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STUDIE REFERIERT
Clostridium-difficile-assoziierte Diarrhö auf dem Vormarsch
Probiotika als Schutzschild bei einer Antibiotikatherapie
Penicilline und Co. sind ein Segen, doch sie haben auch ihre Schattenseiten. Forscher untersuchten daher, ob Probiotika bei einer Antibiotikatherapie das Risiko für eine Clostridium-difficile-assoziierte Diarrhö bei Kindern und Erwachsenen senken können.
ANNALS OF INTERNAL MEDICINE
Antibiotika bekämpfen krank machende Keime im Körper, doch als Nebeneffekt können sie auch die gastrointestinale Mikroflora stören. Als Folge ist das Auftreten einer Diarrhö möglich. Ältere hospitalisierte Erwachsene, die Breitspektrumantibiotika einnehmen müssen, sind oft betroffen. Rund ein Drittel von antibiotikabedingten Diarrhöen kann auf den pathogenen Erreger Clostridum difficile zurückgeführt werden. Allein in den USA sind jedes Jahr über 300 000 hospitalisierte Patienten von einer Clostridum-difficile-assoziierten Diarrhö (CDAD) betroffen. Seit 2002
Merksätze
❖ Die Daten einer Metaanalyse deuten darauf hin, dass Probiotika einen schützenden Effekt haben, um bei einer Antibiotikatherapie einer CDAD vorzubeugen.
❖ Es sind zwar häufig ältere hospitalisierte Patienten betroffen, doch der vorbeugende Einsatz ist bereits bei Kindern möglich.
❖ Das Auftreten schwerwiegender unerwünschter Wirkungen wird als selten eingestuft.
❖ Zum Einsatz bei immunsupprimierten Patienten wird keine abschliessende Empfehlung gegeben.
haben Krankenhäuser in verschiedenen Ländern mit hohem Einkommen einen beachtlichen Anstieg sowohl bei der Häufigkeit als auch beim Schweregrad der CDAD beobachtet. Eine Forschergruppe hat nun in diesem Zusammenhang einen systematischen Review samt Metaanalyse durchgeführt. Sein Ziel war es, Wirksamkeit und Verträglichkeit von Probiotika zur Vorbeugung einer antibiotikabedingten CDAD bei Erwachsenen und Kindern zu untersuchen. Probiotika sind Mikroorganismen, die selbst häufig in der menschlichen Darmflora vorkommen. Sie verhindern dort ein Ungleichgewicht und verringern dadurch das Risiko einer Besiedlung mit pathogenen Bakterien.
Auswahlverfahren Zwei Reviewer überprüften unabhängig voneinander das potenziell geeignete Datenmaterial. Daraus extrahierten sie Fakten über die Populationen, Interventionen und Ergebnisse. Des Weiteren beurteilten sie das Verzerrungsrisiko. Von 1659 Publikationen aus 6 verschiedenen elektronischen Datenbanken waren 224 Veröffentlichungen doppelt, womit noch 1435 Artikel verblieben. Davon waren 101 Zusammenfassungen vielversprechend, weswegen die gesamte Abhandlung eingesehen wurde. Schliesslich verblieben 15 Studien für die Auswertung. Aus anderen Quellen erwiesen sich 5 von 8 Arbeiten als geeignet. Somit erfüllten 20 randomisierte, kontrollierte Studien mit insgesamt 3818 Teilnehmern die Einschlusskriterien für die Metaanalyse. 18 Studien waren plazebokontrolliert, bei 1 Studie erfolgte keine Behandlung der Kontrollgruppe, und bei 1 Studie, die nur als Zusammenfassung publiziert wurde, ist die Therapie des Vergleichskollektivs unbekannt. Die aufgenommenen Patienten wurden mit
einem Antibiotikum behandelt, und die Publikationen berichteten über das mögliche Auftreten einer CDAD. Bei der kleinsten Studie nahmen 40 Personen teil, und bei der grössten Untersuchung waren es 437 Probanden. Bei den Teilnehmern handelte es sich überwiegend um hospitalisierte Patienten. Bei 3 Arbeiten nahmen Kinder teil, und die übrigen Studien wurden mit Erwachsenen durchgeführt, wobei das Alter in 3 Fällen nicht explizit erwähnt wurde. Als Probiotikum wurden verschiedene Stämme wie Bifidobacterium, Lactobacillus, Saccharomyces oder Streptococcus in unterschiedlichen Dosierungen verabreicht. Sie wurden mehrheitlich als Monopräparate eingesetzt, doch zum Teil wurden verschiedene Stämme kombiniert verabreicht.
Wirksamkeit und Verträglichkeit Die Gabe von Probiotika senkte das Auftreten einer CDAD um 66 Prozent (gepooltes relatives Risiko [RR] 0,34, Konfidenzintervall [KI] 0,24–0,49; I2 = 0%). Wird das Auftreten einer antibiotikabedingten CDAD auf 5 Prozent geschätzt, würde eine Prophylaxe mit Probiotika im Schnitt 33 Episoden pro 1000 Personen verhindern. Ergänzend wurden Subgruppenanalysen durchgeführt. Die Ergebnisse waren vergleichbar bei Erwachsenen und Kindern, bei niedrigen und höheren Dosierungen, bei unterschiedlichen Probiotikastämmen (z.B. Saccharomyces boulardii vs. Lactobacillus rhamnosus) und bei Studien mit einem grösseren und kleineren Risiko für eine Verzerrung. Dahingegen wurde die Wirksamkeit von Kombinationspräparaten (RR: 0,25, KI 0,15–0,41) im Vergleich zur Gabe eines einzelnen Bakterienstamms (RR: 0,50, KI 0,29– 0,84) als grösser eingestuft. Es wird jedoch eingeräumt, dass weitere Untersuchungen notwendig sind, um diese Beobachtungen zu bestätigen. 17 Publikationen berichteten über unerwünschte Ereignisse. Davon meldeten 4 Studien keine Vorfälle, und 3 Arbeiten verzeichneten schwerwiegende unerwünschte Ereignisse, wobei keines im Zusammenhang mit der Gabe von Probiotika stand. Bei 9,3 Prozent (Spannbreite 0–47,7%) der Probiotikaprobanden und bei 12,6 Prozent (Spannbreite 0–44,7%) der Kontrollpatienten trat ein unerwünschtes Ereignis auf (RR: 0,82, KI 0,65–1,05; I2 = 17%).
