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FORTBILDUNG
Plantarfasziitis sollte behandelt werden
Eine Plantarfasziitis bildet sich meist von selbst zurück. Sie führt aber häufig zu einer schmerzbedingten Immobilisierung und bei einigen Betroffenen deshalb auch zur Gewichtszunahme. Da Bewegungsmangel und Übergewicht mit gesundheitlichen Risiken verbunden sind, sollte die Plantarfasziitis behandelt werden.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
Die Plantarfasziitis gilt als selbstlimitierend, und die Evidenz der Wirksamkeit gängiger Behandlungsoptionen ist begrenzt. Da die Plantarfasziitis mit Schmerzen verbunden ist, trägt sie jedoch häufig zu einer körperlichen Inaktivität bei, die in den westlichen Ländern ohnehin ein bedeutendes Gesundheitsproblem darstellt. Zudem sind viele Betroffene übergewichtig. Bei schmerzbedingter Immobilisierung ist eine Gewichtsabnahme äusserst schwierig, während das Risiko der Gewichtszunahme ansteigt. Da Bewegungsmangel und Übergewicht Hauptrisikofaktoren für zahlreiche Erkrankungen sind, ist die erfolgreiche Behandlung einer Plantarfasziitis von grosser Bedeutung. Der Sportmediziner John Orchard von der Universität Sydney, Australien, hat die wichtigsten Aspekte zur Plantarfasziitis in einem klinischen Review zusammengefasst.
Was ist eine Plantarfasziitis? Die Plantarfaszie ist ein straffes Bindegewebsband, das vom Calcaneus zu den Metatarsalköpfen verläuft und das Fussgewölbe stützt. Bei der Plantarfasziitis handelt es sich um eine
Merksätze
❖ Die Plantarfasziitis bildet sich meist bei minimalinvasivem Management zurück.
❖ Zu den Behandlungsoptionen gehören Dehnungsübungen, Orthesen oder Tapeverbände, die extrakorporale Stosswellentherapie und Medikamenteninjektionen.
❖ Da Bewegungsmangel und Übergewicht Risikofaktoren für Erkrankungen sind, sollte die Plantarfasziitis behandelt werden.
Enthesiopathie an der proximalen Befestigungsstelle. Die Plantarfaszie ist in anatomischer Hinsicht ein Ligament, das eine Verbindung von Knochen zu Knochen bildet. Unter der Oberflächenstruktur der Plantarfaszie befindet sich der Musculus flexor digitorum brevis, der mit einer Sehnenenthese am Fersenbein befestigt ist. Möglicherweise ist auch eine proximale Tendinopathie des Musculus flexor digitorum brevis an der Pathologie der Plantarfasziitis beteiligt.
Bei wem tritt eine Plantarfasziitis auf? Von einer Plantarfasziitis sind meist Personen ab einem mittlerem Alter und eher Frauen als Männer betroffen. Ein erhöhtes Risiko besteht bei Menschen, die viel zu Fuss gehen. Übergewicht gilt ebenfalls als gesicherter Risikofaktor. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass Arbeiten auf hartem Untergrund das Risiko erhöht. Auch Athleten können eine Plantarfasziitis erleiden, wobei in dieser Personengruppe häufiger andere Überlastungsverletzungen wie Tendinopathien oder Stressfrakturen auftreten. Bei Platzsportarten, die auf hartem Untergrund ausgeübt werden, liegt vermutlich ein höheres Risiko vor als bei Fussballern oder anderen Sportlern, die auf weicherem Untergrund wie Gras trainieren. Eine eingeschränkte Dorsalflektion kann ebenfalls mit einer Plantarfasziitis assoziiert sein.
