Transkript
FORTBILDUNG
Behandlung kleiner Schnittverletzungen
Kleben oder Nähen?
In der Allgemeinarztpraxis stellt sich ein Mann mittleren Alters mit einer kleinen Schnittverletzung am linken Arm vor. Er hat sich bei der Gartenarbeit mit einem Messer verletzt. Wie wird diese Wunde am besten verarztet?
BMJ
Die Allgemeinarztpraxis ist oft die erste Anlaufstelle bei kleinen Schnittverletzungen. Dort sollte zu Beginn der Behandlung eine umfassende Anamnese durchgeführt werden. Der Unfallhergang und die Art der Erstversorgung sind wichtige Fragen. Des Weiteren sind störende Einflüsse auf den Heilungsprozess von Interesse. Dazu gehören Diabetes, die Einnahme von Immunsuppressiva, Durchblutungsstörungen, eine erhöhte Blutungsneigung und frühere Vernarbungsstörungen. Der Patient sollte über den Ablauf der medizinischen Versorgung aufgeklärt werden und seine Zustimmung dazu geben.
Wundbeurteilung Die Wunde sollte gründlich in Augenschein genommen werden: ❖ Sind fremde Gegenstände oder Schmutz eingedrungen? ❖ Handelt es sich um einen langen und tiefen Schnitt? ❖ Wie sehen die Wundränder aus?
Merksätze
❖ Zu Behandlungsbeginn sollte eine umfassende Anamnese hinsichtlich Unfallhergang und Art der Erstversorgung durchgeführt werden. Störende Einflüsse auf den Heilungsprozess sind ebenfalls abzuklären.
❖ Die Beschaffenheit der Wunde sowie die distale Motorik und Sensibilität sollten gründlich beurteilt werden. Bei grösseren und unklaren Verletzungen sollte der Patient an einen Chirurgen verwiesen werden.
❖ Bei kleinen Schnittverletzungen werden mit medizinischen Klebern und Wundnähten vergleichbare kosmetische Ergebnisse erzielt.
❖ Die Versorgung mit Wundklebern kann im Vergleich zum Nähen schneller durchgeführt werden, ist kostengünstiger und für die Patienten angenehmer.
Ein weiterer Punkt ist die Überprüfung der distalen Motorik und Sensibilität. Der Patient sollte an einen Chirurgen verwiesen werden, wenn eine Verletzung von grösseren Blutgefässen, Nerven und Sehnen vermutet wird oder das Ausmass der Zerstörung im tieferen Gewebe nicht abschätzbar ist. Dies trifft auch dann zu, wenn eine störende, kosmetische Narbe zu erwarten ist. Einfache Schnittverletzungen werden mit Leitungswasser oder steriler Kochsalzlösung gereinigt, wobei keine der beiden Flüssigkeiten im Hinblick auf das Infektionsrisiko überlegen ist. Des Weiteren wird devitalisiertes Gewebe entfernt und eine Desinfektion durchgeführt. Untersuchungen zeigen übrigens, dass nichtsterile Handschuhe im Vergleich zu sterilen Produkten kein höheres Infektionsrisiko darstellen. Kleine, infektionsfreie Schnittverletzungen (≤ 5 cm) sollten so früh wie möglich geschlossen werden. Das Friedrich-Dogma rät zwar nur innerhalb der ersten 6 Stunden dazu, doch dies beruht auf Versuchen mit Meerschweinchen aus dem Jahr 1898. Bei gründlich desinfizierten Wunden ist dies nach heutigen Massstäben innerhalb von 24 Stunden möglich. Ist jedoch eine Infektion erkennbar, muss darauf verzichtet werden. Je nach Verlauf kann nach 3 bis 5 Tagen ein sekundärer Verschluss in Erwägung gezogen werden.
