenanteile mit einem ACR50- und ACR70Ansprechen sowie Veränderungen der Punktwerte auf dem Fatigue-Score FACIT (Functional Assessment of Chronic Illness Therapy).
Ergebnisse Von den 611 ausgewählten Patienten erhielten 610 die Studienmedikation, und 555 Teilnehmer vollendeten die Studie. Die Abbruchrate war bei Patienten, die 5 mg Tofacitinib erhielten, am niedrigsten. Das durchschnittliche Alter der Patienten betrug 49,5 bis 52,4 Jahre, und sie litten im Durchschnitt bereits 7,7 bis 8,6 Jahre unter RA. Die meisten Teilnehmer (86,6%) waren Frauen. In Monat 3 erreichten 59,8 Prozent der Patienten unter 5 mg Tofacitinib und 65,7 Prozent der Patienten unter 10 mg Tofacitinib, jedoch nur 26,7 Prozent der Teilnehmer unter Plazebo ein ACR20-Ansprechen (p < 0,001 für beide Vergleiche). Ein ACR50-Ansprechen wurde in Monat 3 bei 31,1 Prozent (5 mg Tofacitinib) respektive 36,8 Prozent (10 mg Tofacitinib) sowie bei 12,5 Prozent der Patienten unter Plazebo beobachtet (p < 0,001 für beide Vergleiche). Die Kriterien für ein ACR70-Ansprechen erfüllten unter Tofacitinib 15,4 Prozent (5 mg) beziehungsweise 20,3 Prozent (10 mg), jedoch nur 5,8 Prozent der Teilnehmer, die Plazebo erhielten (p = 0,003 bzw. p < 0,001). Ein signi-
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STUDIE REFERIERT
Skalen und Fragebögen zur Evaluierung der rheumatischen Arthritis
ACR-Kriterien
Anzahl schmerzempfindlicher Gelenke (von 68), Anzahl geschwollener Gelenke (von 66), Einstufung der Schmerzen durch den Patienten, Grad der Funktionseinschränkung, CRP-Wert, Gesamteinschätzung der Erkrankung durch den Patienten, Gesamteinschätzung der Erkrankung durch den Arzt.
HAQ-DI
Basiert auf einem Fragebogen zu 8 Funktionsbereichen mit Werten von jeweils 0 bis 3. Die Gesamtwerte des Fragebogens werden zum Disability-Index zusammengefasst. Höhere Werte weisen auf eine ausgeprägtere Behinderung hin.
DAS28-4 (ESR)
Anzahl schmerzempfindlicher Gelenke (von 28), Anzahl geschwollener Gelenke (von 28), Erythrozytensedimentationsrate (0–150 mm/h), Gesamteinschätzung des Patienten zur Krankheitsaktivität auf einer visuell analogen Skala von 0 bis 100. Remission: Werte < 2,6; niedrige Krankheitsaktivität: < 3,2; moderate Krankheitsaktivität: 3,2–5,1; hohe Krankheitsaktivität: > 5,1.
FACIT-Fatigue-Score
13-Punkte-Fragebogen mit Skalenwerten von 0 bis 52. Höhere Werte weisen auf eine weniger ausgeprägte Fatigue hin. Veränderungen von 3 bis 4 Punkten werden als klinisch bedeutsam erachtet.