Welche Differenzialdiagnosen sind zu bedenken? Schmerzen in der Ferse können mitunter eine diagnostische Herausforderung darstellen, meist ist jedoch eher das erfolgreiche therapeutische Management schwierig. Die Achillestendinopathie, eine weitere häufige Ursache von Schmerzen in der Ferse, unterscheidet sich durch die Lokalisation der Beschwerden. Hier ist der posterosuperiore Anteil der Ferse betroffen, während sich die Plantarfasziitis im medialen Teil der Fersenunterseite manifestiert. Meist sind die Schmerzen deutlich lokalisiert, sodass rasch die Diagnose einer Achillestendinopathie oder einer Plantarfasziitis gestellt werden kann. Bei unklarer Lokalisierung der Schmerzen sind weitere Diagnosemöglichkeiten wie eine subtalare Arthrose oder eine S1-Nervenwurzel-Kompression in Betracht zu ziehen. Auch wenn vor Einsetzen der Schmerzen bereits Verletzungen aufgetreten sind (wenn z.B. aus grosser Höhe auf der Ferse gelandet wurde) sollten alternative Diagnosen wie eine Kontusion des plantaren Fettpolsters oder ein Bluterguss im Bereich des Calcaneus berücksichtigt werden. Stressfrakturen des Calcaneus sind selten, können aber bei Patienten vorkommen, die lange Zeit mit schwerem Gepäck gewandert sind. Bei Läufern treten eher Stressfrakturen des Knochens als des
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Tabelle:
Überblick über die wichtigsten Behandlungsoptionen bei Plantarfasziitis (modifiziert nach Orchard)
Behandlungsoption
Wer davon profitiert
Wer vermutlich nicht profitiert
Orthesen
Personen mit einem abgeflachten Fusslängsgewölbe
Nachtschienen
Personen mit gutem Nachschlaf, die morgens starke Schmerzen haben
Extrakorporale Stosswellentherapie Personen mit einem Fersensporn im Ultraschall
Kortisoninjektionen
Ultraschallgeführte Kortisoninjektionen Schuhe mit Abrollsohlen
Personen, bei denen Injektionen mit NSAR oder Kortison an anderer Stelle wirksam waren Wenn eine diagnostische Bestätigung erforderlich ist
Personen, die Schmerzen beim Gehen haben
Injektionen mit blutplättchenreichem Plasma
Botulinumtoxininjektionen
Athleten Vermutlich Personen mit Hohlfuss
Immobilisierung Chirurgischer Eingriff
Personen, die eine Reduzierung der Belastung ablehnen
Personen mit dauerhaften Schmerzen, die ihre Ferse nicht entlasten können
Personen, bei denen mit Tapeverbänden keine Besserung erzielt werden kann Personen mit Schlafstörungen
Personen, die nicht rasch auf eine initiale Therapie ansprechen Diabetiker mit dünnem Planarfettpolster oder Personen, bei denen schon Injektionen vorgenommen wurden Personen mit niedriger Schmerzschwelle
Personen, die viel zu Fuss gehen, oder Patienten mit Knie- oder Hüftpathologien Personen mit schlechtem Venenzugang (z.B. übergewichtige Patienten) Athleten oder Personen, die im Beruf viel zu Fuss gehen (Nebenwirkungen der Muskelparalyse sind unzureichend untersucht) Alle übergewichtigen Patienten
Personen, bei denen noch nicht alle konservativen Methoden ausgeschöpft wurden
Calcaneus auf, weil bei ihnen im Vergleich zum Gehen die Übertragung des Gewichts in geringerem Ausmass über die Ferse erfolgt. Bei einer Stressfraktur befindet sich der schmerzempfindliche Bereich zwischen der Befestigung der Achillessehne und der Plantarfaszie.
Wie sinnvoll sind bildgebende Verfahren zur Diagnose? Bildgebende Verfahren können zwar zur Diagnose angewendet werden, haben jedoch meist keinen Einfluss auf das therapeutische Management. Diagnostische Anzeichen einer Plantarfasziitis – wie ein Fersensporn im Röntgenbild oder eine verdickte Plantarfaszie im Ultraschall – kommen zwar sehr viel häufiger bei Personen mit Schmerzen in der Ferse vor, werden aber auch bei asymptomatischen Personen beobachtet und können bei Patienten mit einer Plantarfasziitis auch fehlen. Es ist bekannt, dass die charakteristischen Schmerzen nicht einfach auf das Vorhandensein eines Fersensporns zurückgeführt werden können; die exakten Ursachen der Schmerzen im Zusammenhang mit der Plantarfasziitis und anderen Enthesiopathien konnten bis anhin noch nicht eindeutig ermittelt werden.
Orthesen, Tapeverbände, Modifizierungen des Schuhwerks Zu den am häufigsten angewendeten Behandlungsmöglichkeiten gehören orthopädische Hilfen wie vorgefertigte oder individuell angefertigte Orthesen, die jedoch nicht bei allen Patienten von Nutzen sind (siehe Tabelle). Schuheinlagen reduzieren theoretisch die Pronation und entlasten so die Plantarfaszie. Dies ist vermutlich auch bei Tapeverbänden der Fall, für deren Nutzen ebenfalls nur eine begrenzte Evi-
denz vorliegt. Biomechanische Überlegungen weisen darauf hin, dass Orthesen mit einiger Wahrscheinlichkeit bei überpronierenden Personen mit Plattfüssen wirksam sind. Paradoxerweise berichten Frauen häufiger über eine Verminderung der plantarfasziitisbedingten Schmerzen, wenn sie hohe Schuhe tragen, obwohl regelmässiges Tragen von High Heels zur Entwicklung einer verkürzten Plantarfaszie beiträgt, die wiederum eine Plantarfasziitis begünstigt. Manchen Patienten helfen auch Schuhe mit Abrollsohlen. Die Anwender sollten darauf hingewiesen werden, dass diese Schuhe zu einer schlechteren Balance führen und Beschwerden in den Knien, der Hüfte und dem unteren Rückenbereich verschlimmern können. Die Schuhe können jedoch von Nutzen sein, weil das Gewicht eher über den Mittelfuss als über die Ferse und die Zehen übertragen wird. So können beispielsweise Patienten davon profitieren, die regelmässig zu Fuss zur Arbeit gehen.