Kleber oder Faden? Nur bei sehr kleinen, oberflächlichen Wunden ist der Einsatz von Pflastern sinnvoll. Vor allem Kleben und Nähen sind gängige Verfahren, um Verletzungen zu schliessen. Wundkleber beruhen häufig auf der Basis von Cyanoacrylatpolymer und werden an der epidermalen Oberfläche aufgetragen. Sie sind allerdings nicht für Schleimhäute, dicht behaarte Stellen, Gelenke oder andere stark beanspruchte Körperstellen geeignet. Alternativ können die meisten Wunden mit einer einfachen, unterbrochenen Naht aus nichtresorbierbaren Fäden geschlossen werden. Handelt es sich um einen Bereich, wo das Ziehen der Fäden schwierig ist, kann gegebenenfalls auf resorbierbares Nahtmaterial zurückgegriffen werden. Bei kleinen Schnittverletzungen werden mit medizinischen Klebern und Wundnähten vergleichbare kosmetische Ergebnisse in der Allgemeinarztpraxis erzielt. Die Versorgung mit Wundklebern kann im Vergleich zur traditionellen Behandlung schneller durchgeführt werden und ist für die Patienten angenehmer. Wirtschaftliche Untersuchungen zeigen zudem, dass resorbierbare Nähte 2,4-mal und nicht resorbierbare Nähte sogar 6,8-mal so teuer sind wie Wundkleber. Des Weiteren wertete ein Cochrane-Review die Ergebnisse von neun Studien und 834 Wunden aus. Bei Wundklebern war die Rate von Dehiszenzen geringfügig höher (Risikodifferenz: 2,4%;
1334 ARS MEDICI 24 ■ 2012
FORTBILDUNG
Kasten:
Versorgung mit Wundnähten
Körperpartie
Tage bis zum Fädenziehen
Gesicht Kopfhaut Brust Extremitäten Gelenke und Rückenpartie
3–5 7–10 7–10 7–10 10–14
Fadenstärke
metrisch
USP (United States Pharmacopeia)
1 oder 0,7 1,5
1,5 oder 2 1,5 oder 2 2 oder 2,5–3
5–0 oder 6–0 4–0
4–0 oder 3–0 4–0 oder 3–0 3–0 oder 2–0
95%-Konfidenzintervall: 0,1%–4,9%; «number needed to harm»: 40), aber es traten weniger Erytheme auf (-10%; -19 bis -0,4; 10). Es bestanden ausserdem keine Risikounterschiede im Hinblick auf Infektionen (Gesamtrisiko 1,1%).
Zu guter Letzt Die genähte oder verklebte Wunde wird zum Schluss mit einer Binde oder einem selbstklebenden Pflaster mit Wundauflage abgedeckt. Des Weiteren ist es wichtig, den Tetanusimpfstatus zu überprüfen und gegebenenfalls eine Auffrischung durchzuführen. Je nach Fall sollte ausserdem die vorbeugende Gabe eines Antibiotikums in Betracht gezogen
werden. Nach 3 bis 14 Tagen können die Fäden endlich ge-
zogen werden, wohingegen die Filmschicht des Wundklebers
nach einiger Zeit von selbst abfällt. Unabhängig von der
gewählten Wundverschlusstechnik kann es bis zu ein Jahr
dauern, bevor letztendlich eine Aussage über das kosmeti-
sche Ergebnis gemacht werden kann.
❖
Monika Lenzer
Jochen WL Cals, Eefje GPM de Bont: Minor incised traumatic laceration. BMJ 2012; 345: e6824.
Interessenkonflikte: keine angegeben
KORRIGENDUM
Therapie des Diabetes mellitus – Stellenwert, Sicherheit und Kosten der neuen Medikamente (ARS MEDICI Nr. 20/2012, 1100 ff.)
Im Beitrag von Prof. Dr. med. Jörg Bojunga wurden wegen der zeitlichen Verzögerung zwischen Manuskriptabgabe und Druck leider einige
neuere Entwicklungen nicht berücksichtigt. Insbesondere fehlten die wesentlichen Angaben zum in der Zwischenzeit, nämlich im März 2012,
in der Schweiz eingeführten vierten DPP-4-Hemmer Linagliptin (Trajenta®). Wir publizieren deshalb nachfolgend noch einmal die in der Online-
Version bereits früher korrigierte Vergleichs-
Tabelle 2:
DPP-4-Hemmer – Zulassung und Kosten
tabelle der DPP4-Hemmer Vildagliptin, Sitagliptin, Saxagliptin und Linagliptin (AM 20/2012,
Mono + Met + SH + Glitazon SH/Me Nieren- Trans. + Insulin Monats-
GI/Me insuff. > 3 ×
kosten*
Vildagliptin + + + +
(Galvus® u.a.)
- +--
71 Fr.
S. 1101).
Im Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass sich die Indikationen, also die Zulassungen, im europäischen Raum und in der Schweiz umfangmäs-
Sitagliptin + + + +
(Januvia® u.a.)
+ + -+
65 Fr.
sig wie auch terminlich teilweise unterscheiden. So besteht beispielsweise für Sitagliptin in der
Saxagliptin -
(Onglyza®)
+ +-
+ (+) (-) +
74 Fr.
Schweiz die Zulassung bei eingeschränkter Nierenfunktion bereits seit 2007 («neu» ist sie
Linagliptin + + + +
(Trajenta®)
+ + +-
60 Fr.
Met: Metformin; SH: Sulfonylharnstoffe; Gl: Glitazone; Trans.: Lebertransaminasen.
*Die Monatskosten basieren auf der normalerweise empfohlenen Tagesdosis; zugrunde gelegt ist der Preis einer Grosspackung.
hingegen in Europa); dafür fehlt in der Schweiz bis anhin die Zulassung bei eingeschränkter Nierenfunktion für Vildagliptin, wie sie in Europa besteht.
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