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STUDIE REFERIERT
Am häufigsten waren Bauchkrämpfe, Übelkeit, Fieber, weicher Stuhlgang, Blähungen und Geschmacksstörungen. Es wird geschlussfolgert, dass die kurzzeitige Gabe von Probiotika zu keinen erheblichen unerwünschten Wirkungen bei Personen ohne Immundefizienz führt. Gemäss der Einschätzung der Forschergruppe sind diese Ergebnisse von mittlerer Vertrauenswürdigkeit.
Pro und Kontra Der systematische Review weist verschiedene Stärken auf. Die Suchstrategie bei der Auswahl potenzieller Studien war umfassend, und es fanden sich keine Hinweise auf eine Publikationsverzerrung. Daneben wurde das Gesamtrisiko für eine Verzerrung bestimmt. Bei 7 Studien war es gering und bei den anderen 13 Studien hoch oder unbekannt. Des Weiteren wurde bei fehlenden Ergebnissen eine strenge Beurteilung von plausiblen Annahmen durchgeführt. So berichteten 13 Studien nicht ausführlich über das Auftreten einer CDAD. Trotz der fehlenden Daten erwiesen sich die Ergebnisse als robust, selbst wenn man von den ungünstigsten Annahmen ausgeht. Darüber hinaus wurden Schwankungen bei den Resultaten beurteilt, und erhärtende Subgruppenuntersuchungen wurden durchgeführt. Ausserdem wurden die strengen GRADE (Grading of Recommendations Assessment, Development and Evaluation)-Kriterien angewendet.
Die Forscher räumen jedoch ein, dass der Auswertung Grenzen gesetzt sind. Bei den verschiedenen Studien wurden zum Teil unterschiedliche Methoden für die Diagnosestellung einer CDAD verwendet. Des Weiteren erreichte die gesamte Teilnehmerzahl nicht die optimale Informationsgrösse von 5676 Personen. Daher wurde das Vertrauen gegenüber der ermittelten Wirksamkeit als mittelgross eingestuft. Bei den verschiedenen Studien besteht zudem eine beachtliche Variabilität beim Risiko der Kontrollgruppe hinsichtlich einer CDAD. Hinzu kommt, dass 13 der 20 Studien immundefiziente Patienten ausschlossen. Für diese Personengruppe können keine Schlussfolgerungen abgeleitet werden, vor allem nicht im Hinblick auf die Verträglichkeit. Anhand der Datenlage lässt sich folgende Aussage von mittlerer Qualität machen: Der schützende Einsatz von Probiotika bei Patienten mit einem nennenswerten Risiko für eine CDAD wird bei einer Antibiotikatherapie befürwortet. Die Kosten dafür sind niedrig, und schwerwiegende unerwünschte Wirkungen sind kaum zu erwarten.
Situation in der Schweiz In der Schweiz sind zurzeit verschiedene probiotische Arzneimittel im Handel. Unter den Bakterienpräparaten ist ein Produkt mit dem Enterococcusfaecalis-Stamm (Bioflorin®) laut Fachinformation für den Einsatz bei Dys-
bakterien des Darmtrakts verschiedenen
Ursprungs wie etwa nach einer Thera-
pie mit Antibiotika indiziert. Ein ande-
res Medikament enthält Lactobacillus
acidophilus plus Bifidobacterium in-
fantis (Infloran®) und ist als unterstüt-
zende Massnahme zur Wiederherstel-
lung der Darmflora bei diarrhöischen
und dyspeptischen Syndromen wie zum
Beispiel nach einer Therapie mit Anti-
biotika zugelassen. Unter den Hefe-
präparaten ist Saccharomyces boular-
dii (Perenterol®) zur Behandlung von
Durchfallerkrankungen (z.B. zur Vor-
beugung und Therapie einer antibioti-
kabedingten Diarrhö) von der Behörde
genehmigt. Bei der Therapie und Re-
zidivprophylaxe von rekurrierenden
Clostridium-difficile-assoziierten Er-
krankungen sowie in jenen Fällen,
bei denen aufgrund des Allgemein-
zustands eine schwere antibiotikabe-
dingte Diarrhö nicht auszuschliessen
ist, werden die Kosten für dieses Medi-
kament sogar von der Grundversiche-
rung übernommen.
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Monika Lenzer
Quelle: Johnston BC et al: Probiotics for the prevention of Clostridium difficile-associated diarrhea: a systematic review and meta-analysis. Ann Intern Med 2012; Nov 13.
Interessenkonflikte: BCJ und ein weiterer Autor erhielten zum Teil finanzielle Zuwendungen von Biocodex und vom Bastyr Center for Student Research.
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