Transkript
STUDIE REFERIERT
Chronische Schmerzen bei Knie- oder Handarthrose
Topische NSAR so gut wie orale
Chronische Arthroseschmerzen werden durch topische NSAR genauso gut gelindert wie durch orale NSAR, wobei gleichzeitig systemische NSAR-Nebenwirkungen vermindert werden. Die NSAR wirken besser als Plazebo, wobei der Plazeboeffekt bei diesen Patienten hoch ist.
COCHRANE DATABASE
Den topischen NSAR wurde bereits in einem Cochrane Review zur Behandlung muskuloskeletaler akuter Schmerzen, zum Beispiel bei Verstauchungen oder Sportverletzungen, eine gute Wirksamkeit bescheinigt (siehe ARS MEDICI 2010; 18: 732). Vor kurzem wurde nun auch ein Cochrane-Review zur Wirksamkeit topischer NSAR bei chronischen Muskel- und Gelenkschmerzen publiziert. Einbezogen wurden randomisierte, doppelblinde Studien mit Arthrosepatienten, die seit mindestens drei Monaten unter chronischen Kniegelenk- oder Handschmerzen litten. Berücksichtigt wurden 34 Studien mit insgesamt 7688 Teilnehmern. Getestet
Merksätze
❖ Topische NSAR können die Schmerzen der Arthrosepatienten mit chronischen Muskelund Gelenkschmerzen an Knie oder Hand lindern. Der Plazeboeffekt ist jedoch hoch.
❖ Orale NSAR sind in diesem Fall nicht wirksamer und bringen ein höheres systemisches Nebenwirkungsrisiko mit sich.
wurden die topischen NSAR Diclofenac, Ketoprofen, Piroxicam, Eltenac*, Felbinac*, Flurbiprofen*, Piketoprofen*, Nimesulid, Flufenamat*, Indometacin und Ibuprofen – meist im Vergleich mit Plazebo. In fünf Studien verglich man topische NSAR mit oralen NSAR.
Resultate Die meisten Daten sind für Diclofenac verfübar, sodass hier auch eine «number needed to treat» (NNT) berechnet werden konnte. Sie beträgt für eine mindestens 50-prozentige Schmerzlinderung 6,4 für die Diclofenac-Emulsion und 11 für das Diclofenac-Gel, das heisst, dass sich 6 bis 7 beziehungsweise 11 Patienten damit einreiben müssen, damit statistisch betrachtet 1 von ihnen profitiert. Der Vergleich zwischen topischen und oralen NSAR mit ingesamt 1735 Personen, von denen die eine Hälfte topische und die andere orale NSAR erhielt, ergab keinen Unterschied beim Erfolg: 55 Prozent der Patienten mit topischen NSAR (40–66%) und 54 Prozent der Patienten mit oralen NSAR (34–70%) erfuhren eine Linderung ihrer Schmerzen. Als klinischer Erfolg definiert war eine mindestens 50-prozentige Linderung der Schmerzen. Es wurde aber auch als Erfolg gewertet, wenn dieser in einigen Studien einfach nur als «sehr gut» oder «ausgezeichnet» notiert wurde beziehungweise der Misserfolg als «keine» oder «schwache» Schmerzlinderung. Die Cochrane-Autoren verliessen sich jedoch nur auf Wirksamkeitsaussagen, die von den Patienten selbst gemacht wurden. Die Autoren loben ausdrücklich, dass es nun gute, grosse Studien mit einer längeren Beobachtungszeit von 8 bis 12 Wochen gibt, da man in kürzeren Studien die Wirksamkeit eher über-
schätze. Wie bei chronischen Schmerzen nicht selten, ist der Plazeboeffekt erheblich. In der Tabelle sind die Ergebnisse für alle topischen NSAR zusammengefasst.