fikanter Anstieg der Patientenanteile, die ein ACR20-, ACR50- oder ACR70Ansprechen erreichten, wurde bereits in Woche 2 beobachtet. Die Reduzierung der Werte auf dem HAQ-DI-Score war in den Tofacitinibgruppen (-0,50 bei 5 mg und -0,57 bei 10 mg) nach 3 Monaten ausgeprägter als unter Plazebo, wo die Punktwerte lediglich um -0,19 zurückgingen (p < 0,001). Signifikante Veränderungen der körperlichen Funktionsfähigkeit liessen sich ebenfalls bereits in Woche 2 beobachten. Im Hinblick auf den dritten primären Endpunkt wurden keine signifikanten Unterschiede zwischen Tofacitinib und Plazebo beobachtet. Der Anteil der Patienten, die mit einem DAS28-4 (ESR) von weniger als 2,6 eine Remission erreichten, war unter 5 mg Tofacitinib (5,6%) und unter 10 mg Tofacitinib (8,7%) nicht signifikant höher als unter Plazebo (4,4%; p = 0,62 bzw. p = 0,10). Bei 6 Patienten traten unter Tofacitinib schwere Infektionen auf. Dabei handelte es sich um einen Zellulitisfall in der Gruppe, die 5 mg Tofacitinib erhielt, sowie um jeweils 1 Leberabszess, 1 Bronchitis, 1 tuberkulösen Pleuraerguss und 1 Pyelonephritis bei Patienten, die mit 10 mg Tofacitinib behandelt wurden. In der Plazebogruppe kam es zu 2 Zellulitisfällen, von denen 1 nach der Umstellung auf 5 mg Tofacitinib auftrat. Die häufigsten unerwünschten Ereignisse waren Kopfschmerzen, Infektionen der oberen Atemwege und Diarrhö. Zudem war Tofacitinib in den Monaten 0 bis 3 mit einer Erhöhung der LDL-Cholesterin-Werte um 13,6 Prozent (5 mg) respektive 19,1 Prozent (10 mg) verbunden, während die Erhöhung der LDL-Cholesterin-Werte unter Plazebo nur 3,5 Prozent betrug. Gelegentlich wurden unter Tofacitinib auch Erhöhungen der Aspartataminotransferase- und der Alaninaminotransferasewerte beobachtet. In den Tofacitinibgruppen kam es zu einer Reduzierung der Neutrophilenzahl und somit häufiger zu Neutropenien als unter Plazebo. In Monat 3 betrugen die Veränderungen auf der FACIT-Fatigue-Skala bei der Behandlung mit 5 mg Tofacitinib 6,7 Punkte und unter 10 mg Tofacitinib 8,0 Punkte und waren somit klinisch bedeutsam (siehe Kasten). In den Plazebogruppen lag die Veränderung dagegen lediglich bei 2,8 Punkten (p < 0,001). Fazit und Diskussion Die Autoren kommen insgesamt zu dem Ergebnis, dass die Monotherapie mit Tofacitinib in dieser Phase-III-Studie bei Patienten mit aktiver RA, die zuvor auf eine Behandlung mit mindes- tens einer krankheitsmodifizierenden Substanz nicht ausreichend angespro- chen hatten, eine Wirksamkeit hin- sichtlich der Reduzierung der Sympto- matik und der Verbesserung der kör- perlichen Funktionsfähigkeit aufweist. Allerdings war der Anteil der Patien- ten, die eine Remission erreichten (DAS28 [ESR] < 2,6), nicht signifikant höher als in den Plazebogruppen. Im Vergleich zu Plazebo erfüllten jedoch signifikant mehr Patienten in beiden Tofacitinibgruppen die Kriterien für eine geringe Krankheitsaktivität (DAS28-4 [ESR] ≤3,2). Bei den mit Tofacitinib be- handelten Patienten wurde ausserdem eine signifikante Reduzierung der Schmerzen und der Fatigue im Ver- gleich zu Plazebo beobachtet. Tofacitinib war in einigen Fällen mit einer Erhöhung der LDL-Cholesterin- Werte und der Aminotransferasewerte sowie mit einer Verringerung der Neu- trophilenzahl verbunden. Die Auswir- kungen dieser veränderten Laborpara- meter im Hinblick auf kardiovaskuläre Erkrankungen beziehungsweise auf die Infektionsgefahr müssen nach Ansicht der Autoren in weiteren Studien mit grösseren Patientenzahlen und über län- gere Zeiträume evaluiert werden. Um das bei Tofacitinib bestehende Infek- tionsrisiko mit dem von Plazebo und anderen Behandlungsoptionen ausrei- chend vergleichen zu können, sind ihrer Einschätzung nach ebenfalls umfang- reichere Untersuchungen erforderlich. Bei Patienten der ORAL-Solo-Studie, die an einer langfristigen Verlängerungs- studie teilnahmen, waren die beobach- teten unerwünschten Ereignisse mit denen in der Phase-III-Studie bezüglich Art und Häufigkeit vergleichbar. Ent- sprechend den Anforderungen der Zulassungsbehörden wird die Lang- zeitsicherheit von Tofacitinib weiterhin engmaschig überwacht. ❖ Petra Stölting Quelle: Fleischmann R et al.: Placebo-controlled trial of tofacitinib monotherapy in rheumatoid arthritis. NEJM 2012; 367(6): 495–507. Interessenkonflikte: Die Studie wurde vom Tofacitinibhersteller Pfizer finanziert und von Mitarbeitern des Pharmaunternehmens unter der Leitung des Autorenteams geplant, durchgeführt und statistisch ausgewertet. Die Autoren haben Gelder von Pfizer und anderen Pharmaunternehmen erhalten oder sind Angestellte bei Pfizer. 26 ARS MEDICI 1 ■ 2013