Dehnungsübungen und Nachtschienen Auch Dehnungsübungen haben sich bei der Plantarfasziitis als hilfreich erwiesen, allerdings handelt es sich dabei um eine anstrengende Behandlung mit begrenztem Erfolg. Die Dehnung kann gegen ein festes Objekt oder durch Verwendung eines festen Gegenstands (z.B. Ball oder Flasche) ausgeführt werden. Eine Nachtschiene gewährleistet theoretisch einen Dehnungszustand über mehrere Stunden, was potenziell zu einem besseren Ergebnis führt. Ein Hauptproblem ist hier jedoch die Compliance, denn die Schiene ist für Patienten mit schlechtem Schlaf nicht geeignet. Für Patienten mit unproblematischem Nachtschlaf können Schienen jedoch eine
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kostengünstige nicht invasive Option darstellen. Nachtschienen sind vor allem für Personen mit starken Schmerzen beim Aufstehen geeignet. Die Dehnung selbst ist immer von Nutzen, sodass den meisten Patienten dazu geraten werden sollte.
Extrakorporale Stosswellentherapie Die extrakorporale Stosswellentherapie ist ein etabliertes Behandlungsverfahren zur Behandlung von Nierensteinen. In einem Review zur Stosswellentherapie der Plantarfasziitis aus dem Jahr 2007 wurden 17 kontrollierte Studien mit unterschiedlichen, aber vorwiegend positiven Ergebnissen analysiert, und eine neuere Metaanalyse stützt diese Ergebnisse. Bei den meisten Patienten kann die Behandlung ohne Anästhesie durchgeführt werden, weil die Stosswelle vom Fettpolster gedämpft wird. Ob die Stosswelle am Fersensporn (wenn vorhanden) oder besser an der schmerzempfindlichsten Stelle appliziert werden soll, ist bis jetzt nicht geklärt. Zu den Ergebnissen bei Patienten mit und ohne Fersensporn wurden noch keine Vergleiche durchgeführt. Da die extrakorporale Stosswellentherapie jedoch hauptsächlich bei Tendinopathien mit kalzifizierenden Veränderungen Wirksamkeit zeigt, ist sie vorwiegend bei Plantarfasziitispatienten mit einem Fersensporn in der Röntgenaufnahme anzuraten.
Medikamenteninjektionen Kortisoninjektionen stellen die häufigste «medizinische» Behandlung der Plantarfasziitis dar. Sie haben einen nachgewiesenen kurzfristigen Nutzen, und aus einigen Studien geht ein besseres Ansprechen im Vergleich zu anderen Behandlungsoptionen hervor. Die Injektionen sind jedoch meist schmerzhaft, vor allem wenn sie ultraschallgeführt vorgenommen werden. Dieses Verfahren braucht zwar etwas Zeit, das Kortison kann so jedoch am genauesten platziert werden. Nichtgeführte Injektionen können schneller durchgeführt werden, dabei besteht jedoch das Risiko, dass Kortison in das Fettpolster gelangt, wobei der Schwund des Fettpolsters eine Komplikation bei diesen Kortisoninjektionen darstellt. Bei Patienten, die Injektionen ablehnen, kann auch eine Ionophorese mit Kortison durchgeführt werden.
Bei anderen Enthesiopathien wie dem Tennisellbogen werden als neuere Option auch Injektionen mit blutplättchenreichem Plasma vorgenommen. In der einzigen Vergleichsstudie wurde bei der Behandlung der Plantarfasziitis jedoch kein Wirksamkeitsunterschied im Vergleich zur Kortisoninjektion beobachtet. In mindestens 3 Studien hat sich auch ein potenzieller Nutzen von Botulinuminjektionen gezeigt. Wird dieser Benefit durch weitere Untersuchungen mit hoher Evidenz bestätigt, weist dies darauf hin, dass die Tendinopathie des Musculus flexor digitorum brevis Bestandteil der Plantarfasziitis ist, da ein Muskeltoxin theoretisch nur eine Wirkung auf eine Sehne – durch Lockerung des muskulären Zugs – ausüben kann und nicht auf ein Ligament.
Chirurgische Eingriffe Chirurgische Eingriffe bleiben eine letzte Option für langwierige Fälle. Angesichts der Tatsache, dass die Prognose der Plantarfasziitis meist günstig ist und die Erkrankung auch mit wenig invasiven Verfahren meist innerhalb weniger Monate ausheilt, kann ein Eingriff nur selten gerechtfertigt werden.
Gewichtsverlust bei Plantarfasziitis
Durch die schmerzbedingte Bewegungseinschränkung kann
sich ein Gewichtsverlust sehr schwierig gestalten. Bis die
Schmerzen nachlassen, können Sportarten wie Schwimmen
und Velofahren eine gute Option darstellen. Tägliches Zäh-
len der Schritte mit einem Pedometer gehört in der Literatur
zwar nicht zu den Behandlungsoptionen, kann im Manage-
ment der Plantarfasziitis jedoch von Nutzen sein – zunächst
zur Entlastung der Ferse und später bei der Rückkehr zu einer
höheren Belastung.
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Petra Stölting
John Orchard: Plantar fasciitis. BMJ 2012;345: e6603. Interessenkonflikte: keine deklariert
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