Weniger gastrointestinale Nebenwirkungen Wie zu erwarten, traten mit den topischen NSAR weniger gastrointestinale Nebenwirkungen auf. In den hierfür einbezogenen Studien wurden bei 17 Prozent der Patienten mit topischen NSAR gastrointestinale Nebenwirkungen protokolliert, allerdings mit einer breiten Streuung von 5 bis 35 Prozent, je nach Studie. Dies erklärt sich nicht zuletzt aus den unterschiedlichen Studienprotokollen, die unterschiedlich eng definieren, wie Nebenwirkungen zu erfassen sind und auch, ob man detailliert nachfragt oder diese nur dann notiert, wenn der Patient sie von sich aus erwähnt. Ähnlich breit gestreut sind darum auch die Nebenwirkungsraten bei den Patienten mit oralen NSAR (26% im Durchschnitt; 9–48% je nach Studie). Der Trend ist jedoch klar: Mit topischen NSAR gibt es weniger gastrointestinale Nebenwirkungen (RR: 0,66; 95%-KI: 0,56–0,77). Anders ausgedrückt: Jedem 10. Patient, der ein topisches NSAR anstelle eines oralen erhält, bleiben gastrointestinale Nebenwirkungen erspart.
Ungewissheit wegen nicht publizierter Daten Es sei «eine Schande», dass viele Studien mit topischen NSAR nicht publiziert würden, kritisieren die CochraneAutoren die mangelnde Publikationsfreudigkeit bezüglich der Daten aus neueren, grossen und gut gemachten Studien. Sie listen nicht weniger als zwölf Studien aus dem NCT-Studienregister (www.clinicaltrials.gov) auf, die zwar bereits seit einiger Zeit abgeschlossen sind, aber nie publiziert wurden; der Forschung gehen allein damit die Daten von 4714 Patienten verloren, die an Studien mit topischen NSAR teilnahmen. Auch auf Nachfrage bei den Firmen erhielten die CochraneAutoren mit einer Ausnahme keine Unterlagen zu diesen Studien. Dies birgt die Gefahr des auch aus anderen Gebieten bekannten «publication bias», weil negative Studien eher nicht publiziert werden. Wie relevant
ARS MEDICI 1 ■ 2013
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STUDIE REFERIERT
Tabelle:
Chronische Muskel- und Gelenkschmerzen: topische NSAR im Vergleich mit Plazebo
Studiendauer
2–3 Wochen 4–6 Wochen 8–12 Wochen
Anzahl Studien
7 5 4
Anzahl Teilnehmer
917 810 2440
Erfolgsrate NSAR
37% 42% 60%
Erfolgsrate Plazebo
19% 24% 50%
RR (95%-KI)
1,9 (1,6–2,4) 1,7 (1,4–2,1) 1,2 (1,1–1,3)
RR: relatives Risiko, in diesem Fall relative Erfolgsrate NSAR vs. Plazebo; 95%-KI: 95%-Konfidenzintervall; NNT: number needed to treat
NNT
5,5 (4,2–8,1) 5,8 (4,2–9,1) 10 (7,3–17)
dies sein könnte, zeigen die Autoren in einer Modellrechnung: Obgleich die Daten von über 1000 Patienten mit einer Studiendauer von 8 bis 12 Wochen der guten NNT von 6,4 für Diclofenac-Emulsion zugrunde liegen, würden schon 566 nicht publizierte negative Fälle genügen, die NNT auf 10 zu erhöhen, ein Wirksamkeitsniveau, das in diesem Zusammenhang oft als inadäquat bezeichnet wird.
Empfehlungen für die Praxis Die Cochrane-Autoren kommen zu dem Schluss, dass topisches Diclofenac
zur Schmerzlinderung bei Knie- oder
Handarthrose genauso wirksam ist wie
orales Diclofenac und dass dies ver-
mutlich auch für die anderen NSAR
gelten dürfte.
Da topisches Diclofenac weniger syste-
mische Nebenwirkungen mit sich
bringt als orales, insbesondere im Gast-
rointestinaltrakt, empfehlen sie es als
nützliche First-Line-Therapie für ältere
Menschen, die ein höheres Risiko für
derartige Nebenwirkungen einer ora-
len NSAR-Therapie tragen.
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Renate Bonifer
Derry S, Moore RA, Rabbie R: Topical NSAIDs for chronic musculoskeletal pain in adults. Cochrane Database Syst Rev 2012; (9): CD007400. DOI: 10.1002/14651858. CD007400.pub2
Interessenkonflikte: Die Studie wurde vom Oxford Pain Research Fund finanziert. Die Autoren Moore und Derry geben an, in der Vergangenheit von gemeinnützigen Institutionen, Behörden und Firmen unterstützt worden zu sein. R.A. Moore war ausserdem als Berater und Referent für Firmen im Bereich Analgetika tätig.
*Diese Substanzen sind in der Schweiz nicht als topische NSAR verfügbar.